1 Einleitung
Der Großteil der deutschen Kommunen leidet seit vielen Jahren unter steigenden Ausgaben und gleichbleibenden oder sinkenden Einnahmen. Die ordentlichen Einnahmen und Steuererträge reichen oftmals nicht einmal für die Ausgaben der auferlegten Staatszwecke. Dieses Primärdefizit wird um die aus der Zinslast entstehende Zahlungsverpflichtung erweitert, das sogenannte Sekundärdefizit.[1] Im Jahre 2004 besaß eine durchschnittliche Kernverwaltung eine Investitionskreditverschuldung in Höhe von 46 Mio. EUR, woraus Zinsausgaben in Höhe von durchschnittlich 2,25 Mio. EUR entstanden.[2] Großzügiges Ausgabenverhalten in konjunkturell guten Zeiten, Unterschätzung der Folgekosten von Investitionen und die Fehleinschätzung struktureller Entwicklungen sind nur einige der Gründe, die zu der hohen finanziellen Belastung geführt haben.[3] Hinzu kommt das Vertrauen auf die Sicherung durch das Land: Der Glaube, dass die Insolvenz einer Kommune faktisch nicht möglich sei, hindert beschränkende Kreditmarktmechanismen. Als Konsequenz vergeben Kreditinstitute weiterhin Kredite an Kommunen, nahezu unabhängig von deren wirtschaftlichen Lage.[4] Auch die Nachfrage seitens der Kommunen ist ungebrochen. Selbst Städte mit zufriedenstellender Finanzlage neigen dazu, Investitionen wie selbstverständlich durch Nettokreditaufnahme zu finanzieren.[5] Dabei herrscht eine Präferenz für mittel- bis langfristige Zinsbindungsfristen, so dass 80% der Kredite über eine Zinsbindungsfrist von 5 Jahre oder länger verfügen.[6]
Diese Deckung des Liquiditätsbedarfs unabhängig von der vorherrschenden Markt- und Zinsentwicklung durch langfristige Kreditaufnahmen zeigt die gängige Praxis der passiven Schuldenverwaltung.[7] Die Höhe der Kommunalverschuldung (Schuldenniveaupolitik) ist dabei aus ökonomischer Sicht im Gegensatz zur Landes- und Bundesverschuldung wenig diskutabel, da diese durch die Gemeindehaushaltsordnungen eng an die Höhe der Sachinvestitionen einer Kommune gebunden ist.[8] Seit geraumer Zeit haben jedoch mehrere Tendenzen dazu geführt, dass die Schuldenstrukturpolitik, d.h. die Umsetzung der finanzpolitischen Ziele bei gegebenem Niveau der öffentlichen Verschuldung, in den Fokus der öffentlichen Verwaltungen gerückt sind. Dazu zählen die Umstellung auf die Doppik, die gestiegene Sensibilisierung der Wähler und die mit Basel III einher gehenden Änderungen.
Der größte Einfluss ist sicherlich der Umstellung der Kameralistik auf die Doppik im Rahmen des Neuen Kommunalen Finanzmanagements (im Folgenden NKF) zuzurechnen. Dieses Teilgebiet des von der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung (KGSt) Anfang der 1990er Jahre adaptierten Neuen Steuerungsmodells (NSM) hat das Ziel, die Erkenntnisse und Instrumente der doppischen Buchhaltung aus der Privatwirtschaft auf die Begebenheiten der kommunalen Haushaltswirtschaft zu übertragen. Damit wird ein auf dem Ressourcenverbrauch basierendes, entscheidungsorientiertes Finanzmanagement angestrebt, wie es z. B. auch das Gesetz zur Einführung des Neuen Kommunalen Finanzmanagements für Gemeinden im Land Nordrhein-Westfalen vom 10.11.2004 verlangt.[9] Durch die Doppik werden die Folgen von (Investitions-) Entscheidungen wesentlich transparenter vom Rechnungswesen dargestellt, als es im Rahmen der Kameralistik möglich war.[10] Zum Beispiel konnten strukturelle Defizite bestehen, obwohl der kamerale Haushalt ausgeglichen war.[11] Durch die Einführung des NKF und die damit einhergehende Auflistung der Vermögensund Verschuldensteile auf der Passivseite der Bilanz sind Rat und Verwaltung gezwungen, sich genauer mit der finanziellen Lage der Kommune zu befassen.[12]
Die gewonnene Transparenz hat sich jedoch nicht nur auf die Ebene des Rates und der Verwaltung beschränkt, sondern auch die Wähler sind dem Thema Öffentliche Verschuldung gegenüber sensibler geworden.[13]
Zusätzlich führen die gestiegene Wettbewerbsintensität im Kreditmarkt und der Rückbau der Privilegien der Sparkassen und Hausbanken der Kommunen dazu, dass der Kommunalkredit unattraktiver wird und sich die Kreditkonditionen verschlechtern werden.[14] Durch die mit Basel III einhergehenden Änderungen, die u. a. die Nullanrechnung der Kommunalkredite in Frage stellen, wird dieses Problem noch verstärkt.[15]
Diese Entwicklungen führen zu einem Umdenken in den Kommunen. Der überwiegende Teil der Quantität der Verschuldung kann nicht in Frage gestellt werden. Durch das NKF und die gestiegene öffentliche Wahrnehmung sind die Kommunen jedoch angehalten, ökonomischer zu handeln. Da mit dem Kommunalkredit zusätzlich das Standardverschuldungsinstrument der Kommunen unter Druck gerät, müssen neue Wege der Verschuldungsqualität gefunden werden. Diese Lücke soll das aktive Schulden- und Zinsmanagement füllen.
Darunter wird die aktive Gestaltung der Verschuldungsmodalitäten verstanden, d.h. die Auswahl der Schuldenart, der Laufzeit- und Gläubigerstruktur, der Losgrößen, der Tilgungsmodalitäten etc.[16] Das aktive Schulden- und Zinsmanagement erweitert das Vorgehen, den Liquiditätsbedarf durch einen Kredit mit langfristiger Zinsbindung zu decken, der bis zum Zeitpunkt der Prolongation nicht mehr betrachtet wird, um einen permanenten und revolvierenden Prozess, in dem das gesamte kommunale Schuldenportfolio betrachtet und laufend an die Marktund Zinserwartung des Kämmerers angepasst wird.[17] Durch den Einsatz von Derivaten ist es dann möglich, Veränderungen an der Struktur des Portfolios vorzunehmen, ohne das Grundgeschäft selbst verändern zu müssen. Auf diese Weise können Änderungswünsche beispielsweise bzgl. der Laufzeit oder aufgrund einer geänderten Zinsmeinung realisiert werden.[18]
Auch in anderen kommunalen Bereichen führen der quantitative und qualitative Aufgabenzuwachs, die zunehmende Regelungsdichte sowie die vielfältigen Interdependenzen zu einer gestiegenen Komplexität, die ein Heranziehen privatwirtschaftlicher Instrumente nahe legen.[19] Diese schrittweise Ökonomisierung der Kommune, die sich z. B. auch in den Instrumenten der Kostenrechnung oder dem Kontraktmanagement zeigt, führt grundsätzlich zu einer stärkeren Berücksichtigung ökonomischer Überlegungen bei den Entscheidungen und Aktivitäten der öffentlichen Hand.[20] Eine vornehmliche Orientierung an Profit- und Rentabilitätsgrößen ist jedoch im öffentlichen Sektor nicht angemessen, da eine rein betriebswirtschaftliche Perspektive den gesellschaftlichen Zielen nicht gerecht werden kann.[21] Somit besteht die Gefahr, dass die Ökonomisierung in einen Ökonomismus umschlägt, der die pluralen Handlungsrationalitäten im öffentlichen Sektor außer Acht lässt und sich einseitig auf ökonomische Kategorien fokussiert.[22]
Diese Gefahr scheint sich besonders im Umgang mit Derivaten bewahrheitet zu haben. Vor allem in Nordrhein-Westfalen kam es nicht zuletzt aufgrund der Empfehlungen diverser Kreditinstitute zum vielfachen Einsatz von Derivaten. Diese waren jedoch nicht immer an das Risikoprofil der Kommunen angepasst, so dass sich die Kommunen in den Folgejahren mit sehr hohen Zahlungsverpflichtungen konfrontiert sahen.[23] Die große Zahl an vorliegenden Klagen spiegelt das Gefühl vieler Kommunen wider, nicht in ausreichender Qualität beraten worden zu sein. Zum Teil ist jedoch auch innerhalb der Kommunen ein zu leichtfertiger Umgang mit Derivaten erfolgt, so dass ein Teil der Verluste durchaus vermeidbar gewesen wäre.[24]
Abb. 1: Kommunale Akteure im Spannungsfeld von Politik und Verwaltung[25]
Die Entscheidungen, welche Finanzinstrumente gekauft werden und wie mit ihnen umgegangen wird, werden jedoch nicht alleine von den Kämmereien getroffen. Die Aufsichtsbehörden bestimmen die Rahmenbedingungen, innerhalb derer die Gemeinden ihrer kommunalen Selbstverwaltung nachgehen können. Der Rat als politisches Gremium muss darüber hinaus der generellen Verwendung der Instrumente zustimmen. Erst dann dürfen die Verwaltungsangestellten diese kaufen, was meist in Absprache mit dem Bürgermeister geschieht. Letzterer steht zwar der Verwaltung vor, hat im Allgemeinen aber einen politischen Hintergrund. Die Amtsleiter wiederum geben durch die Auswahl und Formulierung der Ratsvorlagen politische Impulse, obwohl sie grundsätzlich eindeutig der Verwaltung zugeordnet sind. Bereits diese einfache Betrachtung zeigt die Überschneidungen der Verwaltungsabläufe mit politischen Motiven (vgl. Abb. 1).
Zusätzlich zu den internen Interdependenzen sieht sich die Kommune einer Vielzahl von Anspruchsgruppen gegenüber, die das Meinungsbild der Entscheidungsträger entscheidend prägen und somit an den Finanzierungsentscheidungen mittelbar beteiligt sind (vgl. Abb. 2).
Abb. 2: Anspruchsgruppen der Kommunalverwaltung[26]
Ziel dieser Dissertation ist es, die Prozesse der Finanzierungsentscheidungen zu analysieren. Dabei stehen vor allem die Implikationen der Steuerungsmodelle, die Einflüsse der diversen Anspruchsgruppen und deren Konflikte im Vordergrund. Das Ergebnis der Arbeit ist ein Konzept zur finanzwirtschaftlichen Fundierung kommunaler...