2 Automatische Anteile im Konsumentenverhalten: Assoziationen und Einstellungen
Auch das zweite Kapitel betrachtet das Konsumverhalten unter dem Gesichtspunkt automatischer und nicht kontrollierter Verhaltensweisen. Im Folgenden geht es vor allem um die automatischen Einflüsse auf unsere Entscheidungen und Bewertungen. Um diese Einflüsse zu verstehen, sollten Sie eine Vorstellung davon haben, wie man sie misst – nämlich indirekt. Das folgende Kapitel erklärt auch, warum die automatischen Einstellungen und Assoziationen »implizit« genannt werden und unter welchen Bedingungen sie für das Konsumverhalten relevant werden.
Es muss jetzt wirklich schnell gehen! Entscheiden Sie: Schokotorte oder Obstsalat.
Und … Was haben Sie gewählt?
Was würde wohl bei dieser Aufgabe herauskommen, wenn ich Sie vor die gleiche Entscheidung gestellt, Ihnen dabei aber reichlich Bedenkzeit gegeben hätte?
Unter Zeitdruck wählen viele Probanden zunächst einmal die süße Kalorienbombe. Wenn die Entscheider länger nachdenken können, steigen dagegen die Chancen für die gesündere und weniger kalorienhaltige Option (Shiv & Fedorikhin, 1999). Wie erklärt man sich diesen Unterschied zwischen der schnelleren und der langsamen Version? Die Antwort werden Sie sich schon selbst gegeben haben: Allem Anschein nach haben wir eine spontane Vorliebe für die kalorienhaltige Süßspeise. Dass der Obstsalat mit seinen Vitaminen vermutlich besser für uns ist, wissen wir zwar, wir müssen es uns aber erst ins Bewusstsein rufen – und das braucht Zeit.
Manche Konsumentscheidungen stehen offenbar schon nach sehr kurzer Zeit und brauchen nur minimalen Aufwand. Und diese Entscheidungen müssen nicht unbedingt die gleichen sein, die wir nach längerer Zeit und mit etwas größerem Aufwand treffen. Neben der bewussten scheint es also auch eine automatische Ebene der Verhaltenssteuerung zu geben, die unter bestimmten Bedingungen wirksam wird.
Gehen wir im Folgenden also davon aus, dass das Konsumverhalten aus zwei unterschiedlichen Systemen gesteuert werden kann, einem bewussten, reflektierten und absichtsvollen, das vergleichsweise viele kognitive Ressourcen beansprucht, und einem nicht bewussten, automatischen und unwillkürlichen, das auch mit sehr geringem kognitivem Aufwand auskommt. Die Unterscheidung zweier Systeme der Verhaltenssteuerung hat in der Psychologie gute Tradition (z. B. Chaiken & Trope, 1999), und von diesen Zwei-Prozess-Modellen sind jene, die die Automatismen des menschlichen Verhaltens ins Zentrum rücken, in den letzten Jahren besonders populär geworden (z. B. Bargh & Chartrand, 1999; Kahneman, 2012).
2.1 Die Messung impliziter Assoziationen und Einstellungen
Beginnen wir mit einer Methode, die automatische Assoziationen messen soll. Hierzu betrachten wir den Impliziten Assoziationstest (IAT, Greenwald, McGhee & Schwartz, 1998). Der IAT ist ein Verfahren auf Basis von Reaktionszeiten. Die Probanden müssen am Bildschirm unterschiedliche Kategorisierungsaufgaben bewältigen. Entscheidend dabei ist, dass zwei unterschiedliche Kategorisierungsaufgaben gleichzeitig zu lösen sind. Je nachdem, wie die Aufgaben kombiniert werden, verlangsamen sich die Reaktionszeiten oder sie beschleunigen sich (Beschreibung eines Ablaufs Kasten).
So funktioniert ein IAT
Stellen wir uns vor, Sie sollen von einer Reihe von Wörtern entscheiden, ob sie eine positive oder negative Bedeutung haben. Bei einer positiven Bedeutung drücken Sie die Taste »l« auf der Tastatur, bei einer negativen das »a«. Die Wörter sind eindeutig klassifizierbar, sie lauten zum Beispiel Dreck, Liebe, Henker, schön, schlecht und so weiter.
In einem weiteren Durchgang sehen Sie Fotos von Produkten, die entweder zur Hausmarke einer Handelskette gehören oder echte Markenprodukte sind. Auch diese Stimuli sollen Sie klassifizieren, diesmal danach, ob sie Marken- oder No-Name-Produkte sind. Bei einem Markenprodukt drücken Sie links, bei einem No-Name Produkt rechts.
Im dritten Durchgang werden die beiden Aufgaben kombiniert. Die linke Taste – und damit natürlich auch die linke Hand – sind nunmehr sowohl für Markenprodukte als auch für negative Wörter zuständig ( Abb. 2.1). Sie ahnen natürlich die Konsequenz. Die Übung aus den vorangegangenen Durchgängen hat dazu geführt, dass die linke Hand sozusagen die »negative« Hand ist. Wenn wir nun voraussetzen, dass Marken generell eher positiver gesehen werden als No-Name-Produkte, dann ist hier eine Interferenz zu erwarten. Obwohl man Marken positiv bewertet, muss man sie mit der ›negativen‹ Hand bestätigen, um die Aufgabe zu lösen. Die Reaktionszeiten verlangsamen sich.
Auf diesen kombinierten Durchgang folgt zunächst ein vierter Übungsdurchgang: Darin wechselt die Tastenbelegung für eine der beiden Kategorien, für die andere bleibt sie konstant. Zum Beispiel könnten in unserem Marke-NoName-IAT die Probanden instruiert werden, auf negative Wörter nicht mehr mit der linken, sondern nun mit der rechten Hand zu reagieren – und umgekehrt. Das üben die Probanden noch einmal, worauf wieder ein kombinierter Durchgang folgt. Der Markenfreund von vorhin findet nun die Tastenbelegung passend zu seinen Einstellungen vor – seine Reaktionszeiten werden gegenüber dem ersten kombinierten Durchgang schneller.
Nach der IAT-Logik ist dieser letzte Durchgang der sogenannte »kompatible« Block, der erste kombinierte Block ist dagegen der »inkompatible«. Der Vergleich dieser beiden Durchgänge sorgt gleichzeitig dafür, dass individuelle Besonderheiten beim Bearbeiten von Reaktionszeitaufgaben herausgerechnet werden: Es geht nicht um die absolute Schnelligkeit, sondern um die relative, genauer: um die Differenz zwischen den Reaktionszeiten im kompatiblen und im inkompatiblen Durchgang.
Abb. 2.1: Ein kombinierter Durchgang in einem Marke-No-Name-IAT. Die Probanden sollen die Stimuli danach kategorisieren, ob sie positive oder negative Bedeutung haben oder ob sie Marken oder No-Name-Produkte sind. Unter der Voraussetzung, dass Marken positiver bewertet werden als No-Name-Produkte, gehört die oben abgebildete Aufgabe zum sogenannten ›inkompatiblen‹ Block eines lATs, in dem sich die Reaktionszeiten insgesamt eher verlangsamen.
Die Logik des IAT beruht wesentlich auf der Kombination der beiden parallelen Aufgaben, nämlich der Kategorisierung der Zielobjekte (z. B. Marke und No-Name-Produkte) und der Kategorisierung der Attribute (z. B. positive und negative Wörter). Die Kombination der Aufgaben erleichtert die Bewältigung entweder oder stört sie, dem entsprechend fallen die Reaktionszeiten aus.
Die Kombination von Parallelaufgaben liegt auch anderen impliziten Einstellungsmaßen zu Grunde, zumindest denen auf Reaktionszeit-Basis. Im Folgenden seien exemplarisch vier weitere Methoden zur Messung impliziter Einstellungen genannt:
• In der »Extrinsic Affective Simon Task« (EAST; de Houwer, 2003) sehen die Probanden weiße Begriffe auf schwarzem Bildschirm. Diese Begriffe sollen sie nach ihrer Valenz beurteilen. Parallel dazu sehen sie farbige Wörter, die sie entsprechend der Farbe einteilen sollen. Wieder werden hierfür die Tasten doppelt belegt: Die Taste ›a‹ könnte danach sowohl für negative weiße Wörter sowie für blaue farbige Wörter gelten, die Taste ›l‹ würde für positive und rote Wörter verwendet. Wenn nun z. B. der Name ›Hasseröder‹ in roter Farbe präsentiert würde, müsste der Proband hierfür mit der Taste (bzw. der Hand) reagieren, die eine »extrinsisch positive« Bedeutung hat. Dies würde die Reaktionszeiten für Freunde des Hasseröder gegenüber den Durchgängen, wo Hasseröder in blau geschrieben wird, beschleunigen.
• Beim »Evaluative Movement Assessment« (EMA; Brendl, Markman & Messner, 2005) sehen die Probanden ihren Vornamen in der Mitte des Bildschirms. Eine von zwei Aufgaben besteht darin, Wörter mit einer positiven Bedeutung auf ihren Namen zu und Wörter mit einer negativen Bedeutung von ihrem Namen wegzubewegen. In der Parallelaufgabe sollen sie Einstellungsobjekte, z. B. Markenlogos bewegen. Hier gibt es je nach Durchgang die immer gleiche Instruktion: Wenn ein solches Objekt kommt, muss es z. B. immer nach links oder in einem anderen Durchgang immer nach rechts bewegt werden. Auch hier werden Reaktionszeiten betrachtet. Einstellungsrelevant ist dabei die Stelle auf dem Bildschirm, auf der das Einstellungsobjekt erscheint: Daraus ergibt sich nämlich, ob z. B. die Bewegung nach links zum Namen hin oder von ihm weg führt, was je nach Einstellung die Reaktion verlangsamt oder beschleunigt.
• Das dritte implizite Verfahren ist beinahe ein Klassiker, allerdings...