Freiarbeit: freie Wahl der Arbeit
Die Kinder begeben sich nach dem Morgenkreis mit ihren unterschiedlichen Vorhaben an ihre Aufgaben. Einige aktuelle persönliche Erlebnisse, die im Morgenkreis erzählt worden sind, werden als Schreibanlässe genutzt. Damit Kinder ihre Ideen und Vorhaben in die Tat umsetzen können, finden sie in den offenen Regalen der Vorbereiteten Umgebung entsprechende Materialien.
Wie verhext! – Sprechspiele und Hexenwörter
Sprechspiele ergeben sich auch von selbst
Esther bereitet ihren Arbeitstisch vor. Sie stellt die Hexe auf den Tisch und malt auf einem großen DIN-A3-Blatt einen Kochtopf und eine Hexe. Während sie malt, überlegt sie, wie die Hexe heißen könnte und fragt ihre Mitschülerinnen um Rat. Der Name soll »hexisch« klingen. Immer mehr Kinder beteiligen sich an der Namensuche und sprechen »hexisch« miteinander. Es entwickeln sich aus der Situation heraus Wort- und Lautspielereien: Mehrere Kinder spielen die Rollen verschiedener Hexen und sprechen mit hoher Stimme und in unterschiedlichen »Sprachen« miteinander. Eine Hexe verwendet viele langgezogene ih-s, die andere betont alle Vokale und zischelt die sch-Laute, und wieder eine andere hängt an viele Wörter die Endung -ixie.
Kreativität und Sprachspiel
Die Kinder haben enormen Spaß am Ausdenken und Ausprobieren – und fördern so »ganz nebenbei« ihr phonetisches Bewusstsein für kurze und lange Laute.
Nach einer Weile wird es Esther (und uns) zu viel. Neben das Bild der Hexe und des Suppentopfs schreibt und malt sie die Zutaten. Als sie fertig ist, hängt sie das Plakat an die Tafel. »Schreiben mag ich nicht, aber Sachen aufschreiben mag ich.« Esther hat das Mitbringsel und die Erzählungen ihrer Schwester als Schreibanlass genommen und heute ein Plakat gestaltet, Lautierungsübungen in »Hexensprache« durchgeführt und Wörter geschrieben.
Hexenbild mit Hexenwörtern
© Katrin Zboralski
Malen und erzählen
Die meisten Kinder malen gerne, und in ihren Bildern stecken tolle Geschichten. Lassen Sie den Künstler eines Bildes die Geschichte zum Bild erzählen! Auf einer Staffelei (oder einem anderen wirkungsvollen Platz) wird das Bild dargeboten, und der Erschaffer des Werkes kann sich nun danebenstellen und die Geschichte des Bildes Ihnen oder einer Zuhörergruppe erzählen. Ganz so, wie die Geschichtenerzähler im Mittelalter von Markt zu Markt zogen und ihre Geschichten unterstützt mit bunten Bildern vortrugen.
Wie es geschah – Ein Unfallbericht in Buchform
Konzentration durch eine passende Umgebung
Jens hat sich vorgenommen, den Autounfall mit Bild und Text zu dokumentieren. Er könnte ein Bild-Wörter-Plakat wie Esther gestalten, aber er entscheidet sich für ein »Buch«. Er faltet am Basteltisch ein DIN-A3-Blatt zu einem Heft. Mit seiner Federtasche und dem Faltbuch in den Händen begibt er sich auf die Suche nach einem anderen Arbeitsplatz. Er legt sich bäuchlings auf den »Morgenkreis-Teppich«, öffnet seine Federtasche, blickt sich noch einmal um und beginnt seine Arbeit. Auf die Vorderseite des Buches malt er ein Auto, schreibt seinen Namen (Autor!) und den Titel des Buches. Bevor er mit dem weiteren Malen und Schreiben beginnt, nummeriert er die Seiten des Buches.
Jens erzählt mir den Ablauf des Unfalls noch einmal so genau wie möglich. So macht er sich die Reihenfolge des Geschehens bewusst, denn jetzt im Buch muss die Abfolge stimmen. Er malt ein Auto. Auf die Fragen, welche Farbe das Auto habe und wem es gehört, antwortet er: »rot, Herrn Müller«. Ich schlage ihm vor, so genau wie möglich zu schreiben, damit sich die Leser alles genau vorstellen können. Jens schreibt: »DAS ROT AUTO FON MÜLLER«. Jens schreibt auch auf den folgenden Seiten Wortgruppen und nicht nur einzelne Wörter.
Nach Abschluss seiner Arbeit packt er das Buch ein, da er es dem Nachbarn seines Opas schenken möchte. Jens ist mit sich und seiner Arbeit zufrieden und benötigt weder eine »Kontrolle« noch ein Lob.
Ein ganzes Buch schreiben?!
Ein ganzes Buch von vorn bis hinten selbst gestaltet zu haben, ist ein tolles Gefühl! Auch Noch-nicht-Schreiber können eine Geschichte in einem eigenen Buch festhalten, indem sie die einzelnen Phasen der Geschichte in der richtigen Reihenfolge nacheinander aufmalen. Ein selbst gebasteltes Buch hat den Vorteil, dass die Seitenanzahl begrenzt ist, denn für einen beginnenden Schriftsteller sollte der (Arbeits)berg nicht zu hoch, sondern überschaubar sein.
Auf die Vorderseite gehört natürlich der Name des Verfassers und, wenn der Verfasser bereits Ziffern schreiben kann, gehören die Seitenzahlen ebenfalls auf die Buchseiten. Nach Abschluss der Arbeit möchte der Autor die Geschichte zu seinem Buch sicherlich einem aufmerksamen Zuhörer erzählen und seine Sprachkompetenz im Erzählen üben.
Malen, sprechen, schreiben – Schritt für Schritt eine Geschichte erfinden
Mira und Elske (1. Schuljahr) möchten Pferdebilder malen. Da mir das Schreiben wichtig ist, schließen wir einen Kompromiss: Es soll eine »Ein-Bild-ein-Satz-Geschichte« entstehen. Malen und Schreiben sind zwei Prozesse, die sich gut ergänzen. Die Mädchen setzen sich nebeneinander an einen Fenstertisch und legen die notwendigen Materialien bereit.
Nach und nach entstehen die Bilder – und auch eine Geschichte entwickelt sich allmählich. Beim Malen, während die Vorstellungsbilder konkret Gestalt annehmen, bilden sich beschreibende oder erläuternde Sätze in den Köpfen der Mädchen. Manchmal müssen die Worte gleich »raus«, und während des Malprozesses erzählen sich Mira und Elske bereits die Geschichte.
Als ihre Bilder fertig sind, besprechen sie kurz, wie und was sie aufschreiben könnten. Malen, Sprechen und Schreiben verbinden und ergänzen sich zu einem kreativen und sozialen Geschehen. Mira schreibt in Schreibschrift drei Sätze. Elske schreibt (fast) lautgetreu einen Satz: DA FEAT RÄNT AUF DEA KOPL (Das Pferd rennt auf...