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E-Book

Kreativität

Wie unser Denken die Welt immer wieder neu erschafft

AutorAnthony Brandt, David Eagleman
VerlagSiedler
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl288 Seiten
ISBN9783641224622
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Wie entsteht das Neue? Durch Biegen, Brechen und Verbinden!
Wir Menschen wollen ständig Neues erschaffen - was aber macht unser Gehirn dabei so besonders? Warum erfinden Krokodile keine Speedboats?

Der Neurowissenschaftler David Eagleman und der Komponist Anthony Brandt schildern, wie in unseren Köpfen Innovation entsteht. Sie erzählen Geschichten neuer Ideen von Picasso bis zur Raumfahrt und zeigen uns, dass wir die Herausforderungen der Zukunft nur meistern können, wenn wir die kreative Software unseres Gehirns verstehen lernen.

Ein faszinierendes Duett von Naturwissenschaft und Kunst: Der weltbekannte Hirnforscher David Eagleman und sein Freund, der Komponist Anthony Brandt, widmen sich in ihrem Buch der Frage, wie das Neue entsteht. Dabei blicken sie auf die kreative Software des Gehirns: Wie funktioniert sie? Was machen wir damit? Wohin führt sie uns? Es erweist sich, dass der kreative Prozess vor allem von drei Fähigkeiten des Gehirns abhängt: Biegung, Brechung und Verbindung.

An vielen Beispielen, von der Raumfahrt über die Wirtschaft und die Kunst bis zum Sport, demonstrieren die Autoren, wie unser Denken die Welt immer wieder neu erschafft.

David Eagleman, geboren 1971, wurde in Neurowissenschaften promoviert und war Schüler des legendären Biologen Francis Crick. Er ist einer der angesehensten und bekanntesten Hirnforscher der Welt. Eagleman forscht und lehrt über das Unbewusste und die menschliche Wahrnehmung an der Stanford University. Mit »Fast im Jenseits«, einer Sammlung von kurzen Geschichten über das Leben nach dem Tod, gelang ihm ein in 20 Sprachen übersetzter Weltbestseller. Zuletzt erschienen bei Pantheon »Inkognito. Die geheimen Eigenleben unseres Gehirns« (2013) und »The Brain« (2017).

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Leseprobe

KAPITEL 1



NEUES IST MENSCHLICH

WARUM FINDEN WIR NIE DEN PERFEKTEN STIL?

Um zu sehen, wie groß unser Bedürfnis nach Neuem ist, reicht schon ein Blick auf die Frisuren in Ihrer Umgebung.





Diese ständige Neugestaltung lässt sich in sämtlichen menschlichen Erzeugnissen beobachten, von Fahrrädern bis hin zu Sportarenen:





Liegerad, Michael Killians Snowboard-Fahrrad, DiCycle von GBO Innovation Maker und Konferenzfahrrad.



Was die Frage aufwirft: Warum müssen wir dauernd mit unseren Frisuren, Fahrrädern und Sportstadien experimentieren? Warum finden wir nicht die eine perfekte Form und bleiben dabei?

Die Antwort: Veränderung wird nie enden. Weil es nicht um das Richtige geht, sondern um das Nächste. Wir Menschen sind der Zukunft zugewandt, und es gibt keinen Endpunkt. Aber was macht unser Gehirn so rastlos?







WIR PASSEN UNS SCHNELL AN

In jedem beliebigen Moment schwebt eine gute Million Menschen in bequemen Sesseln Tausende Meter hoch über der Erde. So beliebt ist der Flugverkehr. Doch es ist noch nicht lange her, da waren Flugreisen ein waghalsiges Abenteuer für einige wenige Pioniere. Heute ist das Fliegen ganz selbstverständlich: Wir steigen ein wie im Schlaf und werden nur wach, wenn unsere Erwartung an bequeme Sitze, leckere Mahlzeiten und unterhaltsame Filme enttäuscht wird.

In einem seiner Programme wundert sich der Komiker Louis C. K. darüber, dass wir nicht mehr über Flugreisen staunen. Er imitiert einen meckernden Passagier: »Und dann steigen wir ein, und die lassen uns da auf dem Rollfeld stehen, eine geschlagene Dreiviertelstunde. Wir haben einfach da rumgestanden.« Worauf Louis: »Echt jetzt? Und was ist dann passiert? Bist du dann geflogen, so richtig durch die Luft, wie ein Vogel? Hast du dieses Wunder des Flugs genossen, du Null?« Dann macht er sich über Leute lustig, die sich über Verspätungen aufregen. »Verspätung? Im Ernst? New York nach Kalifornien in fünf Stunden. Das hat mal dreißig Jahre gedauert. Wenn man nicht unterwegs gestorben ist.« Louis erinnert sich daran, wie er 2009 zum ersten Mal Internet im Flugzeug hatte. »Ich sitze im Flieger, und die so, öffnen Sie Ihr Laptop, Sie können ins Internet. Und es war schnell, ich habe mir auf YouTube Filme angeschaut. Das war cool: Ich war im Flieger!« Aber es dauert nicht lange, und das Internet setzt aus. Und der Sitznachbar von Louis wird sauer. »Das ist doch Mist!« Worauf Louis: »Vor zehn Sekunden hat er davon erfahren, dass es das gibt, und jetzt meint er schon, dass es die Welt ihm schuldig ist!«

Was eben noch neu war, ist jetzt schon normal. Sehen Sie sich nur an, wie selbstverständlich Handys heute sind. Dabei ist es noch gar nicht so lange her, da haben wir mit Münzen in der Tasche geklimpert, nach Telefonzellen gesucht, Treffen verabredet und dann doch verpasst, weil irgendetwas schiefging. Das Handy hat unsere Kommunikation radikal verändert – aber die neue Technik wird vor unseren Augen selbstverständlich und unsichtbar.



130 Millisekunden 100 Millisekunden


3. Wiederholung


6. Wiederholung


12. Wiederholung


24. Wiederholung



Wiederholungsunterdrückung in Aktion
8

Magnetenzephalogramm das Gehirns, das im Abstand von 130 bzw. 100 Millisekunden mit demselben akustischen Reiz stimuliert wird.
Je häufiger der Reiz wiederholt wird, umso schwächer reagiert das Hörzentrum.



Aber nicht nur der Glanz der Technik verblasst rasch, auch Kunst altert schnell. Wie Marcel Duchamp schrieb:

In fünfzig Jahren kommt eine neue Generation mit einer neuen kritischen Sprache und einem ganz anderen Ansatz. Deshalb geht es darum, ein Gemälde zu schaffen, dass zu unseren Lebzeiten lebendig ist. Kein Gemälde hat eine aktive Lebensdauer von mehr als dreißig oder vierzig Jahren … Nach dreißig oder vierzig Jahren stirbt ein Gemälde, es verliert seine Aura, seine Ausstrahlung, oder wie man es nennen will. Und dann ist es entweder vergessen, oder es geht in die Vorhölle der Kunstgeschichte ein.9

Im Laufe der Zeit werden selbst große Werke, die das Publikum einst erschreckten, entweder salonfähig oder vergessen. Was gestern noch Avantgarde war, ist heute schon normal. Die Speerspitze wird stumpf.

Selbst das beste Unternehmen wird von dieser Normalisierung betroffen. Alle paar Jahre geben Firmen große Summen für Berater aus, die ihnen erklären, dass sie alles auf den Kopf stellen müssen und jetzt zum Beispiel Großraum- statt Einzelbüros brauchen. Aber wie wir noch sehen werden, gibt es keine richtigen Antworten: Es geht allein um die Veränderung. Die Berater haben nicht unrecht, aber was sie im Einzelnen vorschlagen, spielt keine Rolle. Es geht nicht um die perfekte Lösung, sondern um das Neue.

Aber warum passen wir uns so schnell an Veränderungen in unserer Umgebung an? Die Antwort ist der Gewöhnungseffekt oder, genauer gesagt: die Wiederholungsunterdrückung. Wenn sich unser Gehirn an etwas gewöhnt, dann reagiert es mit jeder Begegnung ein bisschen schwächer. Stellen Sie sich zum Beispiel vor, Sie sehen zum ersten Mal etwas vollkommen Revolutionäres, zum Beispiel ein fahrerloses Auto. Beim ersten Mal rattert Ihr Gehirn heftig. Es nimmt etwas Neues auf und verarbeitet es. Beim zweiten Mal reagiert es schon etwas gelassener: Es interessiert sich weniger dafür, weil es nicht mehr ganz so neu ist. Beim dritten Mal fällt die Reaktion wieder schwächer aus. Und beim vierten Mal noch schwächer.

Je vertrauter etwas ist, umso weniger Energie verwendet unser Gehirn darauf. Deshalb scheint die erste Fahrt zu einem neuen Arbeitsplatz so lange zu dauern. Am zweiten Tag kommt uns die Fahrt schon etwas kürzer vor. Und irgendwann bemerken wir nicht einmal mehr, wie wir die Strecke fahren. Die Welt wird vertraut und nutzt sich ab; was eben noch im Vordergrund war, das tritt in den Hintergrund.

Warum sind wir so? Weil unsere Körper auf die Energie angewiesen sind. Die Orientierung in der Welt ist eine anstrengende Aufgabe und erfordert eine Menge Bewegung und Hirntätigkeit, und beides verbraucht viel Energie. Wenn wir korrekte Vorhersagen treffen, kostet uns das weniger Energie. Wenn wir wissen, dass die essbaren Käfer unter ganz bestimmten Steinen sitzen, dann müssen wir nicht mehr jeden Stein umdrehen und sparen so eine Menge Energie. Je besser unsere Vorhersagen sind, umso weniger Energie verbrauchen wir. Wiederholung verbessert unsere Vorhersagen und optimiert unser Handeln.

Vorhersagbarkeit ist also wünschenswert und nützlich. Aber wenn unsere Gehirne all diese Bemühungen anstellen, um unsere Welt berechenbarer zu machen, dann drängt sich eine Frage auf: Wenn uns so viel an der Vorhersagbarkeit gelegen ist, warum werfen wir dann nicht zum Beispiel unsere Fernsehapparate weg und ersetzen sie durch Geräte, die rund um die Uhr ein gleichförmiges und vorhersagbares Piepsen von sich geben?

Weil keine Überraschung auch nicht gut ist. Je besser wir etwas verstehen, umso weniger Gedanken verschwenden wir darauf. Vertrautheit macht gleichgültig. Der Effekt der Wiederholungsunterdrückung setzt ein, und unsere Aufmerksamkeit lässt nach. Deshalb muss eine Ehe frisch gehalten werden. Deshalb können wir nur einmal über einen Witz lachen. Und deshalb gibt sich selbst der größte Fußballfan nicht damit zufrieden, sich dauernd dasselbe Spiel anzusehen. Vorhersagbarkeit mag beruhigend wirken, doch das Gehirn ist daran interessiert, immer neue Fakten in sein Modell von der Welt aufzunehmen. Und deshalb sucht es das Neue. Denn wenn das Gehirn etwas lernen kann, dann wird es hellwach.

Uns dürstet es immer nach Neuem: In dem Film … und täglich grüßt das Murmeltier muss der Fernsehmeteorologe Phil immer wieder denselben Tag erleben. Gefangen in der Endlosschleife, hat er irgendwann keine Lust mehr, immer dasselbe zu erleben. Also lernt er Französisch, wird Klaviervirtuose, freundet sich mit seinen Nachbarn an und setzt sich für die Schwachen ein.

Warum gefällt uns das? Weil wir keine absolute Vorhersagbarkeit wollen. Wir wollen Überraschungen. Nur so entkommen wir dem Autopiloten. Sie halten unsere Erfahrung frisch.

Es kommt nicht von ungefähr, dass die Neurotransmitter, die mit dem Belohnungssystem unseres Gehirns zusammenhängen, auf Überraschungen anspringen: Regelmäßige und vorhersehbare Belohnungen regen unser Gehirn sehr viel weniger an als unvorhersehbare Belohnungen. Überraschung befriedigt.

Daher folgen Witze einem ganz bestimmten Schema. Es kommen nie zwei Männer in eine Kneipe – es sind immer drei. Warum? Der erste gibt die Geschichte vor, der zweite ein Muster, damit der dritte dagegen verstoßen und die Vorhersage des Gehirns aushebeln kann. Der Witz entsteht durch den Verstoß gegen unsere Erwartungen. Wenn man einem Roboter denselben Witz erzählen würde, dann würde er vermutlich einfach zuhören, was jeder der drei Männer tut, aber den Witz würde er verpassen. Der funktioniert nämlich nur, weil das Gehirn immer Vorhersagen trifft und die Pointe seine Erwartungen auf den Kopf stellt.10

Werbemacher wissen, dass sie dauernd kreativ sein müssen, um unsere Aufmerksamkeit zu gewinnen. Mit ihren Werbespots wecken sie unser Interesse an bestimmten...

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