ZUR EINFÜHRUNG
Dieses Buch handelt von der dramatischsten Geschichte einer Religion im frühen 21. Jahrhundert, von der jedoch im Westen die meisten Menschen kaum wissen, dass sie überhaupt stattfindet: vom globalen Krieg gegen Christen. Hier ist nicht im metaphorischen Sinn die Rede von einem »Religionskrieg« in Europa und den USA, bei dem es vorwiegend um Symbole und öffentliche Äußerungen des Glaubens geht, also etwa um die Frage, ob es erlaubt sein sollte, in Schulen Kreuze aufzuhängen: Es geht vielmehr um eine steigende Woge von gesetzlicher Unterdrückung, sozialer Belästigung und direkter physischer Gewalt, deren hauptsächliche Opfer Christen sind. Die Klischeevorstellung, das Christentum sei eine mächtige und zuweilen repressive soziale Kraft, ist weit verbreitet. Von daher mag es schwer einsichtig sein, dass heute zweifellos das Christentum die auf unserem Globus am stärksten verfolgte religiöse Gruppe ist. Die Leiden seiner neuen Märtyrer fallen deswegen nur allzu oft dem Schweigen anheim.
Zum Einstieg in dieses Thema will ich ein besonders erschütterndes Beispiel schildern: Das Militärlager und Gefängnis Me’eter in der Wüste von Eritrea vor der Küste am Roten Meer.
Das Markenzeichen der Grausamkeit dieses Gefängnisses ist die Verwendung von rohen metallenen Schiffscontainern als Wohnbehälter für die Insassen. In jeden dieser Container mit 12 x 2,5 Meter Bodenfläche, die für den Transport von Handelsgütern dienen, werden derart viele Menschen hineingepfercht, dass die Häftlinge gewöhnlich keinen Platz zum Liegen und auch kaum zum Sitzen haben. Das Metall verschärft die Wüstentemperaturen, was klirrende Kälte in der Nacht und mörderische Hitze bei Tag bedeutet. Wenn die Sonne im Zenit steht, kann Schätzungen zufolge die Hitze in den Containern bis auf 46 Grad Celsius ansteigen. Ein früherer Insasse, der glücklicherweise entlassen wurde, nachdem er ein erzwungenes Geständnis geliefert hatte, beschrieb die Container als »gigantische Öfen, die die Menschen bei lebendigem Leib backen«. Weil die Häftlinge nur wenig Wasser bekommen, bleibt ihnen oft nichts anderes übrig, als ihr eigenes bisschen Schweiß und ihren Urin zu lecken, um überhaupt am Leben zu bleiben.
Werden die Häftlinge aus ihren Behältern herausgelassen, so zwingt man sie zu sinnlosen Tätigkeiten wie etwa, zur Mittagszeit in der Wüste Sandkörner zu zählen. Dabei sterben Dutzende an Hitzschlag und Austrocknung. In den Containern gibt es keine Toiletten, sondern nur überlaufende Blecheimer voller Urin und Fäkalien, die die Insassen der Gefahr der Infektion durch Krankheiten wie Cholera und Diphtherie aussetzen. Die Häftlinge haben keinerlei Kontakt mit ihren Familien oder Bekannten, erhalten keine juristische Vertretung und keine medizinische Betreuung. In Me’eter (auch »Meiter« und »Mitire« geschrieben) gibt es unter anderem diese Foltermethode: Man lässt Häftlinge auf einen Baumstumpf knien und peitscht ihre Fußsohlen mit Gummischläuchen. Oder man hängt sie an den Armen auf und setzt sie der Sonne aus, zuweilen 48 Stunden oder länger. Oder man zwingt die Häftlinge, barfuß über Steine und Dornen zu gehen, und wenn sie nicht schnell genug gehen, treibt man sie mit Schlägen an. Überlebende berichten zudem, dass sexueller Missbrauch üblich sei.
Me’eter wurde 2009 von der in Eritrea herrschenden Einheitspartei »Volksfront für Demokratie und Gerechtigkeit« eröffnet und wird immer noch voll unterhalten, und das trotz des Umstands, dass die dortigen entsetzlichen Verhältnisse gut dokumentiert sind. Von Wikileaks im Jahr 2011 veröffentlichte diplomatische Depeschen zeigen, dass Beamte der USA Flüchtlinge aus Eritreas Konzentrationslagern interviewt und Berichte darüber an das State Department geschickt hatten.
Eine Frau, die lebend entkam, beschrieb 2009 in einem Buch das Leben in den Schiffscontainern folgendermaßen:
»Eine einzige Kerze flackert, deren Flamme kaum die Finsternis erhellt. Wenn die Tür verriegelt ist, brennen Kerzen nie länger als zwei Stunden; der Sauerstoff reicht nicht, um die Flammen am Leben zu erhalten. Die Luft ist stark von einem schmutzigen, penetranten metallischen Geruch erfüllt, dem allgegenwärtigen Gestank aus dem Eimer in der Ecke und dem Geruch eng aneinandergedrückter ungewaschener Körper. Trotz der engen Nähe so vieler Menschen ist es bitterkalt.«
Diese Überlebende schilderte, wie sie gezwungen wurde, sich in die Hocke zu setzen und immer wieder drei verschieden große Steine von einer Seite ihres Körpers auf die andere zu heben. Einmal wurde sie zusammen mit einer Insassin in einen Container geworfen, die derart brutal geschlagen worden war, dass ihr die Gebärmutter aus dem Leib heraushing. Die noch Lebende versuchte verzweifelt, ihre Gebärmutter wieder zurückzuschieben, aber ihre Hilfeschreie blieben unbeantwortet und die Frau starb unter entsetzlichen Schmerzen.
Hier stellt sich unvermeidlich die Frage: Warum wecken die Misshandlungen in Me’eter in der Öffentlichkeit nicht das gleiche Entsetzen und die gleiche intensive Aufmerksamkeit wie zum Beispiel die berühmten Grausamkeiten von Abu Ghraib oder in Guantanamo? Warum lösen diese Grausamkeiten nicht die gleiche Lawine von Untersuchungen, Darstellungen in den Medien, Protestmärschen, Aufrufen in der Popkultur und all die anderen typischen Äußerungen öffentlicher Empörung aus? Warum geht angesichts dieser himmelschreienden Menschenrechtsverletzungen kein Aufschrei durch die ganze Welt?
Zum Teil wohl deshalb, weil Abu Ghraib und Guantanamo Bay Einrichtungen der USA waren, eines Landes, das sich als Vorkämpfer von Demokratie und Gesetzlichkeit darbietet. Niemand hat die gleichen hohen Erwartungen an Eritrea, einem Ein-Parteien-Staat, der seit 1993 von einem starken, aus einem blutigen Bürgerkrieg hervorgegangenen Mann regiert wird. Aber wesentlicher ist wohl der Grund, dass Abu Ghraib und Guantanamo Bay Kapitel eines Kriegs von allgemeinem Interesse waren, nämlich des von den USA geführten »Kriegs gegen den Terror«, das genauso dramatische Kapitel Me’eter dagegen zu einem Krieg gehört, den fast niemand überhaupt wahrnimmt.
Momentaufnahmen aus einem weltweiten Krieg
Me’eter ist ein speziell für Christen eingerichtetes Konzentrationslager, eine zur Unterbringung von Sträflingen aus Religionsgründen umfunktionierte militärische Anlage. Die meisten ihrer Insassen gehören vom Staat nicht autorisierten Zweigen des Christentums an. Genaue Zahlen gibt es nicht, aber die meisten Schätzungen besagen, dass derzeit zwischen zwei- und dreitausend Christen wegen ihrer religiösen Überzeugung in eritreischen Gefängnissen schmachten. Das oben zitierte Beispiel stammt von der evangelikalen Gospelsängerin Helen Berhane, einer in Eritrea geborenen Christin, die von 2004 bis 2006 eingesperrt war, nachdem sie sich geweigert hatte, schriftlich zu versprechen, keine religiösen Aktivitäten auszuüben. Sie wurde dank einer weltweiten Kampagne entlassen, aber den meisten ihrer Mitchristen ist dieses Glück nicht beschieden.
Eritrea ist durchaus kein Einzelfall. Nach Schätzungen des evangelischen Hilfswerks Open Doors, das sich um das Erfassen aller Fälle christenfeindlicher Verfolgung kümmert, erleiden derzeit weltweit rund 100 Millionen Christen Verhöre, Inhaftierung, Folterungen und Tod. Der protestantische Gelehrte und Experte für Religionsdemografie am Gordon-Conwell Theological Seminary Todd Johnson hat die ungefähre Zahl der von 2000 bis 2010 jedes Jahr getöteten Christen auf 100 000 angesetzt. Das läuft im Schnitt darauf hinaus, dass im Lauf von elf Jahren rund um die Uhr stündlich elf Christen ermordet wurden. Manche Experten bezweifeln diese Zahl, aber selbst bei niedrigen Schätzungen kommt man auf täglich zwanzig Christen, die aus Hass auf ihre Religion getötet wurden, also fast einen pro Stunde.
Diese Geißel ist wahrhaft ökumenischer Natur, denn sie betrifft Evangelikale, Mainstream-Protestanten, Anglikaner, Orthodoxe, Katholiken und Pfingstler gleichermaßen. Alle Denominationen haben ihre Märtyrer und alle sind mehr oder weniger gleich stark gefährdet. In einem 2011 erschienenen Bericht der katholischen Menschenrechtsgruppe Kirche in Not wird der weltweite Angriff auf Christen als »Menschenrechtskatastrophe dramatischen Ausmaßes« bezeichnet.
Wer eine solche Redeweise übertrieben findet, führe sich die folgenden Momentaufnahmen vor Augen:
- In Bagdad im Irak stürmten am 31. Oktober 2010 militante Islamisten die syrisch-katholische Kathedrale Unserer Lieben Frau von der Erlösung, erschossen die beiden die Messe feiernden Priester und hinterließen insgesamt 58 Tote. Dieser Überfall war schockierend, aber durchaus nichts Besonderes mehr. Von 65 christlichen Kirchen in Bagdad waren seit Anfang der 2003 von den USA angeführten Invasion schon auf mindestens 40 Kirchen Bombenanschläge verübt worden. Die Auswirkungen dieser Kampagne der Gewalttätigkeit und Einschüchterung waren für das Christentum im Land verheerend. Zur Zeit des ersten Golfkriegs im Jahr 1991 konnte der Irak eine blühende christliche Bevölkerung von mindestens 1,5 Millionen vorweisen. Heute belaufen sich hoch angesetzte Schätzungen der noch im Land verbliebenen Christen auf 500 000, aber realistischerweise glauben manche, ihre Zahl könnte schon bis auf 150 000 gesunken sein. Die meisten dieser irakischen Christen gingen ins Exil, aber eine atemberaubend hohe Zahl von ihnen wurde umgebracht.
- Indiens nordöstlicher Bundesstaat Orissa wurde zum Schauplatz des gewalttätigsten christenfeindlichen Pogroms des frühen 21....