Zwei Striche, die mein Leben verändern.
Stefanie
Kurz nach meinem dreißigsten Geburtstag, also vor ziemlich genau sieben Jahren, durchlebte ich eine turbulente Zeit. Ich hatte mich von meinem damaligen Freund getrennt. Oder er sich von mir? Daran kann ich mich gar nicht mehr so richtig erinnern, und es ist auch egal. Auf jeden Fall war klar, mit mir und den Männern, das wird vorerst nichts. Zu kindisch, zu verantwortungslos, zu sehr um sich selbst kreisend kamen sie mir vor, alle miteinander und insbesondere die meiner Generation. Spaß haben war allgemein erwünscht, Kinder und Pflichten nicht. Doch genau die wollte ich.
Ich wusste schon immer, dass ich eine Familie haben und Kinder bekommen möchte. Allerdings ohne als Hausfrau und Mutter allein die Verantwortung für ihre Betreuung und Erziehung zu tragen. Ich konnte mir auch noch nie vorstellen, Geld auszugeben, das jemand anderes für mich verdient. In einer Partnerschaft hat ein solches Ungleichgewicht für mich nichts zu suchen. Es ist mir wichtig, so viel Geld auf dem Konto zu haben, dass ich mich auch im Fall einer Trennung oder anderer unvorhergesehener Ereignisse selbst finanziell versorgen kann. Und vor allem möchte ich auf keinen Fall mehr Hausarbeit verrichten als unbedingt nötig. Es gibt für mich einfach keine einzige plausible Erklärung dafür, warum Frauen für sämtliche Familienmitglieder kochen, spülen oder Wäsche waschen sollten. Das soll nicht heißen, dass ich keinen einzigen Finger rühren mag. Eine aufgeräumte Wohnung ohne Wollmäuse in den Ecken und vielleicht sogar frische Blumen in der Vase auf dem Küchentisch sorgen für eine gewisse Behaglichkeit, für die ich gerne bereit bin, ein paar Stunden Arbeit die Woche aufzubringen. Und Spülen oder Staubsaugen kann nach einem anstrengenden Arbeitstag sogar eine meditative Kraft entwickeln. Als alleinige Beschäftigung würde es mich nicht zufriedenstellen.
Ich stelle mir mein Leben ausgewogen vor. Für mich gehören eine Familie, meine Arbeit, Freunde und Freizeit, eine nette Wohnung, aber auch politisches Engagement einfach dazu. Warum sollte ich auf einen dieser Bereiche verzichten, wenn ich ein Kind in die Welt setze? Von Männern wird das doch auch nicht erwartet, wenn sie Vater werden, oder? Mir ist klar, dass das Verlangen nach einem ausgeglichenen Lebensmodell nicht unbedingt vereinbar ist, mit, sagen wir mal, dem Wunsch danach, sehr viel Geld zu verdienen. Denn dann müsste ich all meine Energie in den Job stecken und Karriere machen. Momentan habe ich die Möglichkeit, viel zu arbeiten, und es macht mir Spaß. Wie das in Zukunft sein wird, werden wir sehen.
Auf einer Party in Berlin lernte ich vor etwa vier Jahren Tobias kennen, der schlau war, lustig und attraktiv, der die Filme und Bücher mochte, die mir auch gefielen, und der mich anscheinend auch ganz gut fand. Zumindest rief er mich wenig später an und täuschte einen Grund vor, warum er in Hamburg bei mir übernachten musste. Tobias ist Soziologe und arbeitete damals schon an der Universität. Spannend. Außerdem wusste er, dass ich als Journalistin tätig bin und das feministische Missy Magazine herausgebe, und er fand das richtig cool. Ich bin auch bereits Männern begegnet, die plötzlich extrem einsilbig wurden, wenn ich mich als »feministisch« bezeichnet habe. Trotz aller guten Vorzeichen war ich vorsichtig. Spaß ja, ernsthaft verlieben nein, lautete mein damaliges Mantra. Die Wochen nach unserem Kennenlernen nahmen irgendwann an Fahrt auf. Mal besuchte ich ihn in Berlin oder er mich in Hamburg. Die Gespräche, der Sex, alles war wunderbar. Sollte er vielleicht doch der »Richtige« sein? Falls es so etwas überhaupt gibt.
Eines Abends lagen wir im Bett, Tobias fuhr zärtlich mit der Hand durch meine Haare, und ich schmiegte mich an ihn. »Duu?«, fragte ich.
»Jaaa?«, antwortete er.
»Stell dir mal vor, wir wären im Urlaub. Meer und Sonne.« Pause. »Und die Kinder spielen am Strand.« Pause. »Sag mal. Willst du eigentlich Kinder?«
»Ja klar, schon lange«, sagte er. Perfekt, dachte ich in diesem Moment. Endlich mal nicht das Übliche: Kinder? Ach, ich weiß nicht, vielleicht später mal. Ich wagte einen weiteren Vorstoß: »Wenn wir die kriegen, dann kümmern wir uns aber gleich viel um sie, nicht wahr?«, fragte ich.
»Na klar«, antwortete er und gähnte. Ich war mir nicht sicher, ob er das nur so dahinsagte oder ob es ihm genauso ernst damit war wie mir. Egal. Bis zu den Kindern war es ja noch eine Weile hin. Zwei Jahre später zog ich von Hamburg nach Berlin. Und nach einem weiteren Jahr … war ich schwanger.
Man soll die Feste feiern, wie sie fallen
An einem kalten, aber sonnigen Februarmorgen wache ich wie immer gegen acht Uhr auf. Ich trinke meinen Morgenkaffee und schalte den Rechner an. Oft checke ich schon vor dem Frühstück die ersten Mails. Als ich auf das Datum schaue, erkenne ich, dass meine Periode seit einer Woche überfällig ist. In meiner Schublade liegen vier Schwangerschaftstests. Eine Freundin, die nach langem Kinderwunsch endlich ein Baby bekommen hat, hat sie mir geschenkt. »Da, die brauche ich nicht mehr, aber vielleicht du irgendwann?« Von denen nehme ich mir einen und gehe ins Bad. Ich lese die Anleitung: draufpinkeln und abwarten. Erscheint ein Strich, bin ich nicht schwanger, erscheinen zwei Striche, bin ich schwanger. Ganz einfach eigentlich.
Nach zwei Minuten kann ich klar und deutlich zwei Striche erkennen. Schwanger also. Ich werde innerlich ganz aufgeregt. Dabei merke ich eigentlich noch gar nichts. Mein Körper fühlt sich ganz und gar unschwanger an. Normal, so wie immer. Keine Übelkeit, nichts. Vielleicht ist der Test kaputt? Ich schaue auf das Haltbarkeitsdatum: abgelaufen. Ein zweiter Test muss her, um Sicherheit zu erhalten, und so wiederhole ich das Prozedere. Wieder zwei Striche. Sicherheitshalber pinkle ich ein drittes Mal auf ein Stäbchen. Zwei Striche! Ich bin total aus dem Häuschen und rufe in die Küche rüber: »Hey Tobi, ich glaube, ich bin schwanger!«
Ich bin noch ganz ungläubig und freue mich riesig. Gleichzeitig wird mir bewusst, dass nicht alles perfekt ist – sind wir überhaupt schon so weit, Nachwuchs zu bekommen? Wir leben immer noch unser freies und ungebundenes Leben mitten in Berlin, haben keine großen Geldreserven und kein Häuschen mit Garten zum Toben. Braucht ein Kind nicht die Art von Stabilität, die sich aus solchen berechenbaren Faktoren ergibt? Auf der anderen Seite: Ein Kind kommt, wenn es kommt. Und zumindest am Anfang braucht es nicht Unmengen an Geld, sondern an Liebe. Außerdem soll man die Feste ja bekanntlich feiern, wie sie fallen, und das hier ist wirklich ein Fest. Tobias und ich sind nach einem kurzen Moment des Schocks über die unverhoffte Neuigkeit überglücklich.
Abgesehen von dem einen Gespräch zu Beginn unserer Beziehung haben wir uns nicht mehr wirklich über eine gemeinsame Zukunft mit Kind unterhalten. Jetzt wird es ernst. Ich habe von vielen Freundinnen mitbekommen, wie bei denen die zuvor ganz selbstverständliche Gleichberechtigung in der Partnerschaft mit der Geburt des ersten Kindes abhandengekommen ist: Die Frauen sind nämlich in der Regel diejenigen, die im Beruf Abstriche machen und das Kind großziehen, während der Mann seiner Karriere nachgeht. Für mich ist das eine seltsame Vorstellung: Mein ganzes Leben soll sich ändern, während für Tobias alles einfach so weiterläuft wie bisher. Will ich das wirklich?
Susanne sagt: »Das macht man doch so.«
Das Beispiel meiner Freundin Susanne macht mir erst einmal keinen Mut. Nach ihrem exzellent abgeschlossenen BWL-Studium arbeitete sie mehrere Jahre Vollzeit in der Marketingabteilung einer IT-Firma in Berlin. Unbefristete Festanstellung mit Weihnachtsgeld, Zulagen, Aufstiegschancen, alles top. Eine Karriereleiter, auf der sie die ersten Sprossen bereits erklommen hatte. Klar ärgerte sie sich mal über die Chefin oder die Kollegen, und manche Tage waren frustrierend, aber im Großen und Ganzen hatte sie einen super Job und war glücklich. Ihr Mann Stephan arbeitet im selben Unternehmen, sie haben sich dort kennengelernt. Er plant und verkauft als IT-Berater Softwarelösungen für Firmen vor Ort und ist deswegen viel unterwegs. Als Susanne vor drei Jahren schwanger wurde, war die Verteilung ohne viel Aufhebens klar: Sie nimmt das Jahr Elternzeit – er die zwei Vätermonate. Jetzt ist Tochter Emma im Kindergarten, das zweite Kind unterwegs und Susanne jobbt dreimal die Woche vormittags in einem netten Lädchen mit Geschenkartikeln. Stephan wurde inzwischen zum Teamleiter befördert und reist mehr denn je. Ich weiß nicht, ob Susanne sich das so vorgestellt hat. Seit Emma auf der Welt ist, sehen wir uns nur noch selten. Aber als wir einige Wochen später unseren Freunden und Bekannten die freudige Botschaft mitteilen, ist Susanne eine der Ersten, die ich anrufe. Ein lang gezogenes »Jaaa?« antwortet mir.
»Hey Susanne, weißt du was? Ich bin schwanger.«
»Na herzlichen Glückwunsch, endlich! Darauf habe ich ja gewartet. Willkommen im Club!« Susanne freut sich ehrlich. Sie liebt ihre Tochter sehr und empfindet sie als große Bereicherung für ihr Leben. Wir sprechen über dies und das, ich bekomme Tipps gegen Morgenübelkeit und erfahre, auf welcher Webseite man die schicksten Schwangerschaftsklamotten bestellen kann. Ich bin neugierig, wie zufrieden Susanne mit ihrer Situation mit Kind und Job ist.
»Ach weißt du«, sagt sie. »Es ist schon o.k.« Sie erzählt mir, dass sie sich manchmal komisch fühlt, fast schon wie eine alleinerziehende Mutter, weil sie es ist, die die Hauptverantwortung für Kinder und Haushalt...