Geschichte der Gartenstadt
Von den Wilmersdorfer und Schöneberger Millionenbauern hörten wir als Kinder im Heimatkundeunterricht: Hart schuftende Märker, denen am Ende des 19. Jahrhunderts das expandierende Berlin auf die Pelle rückte, sodass ihr karges Land plötzlich Unsummen wert war, die sie durch Verkauf von einem Tag zum anderen erzielten, oft ohne zu ahnen, was ihnen geschah, sich davon Villen bauen ließen, in die manche von ihnen nur barfuß und durch den Hintereingang schlichen, weil sie den Reichtum und den Besitz mit ihrem Stand und mit sich selbst als ganz unvereinbar empfanden.
Das war zur Jahrhundertwende. Wie es der nachfolgenden Generation von Bauern erging, die ja am Rand der Großstadt, der neuen Jugendstil-Siedlungen von Schöneberg, Steglitz, Charlottenburg und Wilmersdorf weiterwurstelte, Felder und Obstplantagen bestellte, das ist im Unterricht nicht besprochen worden. Sicher spekulierten sie auf den Verkauf, vielleicht hatten sie mit den Erschließungsgesellschaften schon Vorverträge geschlossen. Jedenfalls dauerte es noch gut zwanzig Jahre, bis der von dem Stadtinvestor und Architekten Georg Haberland am Reißtisch entworfene Südwestkorso, anfangs eine Mischung aus Straße und Reitweg, der vom Bundesplatz bis zum Breitenbachplatz führt, vollständig bebaut wurde. Bis 1910 endete Haberlands großbürgerliches Rheingau-Viertel an der Laubacher Straße, der Korso führte weiter durch Ackerland, quasi ein Vorbote der Urbanität, bis zu der ebenfalls schon fertiggestellten U-Bahn-Station am Breitenbachplatz. Bauernschaft links und rechts davon.
Mitte der zwanziger Jahre erst setzte sich die Westbewegung der Stadt fort. Eine »Gartenstadt am Südwestkorso« entstand, nach den Entwürfen eines Architekten namens Jean Krämer gebaut. Jetzt waren Wohnungsbaugenossenschaften die Geldgeber und die Häuserblocks gerieten um einiges schlichter als in der Vorkriegszeit. »Fünfgeschossige Putzbauten mit Walmdächern, die in Blockrandbebauung ausgeführt sind«, so beschreibt es nüchtern ein architektonischer Text. Mehr als zehn solcher Blocks wurden geplant zwischen Laubacher Straße und Breitenbachplatz. Wie viele von ihnen bis zum Zweiten Weltkrieg überhaupt fertiggestellt worden sind, darüber scheint man sich uneins zu sein.
Spätestens 1953 jedenfalls war das ganze Ensemble zu Ende gebaut, einheitlich im Stil, ockerfarben gestrichen – nur die Baumaterialien waren in der Nachkriegszeit schlechter geworden, was man den neueren Häuserblocks bis heute ansieht.
Seit 1990 steht alles unter Denkmalsschutz.
Am nordwestlichen Ende der Gesamtanlage machen drei dieser Blöcke die Künstlerkolonie aus. In ihrer Mitte der Laubenheimer Platz, in den Sechzigern umbenannt nach dem Schauspieler Ludwig Barnay.
Waren die anderen Bauteile finanziert von einer Heimat Gemeinnützige Bau- und Siedlungs AG, fungierten für die drei Kolonieblöcke die Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger (GDBA) und der Schutzverband deutscher Schriftsteller als Geldgeber. Ludwig Barnay war im 19. Jahrhundert einer der Gründer der GDBA gewesen, einer sehr wohlhabenden Ständegewerkschaft übrigens – während die Schriftstellervertretung in den zwanziger Jahren, genauso wie heute, eher knapp bei Kasse war und sich deshalb bescheiden mit einem knappen Viertel an den Kosten beteiligte.
Ursprünglich war noch ein vierter KüKo-Block geplant, der Bau wurde aufgeschoben und von den NS-Kulturverantwortlichen dann unterbunden. Die Architekten Ernst und Günther Paulus waren angehalten, kostengünstig in solider Qualität Wohnraum für wenig Begüterte zu schaffen, wobei der Anteil von Alleinstehenden berufsbedingt höher lag als üblicherweise, was die vielen Anderthalb-Zimmer-Wohnungen erklärt. Die Brüder Paulus hatten – da stimmen die meisten Bewohner zu – eine glückliche Hand für den Zuschnitt von Räumen, diese wirken durchweg größer als die Quadratmeterzahl nachweist. Weniger gelungen sind die Maße bei Küche und Bad – das Konzept Wohnküche galt damals vielleicht als großbürgerlich-spleenig, und man hat vermutlich künstlerisch Tätige sowieso mehr in der Innenstadt während der Arbeit oder daran anschließend sich verköstigen gesehen.
1927–1930 war sicher auch für die kleinbürgerliche Klientel, die in die neuen Blocks rundherum einzog, eine harte Zeit mit Arbeitslosigkeit und Unsicherheit. Aber das Künstlervolk, das sich jetzt hier niederließ, brachte wohl die geballteste wirtschaftliche Not nach West-Wilmersdorf. Hungerburg oder Rote Tintenburg waren sofort die Spottnamen für die Kolonie. Der Anteil der Mietschuldner soll von Anfang an überdurchschnittlich hoch gewesen sein. Bei der Grundsteinlegung – der GDBA-Vorsitzende Erich Rickelt spatete den Grundstein in die Erde – hatte es noch geheißen: »Aus dem Nichts schafft ihr das Wort, und ihr tragt’s lebendig fort, dieses Haus ist euch geweiht, euch, ihr Schöpfer unsrer Zeit«. Aber bald lag zutage, dass hier nicht nur überwiegend Arme, sondern auch ziemlich Unbequeme und die Verwaltung Nervende eingezogen waren.
Die große Menge von – später! – Prominenten, die seit Ende der Zwanziger in den drei Küko-Blocks lebte, ist gut dokumentiert, es gibt einen Künstlerkolonie e. V., der eine komplexe Netzseite unterhält und weitertreibt, auf der man in die geschichtlichen Erlebnisräume eintauchen kann, wenn man Zeit und ein wenig Fantasie dazu mitbringt. Ganz allgemein kann gelten: Überwiegend Linke lebten in den Umsturzzeiten zwischen Südwestkorso und Breitenbachplatz, und überwiegend NS-Anhänger gegenüber in den sogenannten Postblocks auf Steglitzer Terrain. Angeblich waren dort in der Markel- und Treitschkestraße die Häuser anfangs hauptsächlich für Postbeamte und -angestellte gebaut worden. Dort und im älteren Jugendstil-Gebiet Friedenaus empfand man deutsch-national – zunehmend in der Krisenzeit um 1930. Und je mehr die rechtsstaatlichen Reste der Weimarer Republik sich auflösten, schließlich ganz ungebremst nach der Machtübernahme der NSDAP, desto häufiger wurden die Roten und Juden beim Nachhauseweg vom U-Bahnhof Breitenbachplatz von den Braunen angepöbelt, überfallen, attackiert. Die Schauspieler/innen und Schriftsteller/innen bildeten Schutztrupps für die Anreisenden des Nachts, und es kam immer wieder zu Pöbelei, Straßenschlachten und übler Gewalt. Die Polizei hielt sich raus, die städtische Wohnungsverwaltung GEHAG erklärte sich für unzuständig, die Behörden stellten sich taub. Selbst, als es zu SA-Überfällen von einzelnen Wohnungen kam, in denen angeblich Kommunisten lebten.
Wiederholung und Gewöhnung sind die Sedativa, die das Unrecht braucht, um Alltag sein zu können. In der Nazizeit gingen die Küko-Blocks besitzmäßig über in eine sogenannte Josef Goebbels-Stiftung. Natürlich lebten weiterhin überwiegend Künstler mit ihren Familien in den Wohnungen, wenn auch keine Linken mehr, höchstens still verborgene. Der Rest war emigriert – und in zahlreichen Biografien wird die Küko später erwähnt sein, erinnert werden und bei der historischen Auswertung der Emigrantenschicksale deutscher Intellektueller während der NS-Zeit einmal eine Rolle spielen.
Die Blocks der Küko um den Ludwig-Barnay-Platz
Nach Ende des 1000-jährigen Spuks jedenfalls gingen die drei Wohnblocks in den Besitz der senatseigenen GEHAG über, die jetzt die ganze Gartenstadt am Südwestkorso übernahm. Einige der Vertriebenen kehrten zurück, manche auf Dauer, andere als Zwischenspurt in ihren Wanderer-Karrieren, die ein erfülltes Schauspielerleben oft prägen. Sie kehrten zurück in ein Stück Heimat, das zwar nicht mit Wohnungsbesitz verbunden war, aber doch mit ein wenig Sicherheit auf den Zugriff, denn die GDBA behielt der GEHAG gegenüber das Belegungsrecht für die Wohnungen.
Der Ludwig-Barnay-Platz, 1936
Daran änderte sich auch nichts, als der Senat 1994 beschloss, die drei Blöcke zu veräußern. Das war übrigens widerrechtlich, denn kurz vorher hatte man im Abgeordnetenhaus beschlossen, Wohnungen aus Senatsbesitz, die veräußert werden sollten, immer erst den Mietern als Eigentum anzubieten. Hier aber wurde ein ganzes Paket Immobilien vom SPD-Senat direkt an die (SPD- und gewerkschaftsnahe) Veba rübergereicht, und man erfuhr noch nicht einmal, zu welchem Preis.
Damals waren wir gerade wieder zugezogen und gerieten mit den anderen Mietern in empörte, wild spekulierende Versammlungen, in denen unter anderem die Gründung einer Künstler-Wohngenossenschaft zum gemeinsamen Immobilienerwerb erwogen wurde – was allerdings den Interessen der GDBA ganz entgegenstand. Denn die behielt auch bei den folgenden, fast zweijährlich stattfindenden Weiterverkäufen des Wohnungsbestands ihr Belegungsrecht, das sie bis heute innehat. Zum Glück, denn eine Umwidmung in Wohneigentum ist so bis auf Weiteres ausgeschlossen und macht die Küko-Blöcke immer noch fast immun gegenüber der wachsenden Immobilien-Spekulation.
Ich klopfe beim Schreiben auf Holz …
Wohnungseigentümerin ist seit mehreren Jahren die Deutsche Annington, eine Vermieterin mit einem weniger guten Ruf. Ich stimme in die Schelte hier nicht mit ein, aber es gibt Mitmieter, die gute Gründe dafür haben.
Nach dem Rückzug des Senats,...