Meine erste Begegnung mit Stephen Hawking fand im Juli 1965 in London statt, bei einer Konferenz über Allgemeine Relativitätstheorie und Gravitation. Stephen arbeitete in Cambridge an seiner Dissertation; ich hatte mein Promotionsstudium in Princeton gerade abgeschlossen. Gerüchte schwirrten in den Konferenzräumen umher, Stephen habe ein schlüssiges Argument für die These gefunden, unser Universum müsse irgendwann in der Vergangenheit einen Anfang gehabt haben. Das Universum könne nicht unendlich alt sein.
Mit gut 100 Leuten quetschte ich mich also in einen Raum, der eigentlich für 40 ausgelegt war, um Stephen zu hören. Er ging am Stock und seine Aussprache war nicht sehr deutlich, ansonsten zeigten sich nur wenige Anzeichen der Amyotrophen Lateralsklerose, die bei ihm zwei Jahre zuvor diagnostiziert worden war. Seinen Genius, das war offensichtlich, hatte die Krankheit nicht tangiert. Sein luzider Gedankengang stützte sich auf Einsteins Gleichungen zur Allgemeinen Relativitätstheorie und auf die Beobachtungen von Astronomen, dass unser Universum sich ausdehnt, sowie auf einige wenige einfache Thesen, die sehr überzeugend wirkten. Außerdem wendete er gewisse neue mathematische Verfahren an, die Roger Penrose kurz zuvor entwickelt hatte. Stephen kombinierte all das klug, überzeugend und fesselnd; dann leitete er sein Ergebnis ab: Unser Universum muss in einer Art singulärem Zustand vor rund zehn Milliarden Jahren angefangen haben zu existieren. (In den darauf folgenden zehn Jahren bewiesen Stephen und Roger mit vereinten Kräften und zunehmend überzeugend diesen singulären Beginn der Zeit. Darüber hinaus bewiesen sie, ebenfalls zunehmend überzeugend, dass der Kern jedes Schwarzen Loches von einer Singularität besetzt ist, in der die Zeit endet.)
1965 war ich von Stephens Vortrag tief beeindruckt: nicht nur von seinem Beweis und seiner Schlussfolgerung, sondern mehr noch von seiner Klarheit und Kreativität. Ich wandte mich also an ihn und verbrachte eine Stunde mit ihm im Gespräch unter vier Augen. Das war der Beginn einer lebenslangen Freundschaft, einer Freundschaft, die nicht lediglich auf gemeinsamen Interessen beruhte, sondern auf großer gegenseitiger Sympathie, einer verblüffenden Möglichkeit gegenseitigen zwischenmenschlichen Verstehens. Bald verbrachten wir mehr Zeit damit, über unser Leben, unsere Lieben, ja sogar über den Tod als über Wissenschaft zu sprechen, obwohl unsere Wissenschaft der Kitt blieb, der uns verband.
Im September 1973 nahm ich Stephen und seine Frau Jane nach Moskau mit. Trotz des Kalten Krieges verbrachte ich seit 1968 jedes zweite Jahr rund einen Monat in Moskau und arbeitete mit Mitgliedern einer Forschungsgruppe unter Jakow Borissowitsch Seldowitsch zusammen. Seldowitsch war ein herausragender Astrophysiker und einer der Väter der sowjetischen Wasserstoffbombe. Aus Geheimhaltungsgründen war es ihm daher nicht gestattet, nach Westeuropa oder Amerika zu reisen. Er war äußerst interessiert an einem Austausch mit Stephen. Da er Stephen nicht aufsuchen konnte, kamen wir zu ihm.
Stephen begeisterte in Moskau Seldowitsch und Hunderte weitere Wissenschaftler mit seinen Erkenntnissen, und im Gegenzug lernte Stephen ein oder zwei Dinge von Seldowitsch. Am denkwürdigsten war ein Nachmittag, den Stephen und ich mit Seldowitsch und seinem Doktoranden Alexei Starobinski in Stephens Zimmer im Hotel Rossija verbrachten.
Seldowitsch erklärte sehr anschaulich eine bemerkenswerte Entdeckung, die er und Starobinski gemacht hatten, und Starobinski lieferte die mathematische Erklärung dazu. Für die Rotation eines Schwarzen Loches wird Energie benötigt. Das wussten wir schon. Sie erklärten, ein Schwarzes Loch könne seine Rotationsenergie nutzen, um Partikel zu schaffen, und diese Partikel würden weggeschleudert und nähmen die Rotationsenergie mit. Das war neu und überraschend – trotzdem nicht umwerfend überraschend. Denn wenn ein Objekt über Bewegungsenergie verfügt, findet die Natur normalerweise eine Möglichkeit, ihm diese Energie zu entziehen. Wir kannten bereits andere Möglichkeiten, die Rotationsenergie eines Schwarzen Loches zu befreien. Hier handelte es sich einfach um eine weitere neue, wenn auch unerwartete Möglichkeit.
Der große Wert solcher Gespräche liegt nun freilich darin, dass sie am Anfang neuer Denkwege stehen können. Und das war damals auch bei Stephen der Fall. Er dachte mehrere Monate über die Entdeckung von Seldowitsch und Starobinski nach, betrachtete sie erst von der einen, dann von einer anderen Seite, bis er schließlich eines Tages zu einer ganz grundlegenden Einsicht kam: Hört ein Schwarzes Loch auf zu rotieren, kann es trotzdem noch Partikel ausstoßen. Ein solches Schwarzes Loch kann strahlen – und es strahlt, als ob es heiß wäre wie die Sonne, wenn es auch nicht extrem heiß ist, eher mäßig warm.
Je schwerer das Loch ist, desto niedriger ist seine Temperatur. Ein Loch, das so viel wiegt wie die Sonne, hat eine Temperatur von 0,00000006 Kelvin: 0,06 Millionstel von einem Grad über dem absoluten Nullpunkt. Die Formel für die Berechnung dieser Temperatur ist jetzt auf Stephens Grabstein in der Westminster Abbey in London eingraviert, wo seine Asche zwischen Isaac Newton und Charles Darwin beigesetzt wurde.
Diese Hawking-Temperatur eines Schwarzen Loches und seine Hawking-Strahlung – so die späteren Bezeichnungen – waren extrem radikal. Womöglich sind Hawking-Temperatur und Hawking-Strahlung die fundamentalste Entdeckung der Theoretischen Physik in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Sie öffneten uns die Augen für tiefgreifende Beziehungen zwischen der Allgemeinen Relativität (Schwarze Löcher), der Thermodynamik (Wärme-Physik) und der Quantenphysik (der Entstehung von Partikeln, wo zuvor keine waren).
Vor diesem Hintergrund gelang es Stephen beispielsweise zu beweisen, dass ein Schwarzes Loch Entropie besitzt. Irgendwo im Inneren oder im Umkreis des Schwarzen Loches herrscht folglich eine außerordentlich hohe Zufälligkeit. Stephen folgerte daraus, das Ausmaß an Entropie (der Logarithmus des gesamten Ausmaßes an Zufälligkeit) verhalte sich proportional zur Oberfläche des Loches. Seine Entropie-Formel wird auf Stephens Gedenkstein im Gonville & Caius College in Cambridge, seiner Wirkungsstätte, eingraviert sein.
In den vergangenen 45 Jahren haben Stephen und Hunderte von Physikern sich damit beschäftigt, die genaue Natur der Zufälligkeit eines Schwarzen Loches zu verstehen. Die Frage bringt immer weitere neue Einsichten über die Verbindung der Quantentheorie mit der Allgemeinen Relativität hervor, also über die noch nicht hinreichend verstandenen Gesetze der Quantengravitation.
Im Herbst 1974 kam Stephen für ein Jahr mit seinen Doktoranden und seiner Familie (seiner Frau Jane und ihren beiden Kindern Robert und Lucy) ins kalifornische Pasadena, damit er und seine Studenten am Geistesleben meiner Universität, des California Institute of Technology, teilhaben und sich zeitweise meiner Forschungsgruppe anschließen konnten. Es war ein glanzvolles Jahr, ein annus mirabilis auf dem Höhepunkt dessen, was dann später als »das Goldene Zeitalter der Erforschung Schwarzer Löcher« bezeichnet wurde.
Während dieses Jahres arbeiteten Stephen und seine Studenten sowie einige meiner Schüler unermüdlich daran, Schwarze Löcher besser zu verstehen, und auch ich selbst beteiligte mich in einem gewissen Ausmaß. Dass Stephen vor Ort war und unsere zusammengesetzte Forschungsgruppe leitete, verschaffte mir den Freiraum, eine neue Richtung zu verfolgen, über die ich schon seit einigen Jahren nachgedacht hatte: Gravitationswellen.
Lediglich zwei Arten von Wellen reisen durch das Universum und können uns Informationen über weit entfernte Dinge zutragen: elektromagnetische Wellen (dazu gehören Lichtstrahlen, Röntgenstrahlen, Gammastrahlen, Mikrowellen, Radiowellen …) und Gravitationswellen.
Elektromagnetische Wellen bestehen...