StartEntrepreneurship ist Management
Der Aufbau eines Startups ist eine Übung, die grundlegend dem Aufbau einer Organisation – gleich welcher Art – entspricht; daher gehört Management einfach dazu. Das scheint viele angehende Gründer zu überraschen, weil sie mit diesem Begriff oft diametral entgegengesetzte Vorstellungen verbinden. Entrepreneure von echtem Schrot und Korn stehen der Einführung klassischer Führungspraktiken gleich zu Beginn eines Startups zu Recht skeptisch gegenüber: Sie befürchten, der Bürokratie Tür und Tor zu öffnen oder die Kreativität abzuwürgen.
Entrepreneure haben seit Jahrzehnten die Quadratur des Kreises gesucht, in dem Bemühen, ihre spezifischen Probleme in die landläufigen Managementschablonen zu pressen. Infolgedessen haben viele eine »Einfach-drauflos«-Mentalität entwickelt und meiden jede Form von Führungs-, Arbeits- und Ordnungsprozessen. Bedauerlicherweise führt dieser Ansatz eher ins Chaos als zum Erfolg. Ich kann ein Lied davon singen: Meine ersten Startup-Fehlschläge entfielen ausnahmslos auf diese Kategorie (wie in der Einleitung ersichtlich).
Der Erfolg des klassischen Managementsystems im Laufe des letzten Jahrhunderts hat uns eine nie dagewesene Fülle an Lehrmaterial beschert, doch diese Führungsprinzipien sind denkbar ungeeignet, um das von Experimenten und Ungewissheit geprägte Umfeld in den Griff zu bekommen, das Startups umgibt.
Entrepreneurship erfordert in meinen Augen eine eigene Führungsdisziplin, um die ungeheuren unternehmerischen Chancen, die sich uns bieten, in die richtigen Bahnen zu lenken. Heutzutage gibt es mehr Entrepeneure als jemals zuvor – die massiven Veränderungen der globalen Wirtschaft machten es möglich. Um nur ein Beispiel zu nennen: Viele beklagen den massiven Verlust von Arbeitsplätzen im verarbeitenden Gewerbe, der während der letzten beiden Jahrzehnte in den USA zu beobachten war, aber man hört selten etwas über den damit verbundenen Verlust von Fertigungskapazitäten in diesem Bereich. Das liegt daran, dass sich die gesamte Produktionsleistung in den USA trotz des anhaltenden Stellenabbaus erhöht hat (während der letzten zehn Jahre um 15 Prozent, siehe nachfolgende Abbildungen). Die enormen Produktivitätssteigerungen, ermöglicht durch moderne Managementmethoden und Technologie, haben mehr als genug Produktionskapazität geschaffen.2
Abb.1
Abb. 2
Abb. 3
Wir erleben derzeit eine nie dagewesene weltweite Wiedergeburt des unternehmerischen Denkens und Handelns, doch dieser Lichtblick hat seine Schattenseiten. Da es uns an zusammenhängenden Führungsparadigmen für neue innovative Initiativen fehlt, werfen wir mit unseren überschüssigen Kapazitäten wild um uns. Trotz des Mangels an Stringenz entdecken wir die eine oder andere Möglichkeit, Geld zu verdienen, doch auf jeden Erfolg kommen zu viele Misserfolge: Produkte, die nur wenige Wochen nach ihrer Einführung ausgemustert werden; hochgradig sichtbare und in der Presse hochgelobte Startups, die einige Monate später in der Versenkung verschwinden; neue Produkte, die niemand benutzt. Was diese Flops besonders schmerzlich macht, ist nicht nur der ökonomische Schaden, den einzelne Mitarbeiter, Unternehmen und Investoren erleiden, sondern auch die kolossale Verschwendung der kostbarsten Ressourcen unserer menschlichen Zivilisation: Zeit, Engagement und Talent. Die Lean-Startup-Bewegung hat sich der Aufgabe verschrieben, solchen Misserfolgen vorzubeugen.
Die Wurzeln der Lean-Startup-Methode
Die Lean-Startup-Methode leitet ihren Namen aus der Lean-Manufacturing-Revolution her, der sogenannten schlanken Produktion, deren Entwicklung auf Toyota und die beiden Japaner Taiichi Ohno und Shigeo Shingo zurückgeführt wird. Schlankes Denken hat einen radikalen Wandel in den Wertschöpfungsketten und Fertigungssystemen ausgelöst. Zu den Grundsätzen dieser Methode gehören unter anderem die Nutzbarmachung des Wissens, die Eigenverantwortung jedes einzelnen Mitarbeiters, die Verringerung der Losgrößen, Just-in-time-Produktion, Bestandskontrollen und die Beschleunigung der Zykluszeiten. Sie führten der Welt den Unterschied zwischen wertschöpfenden Aktivitäten und Verschwendung vor Augen und zeigten, wie sich die Produktqualität von innen nach außen erhöhen lässt.
Das Lean-Startup-Konzept stimmt diese Ideen auf den Kontext ab, in dem Entrepreneure agieren, die ihre Fortschritte anders beurteilen sollten als in anderen Unternehmensbereichen. Fortschritte im verarbeitenden Gewerbe werden an der Produktion von qualitativ hochwertigen physischen Gütern gemessen. Wie wir in Kapitel 3 sehen werden, geht die Lean-Startup-Methode von einer anderen Definition des Begriffs »Fortschritt« aus; wir verstehen darunter validiertes Lernen. Da der Lernprozess unser Maßstab ist, können wir die enorme Verschwendung erkennen und eliminieren, die unternehmerisches Denken und Handeln beeinträchtigt.
Eine umfassende Entrepreneurship-Theorie sollte sämtliche Aspekte einer innovativen, risikobehafteten Initiative ansprechen: Vision und Konzept, Produktentwicklung, Marketing und Vertrieb, Modellübertragung (Scale-up), Partnerschaften und Distribution, Struktur und Organisationsdesign. Sie sollte Startup-Initiativen eine Methode an die Hand geben, Fortschritte im Kontext extremer Unsicherheit zu messen. Sie sollte Entrepreneuren klare Orientierungshilfen für die schwerwiegenden Entscheidungen bieten, denen sie sich gegenübersehen: Ob und wann sie in Arbeitsabläufe investieren; wie man die Infrastruktur ausgestaltet, plant und bereitstellt; ob man den Weg allein gehen oder eine Partnerschaft anstreben soll; wann man auf Rückmeldungen reagieren und wann man an seiner Vision festhalten sollte; und wie und wann man eine Skalierung des Geschäftsmodells in Betracht ziehen sollte. Vor allem aber sollte sie überprüfbare Prognosen ermöglichen.
Nehmen wir beispielsweise die Empfehlung, funktionsübergreifende Teams zu bilden und ihnen die Verantwortung für die Meilensteine im Lernprozess zu übertragen, statt streng nach funktionalen Gesichtspunkten Abteilungen einzurichten (zum Beispiel Marketing, Vertrieb, Informationstechnologie, Personalabteilung usw.), in denen die Mitarbeiter für gute Leistungen in ihrem Spezialbereich verantwortlich sind. Egal ob Sie der Empfehlung zustimmen oder ihr mit Skepsis begegnen: Wenn Sie beschließen, sie umzusetzen, bin ich sicher, dass Sie ziemlich schnell die Rückmeldung von Ihren Teams bekommen, dass der neue Prozess ihre Produktivität beeinträchtigt. Man wird Sie bitten, zur alten Arbeitsweise zurückzukehren, die Ihren Mitarbeitern die Möglichkeit bot, »ihre Effizienz« durch Mehrarbeit und Durchreichen der Aufgaben an andere Abteilungen zu erhalten.
Ich kann dieses Ergebnis getrost vorhersagen, und nicht nur, weil ich es in vielen Unternehmen gesehen habe. Es handelt sich um eine klare Prognose, die sich auf die »Startphase« der Lean-Startup-Theorie bezieht. Wenn Mitarbeiter daran gewöhnt sind, ihre Produktivität lokal zu messen, haben sie das Gefühl, etwas geleistet zu haben, wenn sie ihre Aufgaben einen ganzen Tag lang zu ihrer Zufriedenheit erledigen. Während meiner Tätigkeit als Programmierer bedeutete das, acht Stunden ohne Unterbrechung zu programmieren. Wenn mir das gelang, war das für mich ein guter Tag. Wenn ich dagegen durch Fragen, andersgeartete Prozesse oder, Gott bewahre, Besprechungen aus meinem Trott gerissen wurde, fühlte ich mich schlecht. Was hatte ich an solchen Tagen geschafft? Codes und Funktionen waren greifbar für mich; ich konnte sie sehen, verstehen, darauf verweisen. Lernprozesse sind dagegen auf frustrierende Weise immateriell.
Die Lean-Startup-Methode verlangt eine neue Art, die eigene Produktivität zu messen. Da Neugründungen oft Produkte und Dienstleistungen entwickeln, die letztlich niemand will, spielt es keine Rolle, ob sie sich an Zeit und Budgetvorgaben halten. Das Ziel eines Startups besteht darin, so schnell wie möglich herauszufinden, was es wirklich anbieten sollte – was Kunden wollen und wofür sie bereit sind zu zahlen. Mit anderen Worten, die Lean-Startup-Methode bietet eine neuartige Möglichkeit, die Entwicklung innovativer neuer Produkte zu betrachten; sie legt Wert auf kurze Zykluszeiten, Kundenrückmeldungen, eine weitgreifende Vision und hochgesteckte Ziele – und das alles gleichzeitig.
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Henry Ford gehört zu den erfolgreichsten und berühmtesten Entrepreneuren aller Zeiten. Die Idee der Unternehmensführung ist eng mit der Geschichte der Automobilindustrie verknüpft, seit ihren Anfängen, und deshalb ist ein Auto meiner Ansicht nach eine ideale Metapher für ein Startup.
Ein Auto mit Verbrennungsmotor wird von zwei wichtigen und völlig unterschiedlichen Feedbackschleifen gespeist. Die eine befindet sich im Innern der Maschine. Bevor sich Henry Ford als Konzernlenker einen Namen machte, war er Ingenieur. Er bastelte Tag und Nacht in seiner Garage an Präzisionsinstrumenten, mit denen sich die Zylinder des Motors in Bewegung versetzen ließen. Jede noch so kleine Explosion im Zylinder erzeugt die Antriebskraft, um die Räder zu drehen, löst aber auch die nächste Explosion aus. Wenn der Zeitablauf dieser Rückkoppelungsschleife nicht präzise gesteuert wird, stottert der Motor und geht aus.
Startups verfügen über einen ähnlichen Motor, den Wachstumsmotor. Ihre jeweiligen...