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Lebensqualität von pflegenden Angehörigen älterer Menschen

Eine Untersuchung zu den Auswirkungen von Inkontinenz und zur Rolle von Ressourcen

AutorCorinna Seither
VerlagHogrefe AG
Erscheinungsjahr2011
Seitenanzahl191 Seiten
ISBN9783456947198
FormatPDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis26,99 EUR
Für viele pflegende Angehörige älterer Menschen bedeutet Pflege auch die Versorgung der Inkontinenz des Pflegebedürftigen. Wie Angehörige den Umgang damit erleben, wurde bislang vergleichsweise selten erforscht. Diese Studie fokussiert zum einen die spezifischen Auswirkungen der Inkontinenzversorgung auf die pflegenden Angehörigen. Darüber hinaus wird die Rolle förderlicher Faktoren für die Lebensqualität der Angehörigen untersucht. Grundlage ist eine postalische Befragung von 616 familiären Hauptpflegepersonen. Die Ergebnisse machen deutlich, dass das Vorliegen von Inkontinenz durchaus als zusätzlicher Belastungsfaktor im Pflegekontext zu werten ist. Daneben zeigt sich aber auch die Bedeutsamkeit sozialer und persönlicher Ressourcen für die Lebensqualität pflegender Angehöriger, die den lebensqualitätsmindernden Einfluss von Belastungsfaktoren weit übersteigen können. Es werden Empfehlungen abgeleitet, was Unterstützungsangebote für pflegende Angehörige berücksichtigen sollten.

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Kapitelübersicht
  1. Inhaltsverzeichnis
  2. 1 Einleitung
  3. 2 Zur Situation pflegender Angehöriger
  4. 3 Umgang mit der Pflegesituation – Stressoren, Stressmodelle, Ressourcen und Bewältigung
  5. 4 Belastungserleben und Lebensqualität pflegender Angehöriger
  6. 5 Inkontinenz des Pflegebedürftigen und Auswirkungen auf den pflegenden Angehörigen
  7. 6 Fragestellungen und Hypothesen
  8. 7 Methodisches Vorgehen
  9. 8 Ergebnisse
  10. 9 Diskussion, Handlungsempfehlungen und Ausblick
  11. Literatur
  12. Zusammenfassung
  13. Anhang A
  14. Anhang B
  15. Anhang C
Leseprobe
Neben Einbußen in der körperlichen Gesundheit leidet häufig auch das psychische Wohlbefinden. Für einige Autoren zeichnen sich im Bereich der psychischen Gesundheit die Unterschiede zwischen pflegenden und nicht-pflegenden Personen deutlicher ab als bei der körperlichen Gesundheit (Argimon, Limon, Vila & Cabezas, 2004; Gusi, Prieto, Madruga, Garcia & Gonzalez-Guerrero, 2009; Pinquart & Sörensen, 2003b). Insbesondere Depressivitätswerte scheinen bei pflegenden Angehörigen höher ausgeprägt zu sein. In einer Metaanalyse, in die 84 Studien zur Gesundheit von Pflegenden und NichtPflegenden eingingen, waren die größten Unterschiede in den Depressivitätswerten nachweisbar (Pinquart & Sörensen, 2003b).

Die beschriebenen Einschränkungen und ihre Folgen enden für den pflegenden Angehörigen häufig nicht mit dem Ende der Pflegesituation, sondern setzen sich auch dann noch fort, wenn die eigentliche Pflegesituation gar nicht mehr besteht (Hirst, 2005). So erlebten pflegende Angehörige, die sich von einer Heimunterbringung des Pflegebedürftigen erhofft hatten, ihr Stresslevel reduzieren zu können, durch die Platzierung neue Arten von Stress (Zarit & Edwards, 1996). Schulz, Belle, Czaja, McGinnies, Stevens und Zhang (2004) führten eine prospektive Studie zu Depression und Ängstlichkeit bei Hauptpflegepersonen von Demenzpatienten durch. Sie stellten fest, dass sich die Werte von Angehörigen nach der Institutionalisierung des Pflegebedürftigen nicht signifikant von den Werten der Angehörigen unterschieden, die weiterhin zu Hause pflegten. Die Untersuchung von Kuhlmey und Kolleginnen (2002) zeigte, dass für pflegende Töchter, deren Mütter kurz zuvor verstorben waren, oft eine längere Krankheitsund Regenerationsphase folgte. Daran wird deutlich, wie weit reichend der Schritt für denjenigen ist, der die Pflege übernimmt.

Auf der anderen Seite gibt es auch Arbeiten, die die aversiven Effekte von Pflege nicht nachweisen konnten. So ließen sich in der Untersuchung von Robison, Fortinsky, Kleppinger, Shugrue und Porter (2009) an 4041 Personen keine Belege dafür finden, dass pflegende Angehörige unter einem schlechteren Gesundheitsstatus leiden, sozial isolierter sind oder mehr depressive Symptome zeigen als Personen, die nicht pflegen. In einer Studie von Ekwall, Sivberg und Hallberg (2005) schätzten ältere Personen, die keine Pflege leisten, ihren Gesundheitszustand schlechter ein als Pflegende gleichen Alters. Die Autoren erklären ihre Befunde mit einem möglichen Selektionseffekt dergestalt, dass nur diejenigen, die über einen guten Gesundheitszustand verfügen, Pflegeverantwortung übernehmen und damit gesundheitlich schlechter gestellte Personen gar nicht erst in diese Rolle kommen. Möglicherweise ist für die uneinheitliche Befundlage auch eine unzureichende Berücksichtigung positiver Aspekte von Pflege (s.u.) verantwortlich, die aversive Effekte, sofern sie ein bestimmtes Maß nicht überschreiten, aufwiegen können (vgl. Pinquart & Sörensen, 2003a).

Das Befinden der pflegenden Angehörigen kann einen maßgeblichen Einfluss auf das Wohlergehen der Personen ausüben, die sie pflegen. In einer Studie an Schlaganfallpatienten waren die Depressivitätswerte der sie pflegenden Angehörigen kurz nach dem Ereignis signifikante Prädiktoren für die gesundheitliche Lebensqualität der Patienten vier und zwölf Monate später (Klinedinst et al., 2009). Somit beschränken sich die beschriebenen negativen Auswirkungen auf die Pflegepersonen nicht nur auf diese selbst, sondern sie können wiederum Konsequenzen haben für denjenigen, der die Pflege empfängt. Wenn das Überforderungserleben auf Seiten der familiären Pflegeperson zu groß wird, kann dies nicht zuletzt auch dazu führen, dass sich die Frustration an dem Pflegebedürftigen entlädt. Gewalt gegen ältere Menschen in Pflegebeziehungen gilt als ein von den Medien aufgegriffenes Skandalthema, deren eingehende wissenschaftliche Betrachtung allerdings noch aussteht (Hirsch & Nikolaus 2005; Klie 2001). Dementsprechend liegen kaum verlässliche Angaben zur Inzidenz vor. In einer Untersuchung von Thoma, Zank & Schacke (2005) gaben 68% der befragten Angehörigen von demenziell Erkrankten an, während der vorangegangenen beiden Wochen mindestens eine Form von Gewalt mindestens einmal angewendet zu haben. Gewalt gegen Ältere kann unterschiedliche Formen annehmen. Brownell und Rosich (2007) haben eine Aufteilung vorgenommen, der viele Forscher zustimmen. Demnach können ältere Menschen neben physischer und sexueller Gewalt auch psychische Gewalt (in Form von Drohungen, Beleidigungen und Beschämungen) sowie finanzielle Ausbeutung und Vernachlässigung erfahren. Selten besteht nur eine Gewaltform, sondern es muss von Vielfachmisshandlungen ausgegangen werden (Hirsch, 2001; Hirsch & Nikolaus, 2005). Allerdings ist Pflegebelastung nicht als alleiniger Auslöser von Gewalt gegen ältere Menschen anzusehen. Viele sehr unterschiedliche Begleitumstände können im Pflegekontext zu Misshandlungssituationen führen (Hirsch, 2001).

Trotz der dargestellten zum Teil massiven Einschränkungen, die familiäre Pflegepersonen aufgrund der Pflege erfahren, wäre es aber zu einseitig, nur diese in den Fokus der Betrachtung zu stellen. Zahlreiche Studien können inzwischen belegen, dass Pflegepersonen durchaus auch positive Erfahrungen machen, Zufriedenheit verspüren und ihr Leben durch die Pflege bereichert sehen (vgl. Kramer, 1997; Nolan, Grant & Keady, 1996). In einem moderaten Ausmaß vorhanden schließen sich Belastungserleben und Pflegezufriedenheit nicht aus, sondern können gleichzeitig auftreten (Andrén & Elmstahl, 2005). Dies dürfte maßgeblich dazu beitragen, dass Pflege in vielen Familien mit derart großem Engagement über Jahre hinweg geleistet wird. Die Tatsache, dass es durch die Übernahme der Pflege möglich wird, mit demjenigen in Beziehung zu bleiben, der pflegebedürftig geworden ist, ist nicht nur im Stadium der Entscheidung für die Pflegeübernahme bedeutsam, sondern ist sicherlich in vielen Fällen auch gleichzeitig eine positive Konsequenz. Viele Angehörige erfahren Dankbarkeit und Wertschätzung sowohl von demjenigen, den sie pflegen als auch durch das Umfeld, was sie in ihrem Selbstwert stärkt (Nolan et al., 1996). Durch die vielfältigen Herausforderungen, die in der Betreuung und Pflege gemeistert werden müssen, eignet sich der pflegende Angehörige Kompetenzen an, welche zur Steigerung seines Selbstwertes beitragen können. Insbesondere im Umgang mit demenziell erkrankten Menschen ist die Ausbildung spezieller Fertigkeiten vonnöten. Erlebt sich der Angehörige hier als kompetent, kann ihn das mit Stolz erfüllen. In einer Untersuchung von Schacke und Zank (1998) wiesen familiäre Pflegepersonen demenziell Erkrankter ein umso höheres Selbstwertgefühl auf, je stärker die kognitiven Beeinträchtigungen des Patienten ausfielen. Neben einem Zugewinn an Selbstwertgefühl kann die Übernahme der Pflegeverantwortung durch Angehörige für die Reifung ihrer gesamten Persönlichkeit bedeutsam sein. Durch die tägliche Begleitung ihres Pflegebedürftigen sind sie mit Defiziten und Abbauprozessen konfrontiert, was wiederum eine Reflexion anregen und tiefere Lebenseinsichten hervorbringen kann. In einer Studie zu pflegenden Angehörigen demenziell erkankter Menschen war die Pflegedauer positiv mit dem Persönlichkeitswachstum der Angehörigen assoziiert (Leipold, Schacke & Zank, 2008). Die Autoren zeigten, dass dieser Effekt weniger auf die Dauer der Pflege per se zurückzuführen ist, sondern vielmehr darauf, dass mit der Zeit auch die Pflegeaufgaben zunehmen. Somit förderte die wachsende Komplexität der Aufgaben die persönliche Reife.

Insgesamt wird deutlich, dass sowohl negative als auch positive Konsequenzen betrachtet werden müssen, wenn die Auswirkungen von Pflege auf Angehörige umfassend abgebildet werden sollen (Hunt, 2003).

2.5 Unterstützungsangebote und deren Nutzung

Wie aus den obigen Ausführungen ersichtlich wird, ist die Übernahme von Pflegeverantwortung ein schwerwiegender Einschnitt für die betroffenen Angehörigen. Zu einer zumindest teilweisen Entlastung sind diese auf Unterstützung in unterschiedlicher Form angewiesen, die durch entsprechende Angebote gewährleistet werden soll. Zum einen gibt es Angebote, die darauf abzielen, den Angehörigen beim Ausführen der konkreten Pflegeaufgaben zu unterstützen. Dazu zählen z.B. ambulante Pflegedienste oder der Besuch eines Pflegekurses, wie er im SGB XI geregelt ist (vgl. 2.1.2) sowie Beratung durch Pflegebüros, Pflegestützpunkte und dergleichen. Hier stehen die Vermittlung von Wissen rund um die Pflege bzw. die Durchführung pflegebezogener Handlungen im Vordergrund. Andere Angebote haben eher den emotionalen Umgang mit der Pflegesituation im Fokus. Dazu dienen Selbsthilfegruppen oder angeleitete Gesprächsgruppen für pflegende Angehörige.
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis6
1 Einleitung10
2 Zur Situation pflegender Angehöriger14
2.1 Pflegebedürftigkeit und Leistungen der Pflegeversicherung14
2.1.2 Stellenwert der Pflege durch Angehörige15
2.2 Merkmale pflegender Angehöriger und ihrer Lebenssituation16
2.3 Motivation der Pflegenden17
2.4 Negative und positive Konsequenzen von Pflege19
2.5 Unterstützungsangebote und deren Nutzung22
3 Umgang mit der Pflegesituation – Stressoren, Stressmodelle, Ressourcen und Bewältigung26
3.1 Welche Stressoren sind bekannt?26
3.2 Stressmodelle27
3.2.1 Modell zur Stress- und Belastungsverarbeitung27
3.2.2 Stressmodelle in der Angehörigenforschung29
3.2.3 Kritische Würdigung der Ansätze31
3.3 Personale und soziale Ressourcen33
3.3.1 Wirkweise von Ressourcen34
3.3.2 Personale Ressourcen34
3.3.3 Soziale Ressourcen36
3.3.4 Qualität der Beziehung als soziale Ressource38
3.4 Bewältigungsverhalten: Das Zwei-Komponenten-Modell der Entwicklungsregulation39
4 Belastungserleben und Lebensqualität pflegender Angehöriger42
4.1 Begriffsbestimmung zum Belastungserleben42
4.1.1 Belastungserleben als Bedürfnisfrustration43
4.2 Begriffsbestimmung zur Lebensqualität43
4.2.1 Das Konzept Lebensqualität aus unterschiedlichen Perspektiven44
4.3 Lebensqualität vs. Belastungserleben pflegender Angehöriger46
4.3.1 Abgrenzung zwischen Belastungserleben und Lebensqualität47
4.3.2 Vorteile des Lebensqualitätskonzeptes48
4.3.3 Empirische Befunde zur Lebensqualität pflegender Angehöriger48
5 Inkontinenz des Pflegebedürftigen und Auswirkungen auf den pflegenden Angehörigen50
5.1 Harn- und Stuhlinkontinenz50
5.1.1 Harninkontinenz51
5.1.2 Stuhlinkontinenz52
5.1.3 Prävalenz von Harn- und Stuhlinkontinenz53
5.1.4 Folgen der Inkontinenz für den Betroffenen53
5.1.5 Therapiemöglichkeiten und Versorgung54
5.2 Auswirkungen von Inkontinenz auf pflegende Angehörige55
5.2.1 Zur Spezifik der Inkontinenz in der Pflegebeziehung56
5.2.2 Inkontinenz als Einflussgröße auf das Belastungserleben der Angehörigen56
5.2.3 Von Angehörigen erlebte Schwierigkeiten im Hinblick auf Inkontinenz58
5.3 Zusammenfassung und Forschungslücken60
6 Fragestellungen und Hypothesen62
6.1 Zur Rolle der Inkontinenz für das Belastungserleben, die Lebens- qualität und die Persönliche Weiterentwicklung pflegender Angehöriger63
6.2 Belastungserleben als Mediatorvariable66
6.3 Moderatorfunktion von Ressourcen für die Lebensqualität67
7 Methodisches Vorgehen72
7.1 Vorstudie72
7.1.1 Zur Wahl des Forschungsansatzes in der Vorstudie72
7.1.2 Rekrutierung der Teilnehmer73
7.1.3 Beschreibung des Samples73
7.1.4 Datenerhebung73
7.1.5 Auswertung74
7.2 Hauptstudie75
7.2.1 Studiendesign und Stichprobenerhebung der Hauptstudie75
7.2.2 Rücklaufquote und Stichprobengröße76
7.2.3 Soziodemographische Daten der 616 Befragten76
7.2.4 Angaben zur Pflegesituation78
7.2.5 Angaben zur Inkontinenz des Pflegebedürftigen79
7.2.6 Vergleich zwischen Respondern und Non-Respondern81
7.3 Erhebungsinstrumente82
7.3.1 Untersuchte Variablen83
7.3.2 Psychometrische Eigenschaften der verwendeten Skalen89
7.4 Datenaufbereitung und Vorgehen bei der statistischen Auswertung90
8 Ergebnisse94
8.1 Analysen zur Rolle der Inkontinenz für das Belastungserleben, die Lebensqualität und die persönliche Weiterentwicklung von Angehörigen94
8.2 Analysen zur Mediatorfragestellung107
8.3 Analysen zur Moderatorfragestellung109
8.4 Tabellarische Zusammenfassung der Ergebnisse123
9 Diskussion, Handlungsempfehlungen und Ausblick130
9.1 Inkontinenz: erhöhtes Belastungserleben und emotionale Herausforderung130
9.2 Stressoren üben keinen direkten Einfluss auf die Lebensqualität aus140
9.3 Ressourcen als Moderatoren zwischen Belastungserleben und Lebensqualität141
9.4 Stärken und Einschränkungen der vorliegenden Untersuchung146
9.5 Handlungsempfehlungen für die Praxis und Implikationen für die Forschung148
9.6 Ausblick152
Literatur154
Zusammenfassung166
Anhang A168
Anhang B170
Anhang C186

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