1. Hypnose – einem Phänomen auf der Spur
1.1 Historische Entwicklung
Hypnotische Behandlungsmethoden sind uns seit frühester Zeit überliefert. Bereits im zweiten Jahrtausend v. Chr. finden wir die ersten schriftlichen Überlieferungen, die darauf hindeuten, dass man bereits damals mithilfe von Hypnose heilschlafähnliche Zustände erzeugte.
Um etwa 400 v. Chr. begegnen wir dem im antiken Griechenland etablierten Äskulapkult, bei dem kranke Menschen in einem besonderen Heilschlaf, dem Tempelschlaf, kuriert werden sollten. Zwar wird der Tempelschlaf nicht mit hypnotischen Methoden eingeleitet, in seiner Wirkung jedoch ist er durchaus mit hypnotischen Zuständen vergleichbar. Eingeleitet wurde er mittels feststehender Rituale wie Fasten, religiöse Reinigungen oder auch Waschungen. Religiöse Elemente spielten hier eine übergeordnete Rolle; unter der Aufsicht von Priestern wurden die tranceähnlichen Zustände, häufig verbunden mit dem Inhalieren oder Einnehmen von Rauschmitteln, eingeleitet, begleitet und vertieft. In den daraufhin erlebten Träumen der Kranken erschien ihnen Gott und gab Hinweise auf die Entstehung der Erkrankung und einer möglichen Genesung.
Sehr ähnliche Praktiken finden wir auch heute noch bei verschiedenen Naturvölkern oder auch beim Schamanismus. Der Schamane beginnt eine Reise in das Seelenleben des Kranken und bändigt oder vertreibt die zerstörerischen Kräfte oder Geister. Bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts fanden ähnliche Praktiken auch in Europa statt, hier jedoch unter dem Begriff Exorzismus. Dabei bestand die Heilung des Kranken ebenfalls aus der Verbannung oder Vertreibung des Bösen, das für den Zustand des Kranken verantwortlich gemacht wurde, aus dem Seelenleben des Leidenden.
Erst mit dem Namen Franz Anton Mesmer (1734–1815) löste sich die Hypnose von ihrem mystisch-dämonischen Hintergrund. Mesmer, ein vom Bodensee stammender Arzt, formulierte die Theorie des animalischen Magnetismus. Für ihn bestand das Universum aus einer Art allumfassender Energie, einem alles durchdringenden Fluidum. Gesundheit und Krankheit würden sich in einem unterschiedlichen Verteilungsverhältnis des Fluidums widerspiegeln. Bei einem Kranken beispielsweise sei das Fluidum nicht gleichmäßig über seinen Körper verteilt, sondern ungleichmäßig, an einigen Stellen sei also die Kraft des magnetischen Energiefeldes gering. Infolgedessen bestand die Heilung aus der Wiederherstellung einer gesunden Verteilung der magnetischen Energie. Mittels feiner Bewegungen der Arme des Hypnotiseurs wurde das Fluidum wieder in ein gesundes Verteilungsverhältnis „gestrichen“, wie gleichmäßig verstrichene Butter auf einer Scheibe Brot. Diese Streichbewegungen sind auch als Mesmersche Passes bekannt geworden.
Mit Hippolyte Bernheim (1840–1919), einem Mediziner der Fakultät von Nancy, änderte sich das Verständnis von hypnotischen Vorgängen grundlegend. Durch die Entdeckung der Wirkweise sogenannter Suggestionen (geistig-psychische Beeinflussung) wurde die Hypnosetheorie auf eine neuzeitliche Basis gestellt. Für Bernheim lag das Mystische der Hypnose nicht in einem ominösen Fluidum oder einer alles durchdringenden esoterisch anmutenden Energie, sondern lediglich in der Macht sprachlicher Äußerungsformen, der Macht des gesprochenen Wortes. Seine Theorie besitzt im Großen und Ganzen heute noch Gültigkeit.
Die weitere Entwicklung der Hypnose und Selbsthypnose ist mit dem Namen Johannes Heinrich Schultz (1894–1970), einem deutschen Psychiater und Entwickler des Autogenen Trainings, verbunden. Außerdem wurde das Verständnis von hypnotisch-geistigen Prozessen vom amerikanischen Arzt Milton Erickson (1901–1980) grundlegend erweitert. Erickson steht für die indirekten und beiläufigen Formen, mit denen eine Hypnose eingeleitet werden kann.
1.2 Die Mechanismen des Unbewussten
Vereinfacht könnte man sagen, dass unsere geistige Welt zweigeteilt ist: in das Bewusste und das Unbewusste. Gemeinhin gilt dabei die Annahme, dass wir unser Verhalten und unsere konkreten Handlungen bewusst steuern können. Dieser Betrachtungsweise liegt jedoch ein schwerer Einschätzungsfehler zugrunde. Wenn unser Bewusstsein wirklich eine so allumfassende Macht über unser Verhalten und unsere Handlungen hätte, dann sollte es ein Leichtes sein, Verhaltensänderungen herbeizuführen, zum Beispiel sich das Rauchen abzugewöhnen. Doch so einfach ist es eben nicht. Raten Sie einem starken Raucher, der sich von der Zigarette lösen will, doch einmal, dass er die Rauchentwöhnung „rein rational“ angehen solle. Dies wird kaum gelingen. Warum nicht? Weil die meisten elementaren Entscheidungen über unser Verhalten und unsere Handlungen nicht bewusst gesteuert sind, sondern von unbewussten Impulsen beeinflusst werden. Unsere Entscheidungen im Leben sind also größtenteils emotional begründet. Der Gefühlsapparat mit den dazugehörenden Gehirnarealen, den Mandelkernen, steuert uns in den meisten Bereichen unseres Lebens mehr, als wir glauben.
Biophysiologisch betrachtet ist unser Bewusstsein in der Hirnrinde, dem Kortex, lokalisiert. Der Kortex ist eine mehrere Millimeter dünne Schicht, die wie eine Mütze über das Gehirn gezogen ist.
Im Gegensatz dazu hat das Unbewusste seine Basis in den gefühlsgesteuerten Teilen des Hirns, dem limbischen System mit den beiden Mandelkernen. Kortex und Mandelkerne tauschen sich fröhlich miteinander aus, aber meist sehr einseitig. Die Mandelkerne sind viel „gesprächiger“ als der Kortex, sie senden viel mehr Informationen als umgekehrt (s. Abb. 1.1).
Abbildung 1.1: Austausch der Nervenimpulse zwischen Mandelkern und Kortex
Und genau an dieser Stelle setzt die Kraft der (Selbst-)Hypnose ein. Mittels Hypnose oder Selbsthypnose kann man positive Imaginationen erzeugen, die den Mandelkern erfreuen und ihn dazu veranlassen, die Kommunikation mit dem Kortex ebenfalls positiv zu gestalten. Dadurch kommt es zu einem besseren neuronalen Austausch und mit ein wenig Glück auch zu positiven Veränderungen im Verhalten und Erleben.
Im hypnotischen Zustand sind die Verbindungen zwischen Kortex und Mandelkern eher labil und flüchtig. Beruhigende Worte und schöne Bilder wirken hier wie Medizin. Sie verändern die feinen Stellschrauben der fest genieteten negativen Stimmungsarchitektur und sorgen auf diese Weise für das Erleben neuer Erfahrungen und Kräfte.
Wenn Sie sich im Alltag gelegentlich Tagträumen hingeben, befinden Sie sich ebenfalls in genau so einem Trancezustand. Er dient Ihrer Erholung: Komplexe Sachverhalte und die Vielzahl an Reizen aus Ihrer Umgebung werden hier mit der klärenden Kraft Ihres Unbewussten systematisiert und vereinfacht. Während dieser Zeit sind Ihr kritischer Verstand und Ihr analytisches Denken vermindert – hier sind sie ansprechbar, aber auch anfällig für Suggestionen.
Je geringer die Ausprägung Ihres kritischen Denkens ist, desto stärker können Suggestionen wirken. Kleine Kinder beispielsweise verfügen nur über eine wenig ausgeprägte Fähigkeit, kritisch zu denken – sie entwickelt sich erst in späteren Entwicklungsphasen ihres Lebens. Aus diesem Grund sind kleine Kinder extrem beeinflussbar. Was in das kindliche Gehirn in einer sensiblen Phase einmal eingepflanzt wurde, ist oft nur schwer zu korrigieren. So können vom Umfeld ausgesprochene Suggestionen (z. B. „Lass das, das kannst du nicht!“) zu Glaubenssätzen, Überzeugungen, Lebensphilosophien und am Ende zu innerlich erlebten Wahrheiten werden (Abb. 1.2).
BEISPIEL
Luisa, eine junge zweifache Mutter, wirkt im ersten Therapiegespräch sehr unsicher. Sie vermeidet Augenkontakt, redet leise und entschuldigt sich ständig. Sie spricht von Lebensängsten und Versagen und fürchtet größere Menschengruppen.
In einer Zeitschrift las sie darüber, dass man Versagensängste mit Hypnose therapieren könne – deshalb sei sie da.
In Hypnose erlebte Luisa ihre Kindheit und Jugend. Sie hatte einen drei Jahre älteren Bruder, der bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen war. Zum Zeitpunkt des Unfalls war Luisa sechs Jahre alt. Die Eltern machten sich Vorwürfe und versuchten, Luisa vor allen potenziellen Gefahren zu beschützen. Bei allen Versuchen, sich selbst auszuprobieren, hörte sie Sätze wie:
- „Nein, das ist nichts für dich!“
- „Nein, das kannst du noch nicht!“
- „Nein, dafür bist du noch zu klein!“
- „Nein, Luisa, lass das!“
Luisa wurde ein ängstliches Kind und witterte selbst bald überall Gefahren. Sie neigte zu Rückzugstendenzen und entwickelte Unsicherheit im Umgang mit alltäglichen Dingen. Bis heute kann sie nicht richtig Fahrradfahren. Ihre Selbstbeschreibung gipfelte in dem Satz (innere Wahrheit): „Ich bin ein Angsthase!“
Abbildung 1.2: Wie aus Suggestion innere Wahrheit wird
Eine Suggestion, die im Laufe der Entwicklung eines Menschen durch ständige Wiederholung (und vielleicht auch Bestätigung) zu einer inneren Wahrheit erwächst, ist auch mittels Hypnose nur schwer zu verändern. Sie erhärtet sich wie gegossener Beton.
Möglichkeiten, um auch kleineren Kindern die wohltuende Wirkung hypnotischer Techniken zukommen zu lassen, finden Sie übrigens im 11. Kapitel.
1.3 Realität und Pseudorealität
Es mag erst einmal merkwürdig klingen, aber tatsächlich gibt es unterschiedliche Realitäten. Es gibt die äußere Realität, in der Sie sich dann befinden, wenn Sie bewusst im Wachzustand sind. Sie bleiben bei Rot an der Ampel stehen und statten sich mit einem...