Frauenkarrieren im Patriarchat
Erstmals nahmen wir sie wahr beim Nobelfriseur, diese Frauen, die da mit ergebener Miene sitzen und gelangweilt in Vogue-Heften blättern. Ihre Fingernägel sind lackiert und lang, und der Lack glänzt in feuerroter, ovaler Perfektion. Zum Mann, der ihre Haare schneidet, sagen sie lässig «Herr Helmut», und diese Bezeichnung für einen erwachsenen Menschen ist ihnen gar nicht peinlich. Sie tragen Mohaircapes und extravagante Schuhe, in denen wir uns das Genick brechen würden, ihre Töchter tragen Kniesocken und Cacharel-T-Shirts und lassen ihre Haare auch beim Nobelfriseur schneiden. Wirklich beeindruckend sind sie, wenn sie zum Nachfärben ihrer gebleichten blonden Haare kommen. Den Ansatz, bitte, Herr Helmut, sagen sie dann in einem schleppend-gelangweilten Ton, lächeln großmütig, während der türkische Lehrling ihnen den Mantel abnimmt, und lassen sich einen Kaffee bringen. Ein kleiner Mokka bitte, Ülküm, murmeln sie so leise, daß das Mädchen sie um eine Wiederholung bitten müßte, wenn sie nicht schon aus Erfahrung wüßte, daß die Damen immer einen kleinen Mokka wollen. Dann trägt Herr Helmut das Bleichmittel auf die nachgewachsenen Millimeter auf und trennt die Haarsträhnen scheibenartig voneinander, und die Frauen sitzen da wie Pharaoninnen, auf ihren Köpfen ein exotischer Schmuck aus Aluminium-Fächern, Kinn erhoben, starrer Blick.
Das sind Frauen, denen es im Patriarchat und in der unterdrückerischen Institution Ehe blendend zu gehen scheint. Sie wirken nicht glücklich, das ist wahr, kann aber am Peroxid liegen. Nie scheinen sie miteinander zu sprechen, auch wenn drei oder vier von ihnen nebeneinander aufgereiht sitzen mit demselben bizarren Kopfschmuck. Sie haben all die Dinge, die wir uns in unseren Phantasien manchmal ausmalen: das Geld und die Zeit für weite Reisen, die Freiheit vom Urteil anderer, die Freiheit, dorthin zu gehen, wohin sie wollen; all das muß in unserer Gesellschaft bezahlt werden. Was kann ihnen passieren? Wir können entlassen werden, schmachvoll von unseren Posten fliegen, unsere Zukunft steht immer unter eher zweifelhaften Auspizien. Aber diese Frauen? Des Ehemanns müde, können sie sich scheiden lassen. Dann erhalten sie von diesem für den Rest ihres langen und gepflegten Lebens die Luxuswohnung, 20000 Schilling monatlich als Alimente, zwei bezahlte Urlaubsreisen im Jahr und drei wöchentliche Besuche beim Psychoanalytiker. Sie lassen sich vom Personal umsorgen. Sie sind vielleicht eine Art Luxusobjekt, aber immerhin, bei gekündigtem Dienstverhältnis können sie sich zur Ruhe setzen. Wir fragten uns: Wie fühlt man sich im ersten Stock der Habsburgergasse, chez Bundy, mit Aluminium in den Haaren und fünf Scheckkarten im Portemonnaie?
Patriarchat bedeutet Männerherrschaft. Nicht allen Frauen geht es schlecht, wenn die Männer herrschen. Und es herrschen nicht alle Männer, sondern nur einige. Sie bevorzugen zwar ihre Geschlechtsgenossen, denn so ist die Welt des Patriarchats eben organisiert, aber nicht alle ihrer Geschlechtsgenossen besitzen die taktische Klugheit, den skrupellosen Einsatz und den logischen Durchblick, um ihre Vorteile auch zu nutzen. Umgekehrt schaffen es viele Frauen, infolge ihrer Begabung, ihrer guten sozialen Reflexe und eines günstigen Zufalls, sich das Leben sehr angenehm einzurichten, auch im Patriarchat. Gerade im Patriarchat. Denn jeder Herrschaftszustand bietet eine Vielfalt von Chancen für jene, die sie klug zu nutzen wissen. Wo es Kriege, Unterdrückung, Verfolgung gibt, gibt es auch Waffenhändler, Schmuggler, Söldner. Wo es eine Besatzungsmacht gibt, gibt es Kollaborateure.
Unsere ganz persönlichen Sympathien liegen nicht bei diesen Frauen, die von ungerechten Zuständen profitieren. Und zwar deshalb, weil diese Frauen all das, was uns richtig erscheint, in Frage stellen. Ein Mann öffnet ihnen mit einer galanten Verbeugung die Salontür, und sie gleiten hinein und verkünden, daß einer Frau Tür und Tor offen stehen; daß die Tür hinter ihnen wieder zuknallt, erwähnen sie nicht.
Viele Frauen, vor deren Gesicht die Tür wieder ins Schloß fällt, haben mit ihren privilegierten Schwestern häufig eines gemeinsam: eine tendenziell aggressive, auf jeden Fall aber pauschale Ablehnung dessen, was sie gern als «diese Frauenbewegung» bezeichnen. Das ist paradox, vor allem im Fall derjenigen, die nicht im Salon sitzen, denn gerade diese Gruppe sollte das größte Interesse an den Zielen der Frauenbewegung haben. Um ein streng tabuisiertes, stets verleugnetes politisches Faktum einmal waghalsig auszusprechen: die («diese») Frauenbewegung wird getragen von Studentinnen, Intellektuellen und Berufstätigen der Mittelschicht. Sie wird nicht getragen von: Hausfrauen, Arbeiterinnen oder sozialen Randgruppen. Ihre Aktionen und Schriften sprechen zwar überproportional von den Problemen dieser Gruppen, werden aber von Personen organisiert, die diese Probleme aus eigener Erfahrung kaum jemals kennen. Ihre Aktivität kommt denen zugute, die sich nicht daran beteiligen. Die Gründe dafür sind vielfältig. Erstens ist die Frauenbewegung entgegen verbreiteter Auffassung eine politische Bewegung und nicht der spontane, hektische Aufschrei eines Haufens von Frustrierten. Das bedeutet, daß die soziale Situation in ihren politischen Zusammenhängen gesehen wird, und die Forderungen sich an der grundsätzlichen Problemlage von Frauen aufhängen, nicht an den individuellen Erscheinungsformen, die einzelne Frauen an sich selbst erleben. Die Empörung über Gewalt gegen Frauen ist echt, unmittelbar. Sie findet ihren politischen Ausdruck in der Forderung nach Frauenhäusern und Protestaktionen gegen die Bereitschaft dieser Gesellschaft, Vergewaltigung zu tolerieren. Nur eine Gesellschaft ohne Solidaritätsprinzip wird eine solche Forderung erstaunlich finden und die Frauen, die dafür eintreten, süffisant fragen: Seid denn ihr schon geschlagen worden? Euch geht’s doch gar nicht so schlecht. Und nicht selten fragen das Frauen, die von sich selbst behaupten: «Ich fühle mich nicht unterdrückt.»
Die Frauen, die den herrschenden Männern hilfreich zur Seite stehen, sind von der Frauenbewegung sehr schonend behandelt worden. Das Argument der Linken, daß die «Frau des Unternehmers» und die «Frau des Arbeiters» nichts gemeinsam hätten, kann schon in mindestens diesem einen Punkt widerlegt werden: gemeinsam haben sie eine Verachtung für den Feminismus. Die rigoros durchgehaltene Solidarität der Frauenbewegung mit ihnen beiden gewinnt damit eine gewisse paradoxe Note. Die Frauen der Mächtigen als Mitprofitierende an den Zuständen der Ungerechtigkeit darzustellen hat sich die Frauenbewegung niemals gestattet. Verständnisvoll wurden immer wieder die Zwänge und Entfremdungen erörtert, unter denen diese Frauen stehen. Unterworfen unter ein barbarisches Protokoll sind sie hilflose Marionetten männlicher Auftritte.
Auch die «Frau des Arbeiters» konnte mit Verständnis rechnen. Ein einziger Vorwurf der «intellektuellen Arroganz» genügt, um bei Frauenseminaren die gesamte Gruppe zum sofortigen Verstummen zu bringen. Die Frauenbewegung ist eine Bewegung der Mittelschicht; bei ihr wie bei den anderen Bewegungen der Mittelschicht, der Studentenbewegung, der Umweltbewegung usf. wird schon allein diese Feststellung als Diskreditierung akzeptiert und mit Demutsbezeigungen nach unten und oben erwidert.
Das Prinzip der Solidarität, das hinter der Schweigebereitschaft der Frauenbewegung stand, war an sich ein politisch richtiges. Nur allzu bereitwillig nahm die Öffentlichkeit jedes Anzeichen einer Spaltung auf; nur allzu gern stimmte sie ein in die Angriffe auf eine bestimmte Gruppe von Frauen. Es war schwer, Kritik zu äußern, ohne den Stereotypen und Klischees in die Hand zu spielen; also verzichtete man auf die Kritik. Abschreckende Warnung vor den Folgen einer Spaltung hatte man schließlich schon vor Augen in Gestalt der Hausfrauen-gegen-Berufstätige-Kontroverse. Kritik an einer schmutzigen, geistlosen und entwürdigenden Arbeit, die zwangsweise nur dem einen Geschlecht zugeschoben wird, wurde interpretiert als Kritik an denjenigen, die sie verrichten. Verunsichert durch den Zorn der Hausfrauen, trat die Frauenbewegung sofort den ungeordneten Rückzug an. Es geht ja gar nicht darum, diese Arbeit als erniedrigend darzustellen, verteidigten sich die einen; ganz im Gegenteil, sie soll ihren rechtmäßigen Stellenwert, ihren angemessenen Lohn erhalten. Es geht nicht um die Arbeit, sondern um die Frage, wer sie verrichtet, und warum es immer die Frauen sind, meinten die anderen. Feminismus und Kirche trafen sich kurz und erschrocken in einem Chorgesang über die Befriedigung, die Würde, die Achtbarkeit der Arbeit in Heim und Familie. «Ich bin ‹nur› eine Hausfrau», brauchte eine aggressive Person bloß mehr zu sagen, um von der ganzen Frauenrunde eine angstvolle Widerlegung des Wortes «nur» zu hören.
Doch die vermeintliche Solidarität hat eine noch viel beängstigendere Komponente, nämlich die Bereitschaft, das Versagen von Frauen immer zu entschuldigen. Immer findet sich eine Erklärung für Schwäche, für Versagen, ein Verständnis für die Kapitulation. Dahinter steckt jedoch die Andeutung, daß man ohnehin nicht viel mehr erwartet hat. Denn die Solidarität der Frauenbewegung mit Schwestern in allen Lebenslagen hat ein einseitig verzerrtes Bild der patriarchalen Ordnung hervorgebracht. Wir sahen die wichtig einherschreitenden Männerscharen und die wichtigen Männerrunden, die über das Schicksal der Welt verhandeln. Wir erfuhren von ihrem Größenwahn, ihrer Egomanie, ihrer pragmatischen Gleichgültigkeit gegenüber den Problemen anderer Menschen. In diesen Berichten aber fehlte einiges. Sie schilderten nicht die hingebungsvoll ermutigende Miene von Frauen, den...