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Literaturpolitik im NS-Staat

Von der »Gleichschaltung« bis zum Ruin

AutorJan-Pieter Barbian
VerlagS. Fischer Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2010
ReiheDie Zeit des Nationalsozialismus ? »Schwarze Reihe« 
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783104008134
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Die Bücherverbrennungen, die am 10. Mai 1933 in nahezu allen deutschen Universitätsstädten stattfanden, waren ein medienwirksam inszeniertes Ereignis. Bis heute verstellt dieses Symbol der Kulturbarbarei den Blick auf die Entscheidungsabläufe, die zur Etablierung einer nationalsozialistischen Literaturpolitik führten. Die Beseitigung eines bedeutenden Teils der Literatur der Weimarer Moderne und ihrer Protagonisten war nur das öffentliche Vorspiel zu einem allumfassenden Prozess, in dem staatliche Behörden und Partei'dienststellen' politischen Einfluss auf die Produktion und Verbreitung von Literatur nahmen. Eine Schlüsselrolle fiel dabei Joseph Goebbels als Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda und als Präsident der von ihm gegründeten Reichskulturkammer zu. Was im Dritten Reich erscheinen durfte, war 'von seinen Gnaden' zugelassen. Allerdings musste Goebbels seine Macht mit anderen Herrschaftsträgern teilen. Und auch die Beherrschten - Autoren, Verleger, Buchhändler und das lesende Publikum - folgten keineswegs allen Vorgaben des Regimes. Der Autor präsentiert einen knappen wie präzisen Überblick über all die Institutionen, Akteure und Betätigungsfelder, die für die nationalsozialistische Literaturpolitik entscheidend waren. Die Darstellung stützt sich auf umfangreiche Überlieferungen in staatlichen Archiven und zugleich auf Analysen der Verhaltensweisen von Schriftstellern, Verlagen, des Buchmarktes und des Leseverhaltens, wie sie sich in Tagebüchern, Erinnerungen, Briefen, statistischen Erhebungen und Darstellungen zur Buchhandelsgeschichte widerspiegeln. Jan-Pieter Barbian, geb. 1958, studierte Germanistik, Geschichte und Philosophie. Seit 1995 ist er Direktor der Stadtbibliothek Duisburg. Er gilt als einer der ganz wenigen Kenner des Forschungsfeldes. Buchpublikationen u. a.: 'Literaturpolitik im 'Dritten Reich'' (zuletzt bei dtv 1993/95, 950 S, seit 1998 vergriffen); »Die vollendete Ohnmacht. Schriftsteller, Verleger und Buchhändler im NS-Staat« (2008). Unsere Adressen im Internet: www.fischerverlage.de

Jan-Pieter Barbian, geb. 1958, studierte Germanistik, Geschichte und Philosophie. 1991 promovierte er mit einer Studie über »Literaturpolitik im ?Dritten Reich?«. Seit 1999 ist er Direktor der Stadtbibliothek Duisburg. Er hat zahlreiche Aufsätze zur Literatur- und Kulturpolitik der NS-Zeit veröffentlicht und gilt als einer der besten Kenner der Materie. Er hat auch zu Film und Politik in der Weimarer Republik sowie zur Geschichte und Literatur des Ruhrgebiets im 20. Jahrhundert publiziert. Sein Standardwerk »Literaturpolitik im NS-Staat« erschien 2010 in der Reihe »Die Zeit des Nationalsozialismus«.

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Leseprobe

Kapitel 1 Der Personen- und Medienwechsel: Von der Weimarer Republik zum Dritten Reich


1 Der Bruch mit dem demokratischen Pluralismus und der Internationalität der deutschen Literatur


Die Nationalsozialisten gaben ihrer Machtausübung den Anschein von Legalität. Am 4. Februar 1933 erließ Reichspräsident Paul von Hindenburg eine »Verordnung zum Schutze des deutschen Volkes«.[1] Darin war den »Druckschriften« ein ausführlicher Abschnitt gewidmet. Das erschien zunächst nicht ungewöhnlich, denn schon seit dem Beginn der Präsidialdiktatur im März 1930 war es häufig zu Presseverboten gekommen. Die Notverordnung Hindenburgs betraf allerdings nicht mehr nur »periodische Druckschriften«, sondern sämtliche »Druckschriften, deren Inhalt geeignet ist, die öffentliche Sicherheit oder Ordnung zu gefährden« (§ 7). War dieses außerordentlich dehnbare Kriterium erfüllt, so konnten die Ortspolizeibehörden unabhängig oder auf Weisung der obersten Landesbehörden eine Druckschrift beschlagnahmen und einziehen. Die nach dem Reichstagsbrand erlassene »Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat« vom 28. Februar 1933 verschärfte die Bestimmungen zum einen durch die Aufhebung des Artikels 118 der Weimarer Reichsverfassung, in dem das Recht der freien Meinungsäußerung durch »Wort, Schrift, Druck, Bild oder in sonstiger Weise« garantiert worden war.[2] Zum anderen erhielt die Reichsregierung das Recht, die Befugnisse der obersten Landesbehörde »vorübergehend« wahrzunehmen, falls in einem Land »die zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nötigen Maßnahmen nicht getroffen« wurden. Diese Regelung stärkte insbesondere die Position des Reichsinnenministeriums gegenüber den noch nicht von den Nationalsozialisten beherrschten Landesregierungen. Der nun einsetzende staatliche Terror führte zu zahlreichen Inhaftierungen und zur Vertreibung von rund 8600 Persönlichkeiten aus den Bereichen Politik, Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft.[3] Mit dem »Gesetz über die Einziehung kommunistischen Vermögens« vom 26. Mai 1933 und dem »Gesetz über die Einziehung volks- und staatsfeindlichen Vermögens« vom 14. Juli verloren die KPD und die SPD neben vielem anderen auch ihre Verlags-, Druck- und Buchvertriebsunternehmen.[4]

Für den offenen Bruch mit dem Pluralismus und der Internationalität der Literatur der Weimarer Republik stehen sowohl die »Gleichschaltung« der schriftstellerischen Interessenvertretungen und Berufsverbände als auch die Bücherverbrennungen. Die Sektion für Dichtung in der Preußischen Akademie der Künste war seit ihrer Gründung im Jahr 1926 politisch umstritten. Dies hing mit ihrer exponierten Stellung zusammen, denn obwohl es sich bei der Sektion um eine Einrichtung des – mit Abstand größten – Reichslandes Preußen handelte, galten ihre Vertreter als Repräsentanten für die gesamte deutsche Literatur der Gegenwart. Bereits 1930 brachen jedoch Meinungsverschiedenheiten über grundsätzliche Fragen der ästhetischen Verortung der Literatur und der Rolle des Schriftstellers in der Gesellschaft auf, die zum Rücktritt des Vorsitzenden Walter von Molo und im Januar 1931 zum demonstrativen Austritt der nationalkonservativen Mitglieder Erwin Guido Kolbenheyer, Wilhelm Schäfer und Emil Strauß führten. Zur gleichen Zeit verließ Hermann Hesse die Sektion, weil er – ohnehin nur einem Wunsch Thomas Manns entsprechend Mitglied geworden – mit den ständigen Querelen nichts mehr zu tun haben wollte.[5] Der nationalsozialistische Literaturkritiker Hellmuth Langenbucher missbrauchte diese zufällige Koinzidenz 1933 als Beleg für die Unvereinbarkeit der Positionen »zwischen den Berliner Mitgliedern der Akademie und den in den deutschen Landschaften ansässigen Mitgliedern«.[6] Die Spaltung der deutschen Literatur verlief also parallel zur politischen Krise und Erosion der Weimarer Republik. Daher ist es nicht verwunderlich, dass nach der nationalsozialistischen Machtübernahme die Sektion für Dichtung als erste Schriftstellervereinigung einer personellen Neuformierung unterzogen wurde.

Am 15. Februar 1933 trat Heinrich Mann, der zwei Jahre zuvor zum Vorsitzenden gewählt worden war, von seinem Amt zurück, nachdem der neue preußische Kultusminister Bernhard Rust andernfalls die Auflösung der gesamten Preußischen Akademie der Künste angedroht hatte. Anlass war ein »Dringender Appell« des Internationalen Sozialistischen Kampfbunds zur Reichstagswahl am 5. März 1933, mit dem Heinrich Mann, Käthe Kollwitz und eine Reihe weiterer Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens die Bildung einer antifaschistischen Einheitsfront von SPD und KPD gefordert hatten. Die Willfährigkeit, mit der der obrigkeitsstaatliche Eingriff eines zur Macht gelangten Nationalsozialisten in die von der Weimarer Verfassung garantierten demokratischen Grundrechte und in die Autonomie der Akademie hingenommen wurde, begünstigte die nach den Reichstagswahlen rasch vollzogene »Gleichschaltung«. Am 13. März 1933 initiierte ausgerechnet Gottfried Benn, der im März 1931 zum 60. Geburtstag Heinrich Manns noch die Lobrede in der Akademie gehalten hatte, eine »Loyalitätserklärung« zugunsten der nationalsozialistischen Reichsregierung, mit der die endgültige Trennung der literarischen Lager und ihrer Protagonisten eingeleitet wurde. Die politische Wandlung »unseres Heimchen am Herd Jottfried« kommentierte der Benn nahestehende Paul Hindemith am 25. Mai 1933 in einem Brief an seine Frau mit Verwunderung: »Den scheint’s ja wirklich arg gepackt zu haben. Es ist halt wie mit den eingewickelten Kindern, die sich erkälten, wenn sie an die Luft kommen: er scheint die ganzen Jahre auf dem Mond gelebt zu haben und ist nun ganz verwundert, daß es noch Welt gibt. Ganz schön, aber von hier bis zum Bruderkuß hätte er eine etwas langsamere Windeseile einschalten können. Seine Enttäuschung nach ein paar Monaten möchte ich mal sehen.«[7]

Vom Präsidenten der Akademie Max von Schillings aus der Sektion für Dichtkunst ausgeschlossen wurden in der Folge Alfred Döblin, Thomas Mann, Rudolf Pannwitz, Alfons Paquet, René Schickele und Jakob Wassermann, weil sie sich weigerten, die bedingungslose Kapitulation vor den nationalsozialistischen Machthabern zu unterschreiben. Ricarda Huch, bis dahin 2. Vorsitzende, erklärte von sich aus den Austritt aus der Sektion, weil sie sich dem politischen Druck nicht beugen wollte und eine dezidiert andere Auffassung von »Deutschtum« vertrat, wie sie von Schillings wissen ließ.[8] Leonhard Frank, Ludwig Fulda, Georg Kaiser, Bernhard Kellermann, Alfred Mombert, Fritz von Unruh und Franz Werfel, die mit der »Loyalitätserklärung« offenbar keine Schwierigkeiten hatten, wurden dennoch ausgeschlossen, da sie, wie ihnen der Akademiepräsident nach »an maßgebender amtlicher Stelle eingeholten Informationen« per Einschreiben mitteilte, »nach den für die Neuordnung der kulturellen staatlichen Institute Preußens geltenden Grundsätze(n)« nicht mehr tragbar waren.[9] Gemeint waren damit bei von Unruh und bei Kellermann ihre politische Einstellung und bei den anderen prominenten Kollegen die »nichtarische« Abstammung, die in sinngemäßer Anwendung des »Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« vom 7. April 1933 als Ausschlussgrund für eine Mitgliedschaft in der Akademie der Künste gewertet wurden. Von den bisherigen 34 Mitgliedern verblieben damit lediglich noch Benn, Rudolf G. Binding, Theodor Däubler, Max Halbe, Gerhart Hauptmann, Oskar Loerke, Max Mell, Walter von Molo, Josef Ponten, Wilhelm Schmidtbonn, Ina Seidel und Eduard Stucken in der Sektion.

Die frei gewordenen Plätze wurden Anfang Mai 1933 wiederbesetzt: mit den »Rückkehrern« Kolbenheyer, Schäfer und Strauß sowie mit den neu Ernannten Werner Beumelburg, Hans Friedrich Blunck, Peter Dörfler, Friedrich Griese, Hanns Johst, Agnes Miegel, Börries von Münchhausen und Will Vesper. Zum Vorsitzenden wurde Hanns Johst bestimmt, zu seinem Stellvertreter Hans Friedrich Blunck und zum Schriftführer Werner Beumelburg. Die Belassung von Oskar Loerke in seinem Amt, der bis dahin bei allem mitgespielt hatte, weil er neben seinem Gehalt als Lektor des S. Fischer Verlags und den geringen Einkünften aus seiner schriftstellerischen Arbeit auf den Zuverdienst als Sektionssekretär angewiesen war,[10] hatte Rust abgelehnt, so dass der Dichter nun völlig ins Abseits geriet – so wie später auch Benn, nachdem er seinen politischen Irrtum erkannt hatte und 1935 in seinem elitären Selbstbewusstsein die Reichswehr als »die aristokratische Form der Emigrierung« wählte.[11] Im Oktober 1933 folgten als von Rust neu ernannte Mitglieder Hermann Claudius, Gustav Frenssen, Enrica von Handel-Mazzetti, Rudolf Huch, Isolde Kurz, Heinrich Lersch, Jakob Schaffner, Johannes Schlaf und Josef-Magnus Wehner. Ernst Jünger lehnte die ihm angetragene Mitgliedschaft ab. Damit waren die »Literaten«, die den literarischen Kanon der Weimarer Republik öffentlich wahrnehmbar bestimmt hatten, verdrängt und die »Dichter«, die nach den Vorstellungen der NS-Machthaber und der nationalsozialistischen Literaturkritik den Kanon des Dritten Reichs bestimmen sollten, an repräsentativer Stelle positioniert. Hinter den genannten...

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