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E-Book

Löw

Die Biographie

AutorMathias Schneider
VerlagUllstein
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl344 Seiten
ISBN9783843718493
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
STERN-Reporter Mathias Schneider berichtet seit 2001 über die Nationalmannschaft. Er verfolgte Löws Weg beim DFB seit dessen erstem Spiel als Assistenztrainer 2004 in Österreich bis zuletzt bei der Weltmeisterschaft in Russland aus nächster Nähe. Immer wieder traf sich Schneider in den vergangenen Jahren zu Interviews mit dem Bundestrainer. Nun hat er sich aufgemacht zu den Knotenpunkten in Löws Leben. Schneider zeichnet das spannende Psychogramm eines Weltmeister-Trainers, der sich in vielerlei Hinsicht treu geblieben ist. In seiner präzisen Rekonstruktion der WM 2018 zeichnet Schneider nach, warum Löw am Ende aber auch an sich selbst scheitern musste. Eine deutsche Geschichte über Loyalität und Loslassen, Aufstieg und Scheitern und die Frage, wann es an der Zeit ist, sich neu zu erfinden.

Mathias Schneider berichtet seit zehn Jahren als Sportreporter für den STERN, zuletzt auch für die Wissenschaft. Er ist Autor zahlreicher Titelgeschichten. Schneider traf in der Vergangenheit für Interviews wie Recherchen unter anderem internationale Topstars wie Roger Federer, Usain Bolt oder Maria Scharapowa. Er lebt mit Freundin und Tochter in Hamburg.

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Leseprobe

1

Ganz enge Ballführung – eine Schwarzwälder Kindheit

Manchmal, meist kurz vor den Ferien, die Verheißung langer Tage schon so nahe, keine Schule, keine Verpflichtungen, nur sie und dieses Spiel, das sie so liebten, manchmal also kratzten sie ihr Geld zusammen und beschlossen, aus ihrer kleinen Welt eine große werden zu lassen. Und sei es nur in ihrer Fantasie. Also gab jeder von ihnen fünfzig Pfennig, das war schon was an Geld Anfang der Siebzigerjahre. Sie kauften einen Pokal, wie sie ihn kannten, von Weltmeisterschaften, von Europameisterschaften, von deutschen Meisterschaften. Um diesen Pokal sollte es gehen bei der inoffiziellen Stadtmeisterschaft von Schönau.

Sie teilten ihren Ort in zwei Hälften, hier die Schönauer, wohnhaft mitten im Ort, dort die Jungs aus Brand, einer einen Kilometer entfernten Siedlung. Sie kauften sich unterschiedliche Trikots, um die Mannschaften besser unterscheiden zu können, und unterschiedliche Stutzen, auch das ihren Vorbildern nachempfunden – die Spenden der Omas und Opas machten es möglich. Dann traten sie in den Ferien täglich gegeneinander an, mal in Brand auf einer Wiese mit zwei Toren, ohne Netz, mal in Schönau auf einer Wiese in der Stadt. Zwei Wochen lang ging das so, bis der Sieger feststand. »Und glauben Sie nicht, dass das alles friedlich war, nur weil wir im Verein alle zusammen beim TuS Schönau gespielt haben. Von wegen. Da gab es Krach, Ärger, wie bei den großen Jungs«, sagt Werner Hornig, fester Händedruck, Konstantin-Wecker-Figur, kahler Schädel. »Der Jogi«, wie sie hier sagen, als wäre der bestimmte Artikel ein Teil des Namens, der sei natürlich mittendrin gewesen damals, als sie acht, neun Jahre alt waren.

Hornig, wie Löw schon immer der Fraktion der, nun ja, Städter zugehörig, hat an einem Mittwochnachmittag im März des Jahres 2018 in sein Reisebüro im Zentrum Schönaus geladen. Um auf dem Weg zurück in die Vergangenheit nicht gestört zu werden, hat er das Schild noch schnell auf »geschlossen« gedreht. Neben ihm hat Dietmar Krumm, Bürstenschnitt, Hemd, offener Blick, Platz genommen, einer der Burschen aus Brand von damals. Es scheint, dass selbst fünfzig Jahre nach den Schlachten um den Schönauer Dorfpokal der Kleinen die Kräfteverhältnisse gewahrt bleiben müssen.

Krumm, wie Hornig hier geboren und aufgewachsen, arbeitet heute als Hauptamtsleiter im Rathaus. Dort kommt ihm neben seiner Tätigkeit im Dienste der Stadt ein ähnlich bedeutsames Amt zu: Dietmar Krumm ist der inoffizielle offizielle Joachim-Löw-Beauftragte der Stadt Schönau. Wer etwas vor Ort über den jungen Jogi erfahren will, wird früher oder später seinen Weg kreuzen.

Krumm und Hornig kennen den jungen Jogi nicht nur von den sommerlichen Titanen-Kämpfen auf den Plätzen des Ortes. Sie wuchsen mit ihm heran. Sie spielten mit ihm auf dem sandbeschichteten Hartplatz vor der Löw’schen Ofensetzerei, direkt neben einer Schreinerei, ausgerüstet mit mächtigen Scheiben, unglücklicherweise direkt hinter dem Tor platziert. Nicht nur einmal klirrte das Glas. Vor allem aber stritten Krumm wie Hornig vor fast fünfzig Jahren Seite an Seite mit dem Stürmer Löw in der D-Jugend des ortsansässigen TuS Schönau.

Wie darf man sich das Spiel des jungen Jogi vorstellen?

»Kommen Sie um den Tisch herum, und schauen Sie es sich an«, antwortet Krumm und reicht eine CD an Hornig, die sogleich ins Laufwerk eines Computers wandert. Kurz darauf taucht eine Turnhalle auf, wie sie so auch heute noch zu Tausenden in deutschen Kleinstädten zu finden ist: heller Schwingboden, bestehend aus diesem seltsamen, wie stumpfen Gummi-Mix. Man sieht junge Buben, kaum älter als zehn, elf Jahre, und unter ihnen einen Steppke, den sie schon mitspielen lassen, weil sie jeden brauchen, vor allem, wenn er so viel besser ist als der Rest.

Der junge Steppke führt den Ball eng am Fuß, eng an beiden Füßen, um genau zu sein. Der Oberkörper verharrt ruhig – ein leichter Rundrücken –, als balancierte er einen Tennisball zwischen den Schulterblättern. Menschen, die den Steppke von damals heute als achtundfünfzigjährigen Senior in einer Soccerhalle bei Freiburg erleben, einmal die Woche, werden sein Spiel mit ähnlichen Worten beschreiben.

Der Junge lamentiert nicht auf dem Video, still läuft er ohne Pause durch die Halle, als triebe ihn eine Batterie an. Dann ist da noch die Frisur des Buben, er trägt die Haare zu einem schier unvergleichlichen Pilzkopf drapiert. Kein Zweifel, wen man da vor sich hat: Joachim Löw, voll in Aktion.

Er hat ja nie etwas anderes gewollt, als zu kicken, zunächst ohne Schuhe lief er dem Leder vor dem Haus hinterher, aufgerieben die Kinderfüße. Zwei Kilometer lagen zwischen seinem Elternhaus und dem offiziellen Vereinssportplatz am Ortsende. Mit dem Ball am Fuß dribbelte der kleine Jogi täglich hinüber und zurück, später die legendären Copa Mundial von adidas an den Füßen. Er trägt das Modell bis heute, ganz klassisch.

Immer wieder spielte Löw Doppelpass mit den an den Gehsteig angrenzenden Hauswänden. Wenn er selbst davon erzählt, wird sein Badisch etwas breiter, sein Ton weicher, wie man vor ein paar Jahren in einem Konferenzraum des Deutschen Fußball-Bundes in Frankfurt hören konnte: »Schon als ich ganz klein war, habe ich unbedingt mit dem Ball spielen wollen, stundenlang. Ich kam aus der Schule, der Ranzen flog ins Eck, essen, ganz schnell Hausaufgaben machen, dann raus – kicken. Der Ball hatte schon immer eine besondere Anziehungskraft auf mich. Wenn ich an den Ball denke, denke ich an Tore. Für mich war es immer ein unglaubliches Glücksgefühl, ein Tor zu schießen.« Er hat diesen Sport geliebt, wie es wohl nur Kinder tun können, die sich nicht wie heute täglich zwischen Tausenden Optionen auf Konsolen, Tablets und iPhones entscheiden müssen. Und Schönau, dieses 2500-Einwohner-Städtchen, das war sein Refugium.

Ein Refugium, das sich zumindest äußerlich kaum geändert hat. Das holzgetäfelte Ortsschild »Luftkurort Schönau – Schöne Au – komm und schau« begrüßt noch heute den Besucher. Nicht ohne Stolz prangt darunter der Zusatz: »Solarhauptstadt in Deutschland«. Wer das Dörfchen durchstreift, findet ein durchaus imposantes historisches Rathaus, in dem sich noch immer die Stadtverwaltung befindet. Der neunzig Meter hohe Glockenturm der römisch-katholischen Pfarrkirche ragt wie eine mächtige Lanzenspitze in den Himmel. Ein Freibad, ein Golfplatz, natürlich der sich im Tal am Ortsausgang an eine Böschung schmiegende Kunstrasenfußballplatz, dazu ein paar Gaststätten – doch all dies nährt nicht dauerhaft die Erinnerung. Es ist die zeitlose Ruhe, die sich eingräbt. Als schluckten die bewaldeten Hügel, an denen das Örtchen rund um den Dorfkern hinaufwächst, bis heute jeden Lärm einer fernen Zivilisation.

Kaum Arbeitslosigkeit, keine Drogen, viel Zufriedenheit, das muss der Humus für Löws Kindheit gewesen sein. Sie rücken hier, wo Winter noch wirkliche Winter sind, voller Eis und Schnee, zusammen. Man schwätzt miteinander, selbst dann, wenn man sich nicht ausstehen kann. Ein Viertele geht immer. Sie mögen beengt leben, doch engstirnig sind sie nicht, das Elsass mit seinem Weinanbau so nah. Sie arbeiten hier und wissen doch zu leben. Fleißig, akribisch, wie ein Bundestrainer namens Löw viel später immer wieder in seiner Arbeit betonen wird, das sind die Alemannen. Und stolz, auch das. Sie wissen, dass sie einen guten Deal mit dem Schicksal geschlossen haben, auch das macht sie in den Tiefen des Schwarzwaldes so gelassen.

So ist es immer gewesen, schon 1970. Seine erste WM erlebte der zehnjährige Jogi damals. Mexiko. Der späte Pelé! Der Hinterkopf von Uwe Seeler. Ausgerechnet Schnellinger! Nicht im elterlichen Wohnzimmer bestaunte der kleine Jogi seine Helden, dort stand damals noch kein Fernseher, sondern bei Verwandten der Mutter. Er stammt ja aus einer anderen Zeit, man sollte sich das gelegentlich vor Augen führen, wenn er heute in seinen taillierten Hemden über die Hightech-Welt des modernen Fußballs referiert, als wäre er schon als Projekttrainer auf die Welt gekommen.

Deutschland gegen England, Deutschland gegen Italien, das schauten sie damals alle gemeinsam, die Kinder vorn auf dem Boden, die Erwachsenen dahinter. Aus dem Joachim war da schon längst der Jogi geworden, nicht nur die drei jüngeren Brüder Markus, Christoph und Peter riefen ihn so, sondern das ganze Dorf, später ganz Freiburg und heute die ganze Nation. Nur für die Mutter Hildegard ist er immer »der Joachim« geblieben.

Der Vater Hans genoss das, was man in den Sechzigerjahren in einem Örtchen wie Schönau noch Ansehen nannte. Nicht irgendein Ofensetzer war er, vielmehr entstammte er einer Kachelofendynastie, das Unternehmen aus Oos, seit 1928 Stadtteil von Baden-Baden, war damals schon mehr als hundert Jahre alt. Öfen bauen, das lag Hans Löw in den Genen. Schnell gehörte er auch in Schönau mit seiner Frau Hildegard, geborene Lais, zu den so wohlhabenden wie respektierten Bewohnern des Ortes. Der Betrieb wuchs rasch, zwölf Angestellte führte er, denn Löw Senior verstand sich nicht nur auf sein Handwerk, er konnte auch hart arbeiten.

In den Krieg hatte er ziehen müssen und zählte nun zu jenen, die dem Land einen ungeahnten Aufstieg bescheren würden. Sich selbst gönnte er in all den Jahren nicht viel, eine Zigarre am Sonntag, ein ordentliches Essen und ein Viertele, mehr aber auch nicht. Das Geld wurde zusammengehalten, wie es sich gehörte, und den Betrieb für Wochen zu schließen, gar für ausgedehnte Urlaubsreisen ins Ausland, das gab es nicht.

Löw war ein guter...

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