Vorwort
Im vergangenen Jahr habe ich vier Diplom- und Bachelor-Arbeiten betreut, die sich mit dem Thema LOHAS beschäftigten. Unzählige Interviews, Interviewanfragen und Fragebögenaktionen (die zu unserer Überraschung fast alle aus wirtschaftlichen bzw. touristischen Studiengängen kamen) waren ebenfalls dabei. Nach Feuilleton und Marketing hat jetzt auch die Universität den Lifestyle of Health and Sustainability, kurz LOHAS genannt, entdeckt. Von einem künstlich erzeugten Hype kann schon lange keine Rede mehr sein. In den wichtigsten Branchen, bei den namhaftesten Unternehmen bekamen wir Gelegenheit, über das schillernde LOHAS-Phänomen zu sprechen (und selbst über den Lifestyle hinzuzulernen). Alle namhaften Marktforscher, allen voran AC Nielsen, Gf K und Allensbach, haben ihre Umfragesystematik auf die LOHAS, die wir gern auch moralische Hedonisten nennen, ausgerichtet. Wichtige Meinungsbildner wie der „Spiegel“ oder die „Brigitte“ preisen sich gegenüber der Anzeigenkundschaft als LOHAS-Medien an.
Gerhard Matzig hat die Aufregung um die LOHAS im November 2006 in der „Süddeutschen Zeitung“, zu dem Zeitpunkt also, als sich die großen nationalen Medien immer stärker für das Thema interessierten, mit folgenden Worten kommentiert:
„Hollywood fährt Hybrid, Angela Merkel katalysiert Europa, Heidi Klum trägt Birkenstock, Yello-Gründer Dieter Meyer züchtet in Argentinien Bio-Rinder, Star-Architekt Wolfram Sobek baut in Stuttgart einen Öko-Glas-Palast, die Generation Golf stürmt die Bio-Märkte. Tatsächlich tauchen auf Architekturkongressen, in Designschauen und auf den Automobilmessen Leute auf, die aussehen, als ob sie die Zeitschrift Hedonism Quarterly herausgeben – in Wahrheit interessieren sie sich für energieeffiziente Häuser, stromsparende Haushaltsgeräte, hybridgetriebene Autos und das Kyoto-Protokoll.“
Menschen verlassen die eingetretenen Pfade, es tritt eine Irritation im Sinngerüst unserer Welt ein, neue Verbindungen entstehen, Veränderungen, Widersprüche und unausgegoren Neues schießen zu einer verdichteten, semantisch aufgeladenen Situation zusammen, die wir einen Trend nennen. Und davon soll in diesem Buch die Rede sein: Von Trends, die unseren Lebensstil zu verändern beginnen und dies – unserer Einschätzung zufolge – auch noch in den nächsten zehn bis 15 Jahren tun werden. Was uns bei dem vorliegenden LOHAS-Buch wichtig war: Es geht um die gesellschaftlichen Voraussetzungen eines Trends, den wir im Zukunftsinstitut in den Jahren 2002/2003 als Erste für den europäischen Markt identifiziert haben und der seitdem eine ungeahnte Dynamik entwickelt hat (siehe den Beleg bei Wikipedia unter http://de.wikipedia.org/wiki/LOHAS).
In dem Buch Greenomics, das bei getAbstract mittlerweile als Bestseller geführt wird, ging es uns um die wirtschaftlichen Konsequenzen der Megatrends Neo-Ökologie. In dem vorliegenden LOHAS-Buch stehen kulturelle Hintergründe, sozialpsychologische Befunde, alltagsethnologische Beobachtungen und – wie sich das für Trendforscher gehört – Einblicke in Märkte und Marketing im Vordergrund.
Während wir den Lesern von Greenomics mithin eine Gebrauchsanweisung liefern wollten, wie sie mit dem Neo-Ökologie-Trend in ihrer Branche umgehen können, möchten wir mit dem LOHAS-Buch über die soziokulturellen Motive und Tiefenstrukturen dieses wirkungsmächtigen Trends informieren. Nach unserer Meinung ist das nicht weniger wichtig für denjenigen, der sich professionell und umfassend mit den LOHAS beschäftigen möchte. Allerdings ist der Gebrauchswert ein anderer. In Greenomics erhalten unsere Leser einen Überblick darüber, wo sich der Megatrend Neo-Ökologie bereits auf den weltweiten Märkten manifestiert hat. Wer sich indes intensiver mit dem Werte- und Mentalitätswandel auseinandersetzen möchte, der zweifellos in dem LOHAS-Trend enthalten ist, der sollte sich in das vorliegende Buch hineinknien.
Denn eines ist klar, und das haben wir bereits in Greenomics angedeutet: LOHAS-Lifestyle ist nicht der nächste Zielgruppen-Hype, der uns von aufgekratzten Marktforschern angedient wird. LOHAS sind eine gesellschaftliche Veränderungsbewegung, die mindestens bis 2030 unsere Märkte fundamental verändern wird. Als Trendanalytiker befassen wir uns in erster Linie mit gesellschaftlichen Veränderungsprozessen.
Was wir als Trend beschreiben, ist häufig nichts anderes als ein solcher Veränderungsprozess, der in der Gegenwart in Spuren und Fragmenten zu beobachten ist und dessen weitere Entfaltung – das versuchen wir stets anhand von Daten und Fakten zu belegen – das Leben (und das ökonomische Handeln) in der Zukunft signifikant beeinflussen wird. Wir unterscheiden Megatrends (Neo-Ökologie, Gesundheit, Alterung, neue Geschlechterbeziehungen, Digitalisierung, Globalisierung …), deren Halbwertzeit zwischen 30 und 50 Jahren liegen. Aus diesen Megatrends leiten sich gleichzeitig die meisten der Gesellschafts- und Konsumtrends ab, ihre Halbwertzeit liegt bei maximal zehn bis 15 Jahren. Mit dem LOHAS-Buch stellen wir Ihnen also einen einflussreichen Gesellschaftstrend vor, der einen fundamentalen Mentalitätswandel in der globalen Welt zur Folge hat und der ohne den Megatrend Neo-Ökologie schlechterdings nicht vorstellbar ist.
Megatrends sowie Konsum- und Gesellschaftstrends sind in der Welt des 21. Jahrhunderts entscheidend dafür verantwortlich, wie wir unser Leben in den nächsten Jahren gestalten. Mit unserem LOHAS-Buch legen wir Ihnen gewissermaßen die Geschichte der aktuellen und relevantesten Lebensstilveränderungen vor. Der Lebensstil der LOHAS, das ist unsere Überzeugung, beschreibt den Wertewandel, der unser Leben in den nächsten zehn bis 20 Jahren am einschneidendsten prägen wird. Unser Anspruch bei der Lebensstilanalyse der LOHAS war es, in die Tiefen-schichten dieses Mindsets vorzustoßen.
Und da sich LOHAS gern in paradoxale Konstellationen begeben, oder besser: in Konstellationen, die sich aus dem Blickwinkel der Lebensstilforschung des 20. Jahrhunderts überhaupt nicht zu einem stimmigen Lebensentwurf „zusammenzwingen“ lassen, setzt unsere Recherche an den unterschiedlichsten Stellen unserer Wirklichkeit an. Dass diese „Stellen“ jedoch signifikante Orte sind, die den Lebensstil der Zukunft authentisch beschreiben, das sei hier kurz angedeutet.
1. Authentisch sein: Die Geburt eines neuen Lebensstils
Wir beginnen unsere Analyse mit einem Begriff, der ebenso schillernd ist wie das Kürzel LOHAS selbst. Authentizität ist das, was die LOHAS in ihrem Leben, in ihrem Beziehungsleben und im Konsum suchen. Die Lebensstil-Revolution basiert unter anderem darauf, dass die moralischen Hedonisten nach Glaubwürdigkeit und Ursprünglichkeit suchen. Authentizität heißt aber auch, Produkte an die Hand zu bekommen, die die eigene Kreativität steigern und – wir werden das unter anderem am Beispiel von Apple zeigen – einen neuen Zugang zu neuen „Infrastrukturen des Genusses“ eröffnen.
2. Die acht Grundkoordinaten der LOHAS-Kultur
Im Anschluss daran erläutern wir Ihnen, wie die Grundkoordinaten der neuen LOHAS-Kultur schon heute aussehen und wie sie sich in Zukunft noch stärker in unsere zeitgenössischen Lebenswelten einschreiben werden. Wir erzählen Ihnen von acht Aufbrüchen in eine neue kulturelle Lebenswelt, die Regionales und Lokales wieder attraktiv findet, die sich nach dem Puren und Einfachen sehnt. LOHAS-Kultur heißt aber auch Abschied von der Comedy- und Ironiegesellschaft, die in den 1990er-Jahren unsere Weltsicht geprägt hat. Es heißt auch, dass damit eine neue Mikropolitik und ein neues Modell der Teilhabe in politischen Prozessen gesucht wird. Wie sehen diese Prozesse aus, wie stellen sich die LOHAS den politischen Prozess in der Zukunft vor?
3. Die Philosophie des Sowohl-als-auch
Dass zu dieser neuen Kultur- und Wertewelt auch ein neues Verständnis von Ideologie und Parteilichkeit gehört, versteht sich eigentlich von selbst. Ein grundlegend neues Mindset der LOHAS haben wir bei unseren Erkundungen in der Alltagskultur der moralischen Hedonisten in der Denkfigur des Sowohl-als-auch gefunden. Viele der LOHAS kennen soziale Bewegungen, haben sich dort engagiert, viele der älteren LOHAS (beziehungsweise die Eltern der LOHAS) haben ihre Erfahrungen mit der bundesrepublikanischen Ökologiebewegung der 1980er-Jahre gemacht. Die Frühphase dieser Ökologiebewegung war durch ein strenges Lagerdenken gekennzeichnet – wer gegen die...