1 Der erste Schritt ist manchmal der schwerste
»Man(n) geht doch nicht zum Arzt, um die Fruchtbarkeit untersuchen zu lassen?!«
Dieses Kapitel beschreibt die Situation von Männern, die sich mit dem Gedanken einer Fruchtbarkeitsuntersuchung befassen. Es stellt Vorbehalte, typische Reaktionen und Diskussionen mit ihren Partnerinnen dar und geht auf die Untersuchungssituation bei einem Urologen oder Andrologen ein. Es gibt Hinweise, wie genau eine solche Untersuchung durchgeführt wird und erläutert im letzten Teil, wie man sich als Mann auf eine solche Untersuchung praktisch und emotional vorbereiten kann.
Den meisten Männern fällt es nicht leicht, sich einer Untersuchung ihrer Fortpflanzungsfähigkeit zu unterziehen. Männer lassen sich, im Gegensatz zu Frauen, nicht regelmäßig untersuchen und für sie ist es ungewohnt, einen Arzt aufzusuchen, wenn sie sich eigentlich gesund und vital fühlen. Für Frauen hingegen sind regelmäßige gynäkologische Untersuchungen ab einem gewissen Alter Routine: Sie wissen, welche Untersuchungen vorgenommen und wie diese durchgeführt werden. Auch kommt hinzu, dass in manchen Fällen noch immer davon ausgegangen wird, dass der unerfüllte Kinderwunsch (vor allem) mit einer Störungen der weiblichen Fruchtbarkeit zusammenhängt: Männern wird erst dann zu einer Untersuchung geraten, wenn bei ihrer Partnerin keine Einschränkungen diagnostiziert wurden oder diese mit wenig invasiven Mitteln, z. B. mit Hormongaben, überwunden werden konnten, aber dennoch keine Schwangerschaft eintrat. Allerdings benötigen manche Männer auch in solchen Situationen länger, bis sie sich zu einer Untersuchung entschließen können:
Peter: »Nach vielen, vielen Versuchen ohne Erfolg stellte ich erst einmal die Fruchtbarkeit meiner Frau in Frage. Da uns der Nachwuchs sehr wichtig war, und bei unseren Freunden und Bekannten sich das Kinderglück bei einem nach dem anderen erfüllte, wurden wir schon recht nachdenklich. Das zeigt man aber nicht nach außen. Meine Frau ließ sich schließlich untersuchen, aber alle Befunde bei ihr waren unauffällig. Dann wurden erst einmal Tabellen aufgestellt, wann der Eisprung sei und wann die beste Zeit sei, schwanger zu werden. Aber das half nicht. Die Schwangerschaft stellte sich bei uns nicht ein. Also musste ich mich wohl oder übel auch untersuchen lassen, auch wenn ich mich fragte, was denn da nicht stimmen sollte. Einen Orgasmus hatte ich, auch Sperma war ja da, also ist man doch auch fruchtbar. Warum also, so fragte ich mich, sollte ich mich untersuchen lassen?«
Axel: »Zwei Jahre lang versuchten wir, ein Kind zu zeugen. In der Zeit hatten wir lange Diskussionen. Immer wieder überlegten wir, ob wir uns beide untersuchen lassen sollten und wer damit anfangen würde. Aber wir hatten beide auch Angst, dass die Ärzte wirklich etwas feststellen würden und unser Traum nach einem Kind platzen könnte. Meine Frau machte dann den Anfang und bei ihr war alles normal. Dann bestand sie drauf, dass auch ich mich untersuchen lasse solle. Aber ich hatte große Angst davor. Ich konnte mir ja ausrechnen, dass nur noch ich blieb, bei dem etwas festgestellt werden konnte. Also zögerte ich die Untersuchung immer wieder heraus, bis meine Frau dann weinend darauf bestand, weil sie mit der Ungewissheit nicht mehr leben konnte.«
Unfruchtbarkeit ist in der Regel nicht mit körperlichen Symptomen verbunden. Man kann Unfruchtbarkeit also nicht spüren und hat in der Regel auch keinerlei gesundheitliche Einschränkungen. Verständlicherweise gehen Männer davon aus, fruchtbar zu sein, wenn bei ihnen »alles« klappt, sie also Geschlechtsverkehr ohne Beeinträchtigungen haben können und sich auch ansonsten »potent« fühlen. Doch leider ist sexuelle Potenz nicht gleichzusetzen mit reproduktiver Potenz, das heißt, befriedigender Geschlechtsverkehr bedeutet nicht unbedingt, dass Sie auch ein Kind zeugen können. Vielleicht ist es auch gut, dass dieser Zusammenhang nicht besteht, denn Sie können durchaus ein zufriedenes Sexualleben haben, auch wenn bei Ihnen eine Fruchtbarkeitseinschränkung diagnostiziert wurde:
Michael: »Es fiel mir sehr schwer, mir vorzustellen, dass bei mir etwas nicht stimmte. Zwar war mir vom Kopf her klar, dass es auch an mir liegen könnte, aber richtig vorstellen konnte ich es mir nicht, denn ich fühlte mich absolut gesund. Ich zierte mich, und immer wenn meine Frau mich fragte, ob ich denn jetzt einen Arzt gefunden hätte, wich ich ihr aus und versuchte das Thema zu wechseln. Irgendwann wurde sie wütend und dann ging ich es an. Aber es dauerte ganz schön lange.«
Manche Männer sind so zuversichtlich, dass bei ihnen keine Störung vorliegt, dass sie sich über die möglichen Folgen einer solchen Untersuchung wenig Gedanken machen:
Simon: »Ich dachte nicht lange darüber nach, was eine Untersuchung ergeben könnte. Im Nachhinein würde ich mich als recht naiv bezeichnen, denn unbewusst ging ich natürlich davon aus, dass der Arzt bei mir nur feststellen würde, dass alles O.K. sei. Ein anderes Ergebnis war für mich überhaupt nicht möglich. Es kam allerdings anders, und der Schock für mich war immens.«
Laut der Definition der Weltgesundheitsorganisation spricht man von Unfruchtbarkeit, wenn eine Frau innerhalb eines Jahres, in dem sie regelmäßig ungeschützten Geschlechtsverkehr hatte, nicht schwanger geworden ist. Wenn Sie sich ein Kind wünschen, kann es jedoch unter bestimmten Umständen sinnvoll sein, bereits vor Ablauf dieser Zeit ihre Fruchtbarkeit untersuchen zu lassen, nämlich wenn Sie oder Ihre Partnerin älter als 35 Jahre sind bzw. wenn Sie wissen oder vermuten, dass bei Ihnen eine Fruchtbarkeitsstörung vorliegen könnte.
Hinweise auf Fruchtbarkeitsstörungen
(Dohle et al. 2009, Mendiola et al. 2009)
- Hodenhochstand im Kindesalter
- Mumps in der Pubertät
- Leistenbruchoperation
- Verletzungen an Hoden oder Penis
- Krampfadern (Varikozele) am Hoden, die operiert wurden
- Infektion der Samenwege
- deutlich untypischer Körperbau oder Behaarung
- Nikotin-, Alkohol- oder Drogenmissbrauch
- starkes Übergewicht
- andauernder beruflicher Umgang mit Umweltgiften
Eine Untersuchung Ihrer Fruchtbarkeit können Sie bei Urologen1 oder Andrologen durchführen lassen. Adressen finden Sie im Telefonbuch oder im Internet, auch können Sie Ihren Hausarzt danach fragen. Bei einer Untersuchung wird zunächst ein ausführliches Anamnesegespräch geführt. Sie werden nach Ihrem Sexualleben gefragt, nach möglichen Ejakulations- oder Erektionsstörungen, danach, wie häufig Sie Geschlechtsverkehr haben und ob Sie Schmerzen dabei haben. Auch wird der Arzt erfragen, ob es berufliche oder private Belastungen gibt und er wird nach der Gesundheit von Familienangehörigen fragen, da dies ggf. Hinweise auf eine genetische Belastung geben kann. Im Anschluss erfolgt eine Untersuchung. Zunächst wird sich der Arzt ein Bild davon machen, ob es aufgrund Ihres Körperbaus oder Ihres Behaarungstyps einen Verdacht auf eine hormonelle oder genetische Störung gibt. Danach wird eine Tastuntersuchung an den Hoden vorgenommen. Die Größe und Festigkeit können Hinweise auf eine Funktionsstörung geben, eine deutliche Empfindlichkeit der Nebenhoden kann beispielsweise auf eine chronische Entzündung hinweisen. Auch ist es wichtig, die Hoden per Tast- oder Ultraschalluntersuchung nach Krampfadern zu untersuchen, da diese die Spermaproduktion beeinträchtigen können.
Als nächstes werden Sie gebeten, eine Samenprobe abzugeben. Sie können die Samenprobe bei dem Arzt oder zuhause durch Masturbation gewinnen. Falls Sie die Samenprobe von zuhause mitbringen, müssen Sie darauf achten, dass sie spätestens nach einer Stunde im Labor ist und bis dahin bei Körpertemperatur aufbewahrt wurde. Sie werden gebeten, vor der Abgabe der Samenprobe eine Karenzzeit (Zeit ohne Samenerguss, also ohne Geschlechtsverkehr oder Masturbation) von 4–5 Tagen einzuhalten. Ein zu kurzer Abstand zum letzten Samenerguss kann die Samenzahl beeinträchtigen und eine zu lange Wartezeit zwar die Zahl verbessern, jedoch die Beweglichkeit der Samenfäden möglicherweise verschlechtern. Das Sperma wird dann nach mehreren Kriterien untersucht: Als erstes wird die Verflüssigung überprüft. Normalerweise verflüssigt sich das zähe Ejakulat nach ca. 30 Minuten, um ein sofortiges Herausfließen aus der Scheide zu vermeiden. Danach wird das Volumen gemessen; dieses sollte mindestens 2 ml betragen. Im Anschluss erfolgt eine mikroskopische Untersuchung der Beweglichkeit (Motilität), der Form (Morphologie) und der Konzentration des Spermas. Beim so genannten MAR-Test (Mixed-Antiglobulin-Reaction-Test) wird nach Sperma-Antikörpern gesucht. Antikörper können Spermien miteinander verklumpen, was die Beweglichkeit erheblich einschränkt. Gemäß den Vorgaben der Weltgesundheitsorganisation zeigen folgende Werte ein normales Spermiogramm an:
WHO-Kriterien für ein Spermiogramm
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