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E-Book

Mao

Das Leben eines Mannes, das Schicksal eines Volkes

AutorJon Halliday, Jung Chang
VerlagBlessing
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl976 Seiten
ISBN9783641148430
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
Mythos und Massenmörder - die Wahrheit über Mao Tse-tung
Es war nicht das Wohl seines Volkes, das Mao Tse-tung, dem Großen Vorsitzenden der Volksrepublik China, am Herzen lag. Es war auch nicht die kommunistische Ideologie, obwohl er ihren weltweiten Sieg anstrebte. Das Motiv von Maos Handeln war ausschließlich und zu jeder Zeit sein absoluter Wille zur Macht. Ob auf persönlicher, auf nationaler, auf internationaler Ebene - sein Machthunger war grenzenlos. Mao Tse-tung hat nicht alle, aber viele seiner Ziele erreicht, und China hat teuer dafür bezahlt: mit dem Leben von 70 Millionen Menschen.
Kein Buch über China hat je mehr Leser und Anhänger gefunden als Jung Changs Erinnerungsbuch WILDE SCHWÄNE, das in 30 Sprachen übersetzt und zehn Millionen Mal verkauft wurde. Jetzt erscheint ihr lang erwartetes neues Werk - eine bahnbrechende Biographie über Mao Tse-tung, den Mann, dem es gelang, sich auf vielfach gewundenen Pfaden zum Alleinherrscher über Hunderte Millionen Menschen aufzuschwingen.
Jung Chang hat die letzten zwölf Jahre damit verbracht, allen Spuren dieses Menschen nachzugehen, der zu den einflussreichsten politischen Gestalten des 20. Jahrhunderts gehörte, dessen Aura Staatsmänner in aller Welt beeindruckte, und dessen Gedanken und Worte in millionenfacher Verbreitung in zahllosen Ländern auf Begeisterung stießen. Doch der Mann, den sie in ihrem Buch für den Leser lebendig werden lässt, weist ganz andere Züge auf - es sind sehr viel hässlichere.
Die jahrelangen Recherchen in allen relevanten Archiven und die zahllosen Gespräche mit Zeitzeugen - mit Politikern in Ost und West, die mit Mao in Berührung gekommen waren, mit unbekannten chinesischen Betroffenen, mit Führungsfiguren aus Maos engsten Zirkeln, die sich nie zuvor geäußert hatten - haben die Autorin in die Lage versetzt, endlich und zum ersten Mal ein wahrheitsgetreues, ein realistisches Bild jener Epoche aufzuzeigen, kein von kommunistischen oder persönlichen Machtinteressen gefärbtes und verbrämtes. Und so gelingt es ihr, die Wahrheit hinter zahlreichen, von den Kommunisten gehegten und gepflegten Mythen ans Licht zu bringen und viele, teils von Mao vorsätzlich und gekonnt verbreitete Falschdarstellungen zu entlarven.


Jung Chang, geboren 1952 in China, lebt seit 1978 in London. Für ihr autobiografisches Buch »Wilde Schwäne«, das in über zwölf Ländern auf Platz 1 der Bestsellerlisten stand und sich weltweit mehr als 10 Millionen Mal verkaufte, erhielt sie zahlreiche Preise. Auch ihre aufsehenerregende Biografie »Mao« (Blessing, 2005) war ein internationaler und deutscher Bestseller. Zuletzt erschien die Biografie »Kaiserinwitwe Cixi« bei Blessing (2014).

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Leseprobe

1


Eintritt in die Moderne (1893–1911, 1–17 Jahre)


Mao Tse-tung, der jahrzehntelang absolute Macht ausübte über das Leben eines Viertels der Weltbevölkerung, war verantwortlich für über 70 Millionen Tote in Friedenszeiten – kein anderer politischer Führer des 20. Jahrhunderts reicht hier an ihn heran. Mao wurde als Sohn einer Bauernfamilie geboren, die in der Provinz Hunan in einem Tal namens Shaoshan lebte, mitten im Herzen Chinas. Man schrieb den 26. Dezember 1893. Seine Vorfahren lebten seit 500 Jahren in diesem Tal.

Es war eine Welt uralter Schönheit, ein Landstrich mit einem gemäßigten, feuchten Klima und nebelverhangenen, welligen Hügeln, die seit der Jungsteinzeit besiedelt waren. Die buddhistischen Tempel stammten noch aus der Tang-Dynastie (618–906 n.Chr.), als der Buddhismus nach China kam, und sie wurden immer noch besucht. Ausgedehnte Bergwälder, in denen fast 300 verschiedene Baum- und Straucharten wuchsen, darunter Ahorn, Kampfer, Urwelt-Mammutbäume und der seltene Ginkgo, boten Tigern, Leoparden und Wildschweinen Unterschlupf. (Der letzte Tiger wurde 1957 erlegt.)

Die Berge, in denen es weder Straßen noch schiffbare Flüsse gab, schirmten das Dorf von der Außenwelt ab. Selbst eine Nachricht von so großer Tragweite wie die vom Tod des Kaisers 1908, drang nicht bis in die Bergdörfer vor, und so erfuhr Mao erst zwei Jahre später davon, als er Shaoshan verließ.1

Das Tal von Shaoshan misst ungefähr 5 auf 3,5 Kilometer. Die etwa 600 Familien, die dort lebten, bauten Reis, Tee und Bambus an und hielten Wasserbüffel, mit denen sie die Reisfelder bearbeiteten. Schon seit Jahrhunderten hatte so der Alltag ausgesehen. Maos Vater Yi-chang wurde 1870 geboren. Im Alter von zehn Jahren wurde er mit einem 13-jährigen Mädchen aus einem etwa zehn Kilometer entfernten Dorf verlobt, das jenseits eines Passes lag, der »Pass, wo Tiger ruhen« genannt wurde, weil sich dort Tiger sonnten. Trotz der geringen Entfernung sprachen die Dorfbewohner so unterschiedliche Dialekte, dass sie sich untereinander kaum verständigen konnten. Als Mädchen erhielt Maos Mutter keinen Namen; sie war die siebte Tochter in der Familie Wen und hieß daher einfach Siebte Schwester Wen. Gemäß der jahrhundertealten Tradition waren ihr die Zehen gebrochen und die Füße gebunden worden, um sie am Wachsen zu hindern, damit sie dem damaligen Schönheitsideal der »Lotusfüße« entsprachen.

Die Verlobung der Kinder entsprach einer altehrwürdigen Tradition. Sie wurde von den Eltern arrangiert und basierte auf praktischen Überlegungen: Ein Großvater des Mädchens war in Shaoshan begraben, das Grab musste regelmäßig besucht und gepflegt werden, also würde es nützlich sein, eine Verwandte im Dorf zu haben. Siebte Schwester Wen zog nach der Verlobung zu den Maos und wurde 1885 als 18-Jährige mit dem 15-jährigen Yi-chang verheiratet.

Kurz nach der Hochzeit verpflichtete sich Yi-chang als Soldat, um Geld zu verdienen und damit die Schulden der Familie abzubezahlen, was ihm nach einigen Jahren auch gelang. Die chinesischen Bauern waren keine Leibeigenen, sondern frei. Es war allgemein üblich, dass man sich aus rein finanziellen Gründen zum Militär meldete. Yi-chang hatte Glück, er musste nicht im Krieg kämpfen, sondern lernte ein wenig die Welt kennen und schnappte ein paar Geschäftsideen auf. Im Gegensatz zu den meisten Dorfbewohnern konnte Yi-chang lesen und schreiben, und zwar gut genug, um seine Bücher zu führen. Nach seiner Rückkehr züchtete er Schweine und verarbeitete seine Reisernte zu Reis bester Qualität, den er in einem nahe gelegenen Marktstädtchen verkaufte. Er kaufte das Land zurück, das sein Vater verpfändet hatte, erwarb noch Land dazu und wurde zu einem der reichsten Männer im Dorf.

Obwohl Yi-chang relativ wohlhabend war, arbeitete er sein ganzes Leben lang hart und war sehr sparsam. Die Familie bewohnte sechs Zimmer in einem Flügel eines strohgedeckten Hofes. Später ersetzte Yi-chang das Stroh durch Ziegel, was eine erhebliche Verbesserung bedeutete, die Lehmwände und den Boden aus gestampfter Erde aber beließ er. Die Fenster hatten keine Scheiben, denn Glas war damals noch ein seltener Luxus. Die rechteckigen Fensteröffnungen mit hölzernen Stäben wurden nachts mit Holzläden verschlossen (die Temperatur sank selten unter den Gefrierpunkt). Die Möbel waren einfach: Holzbetten, schlichte Holztische und -bänke. In einem dieser spartanischen Räume, unter einer blauen, selbstgewebten Baumwolldecke und einem blauen Moskitonetz, wurde Mao geboren.2


Mao war der dritte Sohn, aber der erste, der das Säuglingsalter überlebte. Das machte seine buddhistische Mutter noch frommer, und sie bat Buddha immer wieder, ihren Sohn zu beschützen. Mao erhielt den zweiteiligen Namen Tse-tung. Tse bedeutet »auf etwas scheinen«; dieser Name wurde allen Familienangehörigen seiner Generation gegeben, denn so hatte es die Familienchronik im 18. Jahrhundert festgelegt.3 Tung heißt »der Osten«; der ganze Name bedeutet daher »auf den Osten scheinen«. Als 1896 und 1905 zwei weitere Jungen geboren wurden, erhielten sie die Namen Tse-min (min bedeutet »das Volk«) und Tse-tan (tan bezog sich vermutlich auf die Region Xiangtan).

In den Namen spiegelte sich die tief verwurzelte Hoffnung der chinesischen Bauern, dass ihre Söhne im Leben Erfolg haben würden – und die Erwartung, dass dieser Erfolg möglich war. Hohe Ämter standen allen Chinesen offen, vorausgesetzt, sie verfügten über die entsprechende Bildung – die seit Jahrhunderten mit dem Studium der konfuzianischen Klassiker gleichgesetzt wurde. Hervorragende Leistungen ermöglichten es jedem jungen Mann unabhängig von seiner Herkunft, die kaiserlichen Prüfungen zu bestehen und ein Mandarin zu werden – es sogar bis zum Ministerpräsidenten zu bringen. Das Beamtentum war der Schlüssel für eine erfolgreiche Karriere. Die Namen drückten die Erwartungen aus, die in Mao und seine Brüder gesetzt wurden.

Ein großer Name konnte aber auch erdrückend sein und das Schicksal herausfordern, daher erhielten die meisten Kinder einen Kosenamen, der Bescheidenheit oder Härte oder auch beides signalisieren sollte. Mao war »der Junge aus Stein« – Shi san ya-zi. Zu seiner zweiten »Taufe« nahm seine Mutter ihn mit zu einem knapp zweieinhalb Meter hohen Fels, der als magisch galt, weil darunter eine Quelle entsprang. Mao erwies dem Felsen seine Ehrenbezeugungen und machte seine Kotaus. Danach galt er als Schützling des Steins, der Fels hatte ihn »adoptiert«. Mao mochte seinen Kosenamen sehr und benutzte ihn auch noch als Erwachsener. Als er 1959 nach Shaoshan zurückkehrte und die Dorfbewohner zum ersten (und einzigen) Mal als der Große Vorsitzende wiedersah, scherzte er zu Beginn des Essens: »Nun sind alle da, außer meiner steinernen Mutter. Sollen wir auf sie warten?«4

Seine richtige Mutter liebte Mao mit einer Intensität wie niemanden sonst. Sie war eine sanfte und tolerante Frau, die, wie er sich erinnerte, nie die Stimme gegen ihn erhob. Von ihr hatte er sein volles Gesicht, die sinnlichen Lippen und die ruhige Selbstbeherrschung in seinem Blick. Sein ganzes Leben lang sprach Mao voller Zuneigung von seiner Mutter. Nach ihrem Vorbild wurde er als Kind Buddhist. Jahre später erzählte er seinem Stab: »Ich verehrte meine Mutter … Ich folgte ihr überallhin … ging zum Tempel, verbrannte Räucherstäbchen und Papiergeld, huldigte Buddha … Weil meine Mutter an Buddha glaubte, glaubte ich auch daran.«5 Als Jugendlicher wandte er sich jedoch vom Buddhismus ab.

Mao hatte eine sorgenfreie Kindheit.6 Bis zum Alter von acht Jahren lebte er bei der Familie seiner Mutter, den Wens, in ihrem Dorf, weil seine Mutter sich lieber bei ihren Leuten aufhielt. Seine Großmutter mütterlicherseits liebte ihn abgöttisch. Seine beiden Onkel und deren Frauen behandelten ihn wie ihren eigenen Sohn, und einer von ihnen wurde zu seinem »adoptierten Vater«, der chinesischen Entsprechung des Taufpaten. Mao verrichtete leichte Arbeiten auf dem Hof, er sammelte Futter für die Schweine oder hütete die Büffel in den Kamelienhainen an einem von Bananenblättern beschatteten Teich. In späteren Jahren erinnerte sich Mao gern an diese idyllische Zeit. Während seine Tanten im Licht einer Öllampe spannen und nähten, lernte er lesen.


Im Alter von acht Jahren kehrte Mao im Frühjahr 1902 nach Shaoshan zurück, wo er im Haus eines Privatlehrers Unterricht erhielt. Die konfuzianischen Klassiker, die den Großteil des Unterrichtsstoffes ausmachten, überstiegen das Begriffsvermögen eines Kindes und mussten daher auswendig gelernt werden. Mao hatte ein außergewöhnliches Gedächtnis und war ein guter Schüler.7 Seine Mitschüler erinnerten sich an einen fleißigen Jungen, der die schwierigen Texte nicht nur auswendig aufsagen, sondern auch niederschreiben konnte. Mao machte sich außerdem mit den Grundlagen der chinesischen Sprache und Geschichte vertraut und bildete sich in den Künsten des Prosaschreibens, der Kalligraphie und der Poesie, denn das Verfassen von Gedichten war ein wichtiger Bestandteil der konfuzianischen Erziehung. Das Lesen wurde für ihn zu einer Leidenschaft. Die Dorfbewohner gingen in der Regel bei Sonnenuntergang zu Bett, um Öl für die Lampen zu sparen, doch Mao las im Schein einer Öllampe, die außerhalb seines Moskitonetzes auf einer Bank stand, bis tief in die Nächte hinein. Jahre später, als er der höchste Herrscher Chinas war, bedeckten ganze Bücherstapel, die chinesischen Klassiker, die Hälfte seines riesigen Bettes, und in seine Reden und Schriften streute er gern historische Bezüge ein. Seine...

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