Ex oriente lux
Der Nahe Osten ist das Thema meines Lebens, dank ihm wurde ich zu der, die ich bin. Wie es dazu kam, ist eine Geschichte mit Höhen und Tiefen, von der ich manches, aber nicht alles erzählen will. Einen Anfang nahm dieses Leben für den Nahen Osten im Sommer 1982, als der Libanon heftig brannte, einen anderen 1969 in Jordanien, wo ich einen kurzen Teil meiner Kindheit verbrachte. Die Lebenspfade der letzten bald fünfzig Jahre führten immer wieder in den Orient. Meine Lektionen aus diesen teils abenteuerlich schönen, teils bedrückenden Erfahrungen nahm ich mit in den Westen. So erwarb ich eine homöopathische Dosis Fatalismus und lernte bei jeder Reise aufs Neue, wie sich das Leben auch in widrigen Zeiten meistern lässt.
Dauerhaft könnte ich mir ein Leben im Nahen Osten nicht vorstellen, obwohl mich anfänglich die arabischen Großfamilien in ihren Bann gezogen hatten. Der Orient ist aber mit all seiner Intensität und Tragik ein Stück von mir. Wann immer ich mich abwenden wollte, holte er mich ein und ich blieb ihm verbunden. So versuche ich zu erklären, warum die Situation ist, wie sie ist, verworren und oft voller Überraschungen, und wir uns den Umbrüchen in dieser Weltecke nicht entziehen können. Denn der Nahe Osten ist Europa sehr nahe, dafür sorgen die Menschen und die Geografie.
Zu einem Zeitpunkt, an dem man sich „normalerweise“ für Jungs und Ausgehen interessieren sollte, verliebte ich mich gleichsam in einen unlösbaren Konflikt. Es war im Sommer 1982, als ich in Frankreich als Kindermädchen einige Wochen an der französischen Atlantikküste verbrachte und abends mit dem Wörterbuch in der Hand die Nachrichten aus dem Kriegsgeschehen im Libanon gebannt verfolgte. Ich wollte unbedingt verstehen, wer hier gegen wen und warum kämpfte, und begann alles, was mir in die Hände fiel, zu lesen und niederzuschreiben. Es war damals nicht absehbar, dass daraus ein Engagement für das weitere Leben werden würde. Aufmerksame Lehrer nützten meine jugendliche Expertise und schickten mich für Gastreferate quer durch das Schulgebäude. In Vorbereitung auf die Matura hatte ich als Autodidakt die ersten Grundlagen rund um den Konflikt erworben. Binnen Kurzem verbanden Mitschüler mit meinem Namen den Libanon und wunderten sich nicht mehr über Post des libanesischen Präsidenten Amin Gemayel, die ich freudig in die Schule mitbrachte. Sieben Jahre später lernte ich ihn schließlich in seinem Pariser Exil kennen, es entstand eine ganz besondere Freundschaft, die bis heute währt. Später würde ich Briefe an Hafez al-Assad, Ayatollah Khomeini und Menachem Begin schreiben, um die Freilassung politischer Häftlinge aus den Gefängnissen Syriens, des Irans und Israels einzufordern. So verfasste ich mit wachsender Routine offizielle Korrespondenzen, versehen mit bunten österreichischen Briefmarken, die ich aus eigener Tasche bezahlte. Organisatorisch erwarb ich mir Sporen mit Unterschriftensammeln und Demonstrationen gegen den Krieg im Libanon und diversen politischen Engagements. Dazwischen pflegte ich in einem Hospiz in Jerusalem jüdische Patienten kurz vor ihrem Abschied aus dem Leben, auch wenn ich lieber in einem Kindergarten mit arabischen Kleinkindern gespielt hätte. Die Arbeitssuche in Jerusalem ließ mich 1984 am Ende der menschlichen Existenz landen. Über Tod und Sterben, vor allem über das lange Warten bis zum Endlich-sterben-Können, lernte ich einiges zwischen der täglichen Betreuung der Patienten, zaghaften oder ergiebigen Gesprächen am Totenbett, Nachtdiensten in einem alten Gemäuer gegenüber der noch viel älteren Stadtmauer von Jerusalem, wo die Panzer im Dunkel der Nacht nach Norden in den Libanon zum Töten rollten, und letztlich dem Waschen der vom Krebs schon lange zuvor ausgemergelten Leichen, die wir in den Kühlraum des Krankenhauses brachten. Dieser Tod der Alten und Kranken war immer Erlösung.
Ganz anders sollte es sich mit den kleinen Krebspatienten aus Libyen verhalten, die ich im Wiener Allgemeinen Krankenhaus rund zwei Jahre betreuen half. Ihr Leiden ließ mich rebellieren. Indem wir Arabisch sprachen, half ich beim Übersetzen und wollte mich nützlich machen. Die Gelassenheit und der Humor, die diese kleinen tapferen Wesen mit den von Infusionen geschundenen Venen ausstrahlten, haben sich tief in die Erinnerung eingegraben. Später erlebte ich ein anderes abruptes und junges Sterben im Beirut der Bürgerkriegstage, als Checkpoints rivalisierender Gruppen die Viertel zerrissen, kleine Distanzen Nervenproben waren, Autobomben das Leben zum Spießrutenlauf machten und junge Milizionäre vollgepumpt mit Drogen aus Langeweile auf alles schossen, was sich bewegte. All dieses Morden unter Berufung auf einen barmherzigen Gott zieht sich wie eine dicke Blutspur durch die Geschichte der Menschheit. Was mir die Generation der Großeltern, die als Kinder den Großen Krieg und dann als Erwachsene das Massensterben des Zweiten Weltkriegs überlebten, vom Tod erzählt hatten, erlebte ich da und dort in der unendlichen Geschichte des Nahostkonflikts.
Ich war 22 Jahre alt, als ich 1987 mit den Recherchen für meine völkerrechtliche Dissertation zu den Grenzen im Nahen Osten an der Hebräischen Universität von Jerusalem begann, und hatte bereits mein ganzes Leben, all mein Sehnen und Streben auf die Nahostfrage ausgerichtet. Es sollte mir einige Jahre später zu viel werden, denn ich meinte in jugendlichem Überschwang mit all dem karitativen und politischen Engagement den Nahen Osten retten zu müssen und scheiterte entsprechend. Doch ich konnte aus meiner Entschlossenheit nicht mehr heraus. So erinnere ich mich gut an einen Moment in der Bibliothek der Orient-Gesellschaft in Wien, wo ich zwischen juristischer Fakultät und Orientalistik einen Abendkurs in Arabisch absolvierte. Zufällig stieß ich auf das Buch „Die sieben Säulen der Weisheit“ von Thomas E. Lawrence und las im Vorwort: „Mache niemals die Sache einer anderen Nation zu Deiner eigenen.“ Zwar begriff ich sofort, was jene schillernde Figur des „Lawrence von Arabien“ damit gemeint hatte, er war royalistischer als der König für die Anliegen eines anderen Volkes aufgetreten. Irgendwie steuerten all mein Denken und Streben nur mehr in Richtung Libanon, wo ich glaubte, unbedingt einen Beitrag zum Frieden leisten zu müssen. Doch sah ich mich mit dem Zynismus, der Brutalität und vor allem der Dummheit der eitlen Warlords in politischen Ämtern konfrontiert, die auch dreißig Jahre später noch das Sagen haben. Es dauerte, bis ich wieder einen inneren Kompass fand und nicht mehr das tiefe Unbehagen hatte, mich zu verirren. Dabei wollte ich unbedingt die Wahrheit über das Gemetzel im Namen von nationaler Sicherheit und religiösem Eifer ergründen. Dass ich hierbei nicht fündig wurde, erklärt sich von selbst.
Etwas für die Menschen und den Frieden im Nahen Osten zu tun, war letztlich auch der Hauptgrund, warum ich beschloss, in den diplomatischen Dienst der Republik Österreich einzutreten, wo ich als junge Referentin in der Nahostabteilung den surrealen Sommer 1990 rund um die damaligen Vorbereitungen des Krieges gegen den Irak erlebte. Auf einen Außeneinsatz in den Nahen Osten wurde ich aber nicht entsandt. Viele Jahre später begann ich als Journalistin über die neuen Kriege der alten Konflikte zu schreiben. Danach erstellte ich Lehrveranstaltungen zur Geschichte des arabisch-israelischen Dilemmas, um verschüttetes Wissen freizulegen. Ich wollte mich über den Unterricht vom Tagesjournalismus freischaufeln, den ich einige Jahre für mehrere deutsche Zeitungen intensiv betrieben hatte, der aber nicht meine Berufung war. Doch bei allem Gefallen an der Lehre sah ich meine Zukunft nicht vorrangig in einer universitären Funktion. Vielmehr lockte mich stets die Möglichkeit, zwischen den Welten zu wandern, im Räumlichen, aber noch viel mehr im Kopf.
Von der Fragenden wurde ich schließlich zur Interviewten, die im Österreichischen Rundfunk (ORF) die jeweils aktuellen Entwicklungen kommentierte, in vielen Debatten rund um den Irakkrieg von 2003 Position bezog, gegen den unseligen „War on Terror“ aufbegehrte und sich mit kritischer Stimme so manche Hetze gegen die eigene Person einhandelte. Letztlich begann ich mich in die energiepolitischen Fragen einzuarbeiten. In der Bibliothek der Organisation Erdöl exportierender Länder (OPEC) in Wien und in der Beobachtung vieler Konferenzen der Erdölproduzenten sowie zahlreicher Recherchen zwischen Algerien, dem Iran und Zentralasien erarbeitete ich mir eine neue Expertise, in die ich ein historisches Schlaglicht und vor allen Dingen menschliche Erfahrung einzubringen suchte.
In all diesen Phasen meines Lebens im und für den Nahen Osten spielten viele bemerkenswerte Menschen eine Rolle. Frauen und Männer unterschiedlicher Herkunft und Lebensanschauung, die mich einiges lehrten. Zum einen waren es arabische Familien in Jerusalem, die mir mit menschlicher Wärme und Großzügigkeit begegneten, die ich von zu Hause nicht kannte. Zum anderen lernte ich beim Beobachten unbekannter Helden im kriegserschütterten Beirut der späten 1980er-Jahren eines: Es kommt nicht darauf an, irgendwie zu überleben, sondern in Anmut und Würde. So wurde vor allem...