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Meine Mama war Widerstandskämpferin

Netzwerke des Widerstands und dessen Bedeutung für die nächste Generation

AutorBrigitte Halbmayr, Helga Amesberger, Simon Clemens
VerlagPicus
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl304 Seiten
ISBN9783711754127
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Junge Frauen im Widerstand werden nach der Niederschlagung des Nationalsozialismus zu Müttern, die eine neue Generation prägen: Welchen Beitrag zur Demokratisierung haben sie geleistet? Der organisierte Widerstand gegen den Nationalsozialismus wird zumeist männlich gedacht - doch auch Frauen betätigten sich: Sie waren nicht unpolitisch und passiv, ihr Widerstand war nicht auf den humanitären Bereich beschränkt. Wer waren diese Frauen? Wie waren sie organisiert? Eindrucksvoll legen die Autorinnen und der Autor anhand von Einzelschicksalen dar, in welche Netzwerke diese Frauen eingebunden waren und wie ihr Widerstand aussah. In konsequenter Folge wird auch das Weiterwirken untersucht: In Interviews mit Söhnen und Töchtern der Widerstandskämpferinnen werden nicht nur die Auswirkungen der Widerstandstätigkeit auf Mutter und Familie, sondern auch die innerfamiliäre Tradierung von Narrativen sowie politischem Bewusstsein ergründet.

Helga Amesberger ist Ethnologin und Politikwissenschaftlerin am Institut für Konfliktforschung in Wien. Zu ihren langjährigen Forschungsschwerpunkten zählen die Verfolgung von Frauen im Nationalsozialismus, Pros­titutionspolitik und Gewalt gegen Frauen. Simon Clemens studierte in Bonn Philosophie, Politikwissenschaften und Soziologie und studiert Soziologie an der Freien Universität Berlin. Er arbeitet für die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) und die Freie Universität Berlin. Brigitte Halbmayr ist Soziologin und Politikwissenschaftlerin am Institut für Konfliktforschung in Wien. Sie beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit der Verfolgung von Frauen im Nationalsozialismus und Biografieforschung.

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Leseprobe

II. ÖSTERREICH ZWISCHEN 1918 UND 1945


»Wenn ich versuche, für die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, in der ich aufgewachsen bin, eine handliche Formel zu finden«, schreibt Stefan Zweig, »so hoffe ich am prägnantesten zu sein, wenn ich sage: es war das goldene Zeitalter der Sicherheit.« (2014, 18) Zweig charakterisiert in »Die Welt von Gestern« das geistige und kulturelle Wien seiner Zeit und zeichnet dabei ein Bild, das – in individueller, kultureller wie auch politischer Hinsicht – geprägt ist von einem liberalen Zeitgeist. Ein Bild, das von der Pluralität der Ethnien und Sprachen, die für die Monarchie der Jahrhundertwende kennzeichnend war, komplementiert wird. Seine Charakterisierung muss dabei den Vergleich mit wissenschaftlichen Betrachtungen dieses Zeitraums nicht fürchten, so weist etwa der Politikwissenschaftler Anton Pelinka darauf hin, dass es im alten Österreich keine österreichische Nationalität, im Sinne einer Kultur- bzw. Sprachgemeinschaft, gegeben habe (vgl. Pelinka 2017, 30). Die k. u. k. Monarchie, die in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg vor allem durch eine politische und wirtschaftliche Stabilität gekennzeichnet war, fügt sich in die Tradition des Vielvölkerstaats.

Insbesondere das damalige Wien galt als kulturelle Hochburg und intellektuelles Zentrum Europas. Zweig vermutet sogar, dass in kaum einer Stadt Europas »der Drang zum Kulturellen so leidenschaftlich [ist] wie in Wien« (2014, 30). Beflügelt vom Gefühl des kulturellen Fortschritts zeigten sich die meisten Zeitzeugen über den Ausbruch des Krieges – den »Bergsturz« Europas, wie es Hugo von Hofmannsthal (2011, 160) bezeichnete – überrascht. »[W]as wußten 1914 nach fast einem halben Jahrhundert des Friedens, die großen Massen vom Kriege?«, fragt Zweig und antwortet: »Sie kannten ihn nicht, sie hatten kaum je an ihn gedacht.« (2014, 262) Dementsprechend schlug auch die Kriegsbegeisterung der meisten Menschen nach kürzester Zeit in eine traumatische Erfahrung um, wie beispielsweise die Leidensgeschichte des Brücke-Künstlers Ernst Ludwig Kirchner in besonderer Weise illustriert.7

Nach Ende des Ersten Weltkriegs 1918 zu Gunsten der Entente zerfiel das Habsburgerreich und die Erste Republik entstand. Dieser Zeitraum der »Zwischenkriegszeit« wie auch der sich anschließenden nationalsozialistischen Diktatur in Österreich bildet den Mittelpunkt dieses Kapitels. Die Auseinandersetzung kreist dabei um die Gründe und Gegebenheiten, die die demokratische Progression zunächst ins Straucheln brachten, um sie dann ganz zum Stehen zu bringen. Wieso wurde die Republik zuerst von einer schwachen, dann von einer starken Welle der Regression erfasst und entartete ins Autoritäre bzw. Faschistoide? Vor dem Hintergrund dieser allgemein gehaltenen Darstellung vertieft sich der Text in Betrachtungen über das Geschlechterverhältnis, den Umgang mit der jüdischen Diaspora wie anderen Minderheiten und der Sonderrolle Wiens. Dieses Kapitel dient der Kontextualisierung der in diesem Buch analysierten Widerstandsnetze; einzelne Ereignisse werden pointiert, während andere verkürzt dargestellt bzw. ganz ausgelassen werden: »Vergangenes historisch artikulieren heißt nicht, es erkennen ›wie es denn gewesen ist‹. Es heißt, sich einer Erinnerung bemächtigen, wie sie im Augenblick der Gefahr aufblitzt.« (Benjamin 1980, 695)

1. DIE ERSTE REPUBLIK


Der Zusammenbruch des Habsburgerreichs am Ende des Ersten Weltkriegs 1918 bedeutete einen zentralen Wandel im Selbstverständnis Österreichs: Die Transformation des politischen Systems wie auch die Verkleinerung des Territoriums stellten dabei die einschneidendsten Veränderungen dar (vgl. Faßmann 1995, 11). Aus der am Ende des Jahres 1918 – auf Grundlage eines allgemeinen und gleichen Wahlrechts für Männer und Frauen – gewählten Konstituierenden Nationalversammlung resultierte im Oktober 1920 der Beschluss des Bundesverfassungsgesetzes. Den Grundkonsens formulierten dabei die drei weltanschaulichen Kräfte, die bereits vor dem Ersten Weltkrieg tonangebend waren, Sozialdemokraten, Christdemokraten und Deutschnationale (vgl. Pelinka 2017, 15f.). Zu einer der wichtigsten Neuerungen der als »Verlegenheitslösung« (ebd.) bezeichneten, demokratisch-republikanischen Verfassung zählte das Verhältniswahlrecht. Der damit implizierte Zwang zur Koalitionsbildung sollte die Sozialdemokratie während der Zeit der Ersten Republik auf Bundesebene ausmanövrieren (vgl. ebd., 115f.). Des Weiteren ist die formale Gleichstellung »der Frau« im Wahlsystem als Neuerung hervorzuheben, wobei die tatsächlichen Effekte auf das Geschlechterverhältnis politisch marginal blieben, wie etwa der durchschnittliche Anteil von weiblichen Abgeordneten im Nationalrat von fünf Prozent bezeugt (vgl. ebd., 194). Somit ist das Jahr 1918 in Bezug auf die Geschlechtergerechtigkeit ein weniger relevanter Wendepunkt als bisher angenommen. Ein Grund dafür ist z. B. die gesellschaftspolitische Bestrebung, die Mitte des Krieges aufflammte und auch der Nachkriegsordnung als Kernanliegen galt, die Vorkriegsordnung in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft wiederherzustellen. »Dabei sollten besonders bezüglich der Machtverhältnisse zwischen Männern und Frauen die alten Hierarchien […] restauriert werden.« (Schmidlechner 2017, 313)

Die Geburtsstunde der Republik stellt sich im Rückblick als Geburtstrauma dar. Denn den Kräften der Republik mangelte es bereits zu Beginn an einem gemeinsamen Narrativ. Es entstand ein Staat »ohne jeglichen Beifall, ohne gegenseitige Überzeugungen, ohne gemeinsame Werte und geistig-politische Identität« (Ara 1997, 40). Anstatt eines einenden Moments war die Republik ein Kampfplatz für die verschiedenen weltanschaulichen Lager – der Konflikt dominierte den Konsens (vgl. Pelinka 2017, 17). Ohne recht zu wissen, was Österreich ist, war die Republik gezwungen, Österreich zu sein. Der Zwang ging dabei auch von den Siegermächten aus: Im Staatsvertrag von St. Germain im September 1920 – den sich Karl Renner bedingt durch einen Versorgungsengpass gezwungen sah zu unterzeichnen – bestimmten sie die Grenzen von Österreich sowie der anderen Länder des Habsburgerreichs, untersagten einen Anschluss an Deutschland und legten ferner die Rechtsbasis für die österreichischen Reparationen (vgl. Ableitinger 2017, 19).

Eine Sonderrolle kam in dem neuen Staat Wien zu, das durch die Loslösung von Niederösterreich über die Zuständigkeiten eines Bundeslands verfügte. Die Hauptstadt war über den Zeitraum der Ersten Republik, im Gegensatz zum restlichen Österreich, durch die Sozialdemokratie bestimmt und entwickelte sich schnell zu einer sozialdemokratischen Musterstadt. Als Charakteristika sind steuerfinanzierter sozialer Wohnbau oder eine präventiv orientierte Gesundheitspolitik zu nennen (vgl. Pelinka 2017, 119f.). Weiterhin schien Wien durch den Wegfall des böhmisch-mährisch-schlesischen Hinterlands, dessen BewohnerInnen ein Drittel der Bevölkerung der k. u. k. Monarchie ausmachten, zu groß für die kleine Republik (vgl. Eminger 2017, 283). Dieser Eindruck von Wien als »Wasserkopf« verstärkte – neben den politischen Unterschieden – den Konflikt zwischen der Hauptstadt und dem restlichen Österreich.

Im Juli 1927 kam es in der Folge eines Gerichtsurteils8 zu Demonstrationen: Die Lage geriet außer Kontrolle und Protestierende setzten den Justizpalast in Brand; die Polizei verwendete in Anbetracht der eskalierten Situation Schusswaffen gegen die Demonstrierenden. Rückblickend können diese Vorgänge als erste Anzeichen eines aufbrechenden Verfassungskonsenses interpretiert werden. Zwei Jahre später mündete das dort bereits angezeigte Straucheln der Republik in einer Novellierung der Verfassung von 1920. Konkret sollte nun der Bundespräsident direkt gewählt und seine Rechte gestärkt werden, der parlamentarische Charakter der Verfassung blieb dabei jedoch noch bestehen.

Der Zeitgeist dieser Jahre war vor allem von der prekären ökonomischen Situation geprägt. Die zwanziger Jahre, literarisch und ideell oft als »goldene« oder »wilde« Zwanziger verklärt, bedeuteten für die Mehrheit der BürgerInnen (insbesondere der Stadt Wien) die Konfrontation mit vielerlei Mühsal und Ängsten, »mit der Sorge ums tägliche Überleben, mit der katastrophalen Unterversorgung an Lebensmitteln, einer drückenden Wohnungsnot und Arbeitslosigkeit, schließlich auch mit einer hohen Kindersterblichkeit« (Krist/Lichtblau 2017, 20). Dabei dominierte das Bild eines lebensunfähigen, »geschrumpften« Österreichs, das eine Existenzgrundlage nicht dauerhaft bereitstellen könne. So wurden die beschriebenen Phänomene auch nicht als vorübergehende Krise, sondern als andauernder Zustand wahrgenommen (vgl. Faßmann 1995, 13ff.). Die sich ab dem Zeitpunkt der Wirtschaftskrise 1929 noch weiter verschlechternde ökonomische Lage kann als Teilerklärung für das autoritäre Aushöhlen der demokratischen Republik betrachtet werden. Da jedoch nicht jedes von der Wirtschaftskrise...

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