Themenblock 2:
Lernen, Ihre eigene Angst zu erkennen
Ziele:
- Verstehen, warum die systematische Dokumentation Ihrer Sorgen und Stimmungen hilfreich sein kann
- Einführung in drei Arten von Dokumentation: Sorgentagebuch, Tagesstimmungsprotokoll und Fortschrittstagebuch
Tagebuch führen
Dieser Themenblock beschreibt eine einfache Methode, wie Sie Ihre Sorgen und Ängste systematisch beobachten können. Diese systematischen Beobachtungen sind ein wichtiger Bestandteil der gesamten Therapie, da Sie Ihnen unmittelbar Rückmeldungen über mögliche kleine Veränderungen Ihrer Symptomatik geben. Wie die Dokumentation beispielsweise des Blutzuckerspiegels bei Diabetikern ist die systematische und vollständige Dokumentation zentral, da wir nur so die feinen, kleinen Muster erkennen können. Im Gegensatz zu manchen Diabetikern müssen Sie das Tagebuch glücklicherweise nicht Ihr ganzes Leben führen, sondern nur im begrenzten Rahmen dieser Therapie.
Warum sich für diese Aufzeichnungen Zeit nehmen?
Es gibt viele Gründe, warum es uns wichtig erscheint, dass Sie Ihre Sorgen regelmäßig festhalten:
Intensive oder chronische Sorgen lösen oft das Gefühl aus, als seien sie außer Kontrolle geraten oder als hätten sie ein Eigenleben entwickelt. Sie kennen möglicherweise nur zu gut das Gefühl, Opfer der eigenen Sorgen zu sein. Sich als Beobachter der eigenen Sorgen zu sehen, ist ein erster Schritt, sich ein klein wenig davon zu distanzieren. Diese Distanzierung ist eine ganz zentrale Voraussetzung dafür, die eigenen Sorgenketten zu durchbrechen und unter Kontrolle zu bringen. Durch das stetige Aufzeichnen Ihrer Angst werden Sie lernen, zu beobachten, wann, wo und unter welchen Umständen Ihre Sorgen auftreten. Die Sorgen werden dadurch an Kontur und Klarheit gewinnen. Weiter werden Sie sich daran gewöhnen, dass die Sorgen gar nicht so grenzenlos und maßlos sind, wie Sie es vielleicht zuvor erlebt hatten. Als Ergebnis erhalten Sie ein Verständnis über die Einflussfaktoren, die Ihre Angst erhöhen. Dadurch üben Sie mehr Kontrolle über die Angst aus und werden weniger zu ihrem Opfer.
Zweitens werden Sie Ihre Sorgen genauer beschreiben und dadurch erkennen, wie diese Ihr Denken, Fühlen und Handeln beeinflussen. Diese Erkenntnisse sind sehr wichtig, weil sie einen Ansatzpunkt bieten, Ihr ängstliches Denken, Fühlen und Handeln im Verlauf der Therapie zu verändern. Diese Elemente können nur verändert werden, wenn man sie genau kennt.
Durch regelmäßiges und systematisches Tagebuchführen erhalten Sie genaue Informationen. Diese würden Sie nicht erhalten, wenn Sie sich im Nachhinein die Frage stellten: «Wie habe ich mich in letzter Zeit gefühlt?». Würden Sie gebeten, zu beschreiben, wie Sie sich in der letzten Woche gefühlt haben, so würden Sie vielleicht sagen, dass es für Sie sehr schlimm gewesen sei, obwohl es einige Momente gab, in der Sie sich relativ ruhig fühlten. Die Angst sorgt dafür, dass wir die Momente unterschätzen und vergessen, in denen wir uns weniger ängstlich fühlten. Die positiven Momente werden, wenn man in einem Angstzustand ist, im Rückblick etwas unterschätzt. Übrigens lässt sich auch das Gegenteil beobachten: In euphorischer Stimmung schieben wir die negativen Punkte etwas zur Seite.
Die Tendenz aber, negative Dinge besser zu erinnern, kann zur Chronifizierung der Sorgen beitragen. Das nachzuvollziehen, ist wichtig. Wir sind sozusagen in einer Spirale des Übels gefangen. Die Aufzeichnungen werden Sie jedoch zwingen, zu erkennen, dass Ihre Stimmung schwankt und dass es Zeiten gibt, in denen Sie sich weniger ängstlich fühlen als in anderen. Dies wird Ihnen helfen, sich vom Zustand des «Sorgenstrudels» zu befreien. Wenn Sie regelmäßig Tagebuch führen, werden Sie sich kontrollierter und weniger ängstlich fühlen.
Subjektive und objektive Beobachtung
Zu Beginn befürchten manche Personen, das ständige Dokumentieren ihrer Sorgen könnte sie noch mehr daran erinnern, wie ängstlich sie sich fühlen. Sie meinen, dies könnte sie wiederum noch mehr verängstigen, und dies möchten sie tunlichst verhindern. Um diese Bedenken auszuräumen, ist es wichtig, zwischen zwei Arten von Beobachtung von Stimmungszuständen zu unterscheiden, der subjektiven, frei flottierenden Beobachtung und der objektiven, systematischen Beobachtung.
Subjektive, frei flottierende Beobachtung bedeutet, in seine Gefühle «einzutauchen» und in diesen zu verweilen; zu beobachten, wie stark die Angst ist, wie sehr sie das Leben beeinträchtigen und wie unkontrollierbar sie sind. Diese Art der Beobachtung verstärkt insgesamt ein Gefühl wie «in einer riesigen Schüssel mit Gelatine zu stecken und zu wissen, dass man nicht mehr heraus kann».
Subjektive, frei flottierende Beobachtung kennen Sie wahrscheinlich schon sehr gut, womöglich zu gut. Diese Art der Beobachtung haben Sie vielleicht auch wirklich satt. Sie möchten sie vermeiden, weil Ihre Angst dadurch noch verstärkt wird.
Hier werden Sie nun Techniken der objektiven und systematischen Beobachtung anwenden, was bedeutet, dass Sie die Angst auf «wissenschaftliche» Art und Weise betrachten. Sie werden Dinge beschreiben wie die Anzahl und Intensität der Symptome, die Auslöser Ihrer Angst, Ihre Gedanken und Ihre Reaktion auf die Angst. Bei der objektiven, systematischen Beobachtung geht es eher darum, dass man sich «außerhalb der Gelatine-Schüssel» befindet und genau beschreibt, welche Farbe die Gelatine hat und wie oft sie wackelt.
Im ersten Moment mag es schwierig erscheinen, von der subjektiven zur objektiven Beobachtung zu wechseln. In anderen Worten ist das ein Wechsel von der Selbst- zur Fremdperspektive.
Wenn Sie mit den Aufzeichnungen beginnen, kann es sein, dass Sie tatsächlich eine Zunahme der Angst feststellen, da Sie sich in der alten, «eintauchenden» Weise auf Ihre Gefühle konzentrieren. Doch mit etwas Übung gelingt es den meisten Menschen, zu der objektiven Beobachtung zu wechseln. Um Ihnen bei diesem Schritt zu helfen, haben wir gemeinsam mit unseren früheren Patienten hilfreiche Arbeitsblätter entwickelt, in welchen die zentralen, objektiven Informationen festgehalten werden. Wir werden diese Arbeitsblätter Schritt für Schritt nutzen.
Lassen Sie uns die guten Gründe zur Dokumentation Ihrer Sorgenketten nochmals zusammenfassen:
- Spezifische Auslöser der Sorgenketten identifizieren. Das Wissen um diese Auslöser vermindert das Gefühl, dass Ihre Angst außer Kontrolle gerät. Die Auslöser sind oftmals sehr spezifisch und subtil, so dass sie ohne genaue Beobachtung schwer zu erkennen sind. Weiter «reagieren Sie» manchmal einfach, ohne dass Sie sich bewusst sind, dass Auslöser im Spiel sein könnten. Die Aufzeichnungen werden Ihnen helfen, die Auslöser Ihrer Angst zu entdecken und zu überprüfen.
- Erkennen der Sorgensituationen. Die systematische Beschreibung von Sorgensituationen umfasst die Dokumentation von körperlichen Gefühlen, flüchtigen Gedankenketten und damit verbundenen Verhaltensweisen.
- Dokumentation und Beurteilung von Veränderungen. Denken Sie daran: Wenn Sie ängstlich sind, ist es leicht, Erfolge und Veränderungen zu unterschätzen, sich stattdessen auf die Sorgen zu konzentrieren und sich zu bestätigen, wie schlecht man sich dabei fühlt. Die Aufzeichnungen werden die kleinen und feinen Veränderungen und Erfolge zeigen, die Sie bis jetzt gemacht haben. Durch die systematische Beobachtung können Ihre Fortschritte nicht durch Episoden starker Angst überschattet und zunichte gemacht werden. Sie haben objektive «Zeugnisse», die sich nicht durch neue, gegen Sie gerichtete Sorgenpfeile zunichtemachen lassen. Deshalb ist es auch wichtig, dass Sie Ihre Aufzeichnungen immer gut aufbewahren und einen Ordner oder eine Kartei dafür erstellen.
- Distanzierung als Ausweg aus dem Strudel der Sorgenketten. Objektive Beobachtung ist das erste Mittel dafür, sich aus der «Gelatine-Schüssel» heraus zu bewegen. Dies ist ein wichtiger Schritt zur Veränderung Ihrer Sorgen.
Was soll ich aufzeichnen?
Die verschiedenen Tagebücher, die Ihnen in den folgenden Themenblöcken vorgestellt werden, haben ihr eigenes Format und werden Ihnen jeweils erklärt. Es gibt zwei Arbeitsblätter, welche Sie während des gesamten Zeitraums der Therapie nutzen sollten.
Arbeitsblatt 1 ist das Sorgentagebuch. Es wird immer dann verwendet, wenn Sie spüren, dass Ihre Angst ansteigt, wenn Sie sich Sorgen machen oder wenn Sie besondere körperliche Symptome wie Reizbarkeit, Muskelverspannung, Konzentrationsschwäche, Unruhe, Müdigkeit, Schlafstörungen oder das Gefühl, überdreht zu sein, verspüren. Die Informationen aus dem Sorgentagebuch sind für das Verständnis der Auslöser und Komponenten Ihrer Ängste äußerst hilfreich und zielen auf den Kern Ihrer Hauptproblematik ab.
Das Arbeitsblatt umfasst acht Hauptfragen. Notieren Sie zuerst das Datum und die Zeit, in welcher die Angstepisode begann. Kreisen Sie als Nächstes das Ausmaß der Angst (in den vorgegebenen Zahlen) ein, von dem Zeitpunkt, als Sie die Angst bemerkten, bis jetzt. Überprüfen Sie die Symptome, die Sie verspürten, während die Episode begann. Auch wenn Sie das Gefühl haben, dass einige Symptome die ganze Zeit über da sind, dokumentieren Sie genau, falls Sie die Symptome noch intensiver verspürten als sonst. Geben Sie anschließend eine kurze...