Frauen wollen ihn. Männer wollen er sein
20:13 Uhr: Don Draper und Justin Bieber sind schuld an diesem Buch. Und eine Frau: Nina. Sie ist zwar eine gute Freundin von mir. Wir verstehen uns blendend, soweit das zwischen Mann und Frau möglich ist. Wir haben Jobs, die uns Spaß machen, und Freunde, die wir sogar mögen. Wir gehen als jünger durch, als wir laut Personalausweis sind, sofern wir eine schlecht beleuchtete Bar besuchen. Alles könnte harmonisch sein. Aber neulich war Nina bei mir zu Besuch, es war Sonntagabend, und da fing alles an.
Es klingelte an meiner Haustür. »Hallo?«, fragte ich. Aus der Gegensprechanlage drang ein Rauschen. Nina, die unten an der Tür stand, hatte mich nicht gehört. Sie telefonierte, ich verstand nur Satzfetzen: »… echt unglaublich sexy Kerl«, sagte Nina, »diese coolen Klamotten, die stehen ihm super«. Dann kicherte sie. Recht hat sie, dachte ich, als ich auf den Türöffner drückte: Ich bin wirklich ein cooler Typ.
»Hallo.« Als Nina meine Wohnung betrat, schien sie ihre Bewunderung für mich schon wieder gut im Griff zu haben. Sie ist ja auch kein Teenie mehr, obwohl man ihr das besser nicht sagt. Sie könnte das falsch verstehen. Bei uns beiden war schnell klar, dass wir wie gemacht sind füreinander, zumindest für eine platonische Freundschaft: Wenn zwei Menschen, die sich vor kurzem kennengelernt haben, einander betrunken mit nach Hause nehmen, gemeinsam ins Bett stolpern und beim Knutschen zeitgleich einschlafen, dann ist das ein Indiz für mangelnde sexuelle Anziehung. Und wenn wir beim dritten Anlauf, bei dem wir uns vorgenommen haben, »keine Gefangenen zu machen«, schon vorm Knutschen einschlafen, dann wird daraus entweder eine deprimierende Beziehung oder eine schöne Freundschaft. Die Entscheidung fiel uns nicht schwer.
»Ich dachte mir«, sagte Nina lächelnd, »ich bringe zum DVD-Abend mal eine Staffel ›Mad Men‹ mit. Geil, oder?« Ich hätte an dieser Stelle gern doziert, dass die preisgekrönte US-Serie über eine Werbeagentur im New York der sechziger Jahre ja mindestens so viel über die Zeit damals aussagt wie über die Geschlechterbeziehungen heute. Aber da sagte Nina bereits: »Der Chef-Kreative, Don Draper, ist wirklich ein unglaublich sexy Kerl. Und dazu die coolen Klamotten!« Dann kicherte sie und plumpste glucksend auf mein Sofa.
Der unbestrittene Star bei »Mad Men« ist Don Draper: der smarte, einzelgängerische, ehrgeizige Kreativdirektor einer Werbeagentur. Ein Mann auf der Flucht vor seiner traurigen Kindheit. Auf der Suche nach dem Glück, das sich immer dann auflöst, wenn er glaubt, es fassen zu können. Auf seinem Weg stärkt sich der Kerl, der aussieht wie Superman, nur ohne das alberne Cape, mit schweren Drinks und schönen Frauen. Draper ist ein Bild von einem Mann. Ein klassischer Held mit Pomadenfrisur.
Ich schob die DVD rein und wir zwei uns Kartoffelchips. Die erste Folge beginnt mit einem alten Werbespot aus den Sechzigern: Eine schöne Frau Mitte zwanzig läuft singend auf die Kamera zu. Sie hat alles drauf: den betörenden Augenaufschlag, den koketten Blick von unten nach oben, das dezente Präsentieren ihrer Oberweite. Don Drapers Mitarbeiterin, eine eher spröde Frau, die nicht mitspielen will beim alltäglichen Sexismus der sechziger Jahre, ist angewidert: Was soll das Ganze? Draper erklärt ihr in nur zwei Sätzen, warum schöne Frauen Werbung machen. Es ist eine der wichtigsten Regeln überhaupt: »Männer wollen sie. Frauen wollen sie sein.«
»Sndrck«, murmelte Nina. Sie hatte sich dafür entschieden, gleichzeitig zu essen und zu reden. Ich fragte nach. »So ein Dreck«, wiederholte sie und zeigte auf den Fernseher. »Frauen machen sich das Leben selbst zur Hölle. Sie überlegen viel zu oft, wie sie auf Männer wirken. Und anstatt sich mit anderen Frauen solidarisch zu zeigen, machen sie sich beim Werben um Männer auch noch gegenseitig Konkurrenz. Hat sich denn gar nichts verändert seit den Sechzigern? Frauen sind immer noch das überforderte Geschlecht. Meine Herren!«
Ich sagte lieber nichts. Denn hätte ich in diesem Moment meine Gedanken zusammenfassen müssen, dann wäre es ein großer Seufzer gewesen: »›Deine Herren‹ werden mittlerweile so überfordert wie Frauen, nur anders.« Merke: Provoziere eine Frau nie in deiner eigenen Wohnung. Man kann dann so schlecht nach Hause fliehen.
Aber Nina war noch nicht fertig. »Frauen haben es verdammt schwer. In unseren Zwanzigern und Dreißigern müssen wir die Basis legen für den Rest unseres Lebens: Wir sollen und wollen Karriere machen, aber zur selben Zeit suchen wir einen Partner. Wenn wir einen Kerl gefunden haben, den wir auch nüchtern ertragen können, müssen wir uns beeilen, wenn wir Kinder haben wollen.« Nina seufzte. Sie ist Single, aber die Namen ihrer ersten beiden Kinder hat sie schon ausgewählt. »Da habt ihr Männer es viel besser.« Nina ließ sich zurück auf die Couch sinken und stopfte sich Chips in den Mund. Der Druck, attraktiv zu sein, schmälerte jedenfalls nicht ihren Appetit.
Die »Mad Men«-Folge lief weiter. Auftritt Don Draper, der Übermann. In seiner schicken New Yorker Werbeagentur konferiert er mit den Mitarbeitern Harry Crane und Ken Cosgrove. Nebenfiguren, Anzugträger und beide um die dreißig. Da hatte ich eine Idee. Als die drei Männer nebeneinander auf dem Schirm zu sehen waren, drückte ich die Pausentaste. Das Standbild erinnerte an diese alte ARD-Sendung, in der vier Journalisten aus fünf Ländern (oder umgekehrt) in dunklen Anzügen und Rauchschwaden am Sonntagmittag die Welt erklärten: »Der Internationale Frühschoppen«. Nur ohne verschwitzte Gesichter.
»Wen findest du interessanter?«, fragte ich Nina. »Den Macho Draper? Den hingebungsvollen, etwas schüchternen Gatten Crane? Oder den unkomplizierten, aber literarisch ambitionierten Cosgrove?« Auf meiner Couch rollte ein Augenpaar. »Achdschße.«
»Das habe ich ge-hö-hört! Mal ehrlich: Klar, Draper ist ’ne coole Sau, total sexy und erfolgreich. Aber er ist nur eine Erfindung.« Nina guckte mich an, als hätte sie versehentlich etwas Bitteres gegessen. Und schwieg. »Denk doch mal nach: Wenn man die ganze schicke Sechziger-Jahre-Ästhetik abzieht, sieht der Schauspieler, also Jon Hamm, nicht halb so gut aus. Er trägt in Wirklichkeit schlabbrige Hemden, ist sogar etwas schüchtern. Er ist einfach nur ein Mann mit Fehlern und Macken. Wäre es nicht klüger, Frauen würden das anerkennen? Und müssten sie dann nicht auf andere Männer stehen?«
»Zum Beispiel?«, fragte das rollende Augenpaar.
»Zum Beispiel auf einen Mann wie Harry Crane: eine ehrliche Haut, die versucht, Karriere, Frau und Kind irgendwie unter einen Hut zu bringen. Er redet mit seiner Frau über Selbstzweifel und …«
»… und er jammert und sieht nicht sonderlich sexy aus«, sagte Nina. »Aber dass er an seiner Beziehung arbeitet, macht ihn sympathisch.«
»Na gut«, sagte ich. »Dann nehmen wir Kandidat Nummer zwei: Ken Cosgrove: jungenhaft gut aussehend, erfolgreich im Job, dabei ein netter Kerl und Autor von Kurzgeschichten. So einer wäre auch heute interessant, oder?«
»Cosgrove hat keine Kanten«, konterte das Augenpaar. »Der ist ganz hübsch, man kann mit ihm bestimmt auch über Literatur reden. Aber sonst …«
»Okay, okay. Ich fasse also zusammen: Männer sollen Machos sein, aber nett zur Frau an ihrer Seite. Sie sollen hundert Prozent im Job geben, sich auch um die Kinder kümmern, nicht klagen, intellektuell stimulierend sein, gut aussehen, Kanten haben, aber keine Macken. Das kann doch niemand bieten – außer mir vielleicht.«
Nina legte bei ihrer Augenrollfrequenz eine Schippe drauf. Sie sah jetzt aus wie ein Jurymitglied bei Germany’s Next Topmodel. »Also erst mal: Herzlichen Glückwunsch zu deiner Selbstüberschätzung.«
»Danke.«
»Gern. Und zweitens: Vielleicht wollen wir ja gar nicht alles haben. Andererseits …« Sie sah jetzt aus wie eine Ärztin, die nicht recht weiß, wie sie ihrem Patienten die dramatische Diagnose beibringen soll. »Andererseits wollen Frauen natürlich schon die eierbesitzende Wollmilchsau. Einen Kerl wie Don Draper.« Nina lehnte sich nach vorne und raunte: »Frauen wollen ihn. Männer wollen er sein.« Dann lachte sie laut auf und lehnte sich zurück. Als Nina die Pausentaste lösen wollte, schnappte ich ihr die Fernbedienung weg.
»Merkst du was?«, sagte ich. »Nicht nur das Leben von Frauen ist kompliziert. Heute machen sich auch immer mehr Männer ihr Leben zur Hölle: Sie überlegen viel zu oft, wie sie auf Frauen wirken. Sie machen Karriere, und zwar auch, um Frauen zu gefallen. Und anstatt sich mit anderen Männern solidarisch zu zeigen, machen sie sich im Arbeits- und im Privatleben auch noch gegenseitig Konkurrenz. Wann hat sich all das bloß so stark verändert? Früher war es der Job der Männer, Frauen unrealistischen Erwartungen auszusetzen. Heute werden sie von Frauen und sich selbst überfordert. Jeden Tag, Woche für Woche. Meine Herren!«
»Ach ja? Die kommende Woche wird für mich totaler Stress werden. Ich habe Dates mit drei Typen, die ich im Internet kennengelernt habe. Im Job habe ich zwei neue Aufträge, die ich nur bewältigen kann, wenn ich am Wochenende arbeite. Zwischendurch will ich zum Yoga: um mich zu entspannen und gut auszusehen. Und irgendwie versuche ich bei alledem, noch Zeit für meine Freunde zu finden. Und einer von denen erzählt mir dann, Männern gehe es schlechter als Frauen. Kerle sind so...