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E-Book

Mobbing

Psychoterror am Arbeitsplatz und wie man sich dagegen wehren kann

AutorHeinz Leymann
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl240 Seiten
ISBN9783644500013
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Es fängt oft unspektakulär an, mit einem Streit unter Kollegen, vielleicht nicht einmal offen ausgetragen. Dann kommen kleine Sticheleien, hier und da ein böses Wort, und nach und nach wird ein Mensch von den anderen ausgerenzt. Du gehörst nicht mehr dazu, wird ihm vermittelt; mit dem stimmt was nicht, heißt es in der Abteilung. Und wenn es ganz schlimm kommt, beziehen auch noch Personalleitung und Betriebsrat Stellung gegen das Opfer. Wird ein Mensch über einen längeren Zeitraum in die Mangel genommen und niemand hilft, dann ist dies Mobbing, Psychoterror am Arbeitsplatz. Für das Opfer kann er am Ende zum Verlust des Arbeitsplatzes, zu dauernder Krankheit und Arbeitsunfähigkeit führen. Als Heinz Leymann seine Forschungsergebnisse und dieses Buch vor rund zwei Jahrzehnten veröffentlichte, löste das eine Welle der Zustimmung und Betroffenheit aus. Zum ersten Mal wurde auf den Begriff gebracht, wie und warum Hunderttausenden am Arbeitsplatz übel mitgespielt wird. Mobbing, so stellte Leymann heraus, hat nichts mit der Persönlichkeit des Opfers zu tun. Es kann jeden treffen. Damit begann in Wissenschaft, Gewerkschaften, Kirchen und Justiz eine Beschäftigung mit Mobbing, die bis heute anhält. Das Buch ist inzwischen ein Klassiker, und Leymanns mit vielen Fallbeispielen belegte Definition und Erklärung des Phänomens ist immer noch grundlegend. Dasselbe gilt für seine Hinweise, wie die Mobbingspirale frühzeitig gestoppt und wie Opfern geholfen werden kann.

Heinz Leymann, geboren 1932 in Wolfenbüttel und gestorben 1999 in Stockholm, lebte seit 1955 in Schweden. Seine beruflichen Stationen: Betriebswirt; Diplompsychologe; 1978 Dissertation zum Thema Arbeitsspsychologie; seit 1982 associate professor an der Universität Stockholm; von 1979 bis 1990 Forschungsleiter am Reichsinstitut für Arbeitswissenschaften; 1990 Dissertation (Dr. med. sci) am psychiatrischen Institut der Universitäte Umeå. 1994 bis 1996 war er Chef der damaligen Spezialklinik für Mobbingopfer in Karlskrona.

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Leseprobe

4. Die sogenannten «Rechthabereien»


Ausgehend von Situationen, in denen Vorgesetzte sich Übergriffe gegenüber Untergebenen zuschulden kommen lassen, können wir auf zahlreiche Fälle stoßen, in denen sich diese Untergebenen heftig wehren. Das Ergebnis kann sein, dass der Konflikt völlig ausufert. Wenn der Arbeitgeber den Angestellten nicht einfach feuern kann – und das ist häufig der Fall –, können solche Konflikte viele Jahre dauern. Es sind Fälle bekannt, die sich über zehn und fünfzehn Jahre hinzogen.

Diese extremen Mobbingverläufe werden gern in den Massenmedien aufgegriffen, denn sie enthalten oft sehr absurde Einschläge. Sie entstehen, wenn Mobbing innerbetrieblich weitergetragen wird, zum Beispiel in die Personalabteilung hinein, wo man dann mit falschen und dilettantischen Mitteln einen Fall zu lösen versucht.

Je bizarrer der Verlauf ist, desto eifriger berichten die Journalisten. Und zwar zu Recht. In Gesellschaften, die den Anspruch erheben, rechtsstaatlich zu sein, müssen auch Rechtsübergriffe angeprangert werden, die im Arbeitsleben passieren. Zurzeit besteht das Risiko in den westlichen Industrieländern, dass die Anzahl dieser Fälle im gleichen Maß steigt, in dem die innerbetriebliche Konkurrenz sich verschärft.

Mit dem Wort «Rechthaberei» will ich einen Zustand bezeichnen, in dem ein Mensch sich unter keinen Umständen unterkriegen lassen will und seine elementaren Rechte mit aller Kraft verteidigt. Das Tragische daran ist, dass lang andauernde Streitigkeiten mit einem übermächtigen Gegner nach mehreren Jahren dazu führen können, dass der Unterlegene mentale Schäden davonträgt. Die Auseinandersetzung kann bei dem Betroffenen eine Art Besessenheit hervorrufen, die schließlich einen psychiatrischen Stellenwert erreicht. Eine solche tragische Entwicklung sollte als das Resultat gezielter Unterdrückung im Arbeitsleben bewertet werden und nicht, wie es heute durchweg geschieht, als eine persönliche Veranlagung von Kindesbeinen her, die dem Gekränkten nachgesagt wird.

Ingrid aus den Niederlanden


Ingrid wurde als Personalberaterin in einem größeren Industrieunternehmen angestellt. Sie war für psychosoziale Beratung zuständig. Eine ihrer ersten Maßnahmen war, dass sie bestimmte Erhebungsverfahren entsprechend den von den Tarifpartnern entwickelten Vorgaben verändern wollte. Dieser Versuch löste einen Konflikt mit ihrem Vorgesetzten aus sowie mit einem externen Berater, der diese Fragen bis zur Einstellung Ingrids bearbeitet hatte.

Eigentlich wäre der Konflikt sehr einfach zu lösen gewesen, und zwar über Kontakte mit den Tarifpartnern im Betrieb, die ja in dieser Angelegenheit das eigentliche Sagen hatten. Aber Ingrids Vorgesetzter blockierte diesen Lösungsweg. Und Ingrid wurde unbequem. Man versuchte, sie kaltzustellen: Sie wurde nicht mehr zu den Besprechungen hinzugezogen, in denen ihr Verantwortungsgebiet zur Sprache kam. Weitere Konflikte brachen aus über die Frage, wie man im Betrieb mit Beschäftigten verfahren solle, die Alkoholprobleme hätten. Bislang hatte man versucht, diese Leute auf einen «stillen Posten» abzuschieben, wo sie «kein Unheil» anrichten konnten. Ingrid vertrat die Meinung, dass man der Absprache zwischen den Tarifparteien im Betrieb folgen und die Betroffenen zum Betriebsarzt schicken solle, um dort über ein Entziehungsprogramm zu beraten.

Als Ingrid für kurze Zeit aus Krankheitsgründen fehlte, nahm ihr Vorgesetzter die Gelegenheit wahr und entzog ihr gewisse Koordinierungsaufgaben. Von da an nahmen auch solche Maßnahmen zu, die Ingrid später als «administrative Schikanen» bezeichnete. Beispielsweise musste sie sämtliche Telefongespräche, die sie im Dienst führen wollte (auch Ortsgespräche!), bei der Telefonzentrale des Betriebes anmelden. Nach längerer Zeit dieser Kriegsführung wurde sie zum Personaldirektor vorgeladen, der ihr vorschlug, sie an eine Stelle mit Verwaltungsaufgaben zu versetzen. Als Begründung gab er an, dass Ingrid mit ihren Kollegen und ihrem Chef Schwierigkeiten habe, an denen sie schuld sei. Als neue Arbeit sollte sie in Zukunft ein manuelles Register mit Adressen führen.

Ingrid weigerte sich. Sie bat Betriebsrat und Gewerkschaft um Unterstützung. Bei den Verhandlungen ging der Arbeitgeber jedoch nicht auf die Probleme in der Zusammenarbeit ein, sondern warf ihr plötzlich schwerwiegende Dienstversäumnisse vor. Einen Monat später wurde Ingrid in ein kleines Zimmer abgeschoben, das in einem anderen Stadtteil lag als die Hauptverwaltung. Ihre Arbeitsaufgaben waren diffus. Arbeitskollegen hatte sie nun nicht mehr. Sie war isoliert. Um ihre Anwesenheit zu kontrollieren, brachte man eine Stechuhr an. Auch weiterhin musste sie ihre Telefongespräche bei der Zentrale anmelden, die Selbstwahlfunktion an ihrem Telefon hatte man gesperrt. Diese Isolierung brachte Ingrid an den Rand des Zusammenbruchs. Sie musste sich häufig krankschreiben lassen. Eine neue Stellung zu bekommen war sehr schwierig – und wurde von Woche zu Woche schwieriger. Zum einen war es leicht auszumachen, womit Ingrid beschäftigt wurde, nämlich mit unqualifizierten Aufgaben. Und zum anderen sah man ihr an, in welcher Verfassung sie war: verängstigt, rechthaberisch, unter starkem Stress stehend. Nirgends kam sie für eine Anstellung in Frage.

Ingrids seelische Verfassung, das Unrecht, das sie empfand, und die Tatsache, dass sie nunmehr tagsüber viel Zeit zum Grübeln hatte, führten dazu, dass sie wieder und wieder mit neuerfundenen Argumenten bei Gewerkschaft, Betriebsrat, Personalabteilung, Direktion und Anwälten vorstellig wurde, um ihren Fall neu zu beleben und doch noch Recht zu bekommen. Sie hatte nur zwei Wege: entweder sich zu unterwerfen und alles hinzunehmen oder weiterzukämpfen mit dem Resultat, dass ihr Ruf und ihre psychische Verfassung immer stärker litten.

Martin aus Österreich


Martin war Arzt an einem Krankenhaus und Spezialist für örtliche Betäubung bei Operationen. Er hatte die Stelle noch nicht lange, da kamen Konflikte mit den Operationsschwestern auf, die aber nicht offen ausgetragen wurden. Obwohl Ärzte ja im Allgemeinen die Autorität haben, waren es hier die Schwestern, die die Angriffe durchführten. Ihnen passte Martins Arbeitsweise nicht, und sie zogen hinter seinem Rücken über ihn her. Schließlich schlugen sich auch ein paar Ärzte auf die Seite der Schwestern. Hätte man den Konflikt offen zur Sprache gebracht, dann hätte es große Chancen gegeben, alles zu bereinigen. Doch nun wurde eine Drachensaat ausgestreut, die allmählich zu offener Feindschaft eskalierte.

Versuche von Vorgesetzten, einzuschreiten, zerbrachen an der Mauer der Feindschaft bei den Schwestern. Ihnen fiel es leicht, die Schuld von sich zu schieben oder sich einfach auszuschweigen. Mehrere Schlichtungsversuche, auch von Seiten der Personalabteilung, scheiterten.

In die Enge getrieben und von kollegialen Kontakten isoliert, musste sich Martin zeitweise wegen Depressionen krankschreiben lassen. Er war alleinstehend und ohnehin etwas «eigenbrötlerisch», was ihn auch privat von wichtigem «social support» absonderte. Auch seine soziale Situation wurde von den Schwestern für ihre Zwecke ausgebeutet. Sie redeten ihm nach, er sei homosexuell.

Auf Anordnung (!) eines hochgestellten Arztes wurde Martin schließlich in die geschlossene Abteilung einer Nervenheilanstalt eingeliefert. Da man dort nur aus biologischer Sicht Medizin betrieb, ohne sich um die eigentlichen sozialen Gründe zu kümmern, verbesserte sich Martins Zustand nicht, sondern verschlimmerte sich sogar. Auch hatte Martin jetzt viel Zeit dafür, über sein Geschick nachzugrübeln. Wie konnte ein an sich einfacher Konflikt solche Folgen nach sich ziehen? Er schmiedete Pläne, über Gegenklagen in seine Stelle zurückzukommen, und begann einen Rechtsstreit. Kündigen konnte man ihm nicht, und als Angestellter hatte er ein Anrecht auf juristische Unterstützung durch die Gewerkschaft. Dort aber rechnete man ihm seinen Zustand negativ an. Seine Versuche, recht zu bekommen, wurden als Symptom der Erkrankung angesehen. Und einem psychisch Kranken konnte man doch nicht ohne weiteres zu seiner Anstellung zurückverhelfen. Martin bekam keine Hilfe. In der Folgezeit wurde er immer rechthaberischer im Umgang mit seiner Umgebung. Das wurde ihm als grundlegendes, in der Kindheit entstandenes Charakterdefizit angekreidet. Martin fand bis heute nicht aus dieser Zwickmühle heraus.

Das Typische an diesen Fällen


Handlungsverläufe, die Terror gleichen und die von starken Machtzentren ausgehen, beeinflussen die Menschen in den beobachteten Fällen seelisch ungemein stark. Der Grund dafür ist natürlich, dass sie sozial und wirtschaftlich so durchgreifende Wirkung haben.

Die berufliche Identität, die Karriere, das materielle Überleben, die ganze Existenz sind so umfassend bedroht, die Kränkungen gehen so tief, dass seelische Folgen fast zwangsläufig sind. Im Allgemeinen ist die Gefahr psychischer Erkrankungen in diesen Situationen bedeutend höher, als wenn es nur um Kollegenmobbing geht. Einige Einzelheiten tauchen immer wieder in den Berichten auf:

  • Vom Arbeitgeber ergriffene «administrative Maßnahmen» scheinen «aus dem Nichts» zu kommen. Manchmal haben die Opfer vorher beruhigende Nachrichten erhalten: Der Konflikt werde sich schon lösen. Manchmal heißt es sogar, alles sei wieder in Ordnung, und es herrsche allgemeine Zufriedenheit.

  • Mitteilungen über Versetzungen, Strafmaßnahmen, Änderungen der Arbeitsaufgaben kommen dann plötzlich wie aus heiterem Himmel. Der Betroffene fühlt sich betrogen, weil er plötzlich einsehen muss, dass sich seit...

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