Muss ich oder muss ich nicht?
Vom Stress zum Burnout
„Ich bin im Stress.“ Würde einmal jemand erforschen, wie oft dieser Satz Tag für Tag ausgesprochen wird, ich bin mir sicher, er erhielte einen Platz unter den Top 3 der deutschen Sätze, sehr weit vor „Ich liebe dich“ oder „Heute ist ein toller Tag.“ Wieso gurgelt dieser Satz die Kehle hinauf mit einer Selbstverständlichkeit, die einem „Guten Morgen“ oder „Zwei Semmeln, bitte!“ gleichkommt? Die Antwort ist, dass wir uns an den Stress genauso gewöhnt haben wie an die Semmeln und den neuen Morgen.
Laut Arbeiterkammer leiden rund 27 Prozent der österreichischen Arbeitnehmer an Stress. Zwei Untersuchungen der Arbeitsbelastungen und deren Auswirkungen auf die Beschäftigten der EU-Mitgliedsstaaten ergaben, dass seit 1990 vorwiegend die Stressfaktoren hohes Arbeitstempo und kurzfristig bekannt gegebene, unaufschiebbare Termine deutlich zugenommen haben, wobei die Stressgefährdung in Betrieben mit 50 bis 499 Beschäftigten am größten ist.
Durch den Einsatz moderner Technologien wie EDV und durch eine immer schlankere Organisation muss immer mehr Arbeit in immer kürzerer Zeit erledigt werden. Häufig ist Multitasking, also paralleles Arbeiten, die einzige noch verbleibende Möglichkeit der Beschleunigung. Und das entspricht uns laut Univ.-Prof. Dr. Sepp Porta, Leiter des Instituts für angewandte Stress-Forschung in Bad Radkersburg, überhaupt nicht: „Die Adrenalinausschüttung kennt kein Feedback, das heißt, egal wie hoch der Adrenalinspiegel momentan ist, es wird auf einen gegebenen Reiz noch mehr ausgeschüttet. Multitasking kann also über dauernd steigenden Adrenalinspiegel zu dauernder Herzbeschleunigung und dadurch zu Sauerstoff-Versorgungsschwierigkeiten am Herzmuskel führen. Die ebenfalls durch einen zu hohen Stresshormonspiegel verursachte unmäßige Erhöhung freier Radikale erhöht die Krebs- und Arteriosklerosegefahr. Sportlicher Ausgleich wird durch Multitasking minimiert, wir laufen mit adrenalinbedingten Zuckererhöhungen fast wie Diabetiker herum.“
Univ.-Prof. Dr. Sepp Porta rät zu langen Auszeiten, „die über diesem täglichen Gewurrel stehen“, und zu Ritualen als größten Feind des Stresses: „Ohne dass es jeden siebenten Tag einen Sonntag gäbe, an dem sich Dorfbewohner und Familien gemeinsam ausruhen, wäre die unendliche Wurst des Arbeitsjahres unbewältigbar. Wenn man jeden Tag um die gleiche Zeit um Mittag eine Pause macht, gewöhnt sich der Körper daran und freut sich darauf. Wem das noch Mitte Nachmittag und Vormittag gelingt, wird binnen einer Woche eine Leistungssteigerung bei geringerer Erschöpfung bemerken. Wem kein Ritual gelingt, der soll sich verlieben. Das ist die radikalste Anti-Arbeitsstressmaßnahme. Denn so kommt der Stress vom Altar herunter und der Geliebte, die Geliebte hinauf. Der Stress verhungert sozusagen auf den Altarstufen, da er gleichgültig geworden ist.“
Stressrisiken
Das größte Stressrisiko ist gegeben bei
widersprüchlichen Arbeitsaufträgen
großen Arbeitsanforderungen wie zu viel Arbeit
geringen Anforderungen an die berufliche Qualifikation
wenig Selbstständigkeit bei der Arbeitsausführung
wenig Unterstützung durch Kollegen und Vorgesetzte
(Quelle: Dr. Michael Lenert, Stress in der Arbeit,
Hrsg.: Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien)
Österreich liegt insbesondere beim Stressrisiko „zu viel Arbeit“ statistisch gesehen ganz vorne. Die durchschnittliche Wochenarbeitszeit für Vollzeitbeschäftigte in Österreich ist mit 42,4 Stunden laut Eurostat die höchste in der ganzen EU. Da die Überstunden auf einen kleinen Teil der Arbeitnehmer konzentriert sind – auf 800.000 von 3,2 Millionen Beschäftigten –, kann man davon ausgehen, dass für so manchen mit 60 oder mehr Wochenstunden Arbeiten bis zum Umfallen angesagt ist. Im wortwörtlichen Sinn, denn mit einer hohen Überstundenbelastung steigt auch die Krankheitswahrscheinlichkeit. Abgesehen davon, dass sich die Frage stellt, ob der Output der Arbeit bei einer hektischen 60-Stunden-Woche wirklich besser ist, als wenn wir uns zwi- schendurch einmal durchstrecken, in die Luft schauen und unsere Gedanken wieder zur Ruhe kommen lassen oder einmal den Nachmittag im Park statt im Büro verbringen.
Neben dem Arbeitsdruck von außen scheint es aber auch so, dass viele für sich selbst Stress haben „müssen“, denn nur so leisten sie für ihr Gefühl wirklich etwas. Wer hektisch von Besprechung zu Besprechung läuft, keine Zeit für private Treffen hat und um zehn Uhr abends von der Arbeit nachhause kommt – nicht ohne etwas Büroarbeit im Gepäck –, nachdem er unterwegs schnell einen Imbiss im Gehen zu sich genommen hat, für den ist klar: Er hat etwas geleistet – und so definieren viele häufig ihren Wert. Wer allerdings seinen eigenen Wert zu sehr über die Arbeit definiert, gerät häufig unter Druck, der bald auch physisch und psychisch sichtbar wird, etwa durch hohen Blutdruck, Rückenschmerzen, Ängste und ein Gefühl der Leere. Im schlimmsten Fall schlittert man auf dieser Leistungs-Achterbahn schnurstracks in ein Burn-out, ein völliges physisches und psychisches Ausgebranntsein, aus dem man nur noch durch eine unfreiwillige Auszeit in Form eines monatelangen Krankenstands wieder herausfinden kann, meist nachdem man eine lange Phase der Leugnung hinter sich hat. Die Frage, ob man eine Auszeit nehmen will oder kann, stellt sich dann nicht mehr, eine Auszeit ist zu einem Muss geworden.
Die Stufen des Burnouts
Burnout – Vorstufe: Extremes berufliches Engagement, das auch in die Freizeit hineinreicht. Private Interessen und Beziehungen werden hintangereiht. Als Warnsignale treten Angst, Langeweile, das Gefühl der Leere bei Nicht-Beschäftigung und ein geringes Erholungspotenzial auf.
Burnout – Frühstadium: Zunahme von Wirbelsäulenbeschwerden und Infekten, die zu längeren Krankenständen, als sie davor üblich waren, führen. Gefühle von Sinnlosigkeit und Resignation, Zynismus. Flucht in äußere Aktivitäten, oberflächliche Vergnügungen und Rauschmittel wie Alkohol.
Burnout – fortgeschrittenes Stadium: Die Arbeit wird schwieriger und macht wenig Freude, Fehler treten auf. Was einen früher geärgert, gekränkt oder gefreut hat, lässt einen zunehmend unbewegt. Urlaube bringen kaum mehr das Gefühl der Erholung.
Burnout – voll ausgeprägt: Resignation, Gefühl der Sinnlosigkeit, Frustration und Einsamkeit nehmen überhand. Die Gefühlswelt ist völlig abgestumpft, verantwortungsvolle Tätigkeiten sind kaum noch möglich.
(Quelle: Dr. Günther Possnigg, www.burnoutnet.at)
Test: Bin ich burnoutgefährdet?
Beantworten Sie die Fragen nach Ihrem ersten Impuls und vergeben Sie durch Ankreuzen Punkte von bis
= trifft fast nie zu
= trifft selten zu
= trifft manchmal zu
= trifft häufig zu
= trifft fast immer zu
1. Ich habe allgemein zu viel Stress in meinem Leben. | | | | | |
2. Durch meine Arbeit muss ich auf private Kontakte und Freizeitaktivitäten verzichten. | | | | | |
3. Auf meinen Schultern lastet zu viel. | | | | | |
4. Ich leide an chronischer Müdigkeit. | | | | | |
15. Ich habe das Interesse an meiner Arbeit verloren. | | | | | |
6. Ich handle manchmal so, als wäre ich eine Maschine. Ich bin mir selber fremd. | | | | | |
7. Früher habe ich mich um meine Mitarbeiter und Kunden gekümmert – heute interessieren sie mich nicht. | | | | | |
8. Ich mache zynische Bemerkungen über Kunden und Mitarbeiter | | | | | |
9. Wenn ich morgens aufstehe und an meine Arbeit denke, bin ich gleich wieder müde. | | | | | |
10. Ich fühle mich machtlos, meine Arbeitssituation zu verändern. | | | | | |
11. Ich bekomme zu wenig Anerkennung für das, was ich... |