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E-Book

Nachruf auf Amerika

Das Ende einer Freundschaft und die Zukunft des Westens

AutorKlaus Brinkbäumer
VerlagS. Fischer Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl528 Seiten
ISBN9783104902265
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Die USA sind uns fremd geworden. Zwar waren sie immer schon ein Land der Widersprüche, doch mit Donald Trumps Präsidentschaft wurde klar: Fundamentales verschiebt sich, was gerade noch verlässlich schien, bricht entzwei. Auch nach Donald Trump wird es nicht wieder so werden wie zuvor. Warum das so ist, zeigt uns Klaus Brinkbäumer in seinem großen Buch über Amerika. Als Chefredakteur und langjähriger USA-Korrespondent des Nachrichtenmagazins »Der Spiegel« kennt er das Land wie wenige andere. Er hat über die Jahre mit Barack Obama, Dick Cheney oder Hillary Clinton, mit George Clooney oder Bruce Springsteen, mit zahlreichen Persönlichkeiten aus Politik, Kultur und Wirtschaft gesprochen und mit Donald Trump ein etwas anstrengendes Telefongespräch geführt. In seiner so leidenschaftlichen wie analytischen Schilderung von Menschen, Orten, Stimmungen, Geschichte und Geschichten zeichnet er das faszinierende Porträt einer Nation, die für Jahrzehnte wegweisend für uns war und nun im Begriff ist, sich selbst zu verlieren. Das Ende dieser einst so verlässlichen Beziehung wird unsere Zukunft wesentlich bestimmen.

Seit dreißig Jahren ist Klaus Brinkbäumer (geb. 1967) den USA eng verbunden. Seit seinem Studium an der University of California, Santa Barbara, war er regelmäßig dort und verfolgte fasziniert und kritisch das politische und kulturelle Leben. 2007 wurde sein Lebenstraum wahr und er ging als Korrespondent des SPIEGEL nach New York. So erlebte er die berühmten Krisenjahre und die Jahre Obamas hautnah mit. Von 2015 bis 2018 war Klaus Brinkbäumer Chefredakteur des SPIEGEL und Herausgeber von SPIEGEL ONLINE. Er gewann u. a. den Egon-Erwin-Kisch-Preis, den Henri-Nannen- Preis, den Deutschen Reporterpreis und wurde 2016 Chefredakteur des Jahres. 2018 verlegte Klaus Brinkbäumer seinen Lebensschwerpunkt erneut in die USA, von wo aus er nun als Journalist für ZEIT, Filmemacher und Buchautor tätig ist. Zu seinen Büchern der letzten Jahre zählen  »Der Traum vom Leben - Eine afrikanische Odyssee«, »Die letzte Reise - Der Fall Christoph Columbus« (mit Clemens Höges) und »Nachruf auf Amerika«. 2019 wurde er in den Stiftungsrat des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels berufen.

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Leseprobe

I. Der atlantische Graben


Wenn Deutsche über ihr Verhältnis zu den USA schreiben oder diskutieren, wird es schnell emotional: Glaubensfragen eben. Es gibt Verklärung und Dämonisierung, Amerikaromantik und Antiamerikanismus. Die USA haben Deutschland besiegt und befreit, sie waren Freund und doch ganz schön besserwisserisch, natürlich hatten sie Ideale, aber sie waren immer auch brutal im Durchsetzen eigener Interessen. Aus ebendiesen Gründen ist es möglich und gesund, eine zugleich sympathiegetragene und eigenständige Haltung einzunehmen. Ich halte eine solche Haltung sogar für zwingend: Wir müssen uns emanzipieren, da die Welt komplizierter geworden ist und die USA kein verlässlicher Partner mehr sind (und auch nach Trump nicht wieder zu einem werden dürften); die Zeiten, in denen wir auf die USA bauen und den USA alle großen, vor allem alle schmutzigen Aufgaben überlassen konnten, sind vorbei.

Wir sollten uns gleichwohl noch immer gestatten zu mögen, was mögenswert ist, diese amerikanische Phantasie und Vielfalt, all die Musik, die Literatur oder die Stadt aller Städte, New York City; und natürlich dürfen wir die USA trotzdem kritisieren, müssen es sogar. Emanzipation bedeutet nicht Verdammung des einstigen Partners. Wir brauchen den veränderten Partner USA weiterhin. Europa darf die Verbindungen nicht von sich aus abreißen lassen, sollte sogar neue aufbauen, zu Städten, Gouverneuren, Firmen, Verlagen, Universitäten, Schulen.

Europa muss nur wissen: So wie es war, wird es nicht wieder werden. Aber das ist kein Grund, beleidigt zu sein. Es ist die neue Wirklichkeit, die sich durch uns gestalten lässt.

 

Um den Westen also, um die transatlantischen Beziehungen, um uns und unseren fremd gewordenen Freund USA, soll es in diesem Buch zuerst und zuletzt gehen. Um unser Bild von Amerika, unser Verständnis der USA soll es zwischendurch gehen (und um Missverständnissen gleich zu Beginn vorzubeugen: Im folgenden Text wird das Wort »Amerika« mitunter als Synonym für die USA eingesetzt werden, weil dies in den USA so gelernt und üblich ist – auch wenn mir bewusst ist, dass sowohl »Amerika« als auch »Nordamerika« im geographischen Sinne mehr umfassen als die USA). Um New York City, die Heimat des Präsidenten Donald Trump, wird es gehen, danach um das ganze große, weite Land USA und vor allem dessen Inneres, zu Beginn und am Ende um den transatlantischen Bruch und dessen Folgen. Weite Bögen sollen geschlagen werden, doch ganz klein möchte ich beginnen, mit einer Frage, die den Alltag betrifft: Was unterscheidet die und uns, was das Leben in den USA vom deutschen? Was ist dort anders als hier, und was haben die Amerikaner von uns und wir von ihnen übernommen?

 

Kleinigkeiten:

Wie überflüssig die halbe Stunde Werbung im deutschen Kino ist, wie unlogisch, wenn man doch gerade erst zehn Euro für den Film bezahlt hat.

Wie wunderbar die Bionade im deutschen Kino schmeckt. Oder das Beck’s.

Und wie verblüffend sich Sprache verhält, wenn sie einen Ozean überquert. Wenn sie hier geboren und dort erwachsen wird oder auch umgekehrt. Oder wenn wir hier hören, was dort gesagt wird.

Umlaute zum Beispiel.

Umlaute gelten in den Vereinigten Staaten als enorm europäisch, darum als exotisch und cool. Die Speiseeis-Firma Häagen-Dazs wurde von einem amerikanischen Ehepaar erfunden und deshalb Häagen-Dazs genannt, weil das »äa« skandinavisch lässig klang; so begann die Erfolgsgeschichte. Diverse Rockbands der siebziger und achtziger Jahre benutzten Umlaute: Blue Öyster Cult, Mötley Crüe, Motörhead. Es funktionierte immer. Umlaute lassen manche Amerikaner (oder ihre Computersysteme) aber natürlich auch verzweifeln. Auf Adressaufklebern steht mein Name auf wunderschönste Arten: Klaus Brinkb Mer. Oder, ständig: Brinbau Mr.

Und munter wird eingemeindet. »Shvitz« sagt man im russischen Bad in der 10. Straße in New York. Es dampft und blubbert und zischt dort, man geißelt sich schwitzend selbst mit Zweigen, und hinterher jubiliert man: »great shvitz«. Wenn dort übrigens die Begleiterin bezahlt, ist der breitschultrige Russe hinter dem Tresen schwer irritiert und zeigt auf den Mann neben der Begleiterin und sagt: »He doesn’t speak any English, right?«

Das Wort »Dollar« ist von »Taler« abgeleitet.

»Schmaltz« kommt natürlich auch aus dem Deutschen. »A schmaltzy marriage proposal.« Und andersherum: Deutsche Menschen »messengern« seit Jahren schon. Deutsch und Englisch gehen ja prima zusammen.

Da ist nämlich, dort wie hier, das primitive Element. Auf der Straße in New York: »Well, man, I was, like, fuck, man.« In Berlin klingt das ähnlich.

Da sind aber auch Unterschiede, da ist die amerikanische Entschlossenheit. »Buckle-up-enforcement unit« steht auf einem Polizeiwagen in Miami. Deutschland ist weniger scharf, eine Anschnalldurchsetzungseingreiftruppe wurde glücklicherweise noch nicht erfunden. Wir haben auch weniger schöne Abkürzungen als unsere amerikanischen Freunde.

»X.o.w.« steht für die einstige Zweitfrau: »ex-other woman«. »Ex-prez« ist der Expräsident. »R U 4 real«? Klar, bin ich. Und der ganz normale Heterosexuelle: »He is str8«. »GhaG« ist das Akronym für »girl-hating girls«, ein Mädchen also, das nur männliche Freunde hat. Das Deutsche wirkt dann doch vergleichsweise einfallslos. »Lote« = denselben Menschen lieben und hassen (»love« und »hate« in Kombination). Wer ständig etwas in sein Smartphone hackt, ist »typeractive«. Wer einer Sache ganz und gar überdrüssig ist, ist »over the hillary with …« »Superdels« sind Superdelegierte, »Dems« die Demokraten. »Apocalipstick«, das hat Maureen Dowd für Sarah Palin erfunden. Ein Boxer »chickens out«, wenn er feige und ehrlos verliert.

Und da ist noch etwas: der reine Klang des amerikanischen Englisch, dem Deutschen himmelweit überlegen.

Hohe Absätze? »Punishing heels.« Barbara Bloom, Fotografin, sagte: »A drink before, and a cigarette after are the three best things in life.« Purer Sex eben. Das schwingt und klingt leider nur in einer jener beiden Sprachen, um die es hier geht.

Im Flughafenbus belausche ich zwei Teenager. »Do you know a German word?« »Yeah: Hallo.« »Means what?« »Hallo means Hi.« »One more German word?« »Juice.« »Juice?« »Yeah, juice. The Germans say that whenever they have got something and walk away with it.« Ich überlegte eine Weile. Sie können nur »Tschüs« gemeint haben, nicht wahr?

Die Deklination deutscher Substantive fällt den Amerikanern schwer. Mark Twain hat sich darüber in seinem Essay The Awful German Language beschwert: »Every noun has a gender, and there is no sense or system in the distribution; so the gender of each must be learned separately and by heart. There is no other way. To do this one has to have a memory like a memorandum-book.« Begriffe wie »Stadtverordnetenversammlungen«, so Twain, seien »keine Wörter, sondern alphabetische Prozessionen«.

Und das deutsche Lautsystem verfügt über 17 sogenannte Monophthonge (einfache Vokallaute) und 21 sogenannte Konsonantenphoneme. Im zu sprechenden Wort werden Vokale überwiegend mit etwas, das unter Sprachwissenschaftlern »Glottalverschluss« genannt wird, neu angesetzt; der Glottalverschluss heißt manchmal auch »harter Stimmeinsatz« bzw. »harter Vokaleinsatz«. »Sch«, »ch«, »chr«, nein, kein Amerikaner mag diese Klänge. Welcher Deutsche wiederum kann schon New Orleans, Los Angeles, Chicago richtig aussprechen?

Noch einmal zurück zu den Anglizismen: Einmal im Jahr kürt der Verein Deutsche Sprache den Sprachpanscher des Jahres. 2011 gewann René Obermann den Preis, da fast sämtliche Tarife der Deutschen Telekom englische Namen hatten: Weekend Flats, Entertain Comfort, Call&Surf Comfort, Call&Surf Mobile Friends, CombiCard Teens, Extreme Playgrounds …

Aber was hilft’s, dieser Kampf ist verloren, Anglizismen sind überall: E-Mail, Computer, Laptop, Shoppen, Bodyguard, Sound, Trend, Highlight, Recycling, Surfen, Party, Meeting, Googeln, Lifestyle, easy, Talkshow, cool, Flyer, Bowling, Airlines, Feedback, Casting, Manager, Event, Fitness, Workaholic, Team, Relaxen, Rating, Portfolio, One-Night-Stand, Holding, Marketing, online – alles Deutsch. Leider auch: Das macht keinen Sinn (that doesn’t make sense), nicht wirklich (not really), Liebe machen (to make love). Dem Sprachforscher Jannis Androutsopoulos ist aufgefallen, dass sich die deutsche Sprache besonders für die amerikanisierte Slangbildung eigne: Entlehnte englische Verben würden grammatikalisch angepasst, damit sie in die deutsche Syntax passten. Aus flipped out wird ausgeflippt, aus chill out abchillen, aus hang out abhängen.

Und sogar Schein- und Pseudoanglizismen haben sich durchgesetzt: Handy (mobile phone), Mobbing (bullying), Body Bag (wäre im Amerikanischen ein Leichensack) und Wellness (Amalgam aus wellbeing und fitness) tun zwar so, als seien sie Englisch, sind aber Deutsch, und kein gutes.

Die Amerikaner...

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