Außenpolitik nach der Wahl Trumps
Die Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der Vereinigten Staaten hinterlässt Spuren in der internationalen Politik. Noch President-elect drohte er in seinen Tweets schon den Autokonzernen, die in Mexiko produzieren und in die USA importieren, mit hohen Strafzöllen. Dann zeigte er in seiner Inaugurationsrede mit hochgereckter Faust dem weltweiten Publikum, dass die nationalistische Steigerung der America-first-Parole kein Wahlkampfgetöse bleiben, sondern auch die Außenpolitik des Weißen Hauses bestimmen soll. Nicht nur die Beziehungen zu den atomaren Großmachtrivalen China und Russland stehen vor einem Umbruch. Auch das Verhältnis der USA zu Europa und zu den NATO-Partnern scheint demnach dem Primat des radikalen amerikanischen Eigeninteresses zu gehorchen. Präsident Trump gibt die unmissverständliche Botschaft, dass er nur noch solche »Partner« kennt und nennt, die ihm selbst und seinem Land nutzen.
Das hätte gravierende Folgen für die internationale Ordnung und für unsere eigene Außenpolitik. In der Handelspolitik wechseln die USA unter Trump womöglich vom Lager des Freihandels in das des nationalen Protektionismus. Freihandelsverträge wie das seit 1994 bestehende nordamerikanische NAFTA stellt Trump infrage, neue wie das transpazifische TPP oder ein transatlantisches Abkommen wird es in absehbarer Zeit nicht geben. Jedem muss klar sein, dass Washington fortan bereit sein könnte, internationale Verträge aufzukündigen oder in der Praxis zu ignorieren. Wenn auf Autoimporte ein Strafzoll von 35 Prozent erhoben wird, widerspricht das nicht nur den NAFTA-Bestimmungen, sondern auch den WTO-Regeln. Klagen dagegen sind langwierig. Im Erfolgsfall stünde die Option zur Wahl, mit eigenen europäischen Strafzöllen auf amerikanische Produkte zu kontern. Diese Spirale eskaliert in einen Handelskrieg, der allen Seiten schadet und den nicht nur Verbraucher über hohe Preise, sondern vor allem auch Arbeitnehmer in den exportorientierten Industrien mit ihrem Arbeitsplatz bezahlen müssen. Auf diesen Schuss ins eigene Knie muss sich dann allerdings auch Präsident Trump einstellen. Denn wer seinen wirtschaftlichen Erfolg nicht mehr auf international überlegene Produkte stützt, wie es der Stolz Amerikas war, sondern auf die Abschottung gegen andere, die bessere Autos bauen, der beschleunigt seinen eigenen Niedergang mehr als er anderen schaden kann. Deutschland ist gut beraten, mit ruhigem Selbstbewusstsein die Qualität seiner Industrie weiter zu steigern und den Erfolg über das bessere Produkt zu suchen.
Irrational, schwankend und unberechenbar kann die US-Politik nun auch in Sicherheitsfragen werden. Über eine einseitige Aufkündigung des Iran-Abkommens durch die Vereinigten Staaten ist offenbar noch nicht entschieden. Man muss sich aber vor Augen führen, was das bedeuten könnte: Dieser Schritt würde auf einen Schlag die Kriegsgefahr im Nahen und Mittleren Osten steigern. Iran würde mit neuer Rücksichtslosigkeit die Atomwaffe in die Hände zu bekommen versuchen. Die Folge wäre ein dramatischer nuklearer Rüstungswettlauf im Nahen Osten. Wie das im Interesse der USA und Israels sein könnte, lässt sich rational nicht nachvollziehen. Eine Aufkündigung des klugen, ganz wesentlich durch die USA, Großbritannien, Frankreich und Deutschland entwickelten und von allen fünf ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates getragenen Atomabkommens mit dem Iran könnte also einen Stein ins Rollen bringen, den Nahen Osten weiter destabilisieren und noch mehr Menschen zu Flüchtlingen machen. Europa kann in einem solchen Szenario nicht einseitig Partei ergreifen. Aus eigenen Interessen muss es zu vermitteln und zu deeskalieren versuchen.
Sollte Präsident Trump hingegen seine Ankündigungen wahr machen und einen Ausgleich mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin suchen, muss das keine schlechte Nachricht sein. Eine Entspannung an Europas östlichen Grenzen erhöht unsere Sicherheit. Es kommt allerdings auf die Bedingungen an, zu denen eine Neubestimmung in den amerikanisch-russischen Beziehungen erfolgt. Überginge Trump die Interessen der baltischen Staaten und Polens, wäre die Daseinsberechtigung der NATO in Frage gestellt: Gilt dann noch das Versprechen des Beistands aller Mitglieder füreinander? Sanktionierte das Weiße Haus den Gebrauch von Gewalt in der Ukraine und den Versuch, europäische Grenzen zu verschieben, so stünde damit die gemeinsame Sicherheitsordnung der KSZE und OSZE und das Bekenntnis zur Nachkriegsordnung mit der friedlichen Beilegung von Konflikten endgültig zur Disposition. Auch eine Bagatellisierung der in Syrien mit russischer Waffenhilfe begangenen Kriegsverbrechen würde das transatlantische Bündnis des Westens als Wertegemeinschaft der Menschenrechte in seinem Kern schwächen. Die freiheitliche Demokratie ist es, die damit an Halt und Geltung verlieren könnte.
Der neue amerikanische Präsident hat sich in seinen ersten Amtstagen zur NATO und zur europäischen Integration zunächst uninformiert, gleichgültig und auch abschätzig geäußert. Das war in der Geschichte für einen US-Präsidenten beispiellos. Nicht auszuschließen, dass Präsident Trump im Amt jetzt vernünftiger agiert. Vertreter der US-Administration haben in den ersten Wochen seiner Amtszeit versucht, Zweifel über das Bekenntnis der USA zur NATO und zur Zusammenarbeit mit der EU auszuräumen. Nicht auszuschließen ist aber dennoch, dass die Radikalität des Denkens des Präsidenten zur außenpolitischen Handschrift der USA wird. Die aktuelle Unberechenbarkeit, die mit Donald Trump ins Weiße Haus einzieht und damit die Handlungsweise der USA in handels- und sicherheitspolitischen Fragen erfasst, kann zu einer ernsthaften Krise des Westens führen. Diese Gefahr ist die eigentliche außenpolitische Zäsur, die mit der Wahl Trumps verbunden ist. Es werden Prinzipien und Institutionen infrage gestellt, die insbesondere für Deutschlands internationale Orientierung seit Jahrzehnten entscheidend sind. Auf diese Lage müssen wir Antworten finden.
Zuerst gilt es, an unsere Prinzipien und Urteilsmaßstäbe zu erinnern und sie zu bekräftigen. Außenpolitik trifft notgedrungen viele Entscheidungen weit jenseits idealer Ziele. Sie muss abwägen, Spielräume lassen, kann oft nur Schlimmeres vermeiden oder verhüten, muss immer die Frage der Machbarkeit vor derjenigen der Wünschbarkeit beantworten. Diese realpolitische Vernunft ist selbst ein herausragendes Prinzip und hebt sich ab von einem Abenteurertum, zu dem vermeintlich linke Internationalisten genauso in der Lage sind wie rechte Militaristen. Gerade weil aber in der Außenpolitik so vieles relativ ist, braucht sie einen Kompass der Grundsätze, der uns davor bewahrt, im machtpolitischen Relativismus und Opportunismus verloren zu gehen. Dieser Kompass wird noch wichtiger, wenn die Prinzipien erschüttert werden und die Institutionen, die sie verkörpern, an Geltung verlieren.
Auf einen amerikanischen Nationalismus sollten wir nicht bange oder kleinlaut oder mit vorauseilendem Gehorsam reagieren. Hier sind keine Mitläufer gefragt, sondern aufrechte Demokraten und streitbare Liberale. Wir sollten auf die Herausforderungen durch die neue US-Regierung mit den Grundsätzen und Ansprüchen der freien Welt antworten, die nicht zuletzt in der amerikanischen Verfassung ihren Ursprung haben. Wir sollten als Europäer den »Westen« als Idee und Prinzip neu begründen und in die heutige Welt übertragen.
Im Kern geht es um gleiches Recht auf Freiheit, Sicherheit und Wohlergehen, das in der Globalisierung mit ihren wechselseitigen Abhängigkeiten kein Privileg weniger US-Bürger sein kann. Auf diesem Recht fußt die internationale Ordnung, die wir wollen und aus der wir die Regeln unserer Sicherheitsbündnisse, unserer Handelsverträge oder unserer Klimaschutzabkommen gewinnen.
Eine zweite Antwort auf Donald Trump sollten außenpolitische Initiativen sein. Es gibt keinen Grund abzuwarten, was da auf uns zukommt. Wir sollten nach unseren eigenen Interessen und Werten neue Projekte starten, die auf internationale Kooperation und Entspannung gerichtet sind. Deutschland und Europa haben die erste Pflicht, Frieden, Sicherheit und Stabilität auf unserem Kontinent zu schützen. Wenn der US-Präsident das Verhältnis zu Russland entspannen will, sollte Deutschland die vom sozialdemokratischen Außenminister Frank-Walter Steinmeier 2016 vorgeschlagene Rüstungskontrollinitiative erneuern. Die USA und Russland könnten – ohne dass dafür schon alle Gegensätze ausgeräumt sein müssen – sofort mit einer Renaissance der Rüstungskontrolle und einem gemeinsamen Stopp von Aufrüstungsplänen beginnen. Eine gemeinsame Agenda zur Eindämmung von Cyber-Interventionen durch vertrauensbildende Kontrollmechanismen wäre hilfreich, um das gegenseitige Misstrauen abzubauen.
Wenn es in diesem Zuge gelingt, die Befriedung der Ostukraine und die Umsetzung der Minsker Beschlüsse zu erreichen, wenn Moskaus Ernsthaftigkeit bei der Achtung von internationalen Vereinbarungen und Grundsätzen erkennbar ist, wird der Ausstieg aus den Sanktionen möglich. Eine amerikanisch-russische Verständigung sollte Europa vor allem auch mit Blick auf den Nahen Osten unterstützen. Eine gemeinsame Strategie im Umgang mit dem Iran...