1 Die Französische Revolution
1.1 Planung der Unterrichtseinheit
Planung der Unterrichtseinheit
Zur Planung der Unterrichtseinheit gehen wir wie in den vorausgehenden Bänden wieder von den Domänen aus und fragen, welche Kategorien für die Französische Revolution von Bedeutung sind:
Herrschaft | Recht | Gesellschaft | Religion | Wissenschaft |
- Demokratie
- Verfassungsstaat
- Volkssouveränität
- Revolution
| - Ständerechte
- Menschen- und Bürgerrechte
- Freiheit
- Gleichheit
| - Ständegesellschaft
- Bürgerliche Gesellschaft
| - Religionsfreiheit
- Abschaffung der Religion
| - Naturwissenschaft
- Empirismus
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Wirklichkeit | Selbstverständnis | Wirtschaft | Krieg |
- Sinneswirklichkeit
- Gedankliche Erfassung der Sinneswelt
| - Individualismus
- Freiheit und Selbstbestimmung
- Gleichheit
| - Marktwirtschaft
- Kapitalismus
- Brüderlichkeit
| - Politischer Krieg
- Volksbewaffnung
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Wir sehen, dass die Kategorien in den Domänen, die mit der Wirklichkeitserfahrung zu tun und die wir daher als „Wirklichkeitskategorien“ bezeichnet haben, seit Anbruch der Neuzeit konstant geblieben sind. Andere wie diejenigen der Domänen des Rechts, der Herrschaft, der Gesellschaft usw. sind in der Frühen Neuzeit zum ersten Mal sichtbar geworden, wurden aber zurückgedrängt; nun brechen sie mit neuer Gewalt hervor und suchen ihre politische und soziale Verwirklichung. Mit der Französischen Revolution werden sie zu Leitideen eines Zeitalters: Die Ideen der Demokratie, der Menschen- und Bürgerrechte, der Freiheit und der Gleichheit, die zu einer bürgerlichen Gesellschaft führen werden, sowie die Ideen des Verfassungs- und des Nationalstaats. Sie beschäftigen zunächst europa-, dann aber auch weltweit die politischen Köpfe der Zeit, die für sie eine angemessene Staats- und Gesellschaftsform zu schaffen suchen. Hinzu kamen die Ideen der Marktwirtschaft und des Kapitalismus als neue Wirtschaftsformen. Ihnen haben wir den in der Revolution nur diffus bleibenden Begriff der „Brüderlichkeit“ zugeordnet.
Strukturskizze „Die Französische Revolution“ |
Leitthema: Die Französische Revolution – ein unvollendetes Fundament der Neuzeit? |
Voraussetzungen der Revolution | Grundlegende Umgestaltungen | Die Krise der Revolution | Ergebnisse und Aufgaben |
- Geistige Voraussetzungen:
- Aufklärung
- Staatstheorien
- Politische und gesellschaftliche Missstände
| - National- und Verfassungsstaat
- Bürgerliche Gesellschaft
- Volksbewaffnung
- Menschenrechte
| - Robespierre und der Terreur
- „Revolutionärer Wahnsinn“
- Das Direktorium und der „Retter“ Napoleon
| - Fragwürdige Errungenschaften
- Die Problematik der Umsetzung von „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“
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Notwendige Veränderungen | Unzulängliche Umsetzung | Defizite und Aufgaben |
Die Grundsteine der modernen Welt | bedürfen einer weiteren Verarbeitung und Durchdringung |
1.2 Voraussetzungen der Revolution
Der Absolutismus hatte, wie wir in Band 3 dargestellt haben, gedanklich, politisch, gesellschaftlich und wirtschaftlich ein problematisches Erbe hinterlassen. Die Staatstheorie entwickelte ein strenges Gottesgnadentum, in dem der Herrscher zu einer sakrosankten Person geworden war. Ideen von Mitbestimmung und Gleichheit der Bürger, wie sie zaghaft in der italienischen Renaissance und der deutschen Reformation aufgetreten waren, traten in den Hintergrund oder verschwanden. Finanziell war der Staat ruiniert. Die Hälfte der Staatseinnahmen floss in die Schuldentilgung, ein weiteres Viertel verschlangen die Militärausgaben, 6 % gingen an den Hof, 5 % waren zur Rentenzahlung für den Ersten und Zweiten Stand nötig; so blieben für die eigentliche Regierungsarbeit gerade 14 % des Staatshaushaltes übrig. Der französische Staat hatte eine hegemoniale Stellung in Europa erlangt, deren Verteidigung Geld kostete.
Mit der Aufklärung geriet der Absolutismus gedanklich in die Defensive. Die Aufklärer verlangten Gedanken- und Religionsfreiheit und griffen damit den absoluten Staat in seiner Substanz an. „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit“, schrieb Immanuel Kant 1784; er verlangte, dass die Menschen selbst- und eigenständig denken sollten. „Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen, ist der Wahlspruch der Aufklärung.“1 Damit war jeder Autorität und jedem obrigkeitlichen Denken der Kampf angesagt; der Mensch war auf sich verwiesen und sollte den Maßstab zur Beurteilung der Dinge allein seiner Vernunft entnehmen. So hatte es bereits umfassend und tiefgründig Pico della Mirandola zu Beginn der Frühen Neuzeit formuliert. Kant forderte nichts revolutionär Neues, sondern erinnerte an ein Grundprinzip der europäischen Neuzeit.
1.2.1 Die Staatstheorien von Montesquieu und Rousseau
Nachdem eine Neugestaltung des Staatswesens, das den Forderungen nach Freiheit und Gleichheit gerecht geworden wäre, in der Zeit von der Reformation bis zum Absolutismus nicht gelungen war, machten englische Staatstheoretiker wie John Locke die ersten Schritte zur Begründung einer demokratischen Herrschaft. Ihnen folgten französische Denker nach, von denen Charles de Montesquieu und Jean Jacques Rousseau die bedeutendsten waren.
„Es gibt in jedem Staat drei Arten von Vollmacht: die legislative Befugnis, die exekutive Befugnis in Sachen, die vom Völkerrecht abhängen, und die exekutive Befugnis in Sachen, die vom Zivilrecht abhängen. Auf Grund der ersteren schafft der Herrscher oder Magistrat Gesetze auf Zeit oder für die Dauer, ändert geltende Gesetze oder schafft sie ab. Auf Grund der zweiten stiftet er Frieden oder Krieg, sendet oder empfängt Botschaften, stellt die Sicherheit her, sorgt gegen Einfälle vor. Auf Grund der dritten bestraft er Verbrechen oder sitzt zu Gericht über die Streitfälle der Einzelpersonen. Diese letztere soll richterliche Befugnis heißen, und die andere schlechtweg exekutive Befugnis des Staates. [...] Sobald in ein und derselben Person oder derselben Beamtenschaft die legislative Befugnis mit der exekutiven verbunden ist, gibt es keine Freiheit. Es wäre nämlich zu befürchten, dass derselbe Monarch oder derselbe Senat tyrannische Gesetze erließe und dann tyrannisch durchführte. Freiheit gibt es auch nicht, wenn die richterliche Befugnis nicht von der legislativen und von der exekutiven...