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E-Book

Ohne Plan durch Kirgisistan

Auf der Suche nach dem wilden Ende der Welt

AutorMarkus Huth
VerlagPenguin Verlag
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783641201258
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Job weg, Frau weg - dass man vor seinen Problemen nicht weglaufen kann, hält Markus Huth für Unfug. Als ihm ein Freund vorschlägt, nach Kirgisistan zu reisen, willigt er sofort ein. Denn was liegt näher, als bis ans Ende der Welt zu flüchten? Aber Huth hat keine Ahnung, worauf er sich da einlässt. Er wird von einem Taxifahrer verkauft und findet sich in einer Stadt wieder, in der ausschließlich alte deutsche Autos fahren. Er zittert vor dem Taliban, muss beim kirgisischen Volkssport Tischtennis antreten und dann ist da noch das verdammte Pferd. Trotzdem will er am Ende nicht mehr weg. Ein wildes Abenteuer auf der anderen Seite des Planeten, wo Ost und West, Sowjetismus und Moderne sich treffen.

Das Buch ist mit atmosphärischen Fotos bebildert, die der Autor auf seinen Reisen durch Kirgisistan gemacht hat.

Markus Huth, Jahrgang 1982, ist Autor und Fotograf. Er volontierte bei der Nachrichtenagentur dapd und studierte Geschichte und Archäologie in Berlin und Moskau. Er ist Chefredakteur des Reportage-Magazins 'Weltseher' und hat schon viele entlegene Gegenden bereist, aber nirgends wäre er so gern geblieben wie in Kirgisistan. Derzeit lebt Markus Huth im bulgarischen Plovdiv.

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Leseprobe

Im falschen Kirgisistan

Ankunft in Bischkek

Der Vorteil des Reisens ohne jegliche Vorbereitung ist gleichzeitig der größte Nachteil: Bei der Ankunft ist nichts organisiert. Das mag an einem sonnigen Nachmittag in Florenz kein Problem sein. Geht man halt ins nächste Café mit WLAN und bucht ein Hotelzimmer.

Aber das hier war nicht Florenz.

Das war Kirgisistan.

Gab’s hier überhaupt Internet? Ich hatte keine Ahnung. Und es hätte eh nichts genützt, da ich alle internetfähigen Geräte zuhause gelassen hatte. Schließlich war ich hier, weil ich eine Auszeit von der Zivilisation brauchte. Ich erschrak dann aber doch, als ich erfuhr, dass auch Franz weder Smartphone noch Laptop dabeihatte. Einzig ein altes Handy hatte er mitgebracht. So ein piepsendes Ding aus den frühen neunziger Jahren, mit grün leuchtendem Display. Immerhin hatte er einen Reiseführer eingesteckt.

Um halb fünf Uhr morgens pressten die Reifen unseres Fliegers ihren Gummi auf kirgisischen Boden. Der Flughafen von Bischkek ist benannt nach dem kirgisischen Nationalhelden Manas, Verteidiger der vierzig kirgisischen Stämme gegen die Uiguren. Sein Heldenepos hat eine halbe Million Verse und ist länger als die Odyssee und die Ilias zusammen. Der Flughafen-Namensvetter konnte diesem Ruhm nicht ganz gerecht werden. Die sich öffnende Flugzeugtür gab den Blick auf eine wackelige Treppe auf Rädern frei. Statt ein modernes Flughafenterminal empfing uns ein schmuckloser Flachbau aus Beton, der im Morgenwind zu frieren schien.

Nachdem wir ihn betreten hatten, hielten Flughafen-Uniformierte uns Passagiere mit Absperrband in der Ecke einer krankenhausartigen Empfangshalle fest. Wie die Pferde bei einem Rennen warteten wir darauf, dass sie das Band lösen und wir endlich zur Passkontrolle losstürmen konnten.

Und dort wartete schon mein schlimmster Albtraum: ein Uniformierter mit Tellermütze im Glaskasten. Außer an dessen Gesichtszügen, die asiatisch waren, konnte ich keinen Unterschied zu dem Uniformierten am Moskauer Flughafen erkennen, der mich damals so rabiat aus dem Land geschmissen hatte.

Bitte kein neues Moskau, flehte ich innerlich.

Und dann geschah das Unfassbare.

Während ich mit pochendem Herzen auf ihn zumarschierte, erkannte ich so etwas wie … ja, konnte das denn sein? Doch, ich war mir nun ganz sicher: Der Mann lächelte nett! Für russische Grenzbeamte ein Kündigungsgrund.

»Guten Tag, den Pass bitte«, sagte er freundlich auf Russisch.

Ich schob das Dokument ungläubig durch den Glasschlitz. Der Uniformierte machte ein Gesicht wie ein kleiner Junge, der gerade eine seltene Autospielkarte in die Hände bekommen hat. Mit einer Mischung aus Neugierde und Spieltrieb wog er meinen Pass hin und her, sodass der Bundesadler golden schimmerte. Kein Wunder, denn Europäer waren hier fast so selten wie Kängurus in Mecklenburg-Vorpommern. Pro Tag kam nur je eine Maschine aus Istanbul und London an. Der Rest des Flugverkehrs beschränkte sich auf Kirgisistan und die Nachbar-Republiken.

Plötzlich fiel dem Beamten wohl ein, dass er eine Respektsperson war, und er sagte, sichtbar um Professionalität ringend:

»Aha, Deutschland. Willkommen in Kirgisistan, gehen Sie bitte weiter.«

Ein Stempel, und ich war drin. Und während ich mich noch wunderte, dass er nicht mal nach dem Grund meines Besuchs gefragt hatte, kicherte es hinter mir:

»Österreich!«

Wir hatten es also geschafft. Jetzt gab es nur noch ein Problem: Wir mussten in die dreißig Kilometer entfernte Hauptstadt Bischkek kommen. Normalerweise wäre die Lösung einfach gewesen. Wie in den anderen postsowjetischen Staaten verkehrten in Kirgisistan die fleißigen Marschrutkas. Hier ist Nomen Omen – in dem Wort hat sich die deutsche Marschroute verschanzt. Die Kleinbus-Sammeltaxis sind günstig und verlässlich. Aber leider war es zu früh am Morgen. Weit und breit war kein Marschrutka zu sehen.

Stattdessen strömte am Ausgang eine Horde zwielichtiger Gestalten auf uns zu. Mit ihren dunklen Lederjacken und den tief ins Gesicht gezogenen Mützen sahen sie aus wie Schläger der Mafia. Sie zischten auf Russisch:

»Taxi Rebjata, Taxi, Taxi.«

»Psst, tschht, schhht, hey, ey, Taxi, Taxi, Taxi Rebjata!«

Wie ein wütender Mückenschwarm umkreisten uns die Fahrer, während wir mit unseren Rucksäcken auf dem Rücken unbeirrt hinaus ins Freie schritten. Im Umgang mit der Taximafia lautet die wichtigste Regel: so desinteressiert wie möglich dreinblicken. Denn je interessierter man aussieht, desto höher wird am Ende der Preis.

Doch draußen angekommen, legte sich meine desinteressierte Miene in Sorgenfalten. Wir hatten eine denkbar schlechte Verhandlungsposition. Außer Feld und Acker war in der Dämmerung nichts zu erkennen. Und plötzlich waren es die eben noch penetranten Taxifahrer, die höchst desinteressiert taten. Das Blatt hatte sich gewendet. Nun mussten wir quasi darum betteln, in die Stadt gefahren zu werden. Für fünfhundert kirgisische Som, umgerechnet neun Euro, stimmte schließlich einer zu. Sein Gefährt war ein alter weißer Wolga, der Cadillac der Sowjetunion.

Wir fuhren auf einer breiten, asphaltierten Straße und waren das einzige Auto weit und breit. Vor dem Fenster setzte die Dämmerung ein. Neben der Straße lag nur Land: weite Felder, Bäume und in der Ferne hohe Berge, deren schneebedeckte Spitzen rosa im Morgenlicht leuchteten. Richtig idyllisch.

Irgendwann stoppte der Fahrer und sagte:

»Wir sind da.«

Ich sah mich um. Und erkannte nur ein paar Sandwege und Dorfhäuschen.

»Aber wir wollten nach Bischkek … Sie wissen schon … die Hauptstadt.«

»Ich sagte doch, dass wir da sind.«

Und so standen wir mit unseren Rucksäcken mitten in der wohl dörflichsten Hauptstadt der Welt und blickten dem abfahrenden Taxi hinterher.

Nachdem sich die ölige Duftnote des Wolgas verzogen hatte, roch es plötzlich wie im Wald. Ich musterte die Umgebung. Zweistöckige Häuser mit spitz zulaufenden Dächern aus Wellblech waren umgeben von zaungeschützten, üppigen Gärten. Der Sandweg war gesäumt von Laubbäumen, die mir sehr bekannt vorkamen. Pappeln, Kastanien und Linden. Das war also das exotische Asien? Hätte auch Sachsen sein können. Dabei hätte ich es mir ja denken können. Kirgisistan liegt mitten in der eurasischen Landmasse, fernab von allen Weltmeeren. Das Klima ist also kontinental. Und genauso, wie in den Tropen Palmen wachsen, egal ob Peru, Oman oder Dschibuti, wachsen in Kirgisistan wie in Deutschland eben Laubbäume.

Der kontinentale Morgenwind blies mir einige Fragen in den Kopf: Wo würden wir schlafen? Wo wollten wir hin? Was würden wir hier eigentlich tun?

»Ich hab Hunger«, sagte Franz.

Wir gingen einen der Sandwege entlang und kamen schließlich an eine Betonstraße. Und noch etwas weiter stießen wir auf ein Lokal, das sogar geöffnet war. Das Interieur erinnerte an eine sozialistische Kantine. Kaltes Kunstlicht knallte aus summenden Neonröhren von der Decke, Tischdecken aus Plastik bedeckten vierbeiniges Pressholz, umstellt von schmucklosen Stühlen. Ganz am Ende des Raums erwartete uns eine junge, hübsche Kirgisin, mit einer weißen Schürze um die schlanke Taille gebunden. Sie stand hinter einer Art Essensausgabe und blickte uns neugierig an.

»Sdrastwuitje!«, piepste sie das russische Guten Tag.

Freundlich funkelten ihre dunklen Augen unter den glatten schwarzen Haaren, die von einem weißen Tuch zusammengehalten wurden.

»Oh, aus Deutschland, das ist aber von weit her«, sagte sie anerkennend, und dann: »Oh, und Australien!«

»Nein. Österreich.«

Das würde Franz in den nächsten Wochen noch oft richtigstellen müssen. Denn auf Russisch klingen Australien (Awstralija) und Österreich (Awstrija) zum Verwechseln ähnlich.

»Was wollen Sie essen?«

Eine schwierige Frage. Schließlich war mir die kirgisische Küche unbekannt. Ich sagte der Bedienung, sie solle mir etwas Landestypisches auf den Teller legen. Das Ergebnis war eine dicke, längliche gräuliche Nudel. Offenbar war sie mit Fleisch gefüllt. Und mit der hingeklecksten sauren Sahne sah es aus wie …

… Nö. Sorry.

Aber ich werde hier weder beschreiben, wie mein Essen aussah, noch, wie es schmeckte. Reporterpflicht hin oder her. Ich bin doch nicht lebensmüde. Wer die Story des Briten kennt, wird das verstehen. Was, die kennen Sie nicht?

Die Geschichte des »Pferdepenis-Briten« war durch die internationale Presse gegangen. Er war ein Minenarbeiter, der glücklich und zufrieden bei einer Goldmine in Kirgisistan angestellt war. Bis zu jenem verhängnisvollen Tag, an dem er aus der Kantine das Foto des kirgisischen Nationalgerichts Tschutschuk – eine Wurst aus gewürztem Pferdefleisch – auf Facebook postete. In einem Anflug von britischem Humor verglich er deren Aussehen mit einem Pferdepenis. Nicht ahnend, dass er damit einen Bergarbeiteraufstand auslösen, unter Todesangst zum Flughafen geschmuggelt und dort von der Polizei wegen Rassenhasses verhaftet und vor Gericht gestellt werden würde. Unter Androhung von fünf Jahren Haft musste er sich im Fernsehen beim kirgisischen Volk entschuldigen. Schließlich wurde der Brite auf Lebenszeit aus dem Land verbannt. Man sagte ihm noch, dass er beinahe einen Krieg mit Großbritannien ausgelöst habe. Im dann so genannten »Pferdepenis-Krieg« hätte die nur rund sechzehntausend Soldaten starke kirgisische Armee allerdings eher...

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