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E-Book

Politik der Zukunftsfähigkeit

Konturen einer Nachhaltigkeitswende

AutorReinhard Loske
VerlagS. Fischer Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl304 Seiten
ISBN9783104032900
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Was bedeutet Nachhaltigkeit in der Praxis und wie verändert sie unsere Gesellschaft? Es wird viel geredet vom Ende des grenzenlosen Wachstums, von der dringend gebotenen Befreiung vom Wohlstandsballast, von einer Politik der Nachhaltigkeit. Doch was heißt das für die Praxis? Der ehemalige Politiker und Volkswirtschaftler Reinhard Loske verfügt über das theoretische und praktische Wissen, um Anregungen zu geben für ein neues Denken, das sich dem Nachhaltigkeitsideal verpflichtet fühlt und politisch tatsächlich umgesetzt werden kann. Er bespricht anschaulich, welche politischen Reformen notwendig sind. Als sehr wichtig erachtet Loske neue Formen kooperativen Wirtschaftens sowie Verknüpfungen der Ökologiefrage mit Fragen der Freiheit und Gerechtigkeit. »Wir brauchen Zukunftsbilder, um unsere Handlungsspielräume zu kennen. So haben wir die besten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihres Fachs gebeten, konkrete Utopien zu entwerfen, die uns Mut zum guten Leben machen.« Harald Welzer und Klaus Wiegandt

Reinhard Loske ist Professor für Politik, Nachhaltigkeit und Transformationsdynamik an der Universität Witten/Herdecke. Zuvor machte er sich einen Namen durch seine Forschungsarbeiten am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie (1992-1998) und am Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (1990-1991). Er war Mitglied des Deutschen Bundestages (1998-2007) und dort unter anderem stellvertretender Fraktionsvorsitzender und umweltpolitischer Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen. Von 2007 bis 2011 war er Senator für Umwelt, Bau, Verkehr und Europa der Freien Hansestadt Bremen.

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Leseprobe

»Technology is the answer!«: Eine kurze Liste unerfüllter Hoffnungen


Während sich die weltweit aufkommende Ökologiedebatte in den späten sechziger und siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts zunächst durch fundamentale Analysen und Kritiken auszeichnete, von der Industrialismus- über die Konsum- bis zur Wachstumskritik, und radikale Veränderungsschritte vorschlug und einforderte, wandelte sich die »Umweltdebatte« in den Folgedekaden (jedenfalls in ihrem Hauptstrom) eher zu einer recht braven Technologiedebatte. Bezogen auf die oben genannte IPAT-Formel ließe sich vielleicht Folgendes sagen: Weil die konsumkritische Reflektion über das hohe Verschwendungsniveau unserer Lebensstile (»Affluence«) eher an den Rand gedrängt und die Debatte über das Bevölkerungswachstum und die demographische Entwicklung (»Population«) als politisch »heikel« (weil die Entwicklungs- und Schwellenländer unnötig provozierend) eher tabuisiert wurde, konnte der unserer Kultur so vertraute Pfad des technischen Fortschritts (»Technology«) als alleinige Lösungsstrategie so übermächtig werden.[79] Bis heute haben die zahllosen Fehlschläge und Enttäuschungen kaum etwas an dieser »Technology is the answer«-Ideologie verändern können. Eine kurze Liste von Beispielen mag nachfolgend illustrieren, was gemeint ist.

Hoffnung Nr. 1: Der grüne Weg ins Dienstleistungsparadies


Der Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft als Treiber eines ökologischen Strukturwandels hin zu mehr Nachhaltigkeit, das war in den achtziger und neunziger Jahren eine Lieblingsidee vieler Ökonomen und Politikwissenschaftler, durchaus auch der Ökologiebewegung nahestehender. Ihre These: In dem Maße, in dem der primäre (Landwirtschaft, Bergbau) und der sekundäre Sektor der Volkswirtschaft (Industrie) an relativer Bedeutung verlieren und der Anteil des tertiären Sektors (Dienstleistungen) am Bruttoinlandsprodukt steigt, wird es »sauberer« zugehen und sich die Wertschöpfung Schritt für Schritt de-materialisieren.[80] Diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt. Träfe sie zu, wären die Vereinigten Staaten von Amerika mit einem Dienstleistungsanteil an der volkswirtschaftlichen Leistung von knapp 80 Prozent (nur noch übertroffen von Hongkong und Luxemburg) der nachhaltigste Staat der Welt, was – wie alle wissen – ganz und gar nicht der Fall ist.[81]

Die Ursachen liegen auf der Hand und sind von den Vertretern der Gleichung »Tertiarisierung der Wirtschaft gleich Ökologisierung der Gesellschaft« schlicht falsch eingeschätzt worden. Im Wesentlichen sind drei Gründe zu nennen, warum ein hoher Dienstleistungsanteil am Bruttoinlandsprodukt keineswegs automatisch zu höherer Nachhaltigkeit führt: Erstens sind viele Dienstleistungen selbst sehr ressourcenintensiv, etwa das Verkehrswesen, die Kommunikation oder der Tourismus. Zweitens werden im Zuge der weltwirtschaftlichen Arbeitsteilung mehr und mehr ressourcen- und umweltintensive Wirtschaftsaktivitäten wie der Bergbau und die Grundstoffindustrie aus Industrie- in Schwellen- oder Entwicklungsländer verlagert und ihre Produkte anschließend reimportiert. Sie tauchen in den inländischen Wertschöpfungsstatistiken, Rohstoff- und Emissionsbilanzen der reichen Staaten gar nicht mehr auf, obwohl sie für deren Wirtschaftskraft essentiell sind. Der steigende Dienstleistungsanteil der westlichen Ökonomien spiegelt also auch industrielle Verlagerungsprozesse. Und drittens sind der Industrie- und der Dienstleistungssektor eng verwoben und bedingen einander nachgerade, wofür der Handel, die Logistik und das Finanzwesen beispielhaft stehen. Vieles von dem, was heute statistisch als Dienstleistung erfasst wird, ist also in Wahrheit Teil der industriellen Wertschöpfung.[82]

Fazit: Ökologische »Gratiseffekte« durch ökonomischen Strukturwandel hin zur Dienstleistungsgesellschaft mag es hier und da geben; dass sie die Kraft hätten, die Gesamtwirtschaft quasi wie von selbst in Richtung Nachhaltigkeit zu schieben, ist reines Wunschdenken und durch die Zahlen in keiner Weise gedeckt. Die Rede von der postindustriellen Gesellschaft hält einer kritischen Prüfung also in Wahrheit nicht stand, jedenfalls wenn man »postindustriell« mit »wenig Industrie« gleichsetzt. Und es muss auch gefragt werden, ob bestimmte Teile der Industrie nicht in ganz besonderer Weise gebraucht werden, um den dringend erforderlichen ökologischen Strukturwandel überhaupt bewältigen zu können.[83]

Hoffnung Nr. 2: Die grüne Informationsgesellschaft


Der Wandel zur Informationsgesellschaft als Treiber eines ökologischen Strukturwandels hin zu mehr Nachhaltigkeit, diese Hoffnung wird von Vordenkern und Protagonisten der »Green IT« seit den neunziger Jahren gern und systematisch verbreitet. So wie die Informations- und Kommunikationstechnologie im Allgemeinen und das Internet im Besonderen ein Mittel der Freiheit, der Partizipation, der nicht-hierarchischen Vernetzung und der Transparenz sei, so biete es auch unendlich viele Optionen zur Erreichung von Zielen nachhaltiger Entwicklung.[84] Mit der digitalen Revolution rücke, so die These, die Vision vom papierlosen Büro ebenso in den Bereich des Möglichen wie diejenige von der Substitution physischer durch elektronische Verkehre, die des Arbeitens zu Hause (»Home Office«) oder unterwegs (»Mobile Office«) ebenso wie die der »Smart Efficiency«, also der intelligenten Steuerung und Vernetzung von Haustechnik, Elektrogeräten, Produktionsprozessen und allen möglichen Gegenständen (»Das Internet der Dinge«). Die ökologisch wünschenswerte Sharing Economy könne durch Apps und schnelle Kommunikation Angebot und Nachfrage in Sekundenschnelle zusammenbringen, Ressourcenvergeudung vermeiden und so in ungeahnte Höhen aufsteigen. Mit dem 3-D-Drucker kehre bald sogar die Produktion von Werkstücken zurück in die dezentrale Struktur, quasi in die »Home Factory«.

Mittlerweile ist die kritiklose Euphorie in Sachen Internet einer realistischeren Einschätzung gewichen. So offenkundig das Internet nicht nur ein Mittel der Informationsfreiheit und der Partizipation ist, sondern auch eines der Kontrolle, der Überwachung und der gezielten Beeinflussung, so deutlich wird immer mehr, dass es nicht nur ein potentielles Mittel zur Erreichung ökologischer Ziele ist, sondern auch eines mit erheblichem Nicht-Nachhaltigkeits-Potential: vom sehr hohen Ressourcenverbrauch der permanent erneuerten Hardware bis zum sehr hohen Stromverbrauch des Netzes, von der allgegenwärtigen Werbeflut bis zur Allerreichbarkeit aller Güter und Dienstleistungen zu allen Zeiten an allen Orten. Und ob mit dem 3-D-Drucker sinnlose oder sinnvolle Produkte gedruckt werden, der Ressourcenverbrauch anwächst oder zurückgeht, ist keineswegs ausgemacht. All dies hat materielle Konsequenzen in der realen, der physischen Welt.

Fazit: So unzweifelhaft es ist, dass das Internet unsere Gesellschaften revolutioniert hat und hier und da auch ökologische Beiträge zur Dematerialisierung von Wirtschaft und Gesellschaft leisten kann, so illusionär ist es doch, einen Automatismus anzunehmen, der lautet: Wenn wir den Weg in die Informationsgesellschaft nur energisch und umfassend genug beschreiten und alles mit allem vernetzen, wird sich Nachhaltigkeit fast wie von selbst einstellen. Auch das ist eine reine Wunschvorstellung!

Hoffnung Nr. 3: Das grüne Wachstum


Die Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch kann durch »grünes Wachstum« gelingen, so eine überall gern gehörte These, die sich in Deutschland mittlerweile zu einem neuen industriepolitischen Mainstream verdichtet hat. Wir müssten nur intelligenter und grüner wachsen, dann sei das Wirtschaftswachstum quasi automatisch nicht mehr problemverursachend, sondern problemlösend.[85]

Wahr ist, dass es schon in den letzten Jahrzehnten eine relative Entkopplung von Sozialprodukts- und Energieverbrauchsentwicklung gegeben hat. In Deutschland etwa gilt: Während die Industrieproduktion seit den neunziger Jahren stark gestiegen ist, ist der Primärenergieverbrauch in etwa konstant geblieben. Dies wurde vor allem durch eine stetige Verbesserung der Energieeffizienz von Produktionsprozessen – etwa in der Chemischen Industrie, im Maschinen-, Anlagen-, Automobil- und Kraftwerksbau – und durch sparsamere Produkte erreicht. Diese Effizienzorientierung, die zum Wesen des kapitalistischen Wirtschaftssystems gehört (was Kosten verursacht, wird wegrationalisiert oder mindestens effektiver genutzt), kann auf Energie und Ressourcen bezogen noch gesteigert werden, etwa durch stärkere Preissignale (durch Subventionsabbau, Ökosteuern, Emissionshandel oder andere ökonomische Instrumente). Die Frage ist aber, ob allein durch so induzierte technische Innovationen eine absolute Entkopplung (und nicht nur eine relative) von Sozialprodukt und Energieverbrauch möglich ist – und zwar in dem genannten Ausmaß der achtzig- bis neunzigprozentigen Reduktion während der kommenden drei bis vier Dekaden. Das Hauptargument, das dem Realitätsgehalt einer solchen Hoffnung im Wege steht, ist der sogenannte Rebound-Effekt, der das Auffressen von Effizienzgewinnen durch Wachstumseffekte beschreibt. Bisher nämlich gilt ein simpler Zusammenhang: Ja, wir haben sparsamere Autos, aber immer mehr Autos, effizientere Elektrogeräte, aber immer mehr elektrische Anwendungen, weniger Heizenergiebedarf pro Quadratmeter...

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