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Politikberatung im Innenhof der Macht

Zu Einfluss und Funktion der persönlichen Berater deutscher Ministerpräsidenten

AutorTimo Grunden
VerlagVS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV)
Erscheinungsjahr2009
Seitenanzahl407 Seiten
ISBN9783531913551
FormatPDF
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis40,00 EUR
Jeder Regierungschef versammelt Berater um sich, die Entscheidungsoptionen ausloten und Handlungsstrategien ausarbeiten. Der Erhalt und der Ausbau der Macht ihres Chefs stehen dabei stets im Mittelpunkt ihrer Arbeit. Wer sind diese Berater? Was kennzeichnet ihre Arbeitweise, und wie groß ist ihr Einfluss auf das Regierungshandeln? Die vorliegende Studie geht diesen Fragen nach. Durch die vergleichende Analyse der Beraterkreise von drei deutschen Ministerpräsidenten erschließt sie eine weitere Dimension des informellen Regierens. Die Studie untersucht die mikropolitischen Instrumente und Techniken des Regierens und fragt nach der Bedeutung von Personen und Führungsstilen im Vergleich zu institutionellen Faktoren. Darüber hinaus gewährt sie einen tiefen Einblick in Entscheidungsprozesse hinter den Kulissen, einen Einblick in die Innenhöfe der Macht.

Dr. Timo Grunden ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politikwissenschaft der Universität Duisburg-Essen. Er ist der stellvertretende Leiter der Forschungsgruppe Regieren und Dozent an der NRW School of Governance.

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Leseprobe
3 Einfluss und Binnenkommunikation (S. 331-332)

Im vorangegangenen Unterkapitel standen die individuellen Aufgaben und Arbeitsweisen der einzelnen Berater im Vordergrund. Aus ihrer systeminternen Handlungsexpertise wurden fallübergreifende Funktionen der Politikberatung von innen für das Politikmanagement von Ministerpräsidenten destilliert. Durch den punktuellen Rückgriff auf ihre feldinterne Reflexionsexpertise konnten zudem Handlungsressourcen für persönliche Berater herausgearbeitet und bereits Hinweise auf ihren Einfluss gegeben werden.

Dieser Aspekt wird im folgenden Unterkapitel vertieft und abschließend systematisiert. Die Analyse richtet sich auf den Einfluss von persönlichen Beratern, sowohl im Hinblick auf die Entscheidungsfindung des Ministerpräsidenten als auch im Hinblick auf das Handeln und die Performanz der gesamten Regierungsformation. Dabei soll zwischen dem individuellen Einfluss einzelner Berater und dem kollektiven Einfluss des Beraterzirkels unterschieden werden. Zur Erinnerung: Einfluss ist die Möglichkeit, einen Akteur, der über formale institutionelle Handlungsressourcen verfügt, durch Realitätsdeutungen und Handlungsempfehlungen zur Auswahl einer Handlungsstrategie zu bewegen, die dieser Akteur ohne die Deutungen und Empfehlungen nicht hätte auswählen müssen. Einfluss ist ein Machtderivat:

Je mehr die persönlichen Berater über Deutungs- und Kommunikationsleistungen die Steuerungsfähigkeit ihres Regierungschefs verbessern, desto größer werden dessen autonome Handlungsressourcen und damit auch der Einfluss auf das Regierungshandeln der Berater selbst (Kapitel I.2). Zum Ende dieses Kapitels werden sieben Machtderivate persönlicher Beratung von Ministerpräsidenten identifiziert und die Frage beantwortet, welchen machtpolitischen Stellenwert Beraterkreise in Abhängigkeit institutioneller Kontexte und individueller Führungsstile des Regierungschefs auf dem Kontinuum des formalen und informellen Regierens inne haben. Zunächst wird in Unterkapitel 3.1 Die fallübergreifende Rolle der Beraterkreise auf dem Kontinuum des Regierens herausgearbeitet: Sie bilden den Informationsknotenpunkt einer Regierungsformation und agieren als „Task Forces", die kontinuierlich bei allen relevanten Teilakteuren intervenieren, zwischen diesen vermitteln und deren Handeln koordinieren.

In Unterkapitel 3.2 werden die Beraterzirkel der drei Ministerpräsidenten gesondert untersucht: Es wird die jeweilige Arbeitsteilung und die Zusammenarbeit der Berater nachgezeichnet (Binnenkommunikation). Nicht alle Berater verfügten gleichermaßen und kontinuierlich über alle identifizierten Handlungsressourcen. Hinzu kommt, dass die individuelle Repräsentation unterschiedlicher und sich zuweilen widersprechender Teilrationalitäten zu Konkurrenzen führen konnte. Umso wichtiger war die Fähigkeit zu interner Abstimmung und Konfliktregulierung. Um den Einfluss der Berater und Beraterzirkel zu messen, wird mit Hilfe des Vergleichs von Selbst- und Fremddeutungen die in den Interviews erhobene feldinterne Reflexionsexpertise zur dominierenden Empirie für die Analyse.

3.1 Beraterkreise auf dem Kontinuum des formalen und informellen Regierens: Informationsknotenpunkte, „Task Forces" und Machtzentren

Auf der Grundlage des empirischen Materials soll im Folgenden das Einflusspotential von Beraterkreisen als Kollektivgremium auf das Handeln einer Regierungsformation eingekreist werden. Dazu sei noch einmal an die Funktion informeller Entscheidungsprozesse erinnert, wie sie in Kapitel I.2.3 herausgearbeitet wurde: Durch Unsicherheitsreduktion, Informationsselektion und Legitimationssicherung gewährleisten informelle Entscheidungsverfahren die Entscheidungsfähigkeit in formalen Entscheidungsinstitutionen. Jede untersuchte Regierungsformation zeichnete sich durch einen eigenen institutionellen Kontext aus, dessen Ausprägung von der Anzahl der relevanten Teilakteure und den Machtrelationen zwischen ihnen abhängig war (Kapitel III.2).

Entsprechend unterschiedlich war sowohl die Anzahl von informellen Entscheidungsverfahren, die zur Gewährleistung der Entscheidungsfähigkeit als Regierungsformation etabliert wurden, als auch der Formalisierungs- und Verbindlichkeitsgrad der dort gefassten Beschlüsse oder Absprachen. Je höher der Formalisierungsgrad war, desto kleiner wurden die Chancen für spätere Kurskorrekturen und desto weniger Entscheidungsoptionen besaß der Ministerpräsident. Umso wichtiger war es, im Vorfeld von Koalitionsausschüssen, „Fünf-Plus-Fünf-Gesprächen" oder „Montagsrunden" die inhaltlichen Positionen, Interaktionsorientierungen und Handlungsspielräume zu sondieren und ggf. zu beeinflussen.
Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Vorwort7
Inhalt9
I Untersuchungsrahmen15
1 Gegenstand der Untersuchung und Stand der Forschung15
1.1 Politische Rationalität19
1.2 Politikberatung von innen22
2 Theoretischer Rahmen: Politik- und Informationsmanagement50
2.1 Institutionen und Akteure53
2.2 Macht und Einfluss58
2.3 Formales und informelles Regieren60
3 Analysezugang und Methode65
3.1 Zusammenfassung der Grundannahmen und Grundbegriffe67
3.2 Strukturmerkmale des Regierens68
3.3 Institutioneller Kontext und zeitgeschichtlicher Kontext69
3.4 Begründung der Fallauswahl71
3.5 Materialbasis75
3.6 Datenerhebung und Datenauswertung75
II Systemische Rahmenbedingungen: Strukturmerkmale des Regierens in deutschen Bundesländern78
1 Ministerpräsidentendemokratie79
1.1 Die Dominanz des Ministerpräsidentenprinzips79
1.2 Der Dualismus von Regierungskoalition und parlamentarischer Opposition80
1.3 Die enge Anbindung des Ministerpräsidenten an seine Partei81
1.4 Das hohe Prestige des Ministerpräsidenten82
2 Verhandelnde Wettbewerbsdemokratie83
2.1 Vertikale Verhandlungssysteme83
2.2 Horizontale Verhandlungssysteme86
3 Parteiendemokratie87
3.1 Die vertikale und horizontale Fragmentierung87
3.2 Ziele und Interessen90
3.3 Führung, Handlungsfähigkeit und Einfluss auf die Regierungstätigkeit91
4 Koalitionsdemokratie93
4.1 Kooperationszwang trotz fortdauernder Konkurrenz94
4.2 Instrumente der Konfliktregulierung95
5 Mediendemokratie97
5.1 Mediendemokratie auf Landesebene98
5.2 Regieren in der landespolitischen Mediendemokratie99
6 Zwischenfazit: Regieren als Komplexitätsmanagement103
III Der zeitgeschichtliche und institutionelle Kontext106
1 Der zeitgeschichtliche Kontext: Demoskopische Performanz, Regierungsalltag und politische Herausforderungen106
1.1 Der Prototyp des rot-grünen Projekts: Die Regierung Eichel in Hessen (1991-1999)106
1.2 Das Wagnis des Magdeburger Modells: Die Regierung Höppner in Sachsen-Anhalt (1994-2002)120
1.3 Das konservative Vorzeigeland: Die Regierung Biedenkopf in Sachsen (1990-2002)135
2 Der institutionelle Kontext: Machtzentren und Entscheidungsfindung145
2.1 Die Kabinette: Ein Machtzentrum, ein „Notariat“ und eine „Beratungskommission“145
2.2 Die Parteien und Fraktionen: Aufsichtsräte und konsensuale Vetospieler152
2.3 Freiwillig formalisierte Entscheidungsverfahren: Koalitionsausschuss, „Montagsrunde“ und „Fünf-plus-Fünf- Gespräche“161
3 Zwischenfazit: Anknüpfungspunkte für die empirische Analyse169
IV Personelle Faktoren der Politikberatung von innen IV. Personelle178
1 Zusammensetzung, Qualifikation und Rekrutierung178
1.1 Die Büros der Ministerpräsidenten179
1.2 Die Führung der Staatskanzlei184
1.3 Die Regierungssprecher190
1.4 Die Partei- und Fraktionsführung197
1.5 Vergleichende Zwischenbetrachtung202
2 Funktion, Aufgaben und Arbeitsweise210
2.1 Ministerpräsidentendemokratie: Richtlinien durchsetzen, Themen generieren und Netzwerke pflegen214
2.2 Verhandelnde Wettbewerbsdemokratie: Verhandeln im Schatten des Chefsachenmythos249
2.3 Parteien- und Koalitionsdemokratie: Die hohe Kunst der gespielten Kohärenz259
2.4 Mediendemokratie: „ L´ état c´est lui “289
2.5 Vergleichende Zwischenbetrachtung326
3 Einfluss und Binnenkommunikation332
3.1 Beraterkreise auf dem Kontinuum des formalen und informellen Regierens: Informationsknotenpunkte, „Task Forces“ und Machtzentren333
3.2 Der labile Status als Machtzentrum: Zu den Konsequenzen institutioneller und personeller Veränderungen343
3.3 Vergleichende Zwischenbetrachtung373
V Fazit: Personelle Faktoren im Politikmanagement von Ministerpräsidenten und theoretische Einordnung der Arbeitsergebnisse384
Abbildungsverzeichnis402
Literaturverzeichnis409

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