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E-Book

Psyche? Hat doch jeder!

Vom Hin und Her zwischen Herz und Hirn

AutorLena Kuhlmann
VerlagEden Books - ein Verlag der Edel Verlagsgruppe
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783959101868
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
Depressionen, Panikattacken, Essstörungen - psychische Erkrankungen sind uns längst allen ein Begriff . Doch wie entsteht eigentlich ein seelisches Ungleichgewicht? Was ist dann zu tun und was ist das überhaupt genau - diese Psyche? Psychotherapeutin und Bloggerin Lena Kuhlmann räumt auf charmante Art und Weise mit Vorurteilen über psychische Krankheiten auf und berichtet, wie es in psychiatrischen Einrichtungen heute wirklich aussieht. Neben praktischen Tipps, um die Psyche in Schuss zu halten, gibt sie durch persönliche Anekdoten außerdem einen spannenden Einblick in ihre tägliche Arbeit: Psychotherapeuten können zwar keine Gedanken lesen, aber ihr Job besteht aus weit mehr, als nur auf einem gemütlichen Sessel zu sitzen und »Mhm« zu murmeln. Folgt Lena Kuhlmann auf ihrer Reise durch die menschliche Psyche und schaut hinter die Kulissen ihres Therapeutinnenalltags!

Lena Kuhlmann, geboren 1985, ist approbierte Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin mit tiefenpsychologischem Schwerpunkt. Sie arbeitet aktuell in einer psychiatrischen Ambulanz und in einer sozialpsychiatrischen Praxis. Um gegen die Stigmatisierung psychisch Kranker anzuarbeiten, veröffentlicht sie seit 2016 Artikel rund um Psyche und Psychotherapie und schreibt als Bloggerin und engagierte Expertin auch für die breite Öffentlichkeit.

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Leseprobe

wie sich verhaltenstherapeuten die psyche vorstellen


Ich schätze, das Besteck lag zehn Jahre lang in der Schublade über dem Schrank mit den Töpfen, bis meine Mutter irgendwann beschloss, die Küche von Grund auf umzuräumen und vieles auszusortieren. Das war der Tag, an dem auch das Besteck umzog. Zwei Schubladen weiter. Man sollte meinen, dass sich diese Information mit Leichtigkeit in meinem Hirn hätte abspeichern lassen können, aber weit gefehlt! Unzählige Male habe ich intuitiv wieder und wieder die ursprüngliche Schublade geöffnet, um mich dann über mich selbst zu ärgern. Keine Gabeln. Dabei wusste ich es doch eigentlich besser. Aber so eine Neuprogrammierung dauert offenbar seine Zeit. In meinem Fall Wochen, sogar Monate. Da fängt man irgendwann an, an sich selbst zu zweifeln. Bis, ja bis es dann am Ende doch noch zu einem Umlernen kommt. Zum Glück ist Verhalten veränderbar und kann neu gelernt werden, will man den Verhaltenstherapeuten Glauben schenken.

Die Verhaltenstherapie (kurz: VT) ist viel greifbarer als die psychodynamischen Verfahren und wissenschaftlich gut belegt. Nun ist auch endlich etwas für die pragmatisch orientierten Leser dabei. Für diejenigen, die etwas Handfestes brauchen und mit Spekulationen nicht so viel anfangen können. Für im Hier-und-Jetzt-Bleiber, die keine Lust haben, über eine Zeit zu sprechen, die viele Jahre hinter ihnen liegt.

Angefangen hat alles zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit verschiedenen Experimenten an Tieren. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse wurden auf den Menschen übertragen. Die Verhaltenstherapie hat daher keinen Gründungsvater im engeren Sinn, dafür aber viele Beteiligte, die ihr Wissen und ihre Arbeiten beisteuern konnten, darunter Pawlow, Skinner und Watson.27

Die Psyche entwickelt sich nach Annahme der Verhaltenstherapeuten aus der individuellen Lerngeschichte heraus. Im Kern geht es dabei um das Verhalten. Verhalten? Mich hat der Begriff zunächst irritiert, weil er umgangssprachlich eingeschränkter verwendet wird. In diesem Fall ist er erweitert worden und umfasst ebenso körperliche Reaktionen, Denkprozesse und Gefühle.28 Die Verhaltenstherapeuten teilen Verhalten in zwei Kategorien auf: Es gibt funktionales Verhalten, also zielführendes und sinnvolles, und es gibt dysfunktionales Verhalten, das eben genau das Gegenteil darstellt und auch psychische Erkrankungen umfasst.

Therapeutische Maßnahmen der Verhaltenstherapie setzen direkt an den Symptomen im Hier und Heute an. Es geht weniger um die Ursachen, sondern viel eher darum, die lästigen Beschwerden möglichst schnell wieder loszuwerden. Ziel ist es, die Fehlfunktion zu verringern, um gleichzeitig adäquate Verhaltensstrategien beziehungsweise Ressourcen weiter auszubauen. Anders als bei den psychodynamischen Verfahren gehen die Verhaltenstherapeuten dabei sehr strukturiert vor. Für einzelne Störungsbilder gibt es Manuale, in denen konkrete Interventionen zur Behandlung vorgegeben werden.29 Die Sitzungen werden meist viel ausführlicher vorbereitet als bei vielen psychodynamischen Kollegen (das ist zumindest mein Gefühl).

Im Folgenden möchte ich verschiedene Theorien der Verhaltenstherapie etwas näher erläutern. Sie alle liefern Erklärungen dafür, wie Menschen ein bestimmtes Verhalten erlernen. Man nennt sie daher auch Lerntheorien.

Die klassische Konditionierung


Bei der klassischen Konditionierung geht es um Reize. Genauer: um Reize, die eine Reaktion auslösen. Iwan Pawlow, Mediziner und Nobelpreisträger, wollte in seinen Experimenten nachweisen, dass man bestimmtes Verhalten mithilfe von Reizen gezielt auslösen kann. Dies versuchte er durch Experimente mit Hunden zu zeigen (bekannt unter dem Namen Der Pawlowsche Hund). Pawlow versuchte seinem Vierbeiner einen automatischen Speichelfluss anzutrainieren. Dazu benutzte er einen zunächst neutralen Reiz – eine Glocke – und immer, wenn er diese läutete, bekam der Hund etwas zu essen. Somit wurde der einst neutrale Reiz neu besetzt, weil der Hund ihn nun mit der Nahrungsaufnahme in Verbindung brachte. Nach mehreren Durchgängen löste allein der Glockenschlag den Speichelfluss aus, auch wenn gar keine Nahrung in der Nähe war.30

Mir fällt im Zusammenhang mit dieser Theorie immer ein oller Schenkelklopfer aus dem Studium ein: War dein Vater Pawlow oder warum läuft mir das Wasser im Mund zusammen, wenn ich dich sehe?

Nun aber genug gescherzt und zurück zur Theorie: Ein weiterer Versuch konnte die Erkenntnisse Pawlows unterstreichen. Watson und Rayner forschten dabei direkt am Menschen. Herhalten musste der neun Monate alte Albert. Ganz unbedarft hatte er zunächst keinerlei Ängste vor weißen Ratten. Es handelte sich folglich um einen neutralen Reiz. Als der Anblick der Nager von einem lauten Geräusch begleitet wurde, reagierte Klein-Albert nachvollziehbarerweise ängstlich. Bereits nach wenigen Wiederholungen hatte Albert gelernt, dass Angst und Ratte miteinander in Verbindungen stehen. Damit aber nicht genug; seine Ängste weiteten sich auch auf andere Felltiere wie beispielsweise Hunde aus. Sogar der Anblick eines Pelzmantels reichte, um Albert in Angst und Schrecken zu versetzen. Aus dem vormals unbesetzten Reiz wurde also ein konditionierter Reiz, der auch noch einen Monat nach dem Experiment weiter anhielt.31

Die Verhaltenstherapeuten vermuten, dass genau auf diesem Weg Angsterkrankungen und psychosomatische Erkrankungen entstehen könnten. Dem einen oder anderen mag die antrainierte Angst auch aus Prüfungssituationen geläufig sein. Nicht zuletzt setzt selbst die Werbeindustrie das Wissen über die klassische Konditionierung gezielt ein: Wem ist während eines Werbespots, der das zischende Öffnen einer Dose Cola zeigt, nicht schon mal das Wasser im Mund zusammengelaufen?32

Die operante Konditionierung - Lernen am Erfolg


Die operante Konditionierung umfasst verschiedene Arten, wie Menschen durch Verstärkung von außen ihr Verhalten ändern. In der Elternberatung ist das eine häufig gestellte Frage: Sollte man ein Kind bei unerwünschtem Verhalten wie Brüllen oder Verweigern bei Wunschversagen bestrafen? Oder besser anbieten, dass es eine Belohnung bekommt, wenn es damit aufhört? Oder gar ignorieren? Der aufmerksame Leser wird die Antworten im Folgenden finden.

Die positive Verstärkung

Ich muss mich zum Schreiben oft motivieren. Bloggen beispielsweise ist so lange eine nette Sache, bis man bloggen muss. Dann ist es weniger lustig, vor allem am Wochenende. Damit das besser klappt, setze ich mir ein festes Ziel und wenn ich es erreicht habe, gibt es am Ende eine kleine Belohnung. So kann ich mich selbst ein bisschen überlisten und zu unangenehmen Arbeiten überreden. Das klappt – zumindest meistens.

In der Jugendhilfemaßnahme, in der ich einige Zeit gearbeitet habe, sind wir nach einem ähnlichen Prinzip vorgegangen. Kinder, die ihre Hausaufgaben fleißig erledigten, konnten jeden Mittwoch mit ins Schwimmbad fahren. Die Kinder, die erst einmal in einen Wutanfall ausbrachen, sich verweigerten oder herumtrödelten, mussten mit meinen Kollegen in der Einrichtung zurückbleiben, weil die Zeit nicht reichte, um auf alle Kinder zu warten. Das Mittwochsphänomen endete aber meistens so, dass wir mit der kompletten Mannschaft ausrücken konnten. Erstaunlicherweise war der Anreiz wohl so hoch, dass sich alle größte Mühe gaben, teilnehmen zu können.

Positive Verstärkung nennen die Verhaltenstherapeuten dieses Vorgehen, das erwünschtes Verhalten bestärken soll. Das soll sehr effektiv sein, denn man fand heraus, dass Menschen viel eher dazu bereit sind, ihr Verhalten zu ändern, wenn sie dafür etwas Gutes bekommen. Deswegen eignet sich die positive Verstärkung in der Kindererziehung meist besser als Bestrafungen – womit wir auch schon bei der zweiten Möglichkeit angekommen sind.

Die direkte Bestrafung

Im Grunde selbsterklärend, umfasst diese Kategorie Sanktionen oder negative Konsequenzen, die auf ein bestimmtes Verhalten folgen. Zum Beispiel indem die Mutter ihrem Sohn das Handy abnimmt, weil er, statt sein Zimmer aufzuräumen, schon wieder eine Runde an der Spielkonsole zockt.

Die negative Verstärkung

Dann gibt es noch die negative Verstärkung. Hierbei kommt es zu einem bestimmten Verhalten, um eine unangenehme Konsequenz zu umgehen. Zum Beispiel wenn Jonas immer fleißig seine Hausaufgaben erledigt und ausreichend für die Arbeiten lernt, damit er keine schlechten Noten bekommt. Die Verhaltenstherapeuten gehen davon aus, dass psychische Erkrankungen überwiegend auf diese Art entstehen, indem zum Beispiel durch Vermeidung ängstigende Situationen umgangen werden.33

Die indirekte Bestrafung

Zuletzt bleibt noch die indirekte Bestrafung, also der Wegfall einer angenehmen Konsequenz. Zum Beispiel wenn die Mutter androht, den Freund von Jonas für das Spiel am Nachmittag auszuladen, wenn er nicht rechtzeitig mit seinen Aufgaben fertig wird. Das erwünschte Verhalten (Aufgaben erledigen) verstärkt sich dadurch, dass Jonas die negativen Konsequenzen (Absage an seinen Freund) umgehen will.34

Soziales Lernen


Eine andere Möglichkeit, wie Menschen Verhalten erlernen können, ist das soziale Lernen oder auch Lernen am Modell beziehungsweise Vorbild (nach Bandura). Kinder beispielsweise lernen ganz prima voneinander, darunter sicherlich viele Dummheiten wie Schimpfwörter oder andere Flausen, aber eben auch ziemlich wichtige Dinge, die das Individuum voranbringen. Unter anderem deswegen ist der Kindergarten eine wichtige Institution, von der, wie ich finde, möglichst alle Kinder profitieren sollten (sofern die Personalverhältnisse auch vertretbar sind und ein gewisser fachlicher Standard geboten ist)....

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