3 Psychoedukation
3.1 Definition
Vor mehr als 30 Jahren wurde für Behandlungsansätze, die bei chronisch psychisch Kranken der Verbesserung der Behandlungscompliance und des Krankheitsverlaufes dienen sollten, der Begriff der »Psychoedukation« geprägt (Goldman, 1988; Behrendt & Krischke, 2005). Nach Bäuml und Pitschel-Walz (2008, 3) werden unter der Bezeichnung Psychoedukation »systematische, didaktisch-psychotherapeutische Interventionen zusammengefasst, um Patienten und ihre Angehörigen über die Krankheit und ihre Behandlung zu informieren, ihr Krankheitsverständnis und den selbstverantwortlichen Umgang mit der Krankheit zu fördern und sie bei der Krankheitsbewältigung zu unterstützen.«
3.2 Wirkprinzipien und Ziele der Psychoedukation
Psychoedukation verläuft als interaktiver Prozess zwischen dem Patienten bzw. seinen Bezugspersonen und dem Therapeuten. Sie orientiert sich nicht nur an Konzepten der Patientenschulung und des Coachings, sondern greift auch verhaltenstherapeutische Interventionsstrategien auf. Andererseits zählt die Psychoedukation zu den wesentlichen Behandlungselementen der Verhaltenstherapie (D’Amelio et al., 2009; Schürmann & Döpfner, 2010).
Psychoedukative Interventionen vermitteln spezifische Kompetenzen und Fertigkeiten zur konkreten Problembewältigung und unterstützen durch praktisches Üben, konkrete Verhaltensänderungen in den Alltag zu übertragen. Es wird angenommen, dass Patienten aufgrund des Wissenszuwachses über ihr Krankheitsbild Missverständnisse und fehlerhafte Vorstellungen korrigieren und dadurch möglicherweise auch dysfunktionale Einstellungen ändern können (Mühlig & Jacobi, 2011).
Ziele
Folgende Ziele psychoedukativer Maßnahmen werden u. a. in der Literatur genannt (Behrendt & Krischke, 2005; D’Amelio et al., 2009):
• Verbesserung des krankheitsbezogenen Wissens
• Verbesserung des Umgangs mit Symptomen und Krisensituationen
• Förderung des Verständnisses und der subjektiven Verarbeitung des Krankheitsgeschehens
• Stärkung der aktiven Krankheitsbewältigung, Reduzierung von Unsicherheit und Angst, Förderung eines positiven Selbstkonzeptes
• Unterstützung von Selbstverantwortung und Autonomie
• Sensibilisierung für eigene Stärken und Ressourcen
• Erhöhung der Selbstwirksamkeit
• Verbesserung der (medikamentösen) Compliance, Adhärenz und der Rückfallprophylaxe
• Förderung des Gesundheitsverhaltens
• Förderung einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Professionellen, Betroffenen und ihren Angehörigen
• emotionale Entlastung der Patienten und ihrer Angehörigen
• Verbesserung des familiären Kommunikationsstils
• Minderung von Krankheitskosten
3.3 Psychoedukation bei ADHS in der Kindheit, Adoleszenz und im Erwachsenenalter
Nicht nur Erwachsene und Jugendliche mit ADHS können aus einer Psychoedukation Gewinn
altersadaptierte Psychoedukation
ziehen, auch bei Kindern mit ADHS ist eine altersadaptierte Psychoedukation sinnvoll. Bei älteren Jugendlichen und im Erwachsenalter steht der Patient selbst im Mittelpunkt psychoedukativer Interventionen, bei Kindern und jüngeren Adoleszenten sollten die Bezugspersonen (z. B. Eltern, Lehrer, Erzieher) in unterschiedlicher Gewichtung in die Psychoedukation mit einbezogen werden (Schürmann & Döpfner, 2010; Montoya et al., 2011).
Die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie (2007) erwähnt in ihren Leitlinien zur Diagnostik und Therapie von psychischen Störungen im Säuglings-, Kindes- und Jugendalter die Psychoedukation ausdrücklich als ein wesentliches Element der multimodalen Behandlung. Psychoedukation kann nach Abschluss der Diagnostik und vor weiteren Therapieschritten erfolgen, sie kann aber auch im Verlaufe des therapeutischen Prozesses als ein wichtiger Bestandteil des Gesamtbehandlungsplans durchgeführt werden.
Auch bei Adoleszenten mit einer Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung hat die
Informationen über Ursachen, Diagnostik und Therapiemöglichkeiten der ADHS
Psychoedukation das Ziel, Betroffene und ihre Angehörigen umfassend über das Störungsbild der ADHS, ihre Ursachen, Diagnostik und Behandlungsmöglichkeiten zu informieren sowie Adhärenz und Behandlungszufriedenheit zu erhöhen. Psychoedukative Gruppen bieten den Betroffenen und ihren Angehörigen darüber hinaus die Möglichkeit, sich untereinander auszutauschen, sich somit emotional zu entlasten und in ihrer Krankheits- und/oder Alltagsbewältigung zu unterstützen (D’Amelio et al., 2009).
Da ADHS häufig bis ins Erwachsenenalter hinein persistiert und oftmals mit weiteren psychischen Beeinträchtigungen und psychosozialen Folgen einhergeht, ist es von großer Bedeutung, möglichst früh mit psychoedukativen Interventionen zu beginnen. Psychoedukation bei Adoleszenten mit ADHS ist insbesondere auch deshalb wichtig, da psychosoziale Folgen der ADHS, wie beispielsweise Beziehungsprobleme, Schwierigkeiten am Arbeitsplatz oder rechtliche Probleme, die aktive Beteiligung des Patienten am Behandlungsprozess erfordern (D’Amelio et al., 2009).
Eine große Anzahl von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit ADHS entwickelt im Verlauf der Erkrankung eine deutliche Störung des Selbstwertgefühls. Sie machen häufig die Erfahrung, dass sie trotz aller Bemühungen nicht dazu in der Lage sind, Aufgaben und Alltagsaktivitäten zufriedenstellend zu erledigen und deshalb oft hinter den eigenen Möglichkeiten zurückbleiben. Nicht selten wird mit einhergehenden Versagensängsten und Selbstzweifeln die Entstehung einer Depression begünstigt. Psychoedukative Interventionen können helfen, Vermeidungsstrategien oder zwanghaft anmutende Kompensationsversuche von beispielsweise Organisationsdefiziten oder auch dysfunktionale Bewältigungsstrategien, wie zum Beispiel Konsum psychotroper Substanzen, positiv zu modifizieren (D’Amelio et al., 2009).
Psychoedukative Interventionen sind bei Adoleszenten mit ADHS auch deshalb sinnvoll, da
gezielte Informationen zur medikamentösen Therapie
die Pharmakotherapie bei dieser Altersgruppe aus verschiedenen Gründen eine therapeutische Herausforderung darstellt (Brinkman et al., 2012). Bei der medikamentösen Compliance von Adoleszenten können Angst vor Stigmatisierung oder Zugeben von Schwäche eine Rolle spielen (Mueller et al., 2012). Im Weiteren besteht in der Adoleszenz die Gefahr, dass Medikamente nicht ordnungsgemäß eingenommen oder an andere weitergeben werden (Franke et al., 2011). Eine gezielte Psychoedukation kann insofern helfen, dass Jugendliche und junge Erwachsene durch gezielte Informationen zur medikamentösen Therapie mit zunehmendem Alter eine wichtigere Rolle bei der Selbstverwaltung ihrer Medikation einnehmen (Brinkman et al., 2012).
3.4 Formen psychoedukativer Interventionen
Psychoedukation kann sowohl in Einzelsitzungen mit nur einer Person als auch in Form von Gruppensitzungen durchgeführt werden (Mühlig & Jacobi, 2011). Spielt das familiäre Umfeld für
Einbeziehung der Angehörigen
den Patienten eine bedeutende Rolle, wird zudem die Einbeziehung der Angehörigen empfohlen. Dies kann in Form von parallel angebotenen psychoedukativen Angehörigengruppen erfolgen (bifokaler bzw. bilateraler Ansatz) oder im Rahmen von Gruppen, an denen sowohl die Erkrankten als auch die Angehörigen gemeinsam teilnehmen (Bäuml et al., 2010).
Psychoedukative Interventionen können einerseits als integraler Bestandteil des Behandlungssettings die weiteren Therapiebausteine im Verlaufe eines stationären oder teilstationären Klinikaufenthaltes ergänzen, andererseits können sie auch in der (teil-) stationären Phase starten und ambulant weitergeführt werden. Möglich ist auch eine von Beginn an im ambulanten Setting etablierte Psychoedukation (D’Amelio et al., 2009).
»KAP-Konzept«
Eine dreistufige Vorgehensweise (»KAP-Konzept«) für psychoedukative Interventionen schlagen Schürmann und Döpfner (2010) vor. Hiernach sollen mit den ADHS-Patienten und deren...