Psychologie Heute 07/2019
Werden, wer ich bin
Verlag | Beltz - Psychologie heute |
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Erscheinungsjahr | 2019 |
Seitenanzahl | 108 Seiten |
ISBN | |
Format | |
Kopierschutz | Wasserzeichen/DRM |
Geräte | PC/MAC/eReader/Tablet |
Preis | 6,99 EUR |
Diesem Urteil liege ein Menschenbild zugrunde, das „sowohl in historischer als auch in kultureller Perspektive beschränkt ist“, sagt der Kulturwissenschaftler Wolfgang Ullrich. Er hat ein kleines kluges Bändchen verfasst mit dem Titel Selfies. Digitale Bildkulturen. Ich habe Wolfgang Ullrich gefragt, wie er denn der Kritik begegnet, dass wir durch die ständige mediale Selbstinszenierung immer seltener ganz wir selbst sind. „Unser Begriff von Authentizität hat sich in den westlichen Kulturen vor allem in der Romantik entwickelt“, sagt er. „Entsprechend haben wir die Vorstellung, dass authentisch ist, wenn unser wahres inneres Selbst zum Vorschein kommt und einen medialen Ausdruck findet – zum Beispiel in Form des Tagebuchschreibens oder in Form von Lyrik. Ich sehe heute aber viel stärker ein anderes Menschenbild dominieren, in dem der Mensch sich begreift als die Summe seiner Inszenierungen und Rollen, seiner Möglichkeiten, in ganz verschiedenen Situationen zu bestehen.“ Während sich also in der Romantik Authentizität von innen heraus nach außen äußerte, entsteht dieses Selbst heute im Zusammenspiel von innen und außen und ist „pluraler und variabler“.
Was könnte denn dann das Authentische an einem Selfie sein? „Vielleicht gibt es das eine Bild – mit dem einen Filter, der einen digitalen Maske –, das in einer bestimmten Situation besser als alles andere eine Stimmung oder einen Wunsch zum Ausdruck bringt. Bei dem der Empfänger das Gefühl hat: Jetzt habe ich wirklich etwas verstanden von diesem anderen Menschen in diesem einen Moment. Dann würde man ja sagen: Es ist authentisch. Obwohl es gleichzeitig eine krasse Form der Inszenierung ist“, so Wolfgang Ullrich. Er glaubt, dass die neuen medialen Inszenierungen, das Spielen mit maskenhaften Filtern, mit Emojis und mit übersteigerter Mimik, neue Formen von Emotionen prägen werden. Und dass Selfies in ihrer Hinwendung zu anderen Menschen ein sozialer Akt sind, in dem wir anderen etwas von uns zeigen.
„Das Ich wird Ich erst am Du“, zitiert die Autorin unserer Titelgeschichte den Psychiater und Vordenker Viktor Frankl. Denn authentisches, echtes Leben zu leben heißt nicht, sich gnadenlos selbst zu verwirklichen. Sondern sich selbst zu erfahren im Kontakt mit anderen und im Austausch zu wachsen – und das kann auch der Austausch von Selfies sein.
Viele kluge Gedanken zum Thema „Werden, wer ich bin“ finden Sie in unserer Titelgeschichte ab Seite 16. Und das ganze Interview mit Wolfgang Ullrich unter psychologie-heute.de/leben.
Eine anregende Lektüre wünscht
Dorothea Siegle, Chefredakteurin