B (S. 25-26)
Begabungsförderung Begabungsförderung, Begabtenförderung, Hochbegabtenförderung (? Hochbegabung), defizitorientierte Begabungsförderung, begabt sein, begabt werden… Eine Vielzahl von Begriffen, die zum Teil unterschiedliche Bedeutung zu haben scheinen. Zunächst wird in der Wissenschaft davon ausgegangen, dass es Begabungen gibt, die gefördert werden bzw. gefördert werden sollen – Begabung realisiert sich dabei als ein hypothetisches Konstrukt, ein abstrakter Begriff, verwirklicht an bzw. in einem Kind/Jugendlichen/Erwachsenen. Begabungsförderung ist damit Begabtenförderung. Wobei Begabtenförderung in der wissenschaftlichen Literatur und der öffentlichen Diskussion zumeist mit Hochbegabtenförderung, primär mit Förderung der?Hochbegabung im intellektuellen Bereich gleichgesetzt wird. Begabungsförderung hat demgegenüber ein weiteres Begriffsverständnis (Hany &, Nickel 1992): Der Begriff impliziert nämlich, dass es unterschiedliche Begabungen gibt und dass diese auch unterschiedliche Ausprägungsgrade haben können – alle Begabungen aktualisieren sich jeweils auf einem Kontinuum. Wissenschaftliche Studien (Taylor 1978, Heller 2001) bis in die jüngste Zeit führen dazu Beispiele an: Kognitive Begabung (sprachliche, mathematische, naturwissenschaftliche Begabung usw.), Soziale Begabung (Kooperation, Durchsetzungsvermögen, Einfühlungsvermögen usw.), Motorik (Feinmotorik, Grobmotorik, Bein-Handkoordination usw.), Künstlerische Begabung (Instrumentalmusik, Gesang, Bildnerische Kunst usw.).
Es lassen sich nicht alle Begabungen erschöpfend aufzählen, die es gibt, die sichtbar, hörbar, fühlbar sind oder die sonst wie in Erscheinung treten, aber diese Beispiele verdeutlichen: Es gibt viele verschiedene Begabungen, die sich wiederum in ein Bündel von einzelnen Begabungsfaktoren differenzieren. In allen wissenschaftlichen Arbeiten werden Begabungen als Fähigkeiten, Kompetenzen bzw. auf einem höheren Generalisierungsniveau als Persönlichkeitsfaktoren (= Personmerkmale, Heller 2001) beschrieben: Jeder Mensch besitzt also die verschiedensten Persönlichkeitsfaktoren, die ganz individuell ausgeprägt sind – und die gefördert werden sollen. In diesem Kontext tritt sofort die Frage nach der Förderbarkeit von Begabungen, also dieser Persönlichkeitsfaktoren auf. Es ist dies die in die nunmehr über einhundertjährige Forschungstradition der Psychologie eingegangene Frage nach der Bedeutung von Anlage und Umwelt.
In den jüngsten dazu vorliegenden Forschungsergebnissen (u. a. Plomin 1994) wird eine differenzierte Wechselbeziehung zwischen genetischen Anlagen beschrieben als Entwicklungspotentiale und der Umwelt bestätigt: Begabungen sind förderbar. In welchem Ausmaß dies gelingt, hängt u. a. von den Interdependenzen der einzelnen Persönlichkeitsfaktoren, der indi viduellen Umwelt und dem Zeitpunkt, zu dem bestimmte Fördermaßnahmen gesetzt werden, ab. (Landau 1990, 2001, Weinert 1992). Es kann damit die Schlussfolgerung getroffen werden: Begabungsförderung = Persönlichkeitsförderung = Personförderung = Individualisierung. Und: Förderung ereignet sich auf den verschiedenen Kontinua der einzelnen unterschiedlichen Persönlichkeitsfaktoren, den Begabungen. Die Frage, wie Begabungsförderung erfolgen soll, lässt sich mit Landau, 1990, mit den folgenden Prinzipien beantworten: Individualität statt Konformismus/ Vom Bekannten zum Unbekannten/Freude am Prozess und nicht nur zur Leistung/ Fragen statt Antworten/Interdisziplinäres, nicht eng kategorisiertes Denken/Lernen durch kreatives Experimentieren/Soziales und nicht nur individualistisches Denken. Für die Tätigkeit der Schulpsychologie stellt sich die konkrete Frage: Welche Fähigkeiten und Kompetenzen, welche Stärken und Schwächen hat der einzelne Schüler und in welcher Schulform, mit welcher Unterrichtsmethode, an welchem Schulstandort findet er die bestmögliche Lernumwelt?
Schulpsychologen sind damit in der psychologischen Diagnose, insbesondere der Auswahl der einzusetzenden Testverfahren (? Psychodiagnostische Verfahren), dem Erstellen von Sachverständigengutachten (etwa in der Frage des Überspringens von Schulstufen) und der Beratung von Schülern, Eltern und Lehrern hinsichtlich Schullaufbahnwahl und Förderung befasst.
Hany E, Nickel H (1992) (Hrsg.) Begabung und Hochbegabung. Theoretische Konzepte, empirische Befunde, praktische Konsequenzen. Bern, Huber Heller K (2001) Hochbegabung im Kindesund Jugendalter. Göttingen, Hogrefe.
Taylor C (1978) How many types of giftedness can your program tolerate? Journal of Creative Behaviour 12.
Landau E (1990) Mut zur Begabung. München, Reinhard.
Landau E (2001) Vortrag auf dem 4. Weltkongress des „World Council for gifted and talented children“, Barcelona. Weinert F (1992) Wird man zum Hochbegabten geboren, entwickelt man sich dahin oder wird man dazu gemacht? In: Hany E, Nickel H (Hrsg.) Begabung und Hochbegabung. Bern, Huber.
Mathilde Zeman
Beratung Unter Beratung ist eine klärende Vorgangsweise zu verstehen, bei der das mehr oder minder undeutliche Problemfeld vor-erkundet (exploriert) wird, um es dann (teils durch Einsatz wissenschaftlich fundierter Diagnostik) näher bestimmen (definieren, strukturieren und systematisieren) zu können. Das Problemfeld ergibt sich durch die drei Komponenten: Ausgangslage (Status), Zielbestimmung und Weg zur Zielerreichung (Methode). Zunächst wird gemeinsam versucht, den Problemkern (das zentrale Problem) zu finden (Brem- Gräser 1993 Bd I, S 47) bzw. bei mehreren zugrunde liegenden Grundproblemen (Sedlak 1996) auf eines zu fokussieren. Die Beratung hat einen Orientierung erleichternden, ja sogar einen „katalysatorischen“ Effekt. Indem der Ratsuchende seine eigenen Ansichten über das Problem und seine Lösung im Dialog zur Sprache bringt, entdeckt er neue Sichtweisen und Ideen: Wo stehe ich derzeit? Wo möchte ich hin? Wie komme ich dort hin, wo ich hin möchte? Auf diesem Weg gibt es lang- mittel- oder kurzfristige Etappen (was ist der nächste Schritt?). Man versucht dabei, Ressourcen (Kraftquellen) des Ratsuchenden zu erschließen bzw. ihm die eigenen Bewältigungsmöglichkeiten (Kompensations fähigkeiten) bewusst und nutzbar zu machen.