4 Stresswirkungen (S. 34-35)
Bei der Beschreibung negativer Stresswirkungen ist zwischen kurzfristigen und längerfristigen sowie psychischen und physischen Stresssymptomen zu unterscheiden. Es ist zunächst nicht ungewöhnlich und in der Regel von vorübergehender Natur, wenn Kinder und Jugendliche in bestimmten Situationen (z. B. vor einer Klassenarbeit) Stress erleben. Die Symptome treten hier in einer klar umschriebenen Situation auf und verschwinden häufig wieder, sobald die kritische Situation vorüber ist.
Treten die Symptome wiederholt und regelmäßig auf, erhalten die Stresswirkungen nicht nur kurzfristigen, sondern längerfristigen Charakter. In diesem Fall handelt es sich nicht mehr um Stressreaktionen in einzelnen aktuellen Situationen, sondern um chronische Reaktionen, die in bestimmten Situationen oder sogar situationsübergreifend wiederkehren. So kann es beispielsweise vor Klassenarbeiten immer wieder zu Beschwerden wie Schlaflosigkeit, Magenschmerzen, allgemeiner Nervosität oder Unruhe kommen, die nicht mehr nur auf einzelne Situationen bezogen sind, sondern einen allgemeineren Charakter erhalten. Dabei können diese chronischen Symptome selbst wieder zu neuen potentiellen Stressoren werden, etwa wenn sie eine Vorbereitung auf die Klassenarbeit erschweren oder verhindern.
Fragt man Kinder und Jugendliche nach Symptomen, die sie mit Stress verbinden, so zeigt sich, dass der Anteil der physischen Symptome über das Alter hinweg relativ konstant bleibt (zumindest im Bereich von der dritten bis zur achten Klasse), während sich eine relative Zunahme der psychischen Symptome beobachten lässt (s. Lohaus, Beyer &, Klein-Heßling, 2004). Die anfängliche stärkere Zentrierung auf physische Symptome mag damit begründet sein, dass diese Stressreaktionen unmittelbar fühlbar und wahrnehmbar sind und damit den jüngeren Kindern (vor allem im Vor- und Grundschulalter) stärker ins Auge fallen. Die Wahrnehmung der psychischen Reaktionen verlangt in der Regel einen höheren Selbstreflexionsgrad und tritt vermutlich deshalb erst bei den älteren Kindern (bzw. Jugendlichen) ins Blickfeld.
Im Folgenden soll auf verschiedene (längerfristige) Stresssymptome näher eingegangen werden. Allgemein lassen sich Stresssymptome auf der physiologisch-vegetativen, der kognitiv-emotionalen und der verhaltensbezogenen Ebene voneinander unterscheiden. Bei den physiologischvegetativen Symptomen handelt es sich im Allgemeinen um körperliche Beschwerden, die beiden anderen Ebenen lassen sich als psychische Stresssymptome (im Erlebens- und Verhaltensbereich) zusammenfassen.
4.1 Physische Ebene
Informationen zu stressbezogenen Symptomatiken von Kindern und Jugendlichen, die Ausdruck eines Stresserlebens sein können, liefert die internationale Studie »Health Behaviour in School-aged Children« (HBSC). Sie wurde im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation durchgeführt. Im deutschen Teil der Studie wurde eine repräsentative Stichprobe von Schülern der 5., 7. und 9. Klasse im Alter von durchschnittlich 11, 13 und 15 Jahren gebeten, ihren Gesundheitszustand in Bezug auf die letzten sechs Monate zu beurteilen. Wie aus der Studie hervorgeht, leidet ein großer Teil der Kinder und Jugendlichen regelmäßig unter psychosomatischen Beschwerden (Ravens-Sieberer, Thomas &, Erhart, 2003). Am häufigsten wird über Müdigkeit und Erschöpfung berichtet: 24.9% der Kinder und Jugendlichen fühlten sich innerhalb der letzten sechs Monate fast täglich oder mehrmals in der Woche müde und erschöpft, für weitere 21.3% trifft das fast jede Woche zu. Als zweithäufigstes Symptom werden Einschlafschwierigkeiten genannt. 15.7% der Untersuchten hatten täglich oder mehrmals pro Woche Probleme damit einzuschlafen und weitere 11.2% fast jede Woche. Ein Anteil von 12.3% der Befragten gab an, fast täglich oder mehrmals in der Woche Kopfschmerzen zu haben, für 12.2% trifft das fast jede Woche zu. Unter Rückenschmerzen leiden 8.4% fast täglich oder mehrmals pro Woche, für weitere 9% trifft das fast jede Woche zu. Bauchschmerzen haben 7.4% der Schüler fast täglich oder mehrmals pro Woche und weitere 8.6% fast jede Woche (s. zusammenfassend auch Lohaus &, Seiffge-Krenke, 2007)