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Radioaktivität

Was man wissen muss. - Eine allgemeinverständliche Darstellung

AutorElmar Träbert
VerlagVerlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
Erscheinungsjahr2011
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783462304848
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Von natürlicher Strahlung bis Fukushima: Was Sie schon immer über Radioaktivität wissen wollten - und bisher nicht verstanden haben Der Begriff »Radioaktivität« lässt aufschrecken, man denkt an etwas nicht Greifbares, schleichende Gefahren, Reaktorkatastrophen, schmutzige Bomben, an nukleare Verstrahlung und Verwüstung. Zwar haben Windscale/Sellafield, Tschernobyl und andere, weitgehend geheim gehaltene Unfälle mit kerntechnischem Material tatsächlich ganze Landstriche unbewohnbar gemacht, Menschen verstrahlt und manchen einen vorzeitigen Tod gebracht, aber für die weitaus meisten Menschen in der Welt blieben die Auswirkungen bisher unbedeutend. Fukushima hat uns erneut aufgerüttelt. Nach dem Erdbeben und dem nachfolgenden Tsunami nordöstlich von Tokio trat eine weitere Katastrophe ins Blickfeld: die an einem Kernkraftwerk mit mehreren Reaktoren entstandenen Schäden, die Evakuierung von zigtausend Einwohnern einer allmählich ausgeweiteten Region, die Befürchtungen für die Wasserversorgung Tokios, Radioaktivität im Meer ... Was bedeutet das für die japanische Bevölkerung, was für uns, die wir so fern von Japan leben?Wer weiß schon, dass die natürliche Radioaktivität uns Menschen seit jeher begleitet, dass unsere Körperzellen seit jeher darauf eingestellt sind, Schäden durch radioaktive Strahlung oder andere Ursachen, sofern sie nicht zu häufig auftreten, zu reparieren? Aber wo liegen die Grenzen dessen, was wir gefahrlos verkraften? Elmar Träbert stellt die physikalischen Zusammenhänge ohne Formeln dar, erläutert Strahlenarten, Strahlungsmessung, Strahlungsquellen (in Medizin, Kraftwerken und Waffentechnik) und den Umgang damit in allgemein verständlicher Weise. Er beschreibt Kernkraftwerke und deren Sicherheitsprobleme, Strahlentherapie, Uranmunition und Uranbergbau. Wer diese Zusammenhänge kennt, kann mit seinen eigenen Ängsten besser umgehen und einige davon vielleicht auch abbauen. Er kann auch durchschauen, was die verschiedenen Interessengruppen im Zusammenhang mit radioaktivem Material behaupten - und sich seine eigene Meinung bilden.

Elmar Träbert ist außerplanmäßiger Professor für Experimentalphysik an der Ruhr-Universität Bochum, wo er sich seit über dreißig Jahren mit der Atomphysik, vor allem an schnellen Ionenstrahlen, beschäftigt hat. Er forscht außerdem regelmäßig am Lawrence Livermore National Laboratory der University of California in den USA.

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Leseprobe

Wir sind Sternenstaub


Das Weltall, in dem wir leben und das wir nachts leuchten sehen, ist nach dem derzeitigen Stand der Erkenntnis etwa 14 Milliarden Jahre alt, unser Sonnensystem, also Sonne und Planeten, erst etwa 4,7 Milliarden Jahre. Der Stoff, aus dem wir bestehen, kann also schon einiges erlebt haben – und das hat er.

Uns fehlen noch die Mittel, das Universum in seinem Anfangszustand wissenschaftlich korrekt zu beschreiben, weil sein Zustand so – in jeder Hinsicht – extrem (heiß, klein, energiereich) war, dass alle Vergleiche mit unserer heutigen Erfahrung scheitern. Die Wissenschaftler, die sich mit diesem Thema beschäftigen, gehen aber davon aus, dass sie sehr wohl beschreiben können, wie die Verhältnisse eine Milliarde Jahre, eine Million, tausend Jahre, ein Jahr, einen Tag, eine Sekunde oder gar noch kürzer nach dem »Anfang«, dem Großen Knall (Urknall, Big Bang), waren. Nicht, dass nicht noch Meinungsunterschiede über etliche Einzelheiten bestünden, aber im Wesentlichen sind sich die (meisten) Experten einig.

Das Weltall war noch klein und darin so viel Energie, dass Elementarteilchen, die sich bildeten, gleich wieder zerstört wurden. Mit der Ausdehnung dieses Feuerballs sank seine Temperatur, sodass im Laufe der Minuten, Stunden, Tage, Jahre, Jahrtausende, Jahrmillionen endlich nicht mehr alle Teilchen ihre  Antiteilchen fanden und wieder zerstrahlten (durch eine kleine Asymmetrie in den physikalischen Gesetzen starb die Antimaterie sogar fast aus), sondern die Grundbausteine »unserer« Materie überlebten: Protonen, Neutronen und Elektronen. Strahlung – im engeren Sinne, zum Beispiel Licht (Photonen) und Neutrinos – und Materie wurden nicht mehr fortlaufend ineinander umgewandelt, sondern trennten sich in ihrer Entwicklung. Die Strahlung kühlte sich mit der Ausdehnung des Universums ab; was davon noch übrig ist, nennen wir heute kosmische Hintergrundstrahlung. Sie zeigt eine Temperatur des Universums von heute 2,7 Kelvin an. Weil es sie gibt und weil sie so ist, wie sie ist, können wir auf den Urknall schließen.

Was aber war mit den Teilchen? Aus einer Regenwolke fallen Tropfen oder Schneeflocken (manchmal auch Hagelkörner), aber keine großen Brocken. Aus der heißen Energiesuppe kondensierten einzelne Teilchen, aber keine großen Gebilde. Wenn die einzelnen Teilchen zufällig mit anderen zusammenstießen, gab es manchmal Trümmer, manchmal blieben die Teilchen aneinander haften. Protonen können nicht an anderen Protonen haften, weil sie sich wegen ihrer elektrischen Ladung gegenseitig stark abstoßen. Freie Neutronen (außerhalb eines Atomkerns) leben nur etwa 15 Minuten, bevor sie sich in ein  Proton verwandeln und dabei ein Elektron (und ein Antineutrino) aussenden. Genauer gesagt, nach der  Halbwertszeit von etwa 15 Minuten ist die Hälfte aller ungebundenen Neutronen, die sie im Neutronensupermarkt in Ihre Einkaufstasche gefüllt haben, zerfallen, nach weiteren 15 Minuten ist nur noch die Hälfte vom Rest vorhanden und so weiter. Welche der Neutronen als nächste zerfallen, können wir nicht vorhersagen (sonst würden Sie beim Einkauf die herauspicken wollen, die noch lange leben). Fünfzehn Minuten Halbwertszeit im Vergleich zu den 14 Milliarden Jahren Alter des Universums: Auch wenn es mal viele freie Neutronen gab, sie sind inzwischen praktisch alle weg.

Aber Neutronen gibt es noch – gut verpackt und dadurch wohlkonserviert. Ein Neutron, das sich mit anderen Baryonen zusammenschließt, kann beliebig lange leben. Baryonen sind die »schweren« Teilchen (Neutronen, Protonen), die aufeinander die »starke Wechselwirkung« ausüben, die Kernkraft, die die Atomkerne zusammenhält. Ein  Neutron und ein Proton zusammen bilden ein  Deuteron. Zwei Neutronen zusammen oder zwei Protonen zusammen bilden kein stabiles Teilchen, es zerfällt sofort wieder. Ein Neutron und zwei Protonen halten es miteinander aus, ebenso wie zwei Neutronen und ein Proton – aber es ist selten, dass drei Teilchen einander so treffen. Wir werden noch auf diese Teilchen zurückkommen.

Zwei Neutronen und zwei Protonen, das müsste ja noch seltener sein, aber dieses neue Teilchen (das man sich aus zwei Deuteronen zusammengesetzt denken kann) ist besonders stark gebunden. Das heißt, wenn es einmal entstanden ist, kostet es besonders viel Mühe (Energie), es wieder aufzubrechen. Dieses Gebilde verdient einen eigenen Namen, »Alpha«, und wird uns noch oft wiederbegegnen. Durch Stöße von bereits zusammengesetzten Teilchen können gelegentlich auch mal größere Brocken entstehen, zum Beispiel solche mit drei Protonen und mehreren Neutronen. Inzwischen hat sich das Universum aber weiter ausgedehnt, ist die heiße Energiesuppe dünner geworden (in größerem Raum verteilt) und abgekühlt. Die Chancen, dass einzelne Teilchen andere überhaupt treffen, sind drastisch gesunken. Die Elementbildung ist zunächst vorbei.

Was haben wir bis jetzt? Teilchen mit nur einem Proton und solche mit einem Proton und einem oder zwei Neutronen. Die werden später die Kerne von Wasserstoff (Kernladungszahl 1) und seinen zwei schweren Isotopen  Deuterium und  Tritium (Tritium ist nicht stabil, es zerfällt unter Umwandlung eines seiner Neutronen in ein Proton). Die Teilchen mit zwei Protonen und meist zwei (ab und zu nur einem) Neutronen werden die Kerne des Edelgasatoms Helium bilden, die mit drei Protonen Lithium. Das ist alles.

Es dauert noch viele Hunderttausend Jahre, bis das Universum so weit abgekühlt ist, dass Elektronen, die sich mit den Kernen zu Atomen zusammenlagern wollen, durch die intensive und energiereiche (»heiße«) Strahlung nicht gleich wieder abgetrennt werden. Erst dann gibt es stabile Atome, viele vom Wasserstoff, etwa ein Viertel dieser Zahl von Helium und noch viel weniger von Lithium.

Wir bestehen zum größten Teil aus Kohlenstoff, Stickstoff und Sauerstoff (Kernladungszahlen 6 bis 8), laufen über Steine mit viel Silizium (Kernladungszahl 14), fahren Autos aus Stahl (Eisen hat die Kernladungszahl 26), bewundern Schmuck aus Gold (Kernladungszahl 79) und betreiben Kernkraftwerke mit  Uran (Kernladungszahl 92). Wo kommt das Zeug her, wenn nicht aus dem Urknall? Da muss in den 10 Milliarden Jahren zwischen dem Urknall und der Entstehung unseres Sonnensystems wohl noch etwas mehr passiert sein …

Wir verlassen das Gebiet der Kosmologie und Elementarteilchenphysik und betreten das Gebiet der Astronomie und Astrophysik – wir brauchen Sterne. Die aus der heißen Energiesuppe ausgefrorenen Nukleonen, Nukleonengruppen und Elektronen streifen durch das Weltall, einige treffen zusammen und bilden Atome. Durch zufällige Schwankungen (und unter Mitwirkung der »dunklen Materie«, deren Erforschung erst vor Kurzem begonnen hat) entstehen riesige Wolken. Solche Wolken können sich unter ihrem eigenen Gewicht zusammenziehen; dabei steigen allerdings der Druck und die Temperatur in ihrem Innern und verlangsamen das Zusammenfallen. Wärmestrahlung befördert überschüssige Energie nach draußen, die schnellsten Teilchen verdampfen aus der Wolke, sodass sie endlich weiter schrumpfen kann. Wenn die Wolke anfangs groß genug war, kann sie so weit schrumpfen, dass im Gleichgewicht zwischen Schwerkraft (nach innen) und Strahlungsdruck (nach außen) die Temperatur im Innern der Wolke ausreicht, um sie sichtbar leuchten zu lassen. (Die Wärmestrahlung liegt meist im für uns unsichtbaren Infrarot.) Sichtbares Licht hat Energien im Bereich von 2 bis 3 eV (Elektronvolt). Das sind Energien, die für chemische Umwandlungen typisch sind. Damit kann man den Herd heizen, aber keinen Stern betreiben. Sichtbares Licht, wie von unserer Sonne, entspricht der Wärmestrahlung eines Objektes, das etwa 5000 bis 6000 Kelvin heiß ist – wie die Oberfläche der Sonne, unseres Sterns.

Die Wolke muss also noch viel weiter zusammensacken, Druck und Temperatur im Innern müssen weiter ansteigen. Derweil leuchtet die Oberfläche im sichtbaren Licht. Wenn es im Innern wenigstens zehn Millionen Grad heiß ist, rasen die Teilchen (vorwiegend Protonen aus dem Urknall) dort so schnell umher, dass einige von ihnen die elektrische Abstoßung der Protonen untereinander überwinden können. Dann können – auf Umwegen mit etlichen Zwischenstufen – durch Kernreaktionen aus ehemals vier Protonen Gruppen von zwei Protonen und zwei Neutronen werden. Richtig, das sind Alphateilchen. Die sind besonders stabil, ihre Bestandteile besonders fest aneinander gebunden. Diese Bindungsenergie wird bei der Bildung des Alphateilchens, die wir Fusion nennen, freigesetzt und heizt den Ofen weiter an. Das ist der funktionierende Fusionsreaktor, er wird mit Protonen (Kernen des Wasserstoffatoms) betrieben und liefert als Endmaterial Alphateilchen (Kerne des Heliumatoms) und Energie. Für jedes fertige Alphateilchen sind das Energien von mehreren (rund 28) MeV (Millionen Elektronvolt), also Millionen Mal mehr als bei chemischer Verbrennung (wie von Kohle, Gas oder Öl).

Diese Energie wird letztlich in Bewegungsenergie der Teilchen in der Gaswolke umgewandelt; deren Temperatur steigt, und was heiß ist, leuchtet: ein Stern. Können wir solche Energiegewinnung nicht auch auf der Erde einsetzen? Was braucht man dazu: Genügend viele Teilchen auf kleinem Raum und bei genügend hoher Geschwindigkeit lange genug...

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