❚ Vorwort
An den Ostertagen 1996 kam ich mit einer Leptospirose, einer lebensgefährlichen, nur schwer zu diagnostizierenden Infektionskrankheit gerade noch rechtzeitig in das Schwabinger Krankenhaus. Auf der Intensivstation kämpften die Ärzte erfolgreich um mein Leben. Die Dauerbelastung als Stadtrat, Vorsitzender der Organisation »David gegen Goliath« und Rechtsanwalt, vor allem aber die zunehmende Gleichgültigkeit der Menschen gegenüber den atomaren Gefahren und der fortschreitenden Umweltzerstörung hatten mich erschöpft.
In der Karfreitagnacht zog mich das einzige mitgebrachte Buch, Das Vermächtnis der Wildnis. Visionen und Prophezeiungen zur Rettung unserer gefährdeten Welt geradezu magisch an. Es war die Lebensgeschichte von Stalking Wolf, einem alten Schamanen vom Volk der Apachen. Bereits am Anfang des Buches offenbarte Stalking Wolf vier Prophezeiungen, die in starken, eindringlichen und realistisch anmutenden Schreckensbildern das Ende unserer nur auf materiellen Werten aufgebauten Wachstums-, Konkurrenz- und Vergnügungszivilisation voraussagten, falls es nicht zu einer grundlegenden Kurskorrektur kommen würde.
Diese Schreckensvisionen schlugen mich völlig in ihren Bann, sie durchdrangen meinen geschwächten Körper, meinen angeschlagenen Geist und meine wunde Seele und versetzten mich in höchsten Aufruhr. Mehr als die Hälfte aller Menschen, Tiere und Pflanzen würden demnach schon in überschaubaren Zeitläufen von der Erde verschwinden. Würden meine Menschen- und Tierfreunde auch darunter sein? Ich konnte kein Auge zumachen, und es dauerte sehr lange, bis ich endlich doch einschlief. Irgendwann wachte ich schweißüberströmt auf und hatte jedes Gefühl für Raum und Zeit verloren. Normalerweise erinnere ich mich nicht an meine Träume, aber den Traum dieser Nacht werde ich mein Leben lang nicht vergessen: Ich stieg auf einer zum Himmel führenden Leiter, so schnell ich konnte, immer weiter nach oben. Nach einer mir endlos erscheinenden Zeit gelangte ich an die Himmelspforte. Ich schaute in einen großen Raum, in dem ein geschäftiger älterer Herr mit weißem Gewand und Rauschebart in seine Arbeit vertieft an einem Schreibtisch saß. Die Tür zu einem weitaus größeren, lichtdurchfluteten Raum war nur angelehnt, ich konnte allerdings nur von hinten die Umrisse einer in weißes Licht gehüllten, mir nahezu körperlos erscheinenden Person erkennen. Der Mann am Schreibtisch, offenkundig der Hüter des Himmels, würdigte mich keines Blickes und setzte seine Arbeit unvermindert fort. Er ließ mich lange warten, bis er endlich kurz aufblickte und mich anherrschte: »Was willst du hier oben? Deine Zeit ist noch nicht gekommen. Du gehst sofort wieder auf die Erde zurück und setzt deine Arbeit fort!«
Nach dieser keinen Widerspruch duldenden Aufforderung ging ich schnurstracks den gleichen Weg zur Erde zurück.
Seitdem setze ich auf der Erde meine Arbeit fort, die ich nach der Atomkatastrophe von Tschernobyl begonnen hatte. Dieser erste atomare GAU am 26. April 1986 ist ein Wendepunkt in der Menschheitsgeschichte, aber auch in meinem Leben gewesen. Wir haben in jenen Tagen unsere »atomare Unschuld« verloren – spätestens seitdem wissen wir, dass wir vor radioaktiven Strahlen nicht davonlaufen können, dass es keine wirksame medizinische Hilfe gibt und eine Evakuierung der Bevölkerung aus den radioaktiv verstrahlten Zonen nicht möglich ist. Wir wissen aber auch, dass ein neuer Atomunfall, ausgelöst durch menschliches oder technisches Versagen oder einer Kombination aus beiden Faktoren, jederzeit auch bei uns in unseren dicht besiedelten Gebieten möglich ist. Das würde den Zusammenbruch unserer Zivilisation zur Folge haben.
Die weitaus tiefere Dimension dieser ersten Atomkatastrophe hat sich mir aber erst Jahre später erschlossen: Der Name Tschernobyl bedeutet auf Deutsch »Wermut«, also »bitteres«, konkreter, »vergiftetes Wasser« und führt uns direkt in die Apokalypse des Johannes. Dort heißt es im achten Kapitel in Vers zehn bis elf: »Und der dritte Engel posaunte: Und es fiel ein großer Stern vom Himmel, der brannte wie eine Fackel und fiel auf den dritten Teil der Wasserströme und über die Wasserbrunnen. Und der Name des Sterns heißt Wermut. Und der dritte Teil der Wasser ward Wermut; und viele Menschen starben von den Wassern, weil sie waren so bitter geworden.«
Wenn die Wasser vergiftet sind, werden wir Menschen, aber auch Tiere und Pflanzen wie prophezeit sterben, denn wir können nicht länger als drei Tage ohne Wasser leben. Eine eindringlichere Warnung aus der geistigen Welt können wir nicht erwarten. Tschernobyl ist die klare Aufforderung an uns, von einem selbstzerstörerischen Atom-, Wachstums- und Verschwendungskurs Abstand zu nehmen und ein Leben im Einklang mit der Natur, ihren Gesetzen, Bedürfnissen und Begrenzungen zu führen. Wenn wir so weitermachen wie bisher, werden wir bald alle über Jahrmillionen gewachsenen Bodenschätze aus dem Inneren unseres Heimatplaneten Erde geplündert und das hochsensible Gleichgewicht des Lebens zerstört haben.
Die zunehmende Verschmutzung von Erde, Luft und Wasser, die immer deutlicher spürbar werdende Klimakatastrophe, die ansteigende radioaktive Verseuchung, das zunehmende Artensterben und das Abschmelzen der Eisberge: Das alles sind Fakten, die mit Leichtigkeit überprüft werden können.
Diese zunehmende Belastung unserer Ökosysteme ist bereits 1975 in dem vom Club of Rome herausgegebenen Weltbestseller »Die Grenzen des Wachstums« und schon vor Jahrzehnten in regierungsamtlichen Dokumenten wie in dem von der US-Regierung herausgegebenen Umweltreport »Global 2000« thematisiert worden. Es liegt auf der Hand: Wenn unserem Ökosystem mehr entnommen wird, als nachwächst, hat es keine Überlebenschance. Dann ist der Zusammenbruch nur noch eine Frage der Zeit.
Tragischerweise sind die richtigen Konsequenzen aus den Analysen und Erkenntnissen weitgehend ausgeblieben. Kleiner statt größer, ruhiger statt lauter, langsamer statt schneller, mehr Solidarität statt zerstörerischer Konkurrenz, mehr Sonne statt Atom, Kohle und Gas sollte die Devise lauten. Doch wir tun nicht, was wir wissen. Unser bestehendes Wirtschaftssystem mit dem Dogma des grenzenlosen Wachstums und dem obersten Ziel der Gewinnmaximierung auf Kosten von Mensch und Natur hat sich zu einer Ersatzreligion, dem Mammonismus, entwickelt. Er wird von einem Heer von hochbezahlten Lobbyisten, Meinungsmachern in allen Medien und ausgefuchsten Juristen höchst erfolgreich abgesichert und verteidigt. Der Bürger als der eigentliche Souverän unseres freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates hat sich von einem rund um die Uhr ablaufenden, kostenfreien »Brot und Spiele«-Vergnügungsprogramm auf allen Medien einlullen lassen und sich in dieser einzigartigen Waren- und Vergnügungswelt als auf sich bezogener Egomane eingerichtet. Der Preis, der für die wachsende Umweltzerstörung und soziale Ungerechtigkeit zu zahlen sein wird, wird erfolgreich verdrängt. Und die Kirchen, deren originäre Aufgabe die Bewahrung der Schöpfung und die Verkündung der sinnstiftenden Liebesbotschaft von Jesus Christus sein sollte, sind Teil dieses Systems geworden, haben sich bis zur Unerträglichkeit angepasst und lassen sich auch noch staatlich finanzieren und damit tendenziell korrumpieren.
So steuern wir unbeirrt, wie einst die Titanic, mit Volldampf auf den vor uns liegenden, immer deutlicher sichtbar werdenden Eisberg zu, und nur ein Wunder kann den Zusammenstoß noch aufhalten.
Die Atomkatastrophe von Tschernobyl hat mein Leben und meine Sichtweise auf die lebensbedrohliche Gefährdung unseres Heimatplaneten Erde grundlegend verändert. Mich hatte die radioaktive Wolke damals beim Joggen im Chiemgau erwischt. Meine Hilflosigkeit, meine Angst und mein Zorn über die verlogene, meine Gesundheit gefährdende Informationspolitik der damaligen Bundesregierung, verstärkt durch die grenzenlose Panik von befreundeten Familien mit Kindern, hat sich tief in mein Gedächtnis eingebrannt. Ich werde nie den Anruf eines befreundeten, sonst immer coolen, zu diesem Zeitpunkt aber völlig aufgelösten Rechtsanwalts vergessen: »Kannst du bitte meine Kanzlei einige Zeit betreuen, ich muss hier sofort weg, um meinen Sohn in Sicherheit zu bringen.« Es war ihm völlig unvorstellbar, dass man sich vor radioaktiven Strahlen nicht in Sicherheit bringen kann.
Das gab den Ausschlag für meinen Entschluss. Ich wollte nicht länger ein hilfloses Opfer von weiteren zu erwartenden Atom- oder Umweltkatastrophen sein. Das führte im Juni 1986 zur Gründung der Umwelt- und Bürgerrechtsorganisation »David gegen Goliath«. In dieser von mir als existenzielle Überlebenskrise der Menschheit wahrgenommenen »Sein oder Nichtsein«-Situation, in die ich schicksalhaft hineingeworfen wurde, fand ich meine – im wahrsten Sinne des Wortes – Lebens-Aufgabe. Diese sich immer mehr ausweitende Aufgabe entwickelte sich in den nächsten Jahren zwangsläufig zu einem unbezahlten Vollzeitjob, dem ich mein ganzes persönliches und berufliches Leben untergeordnet habe.
Eine solche Entscheidung muss jeder für sich treffen. Nur sollte keiner jemals wieder sagen können, er hätte von der wachsenden Zerstörung unserer Umwelt und den nicht beherrschbaren atomaren Gefahren nichts gewusst – und deshalb nicht gehandelt.
»David gegen Goliath« – einen optimistischeren und Mut machenderen Namen gibt es für mich nicht. Er flog mir als ein Geschenk des Himmels zu, als ich meditierte und die geistige Welt um Beistand, Führung und Schutz bat: Der kleine David, der gegen die übermächtigen finanz- und organisationsstarken Atom- und Wachstumsgoliaths eigentlich keine Chance hat und...