1
Alternativen zum Hamsterrad bis 67
Es geht um mehr Lebensqualität
Um 6.00 Uhr klingelt der Wecker. Wir drehen uns um und schlummern bis 6.30 Uhr. Zweiter Versuch. Die Sonne scheint durchs Fenster, und wir möchten eigentlich eine Fahrradtour unternehmen. Es ist jedoch Dienstag – wir müssen ins Büro. Das Handy wird gecheckt und etwas Ablenkung in den sozialen Medien gesucht, bevor wir uns aufraffen, mit einem Gefühl der Fremdbestimmtheit den Tag anzugehen. Nach dem Anziehen und einem Blick auf die Uhr fällt das Frühstück in Ruhe wieder flach. Die erste Besprechung ist um 8.00 Uhr, gestern war schon Stau. Beim Bäcker rasch eine Butterbrezel und Coffee to go gekauft, dann geht es in den morgendlichen Berufsverkehr. Gehetzt auf der Arbeit um 8.10 Uhr, die Besprechung wurde zwischenzeitlich abgesagt. Bereits genervt vom Anfahrtsstau erst mal eine rauchen. Auf der Arbeit von 8.00 bis 17.00 Uhr oder länger, während wir in den Pausen und beim Blick aus dem Fenster vom Wochenende träumen. Wir stellen Lieferanten, Chefs und Kollegen zufrieden, die E-Mails werden trotzdem nicht weniger. Einspruch gegen unrealistische Deadlines einzulegen, haben wir aufgegeben. Das zusätzliche Arbeitspensum wird geschultert, denn einen sicheren Job gibt es ja nicht ohne Einschränkung. Vielleicht klappt es bald mit der Gehaltserhöhung, dann ist eine größere Wohnung drin oder ein neues Auto. Mehrere Kaffeepausen mit Diskussionen, warum die Abläufe früher viel besser waren. Stellenstreichungen machen die Runde. Bangen, dass nichts schiefgeht, sonst sieht es mit der Tilgung des Eigenheimkredits schwierig aus. Um 17.00 Uhr oder später die letzte Geduldsprobe im Berufsverkehr zurück. Die Fahrt dauerte länger und die Kinder schlafen schon. Ausgelaugt versuchen, die Laune hochzuhalten und Interesse am Tag des Partners zeigen. Zum Kochen viel zu müde, ordern wir wie so oft beim Lieferdienst: Pizza, um die Stimmung zu heben. Nach dem Abendessen abwesend vor dem Fernseher sitzen und sich noch eine Stunde berieseln lassen. Morgen ist wieder tolles Wetter angesagt, wir sollten ins Schwimmbad oder wandern gehen. Schnell aber wieder verinnerlichen, dass morgen Mittwoch ist, und die To-dos für den nächsten Tag gedanklich durchgehen. Versuchen, Ruhe zu finden, bald ist Freitag. So würde es nun bis zur Rente weitergehen. Sieht so ein zufriedenes Leben aus? Hat sich die Anstrengung in Ausbildung und Job gelohnt, oder leben wir fremdbestimmt vor uns her?
Vielleicht erkennt sich der eine oder andere in Teilen in diesem fiktiven Alltag wieder. Nach meinem Ingenieursstudium begann ich meinen ersten Job in der Automobilindustrie. Es machte Spaß, ich lernte viel, und mein Gehalt stieg an. Mit jeder Gehaltserhöhung wuchsen automatisch die Ausgaben, die Lebensfreude jedoch nicht merklich. Geld interessierte mich schon immer, aber ich wusste nicht warum. Mit drei Geschwistern wuchs ich in einem kleinen Dorf in Süddeutschland auf. Das Taschengeld, das nach dem Kauf von Fußballsammelbildern übrigblieb, legte ich beiseite. Mit Zeitungen austragen, dem Erstellen von Internetseiten oder als Helfer im Landschaftsbau hatte ich schon immer diverse Nebenjobs. Damals kannte ich kein Excel, meinen Vermögensstand protokollierte ich trotzdem händisch jeden Monat als Diagramm. Meine ersten Aktien kaufte ich mit 15. Hierbei machte ich alle Anfängerfehler, da ich keine Ahnung von der Sache hatte. Später wollte ich einmal viel Geld haben, um mir all das kaufen zu können, das würde mich ultimativ glücklich machen. Dachte ich.
Bis ich auf einen jungen Mann aus Kanada stieß, der meine Sicht auf Geld, Ausgaben und ein selbstbestimmtes Leben für immer verändern sollte.
Peter: Ausbruch aus dem Hamsterrad mit 31
Peter Adeney,1 44, ist Kanadier und lebt heute in den USA. Er studierte Informatik, arbeitete in verschiedenen Unternehmen und gab nur Geld für das aus, was ihm langfristige Lebensfreude brachte. Die monatlichen Überschüsse von 70 Prozent des Gehalts investierten seine Frau und er nach einfachen Regeln breit gestreut am Aktienmarkt – ohne sich mit den Börsenkursen und einzelnen Unternehmen zu beschäftigen, Monat für Monat. Als er 31 Jahre alt war, bekamen die beiden einen Sohn. Die Erträge aus ihrem Vermögen deckten die Lebenshaltungskosten, sie waren finanziell unabhängig von einem Arbeitseinkommen und hatten ausgesorgt. Dies erreichten sie ohne Lotteriegewinn, Erbschaft oder Einschränkung an Lebensqualität. Sie kündigten ihre Jobs, verbringen viel Zeit als Familie, gehen eigenen Projekten und gelegentlichen Jobs aus Freude nach. Das Einkommen war optional geworden. Da ihr Lebensweg nicht dem der breiten Masse entspricht, erzählt Peter von seiner Lebensweise und dem passiven Investieren auf seinem Blog als Mr. Money Mustache.
Heute entscheiden sie frei vom Zwang, Geld verdienen zu müssen, wie sie ihren Alltag verbringen und welche Projekte sie wann und mit wem angehen. Sie genießen es, viel Zeit mit ihrem Sohn zu verbringen und einen positiven Einfluss auf ihr Umfeld zu haben. Peter verdiente zwar überdurchschnittlich, dennoch sind viele Menschen, sogar mit deutlich höherem Einkommen, viel länger an ihren Job gebunden. Wie ist das möglich? Peters Antwort: »Wer sich auf das Glück selbst konzentriert, kann ein viel zufriedeneres Leben führen als diejenigen, die sich auf Bequemlichkeit und Luxus konzentrieren und der finanziell ungebildeten und Werbung konsumierenden Mittelschicht der meisten reicheren westlichen Länder folgen.«2
Meilensteine von Peters Vermögensaufbau3
Jahr 0: 1997, Peter ist 22 Jahre alt und hat seinen Abschluss als Informatiker in der Tasche. Er nimmt seine erste Festanstellung an und zieht hierfür in eine 300 Kilometer entfernte Stadt. Einstiegsgehalt: umgerechnet 36 000 Euro pro Jahr. Durch Nebenjobs und 9000 Euro Unterstützung der Eltern hat er keine Studienschulden, aber auch kein Vermögen. Er besitzt kein Auto, nur ein Fahrrad, einen Rucksack und seinen Abschluss. Sein Vermögen: 0 Euro.
Jahr 1: Peter kauft einen Sportwagen für 14 000 Euro, wofür er sogar noch einen Kredit bei der Schwester aufnimmt – niemand startet perfekt. Gleichzeitig verschleudert er das erste Geld mit vielen Restaurant- und Barbesuchen, kauft Autozubehör und macht einen Trip nach Mexiko. Er arbeitet fleißig und viel. Sein Arbeitseinsatz sowie ein boomender Tech-Markt führen zu einer Gehaltserhöhung auf 50 000 Euro. Sein Vermögen am Jahresende: 4500 Euro in Form betrieblicher Altersvorsorge des Arbeitgebers.
Jahr 2: Peter wohnt während der ersten Jahre mit Kollegen in WGs, wo er rund 300 Euro monatlich Miete zahlt. Nachdem der Sportwagen abbezahlt ist und dank einer weiteren Gehaltserhöhung wächst sein Vermögen am Jahresende auf 20 000 Euro.
Jahr 3: Mit 25 wechselt er zum ersten Mal den Job und zieht in die USA – dadurch erhöht sich sein Gehalt auf 68 000 Euro. Weiterhin wohnt er in einer WG für mittlerweile 350 Euro. Er kauft sein erstes Haus und zieht dort ein. Seine Anzahlung: 42 000 Euro. Sein Vermögen: 60 000 Euro aus der Anzahlung für das Haus sowie Bargeld und betriebliche Altersvorsorge.
Jahr 4: Seine Freundin schließt ihr Studium ab und zieht für den ersten Job zu ihm. Ihr Jahresgehalt beträgt 40 000 Euro. Peter wird abgeworben und wechselt den Job mit einer Gehaltserhöhung auf 74 000 Euro. Trips nach Neuseeland, innerhalb der USA und nach Hawaii. Früh in Rente zu gehen, ist noch kein Gedanke. Vermögen: 130 000 Euro.
Jahr 5: Beide arbeiten viel und gut, daher gibt es eine Gehaltserhöhung auf 90 000 Euro für ihn, auf 50 000 Euro für sie. Am Feierabend renoviert er das Haus, sie schmeißen Partys zu Hause und genießen ihr Leben. Vermögen nach dem fünften Jahr: 220 000 Euro.
Jahr 6: Geringe Gehaltserhöhung bei der Freundin und keine überflüssigen Ausgaben stehen am Ende des sechsten Jahrs. Er verkauft ein Auto, vermissen wird er es nie. Durch Kursgewinne am Aktienmarkt steigt das Vermögen auf 325 000 Euro.
Jahr 7: Es gibt zwar keine Gehaltserhöhungen, jedoch steigen die Kurse der Aktien um etwa 25 000 Euro. Das Ausgabenniveau der beiden bleibt moderat bei rund einem Drittel ihres Einkommens. Gesamtvermögen: 440 000 Euro.
Jahr 8: Peter feiert seinen 30. Geburtstag, seine Hochzeit und eine Gehaltserhöhung bei seiner Frau auf 60 000 Euro. Er testet die Teilzeitarbeit und reduziert auf vier Tage die Woche als ersten Schritt in eine frühe Rente. Vermögen: 530 000 Euro.
Jahr 9: Peter kündigt seinen Job im Großraumbüro und macht, worauf er mehr Lust hat: Er gründet eine kleine Handwerksfirma, die ihm etwa 45 000 Euro im ersten Jahr einbringt. Seine Frau arbeitet, bis im Lauf des Jahrs ihr Sohn geboren wird. Zusätzlich ziehen sie in einen neuen Stadtteil und erwerben ein günstigeres Haus, während sie das bisherige sehr gut vermieten, sodass die Mieteinnahmen von 2000 Euro Zins und Tilgung beider Häuser mehr als decken. Sie benennen ihren Status nun beide als offiziell »in Rente«, da auch seine Frau ihren Job kündigt, um für den Sohn da zu sein. Durch Renovierungen und steigende Immobilienpreise klettert ihr Vermögen auf 640 000 Euro.
Jahr 10: Ab diesem Zeitpunkt arbeiten beide nur noch gelegentlich. Peter führt Renovierungen für Freunde und Bekannte durch, seine Frau arbeitet als Maklerin für Kunden, die ihr sympathisch sind. Beide genießen es,...