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E-Book

Rettet die Wahrheit!

AutorClaus Kleber
VerlagUllstein
Erscheinungsjahr2017
ReiheStreitschrift 
Seitenanzahl96 Seiten
ISBN9783843717007
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,49 EUR
Nein, das Kanzleramt gibt uns keine Aufträge, das würde man dort nicht wagen. Sagt Claus Kleber. Er tritt den 'Lügenpresse'-Schreiern entgegen mit einem schonungslos offenen Blick in das Innere der Redaktionsarbeit, ihre Freuden, Anfechtungen und Schwierigkeit. Ein flammendes Plädoyer für die Unabhängigkeit der Medien und gegen die Kampagnen der Hetzer. 

Claus Kleber ist promovierter Jurist und war von 1986 bis 2002 Hörfunk- und Fernsehkorrespondent der ARD in den USA und in London. Seit 2003 moderiert er das heute journal im ZDF: Er produzierte preisgekrönte Dokumentationen und Reportagen für ARD und ZDF, zuletzt gemeinsam mit Angela Andersen die ZDF-Reportage Schöne neue Welt (2016) über das Silicon Valley. 2015 wurde Kleber zum Honorarprofessor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen ernannt. Er ist Autor der Bestseller Amerikas Kreuzzüge (2005) und Spielball Erde (2012).

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Leseprobe

Null Anweisung – Ein Tag im journal

Wer entscheidet, was abends im heute-journal läuft? Die Frage wird oft gestellt. Ich kann sie nicht mit einem Satz beantworten. Aber ich kann berichten, wie ein Tag in der Redaktion abläuft. Nehmen wir 11/7/17 – den Dienstag nach dem Hamburger G20- und Krawallwochenende. Ein fast x-beliebiger Tag.

10.00 Uhr – Start mit einem weißen Blatt

Er beginnt damit, dass der Redakteur, der sich um die Planung gekümmert hat, hoffnungsvoll in die Runde sagt: »Vielleicht können wir uns einen Tag Hamburg-Pause gönnen.« Für einen Augenblick kann ich die Erleichterung spüren. Sehen kann ich sie nicht. Moderatoren sind bei der ersten Besprechung um zehn Uhr morgens meist telefonisch dabei. Der Glaskasten der Schlussredaktion im Sendegebäude ist dagegen schon gut besetzt: Redaktionsleitung, Planer/in, die beiden Schlussredakteur/innen, die für diesen Tag die Fäden in der Hand halten, die Produktion, die dafür sorgt, dass Reisen, Satellitenverbindungen und auswärtige Studios, Leitungen und Technik passend gemacht werden, der »Frühreporter«, der sich in die ersten Recherchen stürzt, usw. Manchmal acht, manchmal ein rundes Dutzend Redakteurinnen und Redakteure. Niemand sonst. Sie alle gehören zum eingeschworenen Kreis der journal-Redaktion. Einige von ihnen haben einen 14-Stunden-Tag vor sich. Aus eigenem Antrieb. Niemand will nach acht oder zehn Stunden eine halb vorbereitete Sendung an eine zweite Schicht, in andere Hände geben. Wer so weit gestürmt ist, will um 21.45 Uhr auch den Schuss aufs Tor machen und senden. Also werden sie bleiben.

Ein hamburgfreier Tag? Warum nicht? Es fühlt sich an, als hätten wir ewig nichts anderes als Hamburg gemacht. Von der außer Kontrolle geratenen »Welcome to Hell«-Demonstration am Donnerstag bis zum Montag der ersten Bilanzen. Die Regierungserklärung des angeschlagenen Bürgermeisters Olaf Scholz ist erst für Mittwoch angekündigt. Ein Dienstag ohne Bilder von vermummten Gestalten, brennenden Autos und Barrikaden, Wasserwerfern und martialisch aufgerüsteter Polizei würde Redaktion wie Zuschauern guttun. So unser Gefühl morgens um zehn. Unser Land und die Welt haben auch andere Sorgen, und wir wollen sie nicht noch länger unberichtet lassen und haben anders geplant.

Seit Wochen nähert sich diesem Dienstag ein Thema wie ein Riesentanker, sperrig und unausweichlich: Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts über das Tarifeinheitsgesetz der Bundesregierung. Es ist so kompliziert wie der Name und von enormem politischem Gewicht. Es geht darum, ob kleine Berufsgewerkschaften wie die der Lokführer, der Piloten oder der Klinikärzte weiterhin ganze Betriebe oder gar das ganze Land lahmlegen dürfen, um ihre Forderungen durchzusetzen. Jede Einschränkung ihres Streikrechtes berührt ein Grundrecht unserer Verfassung. Aber ganz ohne Einschränkung kann es aus praktischen Gründen kaum bleiben. Arbeitsministerin Andrea Nahles wäre schwer beschädigt, wenn »ihr« Gesetz für verfassungswidrig erklärt würde. Bei solchen Themen versucht das journal, besonders »journalig« zu sein, wie wir das nennen. Es gilt, die Interessenlagen transparent zu machen, die politischen Fallstricke zu zeigen und die rechtlichen Zusammenhänge zu erklären. Dieses Thema ist eine besondere Herausforderung. Nicht mal die Gewerkschafter sind sich einig. Der große DGB sieht das anders als die Organisation der Lokführer. Keine Seite dieses Konflikts soll am Ende sagen können, wir hätten ihre Argumente nicht fair dargestellt. Und jeder Zuschauer soll verstehen können, wie das Urteil sein Leben berührt. Die Kollegen der Redaktion »Recht und Justiz« sind tagsüber mit großem Besteck nach Karlsruhe gezogen, weil sie dort die Verfahrensbeteiligten beieinanderfinden. Es gab seit Tagen Überlegungen in der Grafik, wie sich die Interessen darstellen lassen. Wir können loslegen. Uns fehlt nur noch das Urteil. Das Thema wird mehr als nur einen Bericht über Urteil und Rechtsfragen brauchen. Wir werden Reaktionen abfragen. Und vielleicht ein Gespräch führen – je nachdem, wie das Urteil ausfällt, mit Frau Nahles oder mit einem der Gewerkschafter. Als die Runde sich auflöst, 10 Uhr 20, sind wir uns ziemlich sicher, dass Karlsruhe und die Folgen die Sendung beherrschen werden.

Es gibt noch eine ganze Reihe anderer Themen, um die sich Redakteure bei uns oder in den Studios in In- und Ausland kümmern. Der »Libero« des Tages – ein Redakteur, der sich plötzlich auftauchender, aktueller Storys annimmt – will sehen, ob sich zum Jahrestag des Auslaufens der »Exodus« etwas machen lässt. Das überladene Schiff voller jüdischer Migranten hatte an diesem Tag vor siebzig Jahren, 1947, den französischen Hafen Sète Richtung Palästina verlassen, feindselig eskortiert von britischen Kriegsschiffen, die Befehl hatten, das Flüchtlingsschiff nie in dem britischen Mandatsgebiet ankommen zu lassen. Es wurde ein besonderes Kapitel der europäischen Nachkriegsgeschichte, in dem Deutschland auch ein Schauplatz war. Das ist siebzig Jahre her, das Gegenteil von Aktualität, aber jemand hat den unauffälligen Jahrestag im Deutschlandfunk aufgeschnappt, und die Erinnerung könnte in die aktuelle Landschaft passen.

10.20 Uhr – Und nichts ist klar

Niemand hat irgendetwas beschlossen oder gar angewiesen. »Schau’n wir mal« ist meist das Ende dieser Besprechung, und wir ahnen, dass einige sich in den nächsten Stunden vergeblich eine Menge Arbeit machen mit Themen, die es nicht in die Sendung schaffen werden. Man weiß nur nie, welche. Manchmal sind Außenseiter im Hoffnungslauf des Morgens am Abend der »Aufmacher«, der erste Bericht der Sendung. »Der Tag ist ja noch jung« ist auch so ein Spruch in der Redaktion. Manchmal um 16.00 oder sogar um 20.00 Uhr noch. Es ist zum Verrücktwerden. Wir lieben es.

Katharina Wilms, an diesem Tag die »Chefin vom Dienst«, geht ein paar Räume weiter in die Morgenrunde der Aktualität, um anderen aktuellen Sendungen zu sagen, was das journal zurzeit plant, und zu hören, was in den anderen Redaktionen läuft.

Ich vertiefe mich zu Hause in die Tücken des Tarifeinheitsgesetzes. Auch um zu sehen, wen ich am Abend als Gesprächspartner am spannendsten finden würde. Irgendjemand wird wohl beim Urteil Federn lassen. Dann stellt sich die Frage, ob Sieger oder Verlierer das bessere Interview versprechen.

Um die Mittagszeit, ich will gerade losfahren zum Lerchenberg, kommt eine Mail von Katharina. Wir kommunizieren viel per Mail, sogar über den Flur. »Das sollte kein hamburgfreier Tag sein«, beginnt sie. Für ihr Empfinden hängt der Themenkomplex noch dick in der Luft. Auch die politischen Folgen. Die Linke versuche, sich aus der Assoziation mit den Randalierern von Hamburg rauszuwinden, die Rechten versuchten die Linke dort festzunageln. Müsste man dieses durchsichtige Spiel nicht aufspießen? Oder Justizminister Maas? Der will als Konsequenz aus den Hamburger Krawallen eine europäische Extremistendatei. Wie soll die funktionieren, wo noch nicht mal Terrorfahndung über Grenzen hinweg klappt? Reicht ein unbestimmter Verdacht, um in dieser Kartei zu landen? Sollte man ihm da nicht auf den Zahn fühlen? Ich kann mir das vorstellen. Und dann ist da noch die seltsame Geschichte mit den zurückgenommenen Akkreditierungen von Journalisten bei G20. Da sind uns die Kollegen der ARD einen Schritt voraus. Ihre Kameras haben einen so klaren Blick auf die Liste der Verdächtigten erwischt, dass die Namen lesbar sind. Aber natürlich lässt uns die befreundete Konkurrenz an dieses Exklusivmaterial vorläufig nicht ran.

Fürs Erste hat die Schlussredakteurin die Kollegen im Studio Hamburg gebeten, auf gut Glück ins ramponierte Schanzenviertel zu fahren und zu sehen, was sie drehen können. Vielleicht will ja jemand reden. Über das, was passiert ist, und über das, was jetzt folgen soll.

In den USA werden die Wolken um den Trump-Clan dichter. Aber da wollen wir nicht jedes Mal draufspringen. Wir schieben die Geschichte auf die Seite. Das Bundesverfassungsgericht bleibt ein dicker Brocken. Das Urteil ist inzwischen da, aber nicht eindeutig. Der Gesetzgeber müsse nachbessern, hat Karlsruhe verkündet. Sie hätten gewonnen, behaupten beide Seiten. Die Kollegen von »Recht und Justiz« stecken bis über die Ohren in der Analyse.

14.30 Uhr – Es müsste dringend klarer werden

In wolkiger Gemengelage beginnt unsere Tageskonferenz: zwei Dutzend Frauen und Männer zwischen Mitte zwanzig und Anfang sechzig, Praktikanten, Volontäre, Studenten mit einem Teilzeitjob, erfahrene Journalisten, Redaktionsleiter Wulf Schmiese, seine Stellvertreterin Andrea Halte, die Schlussredakteurin und ihr Co-Pilot, die Moderatoren des Tages, Gundula Gauses kleine News-Mannschaft, die Grafik, die Produktion. Jeder hat seine Meinung, jeder ist gefragt. Wulf Schmiese leitet die Sitzung, aber formale Hierarchie ist kaum spürbar. Es gibt eine Hierarchie der Argumente. Wer etwas »meint«, muss Fakten parat haben, bereit sein, sich einer Diskussion zu stellen. Solche Debatten können auch nerven, wenn sie endlos werden. Um 21.45 Uhr, in sieben Stunden, muss aus diesem Brainstorming ein überzeugendes heute-journal werden. Wir haben keinen anderen Auftrag als den. Schwierig genug.

Der Riesentanker »Tarifeinheitsgesetz« ist mit seiner enormen Verdrängung weiter auf Kurs. Was sonst? Ein Gespräch? Oder doch mehr Gewicht auf »Hamburg danach«? Die Kollegen dort haben angerufen, der Dreh laufe nicht schlecht, aber es werde 18.00 Uhr werden, bevor sie...

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