Einführung
Es handelt sich um einen Beispielfall aus der Familienmediation mit der Thematik der Trennung: Die Mediation befindet sich in der Phase II und III (siehe Seite 8), die Themen werden sortiert und einzeln bearbeitet. Besonderheit dieses Falles ist, dass im konstruktiven Bearbeiten der Sachthemen die unterschiedlichen Bedürfnisse (und Kränkungen) deutlich werden und so ein zügiges Arbeiten verzögert wird. Diese unterschiedlichen Tempi bei den Medianten sind typisch für Mediationen, in Familienmediationen werden sie oft besonders deutlich. Die Ungleichzeitigkeit ihrer jeweiligen Möglichkeiten ist ein Kennzeichen der vorliegenden Konfliktdynamik.
Es handelt sich um eine Mediation mit einem Ehepaar mit zwei Kindern. Die Sitzungen beginnen zu einem Zeitpunkt, an dem die wechselseitige Information zum Verfahren durch den/die Mediator/in bereits erfolgt ist und auch die Wünsche und Erwartungen durch die Medianten schon geäußert und sortiert wurden: z. B. Wohnung/Kinder/Geld/ Möbel/Haus. Die Rollenspieler bestimmen selbst, wie ausführlich sie den Fortgang und vielleicht auch überraschende Wendungen gestalten. Für die einzelnen Themen und Ebenen ist es durchaus möglich, mehrere Sitzungen in ihrem Verlauf aufeinander aufzubauen.
Der Fall
Sophie Kaufmann hatte die Mediation angeregt. Sie arbeitet – nach Kinderpause – seit sechs Jahren als Lehrerin, Hans Kaufmann, von Beruf Ingenieur, war längere Zeit arbeitslos und arbeitet seit einem halben Jahr als Computerfachmann, einerseits in einer festen Stelle, andererseits mit freien Aufträgen.
Beide haben die Töchter Anita (15) und Helen (13).
Das Paar will sich trennen und die Modalitäten des Umgangs mit den Kindern sowie die Finanzen klären.
Als das Paar die Mediation aufsucht, ist Hans Kaufmann bereits seit sechs Wochen zuhause ausgezogen, in eine kleine Wohnung im selben Viertel. Die Töchter wohnen weiter im Haus bei der Mutter.
Sophie Kaufmann verfügt über ihr Gehalt als Lehrerin, Hans Kaufmann hat seine Arbeitszeit und damit sein Einkommen um einen Arbeitstag pro Woche reduziert, um mit seiner neuen Freundin, die in einer anderen Stadt lebt, zusammen sein zu können. Diese neue Beziehung besteht seit drei Monaten.
Die Beteiligten
• Ehemann (Hans Kaufmann, 50)
• Ehefrau (Sophie Kaufmann, 43)
• Mediator/in
Rollenbeschreibung Hans Kaufmann
Hans Kaufmann (50) hat eine längere Phase des Misserfolgs durch die Arbeitslosigkeit hinter sich und ist jetzt gekräftigt durch seine neuen Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten und durch seine neue Liebe. Seine Ehe mit Sophie ist für ihn zweifelsfrei beendet. Er ist ausgezogen in eine kleine Wohnung, nicht weit vom gemeinsamen Familienhaus, vor allem, um seinen Töchtern nahe zu sein. Er hat sich vorgenommen, »das Ganze« hier zügig (und dadurch hoffentlich billiger) durchzuziehen. Er hat seine Unterlagen deshalb immer gut sortiert dabei und übernimmt auch »Aufgaben«, wenn z. B. von Behörden Auskünfte einzuholen sind. Er weiß, dass die Trennung für Sophie eine große Belastung ist, findet aber, dass er durch seine Bereitschaft, an der Mediation teilzunehmen, schon ein bisschen wieder gut macht. Der Zeitdruck entsteht auch, weil seine neue Freundin drängt. Sie will Begegnungen zwischen Hans und Sophie auf das Notwendigste reduzieren.
Hans hat noch etliche Möbel in dem früher gemeinsamen Haus stehen. Die wiederholte Aufforderung von Sophie, diese »endlich auszuräumen« trifft ihn unerwartet schwer. Er hat seine kleine Wohnung bislang eher wie ein Hotelzimmer empfunden, sie ist für ihn ein unpersönliches Provisorium. Er fühlt sich blockiert, mit der Entscheidung für bestimmte Möbel auch die gewohnte Ordnung des gemeinsamen Hauses aufzubrechen. Dieser innere Widerstand ist Hans nicht bewusst, faktisch hält er jedoch keinen der für den Möbeltransport verabredeten Termine ein.
Die Beziehung zu seinen Töchtern war immer gut. Er ist ein zärtlicher und engagierter Vater. Aber die nun anstehende neue Definition seiner Rolle ist unklar für ihn; auch fürchtet er, dass die Begegnungen mit den halbwüchsigen Töchtern keinen Ort mehr haben könnten, wenn das Haus für ihn nicht mehr in Frage kommt und weil ihm die kleine Wohnung ungeeignet scheint.
Neben den klar strukturierten Anteilen zeigt Hans auch chaotische und ängstliche Züge, die mit der Trennung entstanden sind.
Rollenbeschreibung Sophie Kaufmann
Sophie Kaufmann (43) ist eine gute Lehrerin, aber sie ist erschöpft und traurig durch die Trennungsentscheidung ihres Mannes, die sie überrascht hat. Sie hat in den letzten Jahren immer wieder versucht, ihm Mut zu machen, dass es mit einer neuen Arbeit klappen wird. Sie war froh, dass er sich durch die häusliche Anwesenheit viel um die Töchter kümmern konnte; sie war stolz darauf, dass sie es zu einem gemeinsamen Haus gebracht hatten. Mit der neuen Arbeit von Hans hatte sie auch auf eine auch private Erneuerung ihrer Beziehung gehofft und schon Reise- und andere Pläne dafür entworfen. Umso gekränkter ist sie, dass Hans seinen neuen Start ohne sie vornimmt. Sie hatte lange noch Hoffnung, dass es sich um eine kurze Affäre handeln könnte. Aber als Hans auch noch sein Arbeitspensum freiwillig reduziert, um mehr mit der neuen Freundin zusammen sein zu können, ist bei Sophie die Haltung umgeschlagen. Sie hat verstanden, dass er es ernst meint und sie ist besonders sauer darüber, dass er sich im Vertrauen auf ihr Lehrerinnen-Gehalt selbst freiwillig für einen geringeren Verdienst entscheidet. Sophie empfindet die aktuelle Situation als sehr belastend, sie schläft schlecht, hat gerade Abiturprüfungen abzunehmen und sie erlebt an den Mädchen zuhause die Beunruhigung durch den Weggang des Vaters. Sie muss sich überwinden, um in den Mediationssitzungen konstruktiv zu sein. Umso notwendiger findet sie es, dass Hans endlich seine Möbel aus dem Haus holt. Sie hat Pläne, sich dann neu einzurichten, den Töchtern ein Zimmer mehr zu geben und damit den von ihr nicht gewählten Neuanfang wenigstens mit einer neuen Einrichtung zu kennzeichnen. Das hat sie aber bislang für sich behalten.
Empfehlungen … für die Darsteller/innen des Paares
Der Mediant und die Mediantin befinden sich in einer belasteten Situation, die der Klärung bedarf. Sie werden meist umgetrieben von sehr entgegengesetzten Gefühlen: Freude auf eine neue Phase im Leben, Traurigkeit über eine vergangene Phase im Leben, Stolz über Erreichtes, Angst vor Verlust etc.
In diesem Fall hat der Mann als derjenige, der aus der Ehe geht, einen gewissen Vorteil, weil er gerade eine neue Beziehung aufbaut, verliebt ist, – dies aber in der Gegenwart seiner Frau auch zu Hemmung und schlechtem Gewissen, schlechter Laune, Aggressivität und Unoffenheit führen kann. Dagegen könnte es sein, dass die Frau nur zögernd und gekränkt in den Prozess der Mediation geht.
Bei Trennungsmediationen werden diese unterschiedlichen Impulse der Paare oft deutlich: auf der einen Seite gehen sie aufmerksam aufeinander zu, auf der anderen Seite streben sie in Zorn und Verbitterung voneinander weg. Zugleich agieren die Partnern in der Regel unterschiedlich in Bezug auf Konzentration, Tempo, Auskunfts- und Fragefreude sowie dem Wunsch, auch mit hohem Einsatz an Zeit, Geld und eigenem Nachdenken zu einer Einigung zu gelangen.
Versuchen Sie, dem Mann und der Frau, die Sie spielen, eine Glaubwürdigkeit zu verleihen, u. U. dadurch, dass Sie sich die Kindheit der Personen vorstellen, ihr jetziges Verhältnis zu ihren Geschwistern und Eltern, ihre Rolle als Vater und Mutter. All diese Themen sind in der Regel zeitweise auch Gegenstand der Mediation und sollten an gegebener Stelle abgefragt und einbezogen werden.
Vergessen Sie nie, wie gut das Paar sich kennt, wie genau jeweils wechselseitig das argumentative Verhalten bekannt ist, wer wie droht, verweigert, trauert, fordert… Und versuchen Sie, dieses Verhalten in Ihrem Spiel lebendig werden zu lassen.
Wir verweisen zusätzlich auf die Texte »Darstellung der Mediantinnen und Medianten« (S. 12) und »Agieren als Mediatorinnen und Mediatoren« (S. 14) im ersten Kapitel. Die dort aufgeführten Aspekte der eigenen Mediationsarbeit sind für alle geplanten Rollenspiele von Bedeutung und sollten deshalb jeweils mit Beginn eines neuen Falles neu einbezogen werden!
Die Besonderheiten des Falls
»Abschied mit Hindernissen«
An diesem Fall kann gut geübt werden, dass die Ergebnisorientiertheit der Mediation ihre Grenzen an der konkreten psychischen Leistungsfähigkeit der Mediant/innen findet. Beide wollen eine schnelle Einigung, worin ihnen zunächst der/die Mediator/in folgt. Dann aber schleichen sich reale Verzögerungen ein (Hans findet einfach keinen richtigen Termin für den Möbeltransport), die nun einen Wechsel in...