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E-Book

Sachen machen

Was ich immer schon tun wollte

AutorIsabel Bogdan
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783644467019
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
«Mal ehrlich: Wie oft denkt man, «eigentlich könnte ich», «macht bestimmt Spaß» oder «würde ich auch gerne mal»? Und dabei bleibt es dann. Schlimmstenfalls deswegen, weil man noch so ein albernes kleines «aber» hinterhergedacht hat: «aber dafür bin ich zu alt / zu jung / zu cool / zu uncool». Oder einfach: «aber nicht jetzt». Und dann macht man es nie. Menschen sind komisch, manche können sich auch zu Sachen, die sie gern machen, nicht immer aufraffen. Ich zum Beispiel. Da hilft so ein Abgabetermin ungemein. Das gilt auch für das Thema Coolness. Wenn man Sachen machen muss, dann macht man auch die uncoolen, dann geht man auch auf die Kirmes, und zwar mit dem ausdrücklichen Vorsatz, da Spaß zu haben. Man fährt Achter- und Geisterbahn und schießt auf Plastikblumen. Uncool? Mir doch egal. Ich habe meinen Spaß. Umgekehrt genauso: Nach Wacken? Ich? Oder: Beim Schweineschlachten zugucken? Hilfe. Dafür bin ich doch gar nicht cool genug. Egal, Augen zu und durch. Und tatsächlich macht auch Wacken Spaß und naja, Schweineschlachten macht vielleicht keinen «Spaß», aber ich bin froh, dass ich es mir angeguckt habe. Die ganze Sachenmacherei eignet sich hervorragend dazu, mal seine Vorurteile zu überdenken und durch Neugier zu ersetzen.»

Isabel Bogdan studierte in Heidelberg und Tokyo. Heute lebt sie in Hamburg und übersetzt unter anderem Jane Gardam und Nick Hornby. 2011 erschien ihr Debüt 'Sachen machen', 2016 und 2019 folgten die Romane 'Der Pfau' und 'Laufen'.   

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Leseprobe

Sau tot


Tapfer und mutig bin ich nämlich, jawohl, und habe keine Angst, mich den Realitäten zu stellen! Ich will es jetzt wissen. Ich rufe beim Schlachter an und mache einen Termin aus. Was ich denn wolle, fragt er. Zugucken. Warum? Um darüber zu schreiben. Neinnein, keine Sorge, es geht nicht um eine kritische Berichterstattung über die Unmöglichkeiten der Fleischproduktion, sondern eher ums «Was macht das mit mir». Ich erzähle ihm nicht, dass ich mich sowieso gerade mit dem Thema beschäftige und kurz davor bin, Vegetarierin zu werden. Ich erzähle ihm auch nicht, dass ich Foer und Duve gelesen habe und die ganzen Horrorgeschichten kenne. Er sagt, ich soll am Montag kommen, «montags machen wir Schweine». Acht Uhr.

Ich lege auf und bin ab dieser Sekunde nicht mehr tapfer und mutig. Vielmehr frage mich mal wieder, ob ich eigentlich noch ganz dicht bin. Ich meine, Schweine schlachten, ich habe genug darüber gelesen, das muss ich mir doch nicht auch noch angucken! Das ist doch alles so ekelhaft, es reicht doch, das theoretisch zu wissen! Da muss ich doch nicht! Außerdem bedeutet acht Uhr: sieben Uhr losfahren, vollkommen unmögliche Uhrzeit. Anständige Menschen schlafen da.

 

Als Erstes kommen wir an der offenen Tür zum Schweinestall vorbei. «Stall» ist wahrscheinlich das falsche Wort – der Raum eben, in dem die Schweine auf ihre Schlachtung warten. Schweine sind nicht doof, die merken, was nebenan vor sich geht, sie hören ihre Kollegen schreien, sie riechen das Blut, das hatte ich vorher gelesen. Die Tiere sind schon lange vorher in Panik, weil sie spüren, was sie erwartet, und außerdem kriegen sie ja sowieso schon fast einen Herzinfarkt, wenn sie das erste Mal Tageslicht sehen. Alles gelesen.

Ich verstehe nichts von Schweinen. Aber für meine Augen sehen diese Schweine hier total entspannt aus. Die einen schnüffeln auf dem Boden herum und erkunden den Raum, andere liegen in der Ecke und dösen, ein paar kommen neugierig ans Tor und gucken uns an. Insgesamt vielleicht fünfzehn Tiere, die sich ruhig verhalten, zufrieden wirken und kein bisschen nach Herzinfarkt aussehen.

Die Tür daneben steht ebenfalls offen, dort ist die Schlachthalle, ein totes Schwein hängt von der Decke. Schlachtermeister P. kommt heraus und begrüßt uns freundlich. Ich sage, dass ich ein bisschen Angst habe, und er sagt: Och, warum das denn? Kommen Sie doch rein, das ist gar nicht schlimm. Mir fällt auf, dass es auch kaum riecht. Und so sehen wir den kompletten Schlachtvorgang:

Je ein Schwein kommt durch eine Tür aus dem Stall nebenan in einen kleinen Verschlag. Es scheint immer noch nichts zu riechen, keine Angst zu haben, es geht neugierig weiter, bis Meister P. von hinten mit einer Art großer Zange kommt, die er dem Schwein rechts und links an den Hals setzt. Das Schwein bekommt einen Stromschlag und wird sofort bewusstlos, nur vereinzelt schreit mal eines kurz auf. Das bewusstlose Tier wird an einem Hinterbein hochgezogen, unter der Decke verlaufen Schienen, an denen sich die Tiere leicht ziehen lassen. Das Schwein hängt jetzt über einer großen Wanne und bekommt den Halsschnitt. Aus so einem Schwein läuft eine ziemliche Menge Blut, und zwar in einem kräftigen Strahl, es geht alles sehr schnell. Manchmal zuckt noch ein Bein. Das meiste Blut landet in der Wanne, ein Teil pladdert daneben und wird gelegentlich mit einem Wasserschlauch weggespritzt.

Ich hatte gelesen, dass die Tiere manchmal nicht richtig betäubt sind und wieder aufwachen. Vor allem bei Rindern, aber auch bei Schweinen soll das ein Problem sein. Was heißt eigentlich «aufwachen», frage ich mich, als eins beim Ausbluten mit dem Bein zuckt. Das zuckt, sage ich, und Meister P. sagt, das sind nur Muskelkontraktionen, das Schwein bekommt davon nichts mit. Und das glaube ich ihm aufs Wort, denn wenn das Schwein bei Bewusstsein wäre, dann würde es schreien und zappeln, aber das Blut aus dem Gehirn muss längst raus sein. Ein «Aufwachen» im Sinne von «zu Bewusstsein kommen» kann ich mir da beim besten Willen nicht mehr vorstellen.

Der nächste Schritt nach dem Ausbluten ist das Brühbad. Die Schweine kommen für dreieinhalb Minuten in 64 Grad heißes Wasser, damit sich die Borsten ablösen. Auch da sollen gelegentlich Tiere wieder aufwachen, hatte ich gelesen. Ich kann das nicht glauben, die Schweine sind ja schon komplett ausgeblutet. Wahrscheinlich läuft es am Ende auf die Frage hinaus, was genau «tot» und was «Bewusstsein» ist. Für meine Laienaugen sehen die Tiere mit dem ersten Blutschwall, der ihnen aus dem Hals läuft, mausetot aus. Meister P. bestätigt das auch, natürlich. Er kann ja auch nicht gut was anderes sagen.

Wenn es aus dem Brühbad kommt, wird das Schwein auf einen Tisch gelegt, und die restlichen Borsten werden mit einem scharfen Messer abgeschabt. Schweine werden nicht gehäutet, die Schwarte bleibt dran. Das waren die beiden Arbeitsschritte, vor denen ich die größte Angst hatte: das Ausbluten, das ich dann als gar nicht so eklig empfunden habe wie befürchtet, und das Hautabziehen, das überhaupt nicht stattfindet. Das Schwein sieht jetzt sehr nackt und sehr tot aus und wird wieder hochgezogen, an beiden Hinterläufen befestigt. Es wird über die gesamte Bauchlänge aufgeschnitten und ausgenommen, Därme und so weiter werden weggeworfen. Meister P. erklärt, dass die Därme von Tier zu Tier unterschiedlich dick seien und deswegen nicht verwendet werden könnten, weil die Kunden immer gleich dicke Würste wollen. Deswegen werden Därme dazugekauft. Bei Rindern, sagt er, sei es nach BSE sogar verboten worden, die Därme zu verwenden – da würden für die Wurst nun Rinderdärme aus Argentinien gekauft, wo es gar nicht erst nennenswerte BSE-Kontrollen gibt. Völlig verdrehte Logik, aber so sind die Vorschriften. Ich vergesse zu fragen, wieso argentinische Tiere gleich dicke Därme haben.

Das «Herzstück» (das irgendwie anders heißt), ein zusammenhängender Strang aus Zunge, Kehlkopf, Lunge, Herz und Leber (ich hätte mitschreiben sollen), wird einzeln aufgehängt. Am Nachmittag kommt der Tierarzt und sieht es sich genauer an.

Zwischen den beiden Schienen, an denen das Schwein hängt, hängt die Bandsäge, mit der aus dem Schwein jetzt Schweinehälften gemacht werden. Die Säge wird fein säuberlich in der Mitte von oben nach unten durchgezogen. Der Schädel ist offenbar zu hart, der wird von Hand mit dem Beil gespalten, und das war’s schon: Die Schweinehälften werden an den Deckenschienen in den Raum nebenan geschoben. Zerlegt werden sie am nächsten und übernächsten Tag, heute bleiben sie erst mal hängen, ebenfalls für den Tierarzt. All das machen zwei Gesellen mit ruhigen, aber zügigen, geübten Bewegungen, der Meister erklärt uns derweil, woran man ein gesundes Schwein erkennt: Das Fleisch glänzt nicht, die Drüsen sind hell, weißlich durchzogen, er zeigt uns die Drüsen, schneidet eine für uns auf.

Schlachtermeister P. sagt, es gebe im Prinzip nur noch zwei Möglichkeiten, eine Schlachterei zu betreiben: entweder so wie er, der zwanzig Schweine pro Woche schlachtet (immer montags; freitags werden Rinder geschlachtet, und an einer Seite des Raumes hängen ein paar Lämmer), oder man muss zweitausend Schweine am Tag machen. Alles dazwischen ist schwierig. Und mir ist sehr, sehr klar, dass es für die Tiere ein himmelweiter Unterschied ist, ob sie zu zwanzigst oder zu zweitausendst geschlachtet werden.

Es fängt schon damit an, dass Meister P. Tiere für zwei, drei größere Biohöfe in der Umgebung schlachtet, dazu die Schweine der Bauern aus dem Dorf. Das bedeutet kaum Transportwege, weder für die lebenden Tiere noch hinterher für das Fleisch. Das Fleisch der Dorfschweine verkauft er in seinem eigenen Laden, das der Biohöfe geht zurück in die entsprechenden Hofläden. Ich versuche herauszubekommen, ob er den Anspruch hat, nur glückliche Tiere zu schlachten, ob er Wert auf Biosiegel oder so was legt, formuliere es aber nicht so deutlich – seine Antwort klingt, als würde die Frage sich möglicherweise gar nicht so stellen. Ich weiß nicht, wie die Schweine im Dorf leben, aber Großmastanlagen waren nicht zu sehen, und ein Großmäster bringt seine Schweine auch nicht zum kleinen Landschlachter. Vielleicht sind die Dorfschweine keine Biotiere nach EG-Verordnung, aber es geht ihnen trotzdem gut.

Wir stehen noch eine Weile vor der Räucherkammer, in der die Schinken von der Decke hängen. Hatte ich damit gerechnet, alles total grauenhaft und eklig und furchtbar zu finden, stelle ich jetzt fest: Die Schinken sehen wirklich appetitlich aus. Ich habe das Ausbluten nicht als schlimm empfunden, das Durchsägen auch nicht, ich empfinde es nicht mal als schlimm, dass auch in bereits halbierten Schweinen immer noch etwas zuckt – biochemische Reaktionen, die Nerven. Meister P. zeigt uns das Zwerchfell, das hört nicht mit dem Tod gleich auf zu zucken.

Ich war kurz davor, Vegetarierin zu werden, und überzeugt, dass dieser Besuch mir den Rest geben würde. Karen Duve schreibt: «Es gibt kein Fleisch von glücklichen Tieren. Es gibt nur Fleisch von toten Tieren.» Das stimmt natürlich, aber ich stelle fest: Wenn sie zufrieden gelebt haben und dann so schnell und sauber totgemacht werden wie hier, dann ist das für mich in Ordnung. Industrielle Massentierhaltung und -schlachtung sind ein völlig anderes Thema, das geht überhaupt nicht, in keiner Beziehung. Für die Tiere nicht, für die Umwelt nicht und für mich auch nicht, ich will das nicht essen, es macht mich wütend. Und für die Menschen, die in dieser Industrie arbeiten, geht es übrigens auch nicht. Fleisch ist viel zu billig, das ist das Hauptproblem; Fleisch muss wieder einen Wert...

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