2 Schilddrüse und Psyche
Dass die Schilddrüse nicht nur körperliche Funktionen reguliert, sondern auch unsere Stimmungslage beeinflusst, ist vielen Menschen nicht geläufig.
Und auch Ärzte denken nicht immer daran, bei depressiven oder Angstsymptomen ihres Patienten auch die Schilddrüsenfunktion zu überprüfen. Es wäre besser, zunächst eine Stoffwechselstörung der Schilddrüse auszuschließen, bevor Psychopharmaka eingesetzt werden.
2.1 Über- und Unterfunktion stören die Psyche
Psychische Symptome kommen sowohl bei Über- als auch bei Unterfunktion der Schilddrüse vor: Bei Unterfunktion sind es eher depressive Symptome und bei Überfunktion eher Angst- und Übererregungssymptome. Das muss allerdings nicht so sein. Die psychischen Symptome können auch unspezifisch sein und eine Zuordnung zu Über- oder Unterfunktion ist häufig nicht eindeutig. In der Praxis beobachten wir häufig schon bei leichten Funktionsstörungen (also normalen freien Schilddrüsenhormonen, aber leicht verändertem TSH) psychische Symptome.
Aber auch primär psychische Erkrankungen können durchaus begleitend mit einer Schilddrüsenfunktionsstörung einhergehen. Die Symptome wie Antriebslosigkeit, Müdigkeit, Lethargie und Konzentrationsstörungen können auf eine begleitende Schilddrüsenunterfunktion hindeuten, aber auch Symptom der psychischen Störung oder Nebenwirkung von Psychopharmaka sein. Daher sollte bei Patienten mit psychischen Störungen immer auch die Schilddrüse untersucht und ggf. behandelt werden. Es wurde festgestellt, dass die Psychopharmaka bei Ergänzung durch Schilddrüsenhormon im Fall von begleitenden Schilddrüsenfunktionsstörungen besser wirken.
2.1.1 Oft ist eine Unterfunktion schuld an depressiven Symptomen
Durch die schleichende Entwicklung der Unterfunktion z. B. im Rahmen einer Autoimmunthyreoiditis werden die Symptome lange nicht bemerkt. Müdigkeit, Antriebslosigkeit, Konzentrationsstörungen und eine Verlangsamung des Denkens werden oft auf das Alter oder steigende Belastungen in Familie und Beruf zurückgeführt.
2.1.2 Das Gehirn braucht T3 besonders
Da das Gehirn viele Schilddrüsenhormonrezeptoren besitzt, reagiert es besonders sensibel auf eine Reduktion des vorhandenen Hormons, insbesondere ein niedriger T3-Spiegel kann mit depressiven Symptomen einhergehen. Patienten mit einer niedrigen Dejodaseaktivität neigen eher zu psychischen Störungen im Rahmen einer Unterfunktion als bei guter Umwandlung von T4 in T3. In solchen Fällen kann es notwendig und sinnvoll sein, eine ▶ Kombinationstherapie mit T4 und T3 durchzuführen. Durch eine T3-Gabe kann im Gehirn die Versorgung mit wichtigen Botenstoffen verbessert und damit eine depressive Verstimmung gelindert werden. Psychiater setzen daher manchmal im Rahmen von antidepressiven Therapien auch T3 ein, wenn eigentlich keine Schilddrüsenunterfunktion besteht.
2.1.3 Vorsicht bei T3-Gabe
Die unterschiedlichen Gewebe können gewebsspezifisch unterschiedliche Dejodaseaktivitäten, also eine unterschiedliche Effektivität der Umwandlung von T4 in das wirksame T3 aufweisen. Besonders problematisch kann es sein, wenn im Herzmuskelbereich immer genug T3 gebildet werden kann, aber im Gehirn nicht. Dann muss man mit einer T3-Gabe vorsichtig sein, denn was für das Gehirn dringend nötig wäre, kann für das Herz bereits zu viel sein; das heißt, eine T3-Gabe bessert zwar psychische Symptome, führt aber zu Herzrasen. Bei einer T3-Substitution muss man daher immer prüfen, ob alle Gewebe diese auch vertragen. Hilfreich können hier ggf. kleinste T3-Mengen sein, die man sich durchaus auch in 1-µg-Schritten in speziellen Apotheken anfertigen lassen kann. Ganz besonders wichtig ist hier zudem eine gute Versorgung mit ▶ Selen.
Steffi, 50 Jahre
Ich dachte, die Wechseljahre seien schuld
Seit Längerem bestanden bei mir unklare Symptome wie unspezifische Schmerzen an wechselnden Stellen, Verspannungen, Reizdarmsymptomatik, Schlafstörungen, Neigung zu depressiver Verstimmung, besonders im Winter, Wassereinlagerungen und Schwellungen. Ich schob alles auf die Wechseljahre, meine berufliche Leistungsfähigkeit nahm stark ab – alles war mir zu viel. Dabei hatte ich die Chance, den Posten meines Chefs zu übernehmen, eine Tätigkeit, auf die ich mich eigentlich sehr freuen müsste. Eine Kur mit Gesprächstherapien hatte nicht den durchschlagenden Erfolg gebracht, es musste andere Ursachen geben als nur die Psyche. Psychopharmaka wollte ich nicht nehmen. Weil meine Schwester eine Schilddrüsenerkrankung hatte, riet sie auch mir, mich untersuchen zu lassen. Dabei wurde eine latente Unterfunktion festgestellt und diverse Mikronährstoffmängel (Eisen, Q10, B-Vitamine, Vitamin D), das Cholesterin war erhöht. Mit Beginn der Therapie ging es mir recht schnell deutlich besser, ich konnte den Posten übernehmen und bin wieder leistungsfähig. Ich komme gut durch den Winter und niemand meint mehr, ich bräuchte Psychopharmaka.
2.2 Auch Angst- und Panikattacken sind möglich
Angst und Panik können sowohl bei einer Über- als auch bei einer Unterfunktion auftreten. Obwohl Panikattacken eigentlich eher ein Überfunktionssymptom sind, berichten auch einige Patienten mit einer Unterfunktion über solche Phänomene, die manchmal dann sogar mit Herzrasen und Unruhe verbunden sind. Bei solchen Patienten gestaltet sich die Schilddrüsenhormontherapie nicht so geradlinig und einfach, da nur die Schilddrüsenwerte die Unterfunktion anzeigen, nicht die Symptome. Daher muss die Gabe von Schilddrüsenhormon sehr vorsichtig erfolgen.
Das folgende Beispiel einer Patientin, die zunächst eine Überfunktion und später eine Unterfunktion entwickelte, zeigt, welches Fingerspitzengefühl zum Teil bei der Schilddrüsenhormontherapie erforderlich ist und wie wichtig es ist, auf die Patienten einzugehen, kleinste Dosisänderungen auszuprobieren. Es ist nicht nur so, dass die kleine Schilddrüse eine große Wirkung im Organismus insgesamt hat, sondern auch kleine Schilddrüsenhormonänderungen große Wirkungen erzielen können. Durch die zurückliegende Überfunktion waren bei Maike möglicherweise Effekte der Schilddrüsenhormone auf Stresshormone wie Adrenalin verstärkt.
Maike, 55 Jahre
Ein Auf und Ab mit Panikattacken
2009 wurde bei mir eine Überfunktion diagnostiziert und ich bekam bis 2010 Medikamente. Zum Glück normalisierte sich meine Schilddrüsenfunktion und die Medikamente konnten wieder abgesetzt werden. Dann wurde eine leichte Unterfunktion festgestellt und ich bekam niedrig dosierte Schilddrüsenhormone. Jedoch entwickelte ich bei der kleinsten Dosis Angst und Panikattacken wie bei der Überfunktion. Daher habe ich die Einnahme wieder beendet, aber die Symptome blieben und wurden immer schlimmer. Mir wurden Betablocker und Beruhigungsmittel verschrieben. Immer wieder musste ich sogar mit Panik und Herzschmerzen in die Notaufnahme, mehrfach wurde mein Herz untersucht, aber nichts gefunden. Auf ärztliche Empfehlung hin begann ich wegen der Unterfunktion ganz niedrig dosiert Schilddrüsenhormon einzunehmen, habe auch L-Thyroxin-Tropfen ausprobiert, kam aber am besten mit einer viertel Tablette L-Thyroxin 25 jeden zweiten Tag zurecht. Ganz langsam konnten wir die Dosis auf eine tägliche Einnahme steigern. Erstaunlicherweise nahmen die Symptome ab, je mehr ich mich einer Normalfunktion näherte.
2.3 Psychische Störungen nach der Schwangerschaft
Wenn Funktionsstörungen der Schilddrüse nach einer Entbindung auftreten, werden depressive Symptome oder Unruhe, Müdigkeit und Abgeschlagenheit meist auf die geänderte Lebenssituation und den Schlafentzug durch die Betreuung des Neugeborenen sowie auf die hormonellen Veränderungen im Rahmen des Stillens zurückgeführt. Dabei ist eine Schilddrüsenentzündung, die nach der Entbindung auftritt (▶ Post-partum-Thyreoiditis), gar nicht so selten. Denn Autoimmunerkrankungen der Schilddrüse treten am häufigsten in Phasen einer hormonellen Umstellung auf. Besonders Gynäkologen sollten daher ein Ohr für diese Beschwerden haben und in solchen Fällen die Schilddrüsenfunktion testen.
2.4 Psyche und Schilddrüse beeinflussen sich gegenseitig
Aber auch die Psyche hat Einfluss auf die Schilddrüse, nicht nur umgekehrt! Ein Zusammenhang zwischen psychischem Stress und der Entwicklung von Autoimmunerkrankungen der Schilddrüse wird schon lange vermutet. Bei einer genetischen Veranlagung können Stressfaktoren wie berufliche Belastung, Ehekonflikte, Todesfälle in Familie und...