2. Grundlagen
Was ist Schmerz?
Kennst du das? Du stößt deinen Ellenbogen an. Ein kurzer, scharfer Schmerz durchdringt dich. Du hast einen Wadenkrampf. Ein ziehender Schmerz fährt durch deine Wade hindurch. Du hast Kopfschmerzen. Sie sind dumpf und begleiten dich seit ein paar Stunden.
„Jeder kennt Schmerzen, aber es ist schwer zu sagen, was Schmerzen eigentlich sind“, schreibt Martin von Wachter in seinem Buch Chronische Schmerzen. Weiter schreibt er: „Ist Schmerz eine Wahrnehmung wie zum Beispiel Schmecken, Hören oder Riechen oder ein Gefühl wie zum Beispiel Wut, Ärger oder Trauer? Eine moderne Definition sieht beide Aspekte vor. Schmerz ist sowohl eine unangenehme Sinneswahrnehmung, die dem Körper zugeschrieben wird, als auch ein Gefühlserlebnis. Dies kann hervorgerufen werden durch:
- eine reale körperliche Verletzung,
- einen drohenden Schmerz, zum Beispiel vor dem Zahnarztbesuch,
- einen früheren Schmerz über das Schmerzgedächtnis,
- eine psychische Verletzung,
- die Beobachtung von Schmerzen bei einem anderen, zum Beispiel wenn sich jemand den Finger in der Autotür einklemmt.“1
Schmerz ist eine unangenehme Sinneswahrnehmung. Wenn du dich zum Beispiel mit heißem Wasser verbrüht hast oder eine Mücke dich gestochen hat, kann es gut sein, dass du einen brennenden Schmerz verspürst. Vielleicht hast du es schon einmal erlebt, dass du Zahnschmerzen hast, und es pocht die ganze Zeit. Oder du hast bohrende Schmerzen in der Hüfte. Das sind unterschiedliche Sinneswahrnehmungen, die jeder anders empfindet, die bei jedem das Gefühlsleben anders beeinflussen!
Unsere Sprache bietet viele Hinweise auf körperlichen Schmerz, in dem oft auch ein seelischer Schmerz verborgen ist. Vielleicht hast du etwas vom Folgenden auch schon einmal gesagt:
Halsschmerzen | - „Mir bleiben immer wieder die Worte im Halse stecken.“
- „Wenn mein Partner vor mir steht, traue ich mich nicht, das Thema anzusprechen.“
- „Ich stecke bis zum Hals im Wasser.“
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Herzschmerzen | - „Das geht mir so zu Herzen, wenn ich nicht weiß, ob ich meinen Job behalten werde.“
- „Das bricht mir das Herz, wenn mein Mann (oder Frau) das zu mir sagt.“
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Knieschmerzen | - „Das Leben zwingt mich gerade auf die Knie.“
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Kopfschmerzen | - „Ich zerbreche mir seit Tagen den Kopf über das Thema.“
- „Mir brummt der Schädel, wenn ich nur an die Prüfung denke.“
- „Ich fühle mich vor den Kopf gestoßen von meinem Chef.“
- „Mich quält der Gedanke schon den ganzen Tag. Ich bekomme ihn nicht aus dem Kopf.“
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Magenschmerzen | - „Mir schlägt es auf den Magen, wenn mein Kind das zu mir sagt.“
- „Ich habe eine Wut im Bauch, wenn ich an meinen Nachbarn denke.“
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Nackenschmerzen | - „Das sitzt mir seit vielen Monaten im Nacken.“
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Nasenschmerzen | - „Ich habe die Schnauze voll!“
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Nierenschmerzen | - „Mir geht das so an die Nieren, wenn ich nicht weiß, ob ich die Arbeitsstelle behalten kann.“
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Rückenschmerzen | - „Meine Chefin fällt mir vor anderen immer in den Rücken.“
- „Ich mach mir den Rücken krumm, damit es meiner Familie gut geht.“
- „Ich trage eine schwere Last auf meinem Rücken mit der Pflege meiner Eltern.“
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Wie entstehen Schmerzen?
Das Schmerzzentrum Berlin gibt dazu folgende Antwort:
Damit man Schmerzen spürt, müssen sogenannte Schmerzfasern gereizt werden. Diese reagieren auf die schmerzauslösenden Einflüsse und leiten den Schmerz über Schmerzsignale weiter zum Rückenmark. Von dort werden die Signale an das Gehirn weitergegeben. Über einen komplizierten Verschaltungsweg wird dem Patienten somit bewusst, wo es ihm wehtut. Falls möglich, versucht der Körper automatisch, sich vor diesem Schmerz zu schützen.
Das Beispiel mit der Hand auf der heißen Herdplatte passt hier wieder sehr schön: Die Nervenfasern der Hand leiten das Signal „die Haut der linken Hand verbrennt gleich“ an das Rückenmark weiter. Direkt auf dieser Ebene wird ein Reflex ausgelöst, der dazu führt, dass die Hand automatisch blitzartig von der Herdplatte genommen wird. Gleichzeitig wird die Information an das Gehirn weitergeleitet und das Geschehen zusätzlich bewusst gemacht.2
Akuter Schmerz
„Akuter Schmerz wird durch äußere (zum Beispiel Verletzung) oder innere Prozesse (zum Beispiel Entzündung, Tumor, Verspannung) ausgelöst. Er ist zeitlich begrenzt, örtlich umschrieben und wird von einer Stressreaktion begleitet (Puls und Blutdruckanstieg, Schwitzen, Muskelanspannung). Der akute Schmerz hat eine Warnfunktion und ist biologisch sinnvoll. Er führt dazu, dass wir die Aufmerksamkeit auf eine Verletzung lenken“, schreibt Dr. Martin von Wachter in seinem Buch Chronische Schmerzen.3
Schmerz als Warnsignal
Jamilah wäre heilfroh, wenn sie Schmerz empfinden könnte. Doch sie gehört zu den wenigen Menschen weltweit, die keinen Schmerz empfinden können. Als Kind hat sie ihre Hand auf die Herdplatte gelegt und dabei keinen Schmerz empfunden. Wenn sie sich heute mit einem Messer in den Finger schneidet, sieht sie das Blut, doch auch hier empfindet sie keinen Schmerz. Sie merkt es nicht, wenn sie sich auf die Zunge beißt. Sie würde es noch nicht einmal merken, wenn sie sich ein Stück davon abbeißt. Das ist gefährlich, da sie nicht den Schmerz als „Warnsignal“ besitzt. „Stopp, höre auf, dir auf die Zunge zu beißen, ansonsten ist bald ein Stück davon weg!“
Jamilah empfindet niemals Schmerzen. Sie hat einen seltenen Gendefekt. Bestimmte Nervenfasern im Rückenmark, die normalerweise Schmerzsignale ans Gehirn senden, funktionieren nicht. Sie will ein ganz normales Leben führen, doch so einfach ist das nicht.4
Das heißt, der akute Schmerz hat eine hilfreiche Funktion. Ohne ihn würde unsere Hand verbrennen, wenn wir sie nicht rechtzeitig von der Herdplatte ziehen. Er warnt uns vor Gefahren. Er kann auch als „Schutzmantel“ dienen. Ich habe es oft nicht verstanden, warum ich nach einer Operation beim Zahnarzt, wenn ich eine Spritze erhalten habe, warten soll, bis die Wirkung der Spritze abgeklungen ist. Doch ein Grund ist, dass wir uns leicht ein Stück Zunge abbeißen können, da wir aufgrund der Spritze in dem Moment keinen Schmerz mehr empfinden. Vielleicht ist gerade alles ein wenig zu viel in deinem Leben, und dein Körper sehnt sich nach Ruhe, doch du erlaubst es dir nicht. Dann kann es gut sein, dass der Rückenschmerz dich vor noch mehr Stress warnen möchte und dich zum Ausruhen auffordern möchte. Immer wieder höre ich, dass mir Menschen sagen, die Grippe mit Magenschmerzen hat mir nicht gefallen, doch das Positive daran war, dass ich mich endlich mal in Ruhe ins Bett legen konnte. Erst bei Schmerz und Krankheit erlauben sich einige Menschen auszuruhen.
Wenn du jahrelang nicht gut mit dir und deinem Körper umgegangen bist, dich nicht bewegt hast, zu viel geraucht und Alkohol getrunken hast, wenn du dir zu viel Stress zugemutet hast, da du unbedingt noch eine „höhere Position“ erreichen wolltest, dann kann es sein, dass der Schmerz dir irgendwann zeigt: „STOPP! Wenn du so weitermachst, tut dir das nicht gut. Ich möchte dir helfen! Ich diene dir als Warnsignal. Ändere etwas, und ich gehe wieder! Ändere nichts, und ich bleibe oder werde stärker!“
Chronischer Schmerz
Schmerzen werden als chronisch bezeichnet, wenn sie nach Wegfall der akuten Ursache weiterbestehen oder länger als sechs Monate anhalten. Durch ständige Schmerzreize können sich die Nervenfasern dauerhaft verändern. Das Schmerzempfinden „brennt“ sich regelrecht in die Nervenbahnen ein. Es bildet sich das sogenannte Schmerzgedächtnis aus. Daraus resultiert, dass selbst schwache Reize als Schmerz empfunden werden. Die Schmerzen sind dann zu einer eigenständigen Erkrankung geworden, die oft schlimmer als die ursprüngliche Krankheit ist. Sie haben ihren Sinn als Warnsignal...