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E-Book

Schreib ja nicht, dass wir Terroristen sind!

Essays

AutorLinda Christanty
VerlagUnionsverlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl192 Seiten
ISBN9783293309357
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Im Reportagen- und Essayband Schreib ja nicht, dass wir Terroristen sind! weitet Linda Christanty ihren Erzählradius von Aceh, der nordwestlichsten Provinz Indonesiens, über die Grenzen des Inselstaates hinaus auch nach Festlandsüdostasien aus. Die Autorin interviewt Vertreter unterschiedlichster religiöser, politischer und sozialer Gruppierungen. Die Orte und Erfahrungen, von denen die Reportagen in diesem Band leben, zeigen, dass Unrecht und Willkür auf jede (un)erdenkliche Art und Weise legitimiert werden, sei es ethnisch, völkisch, religiös, kommunistisch, nationalistisch oder gar demokratisch. Dieses Buch bietet einen kritischen und mutigen Journalismus mit einer provozierenden Erzählweise.

Linda Christanty (geb. 18. März 1970) ist freie Journalistin und Schriftstellerin und lebt in Jakarta. Sie engagierte sich aktiv im Kampf gegen das Suhartoregime in Indonesien bis zu dessen Sturz im Mai 1998. Ihr literarisches Oeuvre umfasst Essays, Gedichte, Kurzgeschichten und Reportagen. 2005 gründete sie das unabhängige Onlinejournalismusportal »Aceh Feature«. Ihre Werke wurden mehrfach mit nationalen und internationalen Literaturpreisen ausgezeichnet. 2013 erhielt sie den Southeast Asian Writers Award des Thailändischen Königshauses.

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Leseprobe

Gunnar Stange im August 2015

Den Ismen auf den Zahn fühlen


Anmerkungen zu Linda Christanty

Meine erste Begegnung mit Linda Christanty fand im Frühjahr 2011 im zweiten, häufig menschenleeren Geschoss eines Cafés mit dem bezeichnenden Namen Black and White in Banda Aceh statt. Banda Aceh ist die Hauptstadt der über Jahrzehnte konflikterschütterten Provinz Aceh im äußersten Westen der indonesischen Insel Sumatra. Dieses erste Treffen war, gelinde gesagt, eine recht peinliche Angelegenheit für mich, führte sie mir doch meine Ignoranz gegenüber den jüngeren Entwicklungen in der indonesischen Literatur vor Augen. Denn Linda Christanty hätte mir eigentlich ein Begriff sein müssen. Einige Jahre zuvor hatte ich zwei ihrer Kurzgeschichten in der Anthologie »Duft der Asche« (Horlemann Verlag 2008) gelesen, ihren Namen allerdings längst wieder vergessen.

Ich hatte Linda also nicht als herausragende zeitgenössische Literatin, sondern als Kennerin der Politikszene Acehs kontaktiert, als die sie mir von einem Kollegen an der Syiah-Kuala-Universität in Banda Aceh empfohlen worden war. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie bereits sechs Jahre in Banda Aceh gelebt, wo sie 2005 im Auftrag der in Jakarta ansässigen Pantau-Stiftung für Journalismus (Yayasan Pantau) das unabhängige Internetnachrichtenportal Aceh Feature gegründet und seither mit 40 jungen Journalistinnen und Journalisten erfolgreich betrieben hatte – ein kaum zu unterschätzender Beitrag zum Wiederaufbau der Provinz nach den verheerenden Zerstörungen durch den Tsunami am 26.12.2004, dem allein in Aceh fast 170.000 Menschen zum Opfer gefallen waren. Damals war ich inmitten einer Feldforschung zur politischen Transformation in Aceh nach der Unterzeichnung des Friedensvertrages zwischen der indonesischen Regierung und der Bewegung Freies Aceh (GAM), die bis 2005 fast 30 Jahre lang für die Unabhängigkeit des ehemaligen Sultanats Aceh Darussalam von Indonesien gekämpft hatte. Der bewaffnete Konflikt kostete schätzungsweise 30.000 Menschen das Leben und viele mehr wurden vertrieben. Ich fand in Linda Christanty tatsächlich eine außerordentlich gut informierte und reflektierte Gesprächspartnerin. Was mich von vornherein für sie einnahm, waren ihre unermüdlichen Fragen an alles und jeden sowie die Tatsache, dass kaum eine Antwort sie jemals wirklich zufriedenstellen konnte.

So trafen wir uns während meines dreimonatigen Aufenthaltes in Aceh fortan einmal in der Woche im Café Black and White und diskutierten jeweils mehrere Stunden über Tagespolitik und die Geschichte Acehs. Ihre herausragende Rolle in der zeitgenössischen Literaturszene Indonesiens sollte mir während dieser Treffen erst nach und nach bewusst werden. Am Ende meiner Zeit in Aceh kamen wir nach all unseren Gesprächen über die Konflikttransformation Acehs schließlich überein, ihren damals frisch erschienenen Essayband »Jangan Tulis Kami Teroris« (Schreib ja nicht, dass wir Terroristen sind!) ins Deutsche zu übersetzen und uns auf die Suche nach einem Verlag zu machen. Schließlich war eine Vielzahl der Essays des Bandes unseren unerschöpflichen Gesprächsthemen gewidmet und so fühlte ich mich einigermaßen kompetent, die Übersetzung wagen zu können. Nachdem sich der Horlemann Verlag zunächst sehr interessiert an dem Band gezeigt hatte, geschah im Laufe des Jahres 2011 erst einmal nichts, bis ich im Herbst 2012 zu meiner vorerst letzten Feldforschung nach Banda Aceh aufbrach, wo Linda mich für ein Wochenende besuchen wollte.

Sie war in der Zwischenzeit nach Jakarta zurückgekehrt und hatte angefangen als Redakteurin bei der Frauenzeitschrift Dewi zu arbeiten. Zwei Tage vor ihrer Ankunft in Banda Aceh meldete sich überraschend Anja Schwarz bei mir, die inzwischen die Leitung des Horlemann Verlages übernommen hatte, und fragte, ob ich nach wie vor an einer Veröffentlichung des Bandes in deutscher Sprache interessiert sei. Eine Fügung! Ich ließ sie umgehend wissen, dass ich die kommenden Tage mit Linda verbringen würde und bat sie um etwas Geduld. Linda und ich machten uns daran, ein Exposé zu den verschiedenen Essays und Reportagen des Bandes zu erstellen und schickten es schließlich an Anja Schwarz, die nicht lange mit einer definitiven Zusage auf sich warten ließ. Dass der Band nun in einer Zeit erscheint, in der indonesische Autorinnen und Autoren wie aus dem Nichts in das öffentliche Bewusstsein Deutschlands drängen – Indonesien ist das diesjährige Gastland auf der Frankfurter Buchmesse –, ist ein Glücksfall und freut mich persönlich sehr für Linda Christanty. Der vorliegende Band hätte es mit großer Wahrscheinlichkeit unter anderen Umständen ungleich schwerer gehabt, im Meer der Neuerscheinungen auf sich aufmerksam zu machen.

Für die deutschsprachige Leserschaft ist Linda Christanty ein wenig beschriebenes Blatt. Bisher liegen in deutscher Übersetzung nur zwei ihrer Kurzgeschichten vor: »Maria Pintos fliegendes Pferd« (Kuda Terbang Maria Pinto) und »Das schwarze Loch« (Lubang Hitam), erschienen in der von Monika Arnez und Edwin Wieringa übersetzten und im Horlemann Verlag herausgegebenen Kurzgeschichtenanthologie »Duft der Asche. Literarische Stimmen indonesischer Frauen«, den ich bereits erwähnte. Dieser Umstand ist symptomatisch für die Präsenz indonesischer Literatur auf dem deutschen Buchmarkt. Mit Ausnahme einiger weniger Gedicht- und Kurzgeschichtenanthologien sind es bisher vor allem die Werke so großer indonesischer Romanciers wie Pramoedya Ananta Toer und Umar Kayam sowie in jüngerer Zeit Romane der Vertreterinnen der sogenannten Sastra Wangi (Duftliteratur), die ihren Weg auf den deutschen Buchmarkt fanden. Letztere in erster Linie aufgrund ihrer Tabubrüche im Umgang mit weiblicher Sexualität nach dem Ende der Suharto-Diktatur 1998. Dass die deutsche Leserschaft, wenn überhaupt, indonesische Romanliteratur kennt, ist ein Kuriosum, das vor allem mit deutschen beziehungsweise »westlichen« Genrefaibles erklärt werden muss, jedoch wenig mit der Gewichtung literarischer Genres in Indonesien zu tun hat. In Indonesien sind es vor allem Gedichte, Kurzgeschichten und Essays, die häufig in Zeitungen und Zeitschriften abgedruckt und so von einer Vielzahl von Leserinnen und Lesern gelesen werden, bevor sie in Anthologien erscheinen.

Zurück zu Linda Christanty: Sie erblickte das Licht des gerade eine Generation alten Indonesiens im Jahre 1970 auf der Insel Bangka – ein Jahr bevor das sogenannte Regime der Neuen Ordnung (Orde Baru) unter dem »lächelnden« General Muhammad Suharto mit dem Wahlsieg der neuen Staatspartei Golkar (Golongan Karya, Funktionelle Gruppen) bei den Parlamentswahlen 1971 seinen autoritären Machtanspruch pseudodemokratisch zementierte. Nach einer unbeschwerten Kindheit auf dem Eiland ihrer Geburt südwestlich der Insel Sumatra ging sie Ende der 1980er Jahre in die indonesische Hauptstadt Jakarta, um ein Studium der Literaturwissenschaften an der Fakultät für Literaturwissenschaft der Universitas Indonesia aufzunehmen, das sie 1994 abschloss. Bereits während ihres Studiums hatte sie begonnen, Kurzgeschichten zu veröffentlichen und war im Alter von 19 Jahren für ihre Kurzgeschichte Daun-daun Kering (»Laub«) mit dem begehrten, jährlich vergebenen Kurzgeschichtenpreis von Kompas, der wichtigsten nationalen Tageszeitung Indonesiens, ausgezeichnet worden. An eine reine Schriftstellerinnen- oder Journalistinnenkarriere war für sie allerdings auch nach dem Ende ihres Studiums vorerst nicht zu denken. Zunächst musste ja noch ein Diktator gestürzt und mussten menschenwürdige Arbeitsbedingungen im heute viertbevölkerungsreichsten Land der Erde durchgesetzt werden.

Sie entschied sich also für ein Leben als politische Aktivistin, das sowohl brotlos als auch zum damaligen Zeitpunkt in Indonesien mehr als gefährlich war. Sozialrevolutionäres oder gar kommunistisches Gedankengut war in Indonesien, das Mitte der 1960er Jahre über die größte kommunistische Bewegung außerhalb des sogenannten Ostblocks verfügt hatte, seit dem Massaker an hunderttausenden, wenn nicht gar Millionen, (vermeintlichen) Kommunisten 1965/66 offiziell verboten, genauso wie die Kommunistische Partei Indonesiens (Partai Komunis Indonesia, PKI). Dieser Tatsache zum Trotz wurde sie Mitbegründerin der kommunistisch bzw. sozialistisch inspirierten Organisationen Solidaritas Mahasiswa Indonesia untuk Demokrasi (SMID, Indonesische Studentensolidarität für Demokratie), Pusat Perjuangan Buru Indonesia (PPBI, Arbeiterkampfzentrum Indonesiens) und Jaringan Kerja Kesenian Rakyat (JAKR, Arbeitskreis für Volkskunst), die als Massenorganisationen (Underbouw) der 1996 gegründeten Partai Rakyat Demokratik (PRD, Demokratische Volkspartei) fungierten, die sich als neue sozialrevolutionäre Partei in klarer Opposition zum Suharto-Regime verstand. Wenig überraschend wurde die Partei sehr schnell verboten und viele ihrer Kader von den Behörden des Regimes verfolgt und verhaftet. Einige ihrer Mitstreiter, wie der Lyriker Wiji Thukul, denen dieser Band gewidmet ist, wurden später während der friedlichen Revolution im Mai 1998 entführt und verschwanden unter bis heute ungeklärten Umständen.

Den Gefahren dieses Regimes trotzend war Linda Christanty ab Mitte der 1990er Jahre für die PRD unter dem Decknamen Mirna in den Industriegebieten des Großraums Jakarta unterwegs, um Arbeiterinnen politisch zu...

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