»Der Hochleistungssport, der Sport, seine Organisationen und ihre Repräsentanten müssen den Mut zum Schuldigwerden haben. Hohe Gesinnung alleine oder rigorose Unterlassung sind keine gangbaren Wege, um zur Verantwortungsethik im Leistungssport zu finden.«
Professor Armin Klümper,
von Sport und Politik verehrter deutscher
Spitzensportmediziner
Doppink.
Toping!
Oder: Dobing?
Im März 2015 scheiterten Vertreter der Fußballbranche wie Jürgen Klopp, Mehmet Scholl oder der als wissenschaftlich strukturierter Kopf geltende Robin Dutt einmal mehr öffentlich bei dem Versuch, dieses rätselhafte, ja, schon unheimliche Codewort zu knacken: Doping. Im Fußball? Was, äh, soll das denn bringen?
Nichts, beteuerten sie. Doping könne im Fußball keinerlei hilfreiche Effekte entfalten. Weshalb es in all ihren Karrierejahren auch ein Mysterium für sie geblieben sei, ein luftiges Gerücht, gewiss kein reales Erlebnis. Ehrenwort! Was, wie gesagt, ja schon deshalb logisch sei, weil Doping beim Kicken sinnlos sei. Nein, schlimmer. Hinderlich sei es geradezu, eine echte Plage, weil: Es hemmt die Leistung. Robin Dutt, Sportdirektor des VfB Stuttgart, brachte es eloquent so auf den Punkt. Befragt, wie »effektiv Doping in irgendeiner Art und Weise im Fußball« sei, verkündete er das Branchen-Mantra: »Völlig uneffektiv, weil wir eine Mischsportart aus technisch-taktischer Komponente haben. Es wäre wirklich … der Spieler wäre mit Dummheit gestraft, wenn er versuchen würde, sich darüber zu optimieren. Er würde seine Leistung dadurch sicherlich eher verschlechtern.«[1]
Leistungsverschlechterung! Das kann man sich in einer Branche, in der Millionenerlöse an Zentimetern und Zehntelsekunden hängen, natürlich ganz und gar nicht leisten.
Ist die Rede von den teuersten Profis der Welt, reden wir mittlerweile über Fußballer. Ihre Saläre treiben selbst US-Baseballstars Tränen in die Augen. Alljährlich ermittelt der Web-Anbieter Sporting Intelligence die Teams mit dem höchsten Durchschnittsgehalt in den reichsten Profiligen der Welt. 2015 finden sich unter den Top Ten nur noch die Baseball-Teams der LA Dodgers und der New York Yankees, auf den Rängen fünf und neun. Die übrigen Plätze belegen Fußballklubs aus Spanien, England, Deutschland. Den Spitzenrang hält, gelobt seien die Pipelines im Emirat Katar: Paris St. Germain. Hier verdient der Durchschnittskicker 9 083 993 Dollar im Jahr, pro Woche sind das 174 692 Dollar. Es folgen Real Madrid (8 641 385 Dollar p. a.), Manchester City (8 597 844 Dollar p. a.), Barcelona (8 083 518 Dollar p. a.), ManUnited (8 022 247 Dollar p. a.), der FC Bayern (7 660 968 Dollar p. a.), Chelsea FC (7 462 809 Dollar p. a.) und der FC Arsenal (6 950 225 Dollar p. a.). In der englischen Premier League verdient im Schnitt jeder Spieler 3,8 Millionen Dollar pro Jahr.
Die Major League Baseball hat immer wieder mit weitreichenden Dopingaffären zu kämpfen, mit Enthüllungen und Geständnissen, die auf eine klare Betrugssystematik verweisen. Was das angeht, gilt sie als großer Bruder des Radsports. Erst 2015 wanderte wieder einmal ein Wellness-Klinikbetreiber in Haft, der gut ein Dutzend Profis mit Verbotenem versorgt hatte, darunter den Superstar Alex Rodriguez. Und schon 2007 hatte ein Untersuchungsreport eine Art Who’s who der Dopingsünder zusammengestellt, in dem sich reichlich Baseballer fanden.
Hingegen Profifußball: noch mehr Geld im Spiel, immerzu wachsende Anforderungen an die Profis – aber Doping? Gibt’s hier nicht. Früher vielleicht einmal, aber auch da nicht bewusst oder vorsätzlich, wie Mehmet Scholl zu berichten weiß: »Man hat da die Fußballer ein bisschen als Versuchskaninchen benutzt.«[2] Zum Glück wurde Doping im Fußball dann ausgerottet. Über Nacht sozusagen, vor ungefähr zehn Jahren. Und das Beste: Seit es sauber ist, wird dieses Spiel immer athletischer und spektakulärer. Warum machen es die anderen nicht einfach auch so? Wasser trinken, Äpfel essen, und ab geht die Post!
Ach so. Die können das nicht machen, die anderen, weil deren Sportarten ja längst nicht so komplex sind wie Fußball. Noch einmal Mehmet Scholl: »Nehmen wir mal an, du nimmst was zum Muskelaufbau; darunter leidet die Koordination und die Schnelligkeit. Nein, nicht die Schnelligkeit, die Koordination. Nimmst du was für die Kondition, wirst du langsamer. Im Fußball macht’s nicht wirklich Sinn.«[3]
Vor einer Leistungsschwächung durch Doping haben nicht nur Deutschlands Fußballweise Angst. Fachliche Unterstützung erhalten sie von Jiří Dvořák, langjähriger Chefmediziner des Weltverbandes Fifa: »Im Fußball ist nichts zu gewinnen mit solchen Drogen. Fußball ist anders als so viele Sportarten, weil es eine ganze Bandbreite von Qualitäten braucht: Ausdauer, Tempo, Stärke, Technik, Koordination und Konzentration, um nur ein paar zu nennen.«[4]
Dieses fußballspezifische Exklusivwissen über leistungshemmende pharmazeutische Mittelchen ist also der schlüssigste Grund von vielen, warum es im Fußball kein Doppink gibt. Oder Dobing? Egal. Fachleuten jedenfalls, wie dem Heidelberger Professor Gerhard Treutlein, treiben solche Äußerungen die Zornesröte ins Gesicht: »Blödsinn. Doping, je nachdem was man nimmt, bringt sehr wohl was im Fußball.«[5]
Die Zunft sieht das anders. Mag das Tricksen und Täuschen, Schwindeln und Schauspielern, mögen all die fein einstudierten Formen des strategischen Foulspiels ebenso fester Bestandteil des Berufsalltags sein wie die Allgegenwart von Ärzten und Physios, die mancher Profi öfter als die eigene Ehefrau sieht – und trotz einer Rundumversorgung mit Pillen und Spritzen gilt: Doping gibt’s nicht. Dafür legen viele die Hand ins Feuer, interessanterweise gleich für die ganze Branche. Obwohl auch das großer Blödsinn ist. Wer dopt, lügt natürlich – was, bitte schön, sollte er sonst tun? Es zugeben? Und wer nicht dopt, wer nie etwas mit Leistungsmanipulation am Hut hatte, der wurde auch niemals eingeweiht in die kleinen Geheimnisse anders tickender Kollegen, die ja immer auch Konkurrenten sind. Das gilt ebenso für Sportärzte, die erst recht kein Interesse daran haben können, mit ihrem spezifischen Wissen hausieren zu gehen.
Die Dimension des Problems, das die Kickerbranche mit dem Pharmathema hat, offenbart sich nicht nur in chronischer Amnesie, wenn es um konkrete Vorfälle aus der Vergangenheit geht. Nein, man geht sofort geschlossen in Abwehrhaltung, sobald das Thema aufploppt. 2015 war es wieder einmal so weit. Nach Jahren der Ruhe wurde ein Wunderheiler der Fußballelite als diskreter Dopingversorger entlarvt: Dr. Armin Klümper. Der Guru der siebziger bis neunziger Jahre, zu dem die Kicker in Scharen pilgerten, für den namhafte Stars dicke Spendenschecks ausstellten und sogar öffentlich warben. Als publik wurde, dass Klümper Anabolika an Bundesligateams geliefert hatte, zeigte der Fußball einmal mehr, wie wichtig die Mauer in seiner Welt ist. Abwehrmauern, Freistoßmauern – und die stabilste von allen, die Mauer des Schweigens.
Die Leistung zu steigern, ohne ein Dopingproblem zu haben, das ist die zentrale Herausforderung im Sport. Aber wo beginnt das Problem? Dort, wo betrogen wird? Oder erst da, wo der Betrug auffällt? Wenn eine Branche konsequent in einen kollektiven Abwehrreflex verfällt, sobald eine zutiefst branchentypische Frage gestellt wird, sind Zweifel angebracht. In welchem Leistungssport sind heute nicht Substanzen virulent, die kaum oder gar nicht erfasst werden von der Dopinganalytik? Kann Fußball hier tatsächlich eine Ausnahme sein? Wenn die Akteure eines hochprofitablen Wirtschaftssystems den Diskurs verweigern wie Kleinkinder, die zur Relativitätstheorie befragt werden, dann könnte etwas faul sein.
Alle tun es. Bodybuilder, selbst Schachspieler. Und natürlich wird im Fußball gedopt. Hier wurde immer gedopt. Zu allen Zeiten, seit den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Und klar: Fast nie gab es Enthüllungen durch Dopingtests. So wenig wie in anderen Sportarten, die im Gegensatz zum Fußball aber offiziell als belastet gelten, vorneweg der Radsport. Allein bei der Skandal-Tour-de-France 1998 gab es sechzig Verhaftungen und Dutzende Verurteilungen, Zoll und Polizei stellten kistenweise Dopingmittel sicher. Aber es gab nicht einen positiven Test bei den Hunderten Kontrollen während der Tour. Weshalb auch diese Rundfahrt nach den Regeln des Sports blitzsauber war. So sauber wie Lance Armstrong, den schließlich amerikanische Behördenfahnder zur Strecke brachten, keine Tests. So sauber wie die US-Sprintolympiasiegerin Marion Jones, die nie positiv getestet wurde und daraus schloss, sie könne selbst unter Eid noch erzählen, sie habe nie gedopt. Das kann man gefahrlos vor Fans und Medien tun, vor Sportgerichten sowieso – aber nicht vor einer amerikanischen Grand Jury. Für den Meineid musste die junge Mutter ins Gefängnis. All das sagt viel über die Qualität von Dopingkontrollen aus. Und nichts darüber, ob Athleten wirklich »sauber« sind.
Der Fußball dagegen taucht in schöner Regelmäßigkeit in seine Wagenburg ab, wenn Enthüllungen seine Besten und damit das System bedrohen. Kein Sport vollzieht den Schnitt zwischen dem, was das Publikum wissen darf, und dem, was in der Familie bleibt, so radikal wie die Kickerindustrie. Warum? Weil sie es sich leisten kann. Fußball finanziert sich...