Warum diese Gruppe so wichtig ist, leuchtet ein, wenn man statistisch denkt. Denn in etwa 80 Prozent aller Gespräche mit Eltern über ihre Kinder wird fast wie auf einem Teppichbasar gehandelt. Dabei verursacht das Vorgehen, Ihnen als Lehrkraft für das gewünschte Ergebnis etwas vorzuspielen, den Eltern keine schlaflosen Nächte. Das ist nicht schön, aber auch keine Katastrophe. Schwierig wird es nur dann, wenn eine Lehrkraft die vorgetragenen Argumente als Angriffe empfindet und nicht begreift, dass etwaige Kritik gar nicht persönlich gemeint ist.
Bei allen folgenden Strategien geht es darum, einen Ansatzpunkt zu finden, um ein Entgegenkommen zu begründen. Es ist wie bei einem Teppichkauf im Orient. Jeder, der begriffen hat, dass man dort handeln muss, um einen fairen Preis zu erhalten, wird versuchen, am Teppich irgendeinen Makel zu finden, durch den man den Preis drücken kann. Das ist völlig normal und nicht gegen den Teppichverkäufer gerichtet. Kein professioneller Händler wird sich persönlich angegriffen fühlen, falls der Kunde versucht, einen oder mehrere Webfehler im Teppich zu finden. Er wird aber seinen Teppich ebenso wenig unter Wert verkaufen. Und genauso sollte sich die Lehrkraft in Elterngesprächen verhalten: die innere Gelassenheit bewahren und eigene Ansprüche (den Teppich) nicht aufgeben bzw. nicht unter Wert verkaufen. Das kann man lernen.
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Vor den Ferien läuft ja doch nichts mehr
Die Situation
Das folgende Gespräch hätte Kollege Sielje bereits am letzten Elternsprechtag erleben können. Es hätte sich auch am Telefon abspielen können. Oder aber, diesen Fall wollen wir hier annehmen, Jeromes Vater fängt den Kollegen Sielje drei Wochen vor den Osterferien ohne Vorwarnung in der großen Pause ab. Warum gerade in der großen Pause? Dafür gibt es einen guten Grund, den wir gleich enthüllen. Aber so weit sind wir noch nicht. Der Vater, Herr Bellmann, spricht den Kollegen also an und fragt, ob er kurz Zeit für ihn habe. Da Sielje ein höflicher Mensch ist und nicht ahnt, was auf ihn zukommt, sagt er Ja. Und nun geht es los:
Vater: Wir möchten mit Jerome gerne schon am Mittwoch vor den Osterferien verreisen.
Lehrkraft: Sie meinen, noch während der Schulzeit?
Vater: Richtig. Wir kriegen dann einen deutlich günstigeren Abflug ab Düsseldorf.
Lehrkraft: Aber dann versäumt er drei Tage Schule.
Vater: Deswegen sage ich es Ihnen ja schon jetzt. Wenn noch irgendetwas Wichtiges ansteht, können Sie ihm die Materialien ja mitgeben und er bearbeitet sie dann im Urlaub. Und seien wir doch mal ganz ehrlich: In den letzten Tagen vor den Ferien läuft doch sowieso nichts mehr.
Lehrkraft: Also ich weiß nicht. Ich hab dabei ein ungutes Gefühl.
Vater: Aber wir haben die Reise doch schon gebucht.
Lehrkraft: Na gut.
Sie halten diesen Dialog für wenig realistisch, weil die Lehrkraft zunächst auf dem Schulbesuch beharrt? Das ist richtig, und leider ist das auch ein Teil des Problems.
Die Absicht
Schauen wir uns an, wie geschickt Herr Bellmann vorgeht. Sein erster Trick besteht darin, die Lehrkraft in der großen Pause abzufangen. Er weiß nämlich, wie sehr Lehrer selbst in den Pausen unter Zeitdruck stehen. Und das erleichtert es enorm, irgendwelche Zugeständnisse zu erreichen. Um das Problem schnell vom Tisch zu haben, werden viele Lehrkräfte zustimmen. Dann bleibt nämlich noch etwas von der knapp bemessenen Pause übrig. Schließlich müssen noch Unterrichtsmaterialien ins Lehrerzimmer gebracht werden. Zudem will man mit dem Schulleiter noch eine Absprache treffen, die Kopien für die anstehende Klassenarbeit aus dem Fach holen, kurz auf die Toilette gehen und sich auf die Schnelle noch einen Kaffee zapfen.
Natürlich könnte man für die Klärung des Problems einen gesonderten Termin ansetzen. Diese Variante ist jedoch keine verlockende Alternative, weil sie einen zusätzlichen Termin bedeutet. Damit hat der Vater durch die geschickte Wahl des Zeitpunkts schon einen deutlichen Vorteil erzielt.
Der nächste Trick, der im Grunde eine Unverschämtheit darstellt, besteht darin, die Reise (zu einem Termin während der Schulzeit!) bereits fest zu buchen. Das aber wird der Lehrkraft – zunächst – nicht gesagt. Vielmehr wird so getan, als wolle man die Genehmigung der Lehrkraft einholen. Geht die Rechnung auf, bedankt der Vater sich herzlich für das Verständnis, und die Lehrkraft wird in dem naiven Glauben gelassen, nur durch ihr entgegenkommendes Einverständnis sei es der Familie möglich gewesen, ausnahmsweise früher in den Urlaub zu fahren. Das ist leider eine enorme Selbstüberschätzung der Kollegen. Denn so wichtig nehmen die meisten Eltern die Schule und den dort stattfindenden Unterricht nun wirklich nicht.
Die zentrale Information, dass die Reise schon gebucht ist, wird erst offenbart, wenn die Lehrkraft nicht zustimmt. Dabei ist die bereits vollzogene Buchung gleichbedeutend mit einem »Tja, da kann man jetzt nichts mehr machen!«, also quasi wie »höhere Gewalt«, die man als unvermeidbar akzeptieren müsse. Das stimmt natürlich nicht, weil ja die Eltern, ohne die Schule vorher zu fragen, diese Entscheidung freiwillig gefällt haben. Nichts und niemand hat sie dazu gezwungen. Nicht einmal die Kostenersparnis, auf die ich gleich noch eingehe.
Die Gegenreaktion
Bevor ich Ihnen wirksame Gegenreaktionen aufzeige, sollten Sie sich überlegen, wie Sie generell zu solchen Unterrichtsbefreiungen stehen. Falls Sie im Wunsch der Eltern, die Schule und ihren Unterricht ausfallen zu lassen, nichts Unrechtes erkennen können, dann überschlagen Sie bitte dieses Kapitel.
Falls Sie weiterlesen, widmen wir uns jetzt dem Geld. Natürlich sind Flüge zu Terminen, die nicht in der Ferienzeit liegen, günstiger. Eine Familie kann da leicht 300 Euro sparen. Wer also den Wert eines Schultages mit weniger als 100 Euro ansetzt, so wie es die Bellmanns tun, für den ist das Ergebnis eindeutig. Noch mehr könnte man vermutlich sparen, wenn man nicht nur drei Tage, sondern eine ganze Woche oder sogar zwei Wochen früher fliegt.
Ich kenne leider Schulleitungen, die den Forderungen solcher Eltern ohne Zögern nachgeben. Teils, weil sie die finanzielle Ersparnis ebenfalls für wichtiger als die Schulpflicht halten, teils, weil sie sich über so »ehrliche« Eltern freuen, die die Schule – pro forma! – fragen. Oder sie sind auch der Meinung, in den letzten Tagen vor den Ferien finde nichts Wesentliches mehr statt. Dieser Ansicht kann man folgen, muss es aber nicht. Vor allem dann nicht, wenn man den eigenen Unterricht für wichtig hält, und zwar bis zur allerletzten Minute.
Kommen wir daher zu effektiven Gegenstrategien. Ihre erste Frage an den Vater sollte lauten: »Haben Sie die Reise denn schon gebucht?«, und dann könnten Sie ihn ganz genau beobachten. Denn jetzt wird ihm schlagartig klar, dass Sie seine vermeintlich so geschickte Strategie durchschaut haben. Das bringt ihn in eine Zwickmühle – und das gönnen wir ihm, schließlich wollte er Sie reinlegen. Wie soll er antworten? Entweder er lügt (keine gute Idee), oder er gibt zu, bereits gebucht zu haben (auch nicht toll). Im ersten Fall könnten Sie sagen: »Wunderbar, dann kann Jerome ja bis zum letzten Tag die Schule besuchen. Wir üben nämlich ein paar ganz wichtige Sachen für die nächste Klassenarbeit.« Im zweiten Fall...