Vorwort
»Der Mensch ist nur dort ganz Mensch, wo er spielt«
(Friedrich Schiller)
Über die seelische Gesundheit im Leistungssport wird in den öffentlichen Medien selten berichtet. Unterbrochen wird dieses Desinteresse durch sensationsträchtige Dopingfälle, Gehirnverletzungen, Suchtprobleme oder Suizide der bekannten Sportler. Im Laufe der Vorbereitung zu diesem Buch haben wir uns viele Gedanken darüber gemacht, wie man das Thema am besten darstellt. Wir wollten vermeiden, in die Reihe der sensationsfreudigen Berichterstatter aufgenommen zu werden, die bei jedem Scheitern und persönlichen Katastrophen von Sportlern die Medien dominieren, aber den alltäglichen unspektakulären Belastungen und Sorgen der Sportler keine Aufmerksamkeit widmen.
Unser Ziel ist es vielmehr, die im Leistungssport immer größer werdenden seelischen Belastungen zu beschreiben. Die Vorträge mit dem Titel »Was wir von den Leistungssportlern lernen können« erfreuen sich, besonders in den Wirtschaftskreisen, zunehmender Beliebtheit. Wir wollen die Vortragsreihen durch die Frage »Was wir über die Sportler wissen sollten« ergänzen. Dabei wollen wir nicht über die geheimen verdrängten Schattenseiten des Sports schreiben, sondern unseren Teil zur Aufklärung über die seelische Gesundheit in diesem Bereich beitragen. Mit unserer Arbeit wollen wir mithelfen, die seelische Gesundheit der Athleten über die Karriere hinaus zu verbessern und die Faszination des Sports zu erhalten. Das fortgesetzte Schweigen über das Thema schadet den Athleten und letztlich dem gesamten Leistungssport.
Die deutsche Olympiamannschaft ist bei den Olympischen Winterspielen in Südkorea im Februar 2018 von vielen Sportmedizinern, Sportwissenschaftlern, Physiotherapeuten, Sportpsychologen und auch von katholischen und evangelischen Seelsorgern betreut worden. Bereits seit 1972 sind sie dem deutschen Olympiateam zugehörig. Wir sind überzeugt, dass sie alle eine hervorragende und wichtige Arbeit für die Athleten leisten. Aber wir sind auch der Meinung, dass es Zeit ist, im 21. Jahrhundert für die seelische Gesundheit der Athleten und Trainer nicht nur zu beten, sondern mit Hilfe einer medizinischen wissenschaftlichen Disziplin aktiv dafür zu sorgen.
Die seelischen Belastungen sind, genau wie die körperlichen Beanspruchungen, ein fester Bestandteil des Leistungssports geworden. Psychische Störungen sind nicht nur Einzelschicksale, sondern werden durch die oft täglichen massiven sportspezifischen Belastungen mit verursacht. Die sportlichen Erfolge tragen dazu bei, die Gefahren für die seelische Gesundheit zu verdecken.
Trotz der anhaltenden gesellschaftspolitischen Bedeutung, des riesigen öffentlichen Interesses und der immer stärker werdenden Wirtschaftskraft des Sports gibt es überraschend wenig wissenschaftliche Studien zu diesem Thema. Als wir uns entschieden haben, dieses Buch zu schreiben, waren wir uns der schwierigen Aufgabe bewusst. Wir sollten über etwas schreiben, was es gar nicht geben soll, und eine medizinische Disziplin vorstellen, die angeblich nicht gebraucht wird. Wir wussten von den Sportlern, dass die seelischen Belastungen ein fester Bestandteil des Leistungssports sind und dass eine wissenschaftliche Disziplin für die seelische Gesundheit im Leistungssport dringend gebraucht wird. Wir haben uns schließlich für das Buch entschieden, um die Diskussion über das Thema in der Öffentlichkeit anzuregen und der Forschung auf dem Gebiet neue Impulse zu geben.
Die Tatsache, dass Sportpsychiatrie als medizinische Disziplin mit organisierter Ausbildung erst am Anfang ihrer Entwicklung steht, war für uns ein Grund mehr, das Buch zu schreiben. Der Aufbau der Sportpsychiatrie mit ausreichenden ambulanten und stationären Versorgungsstrukturen wird vermutlich genauso viel Zeit in Anspruch nehmen wie die Aufklärung über die seelische Gesundheit, wie der Abbau der Stigmatisierung von psychischen Störungen und die Übernahme von Selbstverantwortung der Sportler in diesem Bereich. Zudem sind wir davon überzeugt, dass wir eine eigene medizinische Disziplin mit dem Schwerpunkt für die seelische Gesundheit im Leistungssport brauchen. Ähnlich wie sich Sportmediziner, Sportorthopäden, Sportwissenschaftler und Physiotherapeuten um die körperliche Gesundheit bemühen, brauchen wir Sportpsychiatrie, die gemeinsam mit den Sportpsychologen, Mentaltrainern, Karriereberatern und Coaches um den Erhalt der seelischen Gesundheit zum Ziel hat.
Psychiatrie und Psychologie werden auch außerhalb des Sportbereichs oft verwechselt und kaum voneinander unterschieden. Sportpsychologen und sportpsychologische Experten haben ein psychologisches oder sportwissenschaftliches Studium und anschließend eine sportpsychologische Weiterbildung absolviert. Sportpsychiater haben Medizin studiert, eine Facharztausbildung absolviert und eine sportpsychiatrische Weiterbildung gemacht. Angewandte Sportpsychologie nutzt, nach Definition der Arbeitsgemeinschaft für Sportpsychologie, wissenschaftlich fundierte Methoden, um die psychischen Leistungsvoraussetzungen von Athleten und Trainern nachhaltig zu optimieren. Dabei stützen sie sich auf die physische und psychische Gesundheit als Grundlage für jede positive nachhaltige Leistungsentwicklung. Darüber hinaus beschäftigt sich die Sportpsychiatrie mit der Erhaltung der seelischen Gesundheit bei Sportlern und Trainern, trägt langfristig zur Leistungsoptimierung bei und unterstützt dadurch die Arbeit der Sportpsychologen und der Mentaltrainer.
Wir sind überzeugt, dass es aufgrund der allgemeinmedizinischen, psychiatrischen, neurologischen, psychosomatischen und psychotherapeutischen Grundausbildung keiner anderen wissenschaftlichen Disziplin besser gelingen kann, dieser Aufgabe gerecht zu werden. Allerdings brauchen wir dazu neben der allgemeinpsychiatrischen auch eine sportpsychiatrische Zusatzqualifikation, um die sportspezifischen Bedingungen und seelischen Belastungen besser zu erkennen und die seelische Gesundheit über die Karriere hinaus erhalten zu helfen.
Wir haben uns bemüht, das Buch so zu schreiben, dass es auch für die interessierten Leser ohne medizinische Vorbildung weitgehend verständlich ist. Neben den im Sportbereich tätigen Berufsgruppen und Beschäftigten sind es vor allem die Sportlerinnen und Sportler selbst, die wir mit dem Buch für das Thema der seelischen Gesundheit gewinnen wollen. Aus Angst, als unwissenschaftlich zu gelten, scheuen Fachleute oft einfache und allgemeinverständliche Darstellungen. Wir meinen aber, dass die allgemeinverständliche Sprache und Einzelfalldarstellungen dazu bestens geeignet sind, das Thema dem sportinteressierten Publikum näherzubringen und zur Diskussion, Vertiefung und Erforschung anzuregen. Am Ende jedes Kapitels haben wir die Literaturstellen zur Vertiefung und zum Nachschlagen aufgeführt. Wir halten es für wichtig, auch Aussagen der Sportler in Interviews der öffentlichen Medien als wichtiges Material zum Thema aufzunehmen.
Des Weiteren denken wir, dass die Sportler ermuntert werden können, mehr Verantwortung für die Erhaltung der seelischen Gesundheit zu übernehmen. Dies wird nur gelingen, wenn sie mehr über die Risiken für die seelische Gesundheit im Leistungssport wissen. Vielleicht ist die Aufklärung darüber der wichtigste Grund und ein Beitrag, den wir mit diesem Buch leisten können.
Wir hätten gern beim Schreiben eine echte geschlechtergerechte Sprache gewählt. Es ist uns ein großes Anliegen, auch die Sportlerinnen im Leistungssport anzusprechen. Oriana Fallaci (1979, S. 14) stellte einmal fest, dass Gott ebenso gut eine Frau sein könnte und »dass die Sünde nicht an dem Tag entstand, als Eva einen Apfel pflückte: an dem Tag wurde eine wunderbare Tugend geboren, die Ungehorsam heißt.« Wohlwissend aber, dass wir eine Sprachtradition und -verirrung in diesem Buch nicht werden korrigieren können, kommen wir nicht umhin, die übliche männliche Anrede zu benutzen und ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass Frauen mitgemeint sind. Wir werden jedoch wo immer möglich neutrale Begriffe verwenden. Vielleicht gelingt es uns im Rahmen einer möglichen Neuauflage, diese in einer aufgeklärteren Sprache herauszugeben.
Das Buch könnte zudem allen sportinteressierten Psychiatern als Anregung dienen, Sportpsychiatrie als medizinische Disziplin für die seelische Gesundheit im Leistungssport weiterzuentwickeln. Aufgrund der...