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Sie wissen alles

Wie intelligente Maschinen in unser Leben eindringen und warum wir für unsere Freiheit kämpfen müssen

AutorYvonne Hofstetter
VerlagC. Bertelsmann
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl352 Seiten
ISBN9783641137397
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,99 EUR
Hochaktuelles Debattenbuch über die totalitäre Tendenz von Datensystemen
Die Snowden-Enthüllungen schreckten weltweit auf. Big Data heißt das neue Geschäftsmodell der Überwachung - haben wir die Kontrolle über unsere Daten längst verloren? Yvonne Hofstetter, Expertin für künstliche Intelligenz, klärt auf: Die unvorstellbaren Datenmassen, die sekündlich abgeschöpft werden und durchs weltweite Netz fluten, sind allein noch kein Risiko. Denn die Gefahr für die freiheitliche Gesellschaft geht von intelligenten Algorithmen aus. Sie analysieren, prognostizieren und berechnen uns neu, um uns zu kontrollieren - autonom, schnell, überall und immer. Sie verbreiten sich als selbstlernende Haustechnik, vernetzte Autos oder elektronische Armbänder. Hofstetter fordert dazu auf, das einzige Supergrundrecht unserer Gesellschaftsordnung, die Menschenwürde, gegen die digitale Revolution zu verteidigen. Sie plädiert für eine neue Gesetzgebung, eine Ethik der Algorithmen und eine gesellschaftliche Debatte darüber, was der Mensch in Zukunft sein will.

Yvonne Hofstetter, geboren 1966 in Frankfurt am Main, ist nach einem Studium der Rechtswissenschaften seit 1999 international in Softwareunternehmen tätig und für die Positionierung von Multi-Agentensystemen bei der Rüstungsindustrie und für den Algorithmischen Börsenhandel zuständig. Seit 2009 ist sie Geschäftsführerin der Teramark Technologies GmbH, eines Unternehmens, das auf die intelligente Auswertung großer Datenmengen mit Optimierern und maschinellen Lernverfahren spezialisiert ist. Yvonne Hofstetter hat aufsehenerregende Artikel in Medien wie der FAZ publiziert, bevor 2014 ihr Bestseller 'Sie wissen alles' folgte.

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Leseprobe

Von fehlenden Daten, falscher Information und 290 Toten

Morgen ist amerikanischer Unabhängigkeitstag.

Die Sonne brennt hell über dem Persischen Golf und lässt das Wasser himmelblau leuchten. Seine Azurfarbe verführt geradewegs dazu, kopfüber einzutauchen in die Wellen, um nach Luft schnappend wieder an der Oberfläche aufzutauchen und sich dann vom Meer sanft tragen und schaukeln zu lassen wie ein Kind im Bauch seiner Mutter, das dem Leben voller Hoffnung entgegenblickt.

Ganz anders als die vielen Leichen, die kopfüber auf der Wasseroberfläche treiben.

Es ist Sonntag, der 3. Juli 1988, im letzten Kriegsjahr zwischen dem Iran und dem Irak, die, wie sich später zeigen sollte, einen sinnlosen Krieg begonnen hatten. Nur einen Monat später, im August 1988, würde er ohne Sieger, stattdessen mit vielen Hundertausenden von Toten, zu Ende gehen. Doch bis es soweit war, sollte die Situation weiter eskalieren. Seit einigen Jahren griffen die Kriegsgegner immer wieder zivile Öltanker an, die den Persischen Golf mit ihrer wertvollen Fracht passieren mussten. Mit der Bitte Kuwaits an die Vereinigten Staaten, Geleitschutz zu gewähren, wurde der Konflikt ab November 1986 endgültig zum internationalen Geschehen. Als im Sommer 1987 die amerikanischen Tankereskorten einsetzten, waren im Persischen Golf bereits die Marinen von sechs NATO-Staaten involviert und räumten den Schifffahrtsweg und sein Nadelöhr, die Straße von Hormus, von Minen frei.

Während Großbritannien an jenem denkwürdigen Sonntag das größte Rüstungsgeschäft seiner Geschichte mit Saudi-Arabien abschloss, schien sich der Tag für die amerikanischen Kriegsschiffe im Golf nicht von anderen Einsätzen zu unterscheiden. Dass iranische Schnellboote, bewaffnet mit Maschinengewehren und Raketen, Handelsschiffe angriffen, war hässliche Routine des Tankerkrieges. Üblicherweise tauchten sie nahe der Meerenge auf und versuchten, Schaden anzurichten. Die Fregatte USS Elmer Montgomery, die sich im nördlichen Persischen Golf aufhielt, hatte an diesem Morgen schon sieben, dann dreizehn Angreifer gezählt und beobachtet, wie sie sich einem pakistanischen Frachter näherten.

»Bitte bestätigen Sie: Benötigen Sie Hilfe?«

Die Montgomery hatte einen Funkspruch an den Frachter abgesetzt.

Die Antwort des pakistanischen Frachters schien nicht weiter beunruhigend.

»Negativ. Wir haben keinen Notruf abgesetzt. Wir werden nicht belästigt.«

Weiter nördlich explodierte etwas. Schnell folgte ein zweiter Knall.

Kraftvoll durchschnitt der schlanke Kreuzer USS Vincennes die türkisfarbenen Wellen in Richtung Straße von Hormus. Wie andere Kreuzer seiner Klasse war die Vincennes darauf ausgelegt, Angriffe kleiner iranischer Schnellboote und Minen abzuwehren, und mit Lenkflugkörpern ausgestattet, um Ziele auf Land und imWasser anzugreifen. Doch die Vincennes war noch mehr: Ähnlich deutschen Fregatten war sie auf Luftverteidigungsaufgaben spezialisiert. Dazu führte die Vincennes ein vollständiges Luftabwehrsystem aus modernsten Radars, umfangreicher Flugabwehrbewaffnung und einer eigenen Luftabwehrzentrale mit. Die Hochtechnologie an Bord hatte ihr einen sehr zutreffenden Spitznamen eingebracht: Robocruiser, der »kreuzende Roboter«. Unaufhörlich blinkten in ihrem Kontrollraum, dem abgedunkelten Combat Information Center (CIC), Bildschirme blau-weiß und schwarz-grün. Das CIC gehörte zum fortschrittlichsten High-Tech-Radarsystem seiner Zeit, dem man den Namen Aegis verliehen hatte, eine Anspielung auf den Schild des griechischen Gottes Zeus. Das elektronische Warn- und Feuerleitsystem der amerikanischen Kriegsmarine war seit 1983 im Einsatz und hatte die Aufgabe, komplexe Luftkämpfe zu überwachen, die sich über hunderte Quadratkilometer erstrecken konnten. In Echtzeit zeichnete das System Flugdaten auf, verarbeitete und interpretierte sie und zeigte die Einzelheiten des Luftkampfs auf einem riesigen Display im Kontrollraum an. Um das Air Theater, so die Verniedlichung der Militärs für »Luftkampf«, wirklichkeitsgetreu wiederzugeben und dabei gleichzeitig die große Anzahl potenzieller Ziele wie Aufklärer oder Raketen zu überwachen, musste Aegis in der Lage sein, bis zu zweihundert Flugzeuge gleichzeitig nachzuverfolgen – keine leichte Aufgabe für ein System, das zu seiner Zeit nicht annähernd über die Rechnerleistung heutiger Big-Data-Systeme mit ihren leistungsfähigen Parallelrechnern und miniaturisierten Speichern verfügte. Die vielen Computer, Displays und Datensammler des Aegis-Systems waren deshalb hinter den großen Phased-Array-Antennen des SPY-1-Radars des Kreuzers untergebracht.

»Alles auf Gefechtsstation!«, wiederholte der Lautsprecher der Vincennes. Auf und unter Deck herrschte konzentriertes Treiben, jeder Handgriff würde sitzen, oft genug war er eingeübt. Wer jemals Teil einer Kampftruppe war, wusste, er hatte auf nichts weiter zu achten als darauf, seine Aufgabe bestmöglich zu erfüllen. Um andere Probleme hatte er sich nicht zu kümmern, das erledigten seine Vorgesetzten für ihn. Für manchen Soldaten machte gerade das den Reiz seines Dienstes aus.

Als die Explosionen ertönten, hatte die Montgomery die Vincennes um Unterstützung gebeten. Beide Kriegsschiffe gehörten demselben Geschwader an, einer Aircraft Carrier Battle Group, die, je nach Mission, aus einem Verband von Flugzeugträgern, mehreren Kreuzern, Fregatten, U-Booten, Versorgungsschiffen und etwa achtzig Flugzeugen bestand. Teil des Verbands war an diesem Morgen auch USS Sides. Anders als die Montgomery verfügte die Sides über einen Link-11-Datenlink. Über den Datenlink konnten die Computer der Sides mit denen der Vincennes taktische Informationen in Echtzeit austauschen. Ein Vorläufer der kabellosen Kommunikation, wenn man so wollte, der militärische Geräte untereinander vernetzte. Ein frühes »Netz der Dinge«. Obwohl mehrere Meilen von der Vincennes entfernt, konnte die Sides, die selbst kein Aegis-System an Bord mitführte, über Link-11 mit demselben Lagebild operieren wie die Vincennes.

Inzwischen war es 9:45 Uhr geworden. Lieutenant Mark Collier, der Helikopterpilot der Vincennes, hatte den Auftrag erhalten, die Lage auf See mit seinem SH-60B Seahawk aufzuklären.

»Sie werden zu den Angreifern einen Mindestabstand von vier Meilen einhalten«, lautete der Einsatzbefehl für den Piloten. »Gehen Sie nicht näher heran als vier Meilen.«

»Ja, Sir.«

In weniger als zwanzig Minuten hatte Collier die iranischen Schnellboote erreicht. Aus dem Cockpit konnte er beobachten, wie sie einen deutschen Frachter umkreisten. Noch fielen keine Schüsse. Das Einkreisen hingegen gehörte zur gewöhnlichen Einschüchterungstaktik der Angreifer.

Vier Meilen.

Im Cockpit konnte Collier der Versuchung nicht widerstehen. Als er den CPA, den Closest Point of Approach, und die Vier-Meilen-Zone unterschritt, sollte er schnell herausfinden, wie die Angreifer bewaffnet waren. Neben dem Seahawk explodierten acht bis zehn grelle Lichtblitze.

»Hast du das gesehen?«, schrie Collier dem begleitenden Unteroffizier, Scott Zilghe, zu.

»Habe ich«, gab Zilghe zurück. »Sehen wir zu, dass wir hier rauskommen. Das waren Luftabwehrraketen.«

Während Collier den Seahawk in einen sicheren Abstand abdrehte, funkte sein Kopilot, Roger Huff, an die Vincennes.

»Hier ist Ocean Lord 25. Wir stehen unter Beschuss. Wir ziehen uns zurück.«3

Es war, als hätte der Kapitän der Vincennes, Will Rogers, auf den Angriff nur gewartet. Immerhin war morgen die Feier der amerikanischen Unabhängigkeit. Man könnte ein Exempel an Stärke statuieren, wenn man sich jetzt zur Wehr setzte. Schließlich waren in den vergangenen Monaten immer wieder amerikanische Einheiten angegriffen worden. Auch amerikanische Kameraden waren dabei ums Leben gekommen.

»Volle Kraft voraus.«

Mit hoher Geschwindigkeit näherte sich die Vincennes der Straße von Hormus. Rogers funkte mit dem Hauptquartier der amerikanischen Streitkräfte in Bahrain. Im Gespräch feilschte er um die Erlaubnis, eingreifen zu dürfen. Dazu verlangte Rogers die taktische Kontrolle über die Montgomery und die Sides.

»Sie haben die Erlaubnis.«

Inzwischen hatte sich die Vincennes der Position der iranischen Schnellboote weiter angenähert. Dabei war Kapitän Rogers bereits in iranische Gewässer eingedrungen – eine Verletzung internationalen Rechts. Die Iraner waren dem Robocruiser weit unterlegen, konnten aber hoffen, den viel teureren Kriegsschiffen durch wiederholten Beschuss von den wendigen Schnellbooten aus Schaden zuzufügen.

»Eines kommt auf uns zu. Nähert sich schnell. Ich sehe es über die Bugkamera.«

10:13 Uhr. Die iranische Annäherung war der gewünschte Anlass, das Feuer auf die Iraner zu eröffnen. Es hatte nur wenige Wochen gedauert, bis die Vincennes seit ihrer ersten Patrouille im Persischen Golf am 1. Juni 1988 aktiv in ihren ersten kriegerischen Vorfall verwickelt war. Jedes unidentifizierte Objekt, das sich von nun an der Vincennes...

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