1.Silicon-Valley-Ökosystem
1.1 Die Kultur im Silicon Valley – Think different!
»Think different« – »Denke das Andere« war die extrem erfolgreiche Werbekampagne von Apple nach der Rückkehr von Steve Jobs zu Apple 1997. Jobs positionierte Apple als ein Produkt der »Rebellen, Idealisten, Visionäre, Querdenker, derer, die sich in kein Schema pressen lassen, derer, die Dinge anders sehen, sich keinen Regeln beugen.« Die Aufzählung liest sich wie eine Stellenbeschreibung des Silicon Valley!
Nirgendwo sonst auf der Welt gibt es einen vergleichbaren, geradezu magischen Ort, an dem Unmögliches möglich wird. Der Autor selbst erlebt das Silicon Valley regelmäßig als inspirierenden Ort, an dem man durch die sich ausbreitende positive Grundstimmung und sprießende Kreativität förmlich über das Wasser zu gehen im Stande ist.
Die Buchautorin Deborah Piscione beschreibt in ihrem Bestseller Secrets of Silicon Valley die ehrliche Offenheit und Gesprächsbereitschaft im Silicon Valley. Eigentlich kommt man überall miteinander ins Gespräch und ist sofort »connected«. Es ist ein Ort, an dem die weltweit besten Visionäre, Innovatoren, Venture Capitalist, Akademiker, Anwälte und Wirtschaftsprüfer sich die Klinke in die Hand geben.1
Schnell gewöhnt man sich zum einen an die hohe Sprechgeschwindigkeit, bei der jedes zweite Wort im Stil unterdrückt wird, zum anderen an das spezielle Vokabular, geprägt durch die Melange an Begriffen der Venture Capitalists und Techniker wie »term sheet« (Vertragsvorschlag), »business model« (Geschäftsmodell), »monetization« (Monetarisierung), »b2b« (Internet für Geschäftskunden), »b2c« (Internet für Privatkunden), »API« (Programmierschnittstelle).
Marc Andreessen, der Erfinder des Internet Browsers und heute einer der renommiertesten Venture-Capital-Unternehmer im Valley, beschreibt in einem TV-Interview mit Charlie Rose Silicon Valley als »Innovation Town« wie folgt:
»Unsere Kerntheorie, der wir folgen, ist, dass der wesentliche Output einer Technologiefirma Innovation ist, und das unterscheidet sich stark von vielen anderen Branchen, richtig? Der wesentliche Output einer Automobilfirma sind Autos. Der fundamentale Output einer Bank sind Kredite ... Die Herausforderung, welcher Technologiefirmen unterliegen, ist die Tatsache, dass sie sich mit ihren aktuellen Produkten nicht auf ihren Lorbeeren ausruhen können. Sie müssen immer in Zeiträumen der nächsten fünf Jahre denken, was als Nächstes kommen wird. Sind sie darin gut und verfügen über eine interne Innovationsmaschine, werden sie sich über die Zeit sehr gut entwickeln.«
Das Silicon Valley umfasst die nördliche Kapitale San Francisco, die großstädtisches Flair bietet, bis in das circa 70 km entfernte San Jose im Süden.
Der Name »Silicon Valley« setzt sich zusammen aus »Silicon«, welches auf die in den 1970er-Jahren dominierende Silizium-Chip-Produktion zurückgeht. »Valley« steht für das Santa Clara Valley, welches südlich von San Francisco liegt. Der zusammenhängende Begriff »Silicon Valley« wurde von dem Journalisten Don Hoefler im Rahmen einer Artikelserie über die Chipindustrie in dem Elektronik-Wochenblatt Electronic News erstmals am 11. Januar 1971 erwähnt.2
Ist Washington die Hauptstadt der Weltpolitik, dann ist das Silicon Valley der Hauptsitz der Hightech-Industrie. Das Silicon Valley beheimatet auf einem Radius einiger Dutzend Kilometer Tech-Schwergewichte des S&P 500 wie Adobe, Agilent, Altera, Apple, Applied Materials, Avago, Charles Schwab, eBay, Electronic Arts, Facebook, Google, Hewlett-Packard, Intel, Intuit, Juniper Networks, Nvidia, Oracle, Qualcomm, Salesforce.com, SanDisk, Symantec.
Das Silicon Valley ist kein dumpfer Ort des Geldverdienens nur des Geldes wegen. Auch hier ist das Silicon Valley »different« zu anderen Wirtschaftsmetropolen. Drei Manifeste oder Grundgesetze des Silicon Valley, dreier prägender Gestalten unterschiedlicher Technologie und Zeitphasen bilden das intellektuelle Rückgrat des Silicon Valley und sind deren Treiber:
Moores Law – Gordon Moore, Erfinder Mikroprozessor und Mitgründer Intel
Das erste Manifest geht auf den Gründer von Intel, Gordon Moore, zurück. »Moores Law« besagt, dass sich die Rechenleistung auf Mikroprozessoren, dem Herzstück von Smartphones, Tablets und Computern, alle 24 Monate verdoppelt.
Stay Hungry, Stay Foolish (bleib hungrig und verrückt) – Steve Jobs, Macintosh, iPod, iPhone, iPad, Mitgründer Apple
Der berühmte Ausspruch von Steve Jobs, den er im Rahmen einer Absolventenrede an der Stanford University aus dem Jahr 2005 tätigte, geht auf das im Valley bekannte Buch »Whole Earth Catalogue« von Stewart Brand, 1974 zurück. Der Katalog war ein gedrucktes Google und die Bibel der Hippie-Zeit. Das rückwärtige Cover der 1974er-Ausgabe schloss mit den Worten: »Stay hungry. Stay foolish.« Jobs führte in seiner Rede aus, immer offen und neugierig für Neues zu sein, gleichzeitig fokussiert auf sein Tun. Jeder sollte das zu seinem Beruf machen, worin er seine eigene Passion findet.
Software is eating the world – Marc Andreessen, Erfinder Web-Browser, Mitgründer Netscape
Das dritte bedeutende Manifest Software is Eating the World geht auf Marc Andreessen, den Erfinder des ersten Webbrowsers, Gründer von Netscape und heute einflussreicher Risikokapitalinvestor bei Andreessen und Horowitz zurück. Andreessen legt in seinem Essay eindrucksvoll dar, wie sämtliche Branchen zukünftig durch den Einsatz von Software grundsätzlich neu aufgestellt werden, sich in rapider Geschwindigkeit neue Unternehmen auftun und bestehende marginalisiert werden. Bestes Beispiel ist die Software-Dominanz im Mobilfunksektor durch Google und Apple, während der frühere Dominator Nokia keine Bedeutung mehr hat.3
Es liegt also etwas Spezielles in der Atmosphäre zwischen der Stanford Universität in Palo Alto, Google in Mountain View und Apple in Cupertino. Eine Atmosphäre, die zu Höchstleistung und hohem Risiko inspiriert und unermüdlich antreibt.
1.2 Risiko als Chance
Der amerikanische Traum lebt! Steve Jobs, Bill Gates und Mark Zuckerberg sind drei leuchtende Beispiele von Studienabbrechern (Drop-out) die jeweils zu Multi-Milliardären und Unternehmensführern von Tech-Ikonen wie Apple, Microsoft und Facebook wurden. Unternehmertum und Erfindergeist kann man nicht an der Universität streng nach Lehrplänen unterrichten. Peter Thiel, Mitgründer von Paypal und erster Venture-Capital-Investor in Facebook, ist einer der prominentesten Protagonisten des »Drop-Out«-Ansatzes. Er kann dies eindrucksvoll belegen: Aus seinem $500 000 Investment in den Studienabbrecher Mark Zuckerberg wurde eine Milliarde Dollar.
Peter Thiel stellt mit seinem Programm »20 under 20« Gründern zwischen 18 und 20 jeweils 100 000 für die Gründung ihres Unternehmens zur Verfügung – einzige Voraussetzung: Sie müssen ihr Studium abbrechen. Thiel polarisiert und wurde von dem früheren Harvard-Dekan und Bill-Clinton-Berater Larry Summers in der Hightech-Postille TechCrunch scharf angegriffen. Thiels Programm sei das »am meisten fehlgeleitete gemeinnützige Projekt des Jahrzehnts«.4 Viele begabte und hungrige Programmierer und Internet-Freaks – in der Fachsprache Nerds genannt – sehen genau darin ihre Zukunftsperspektive. Gefrustet von bürokratischen Strukturen in Großunternehmen, mangelnden Aufstiegschancen und Ideenstau ist das Gründen eines Start-ups genau der richtige Weg um seine Ideen umzusetzen. Wer ins Silicon Valley kommt, weiß, dass man für seine Idee, sein Produkt »brennen« muss. Ähnlich wie zu den Goldgräberzeiten im 19. Jahrhundert suchen junge Amerikaner, aber vermehrt auch Europäer und Asiaten, ihr Glück in Kalifornien und unterliegen der magischen Anziehungskraft des Silicon Valley.
Der ideale Gründer ist nach Aussage von Paul Graham, Gründer des renommiertesten Start-up-Inkubators Y Combinator, Mitte 20, ungebunden, ohne Familie und bereit alles seiner Idee unterzuordnen. Seiner Meinung nach war es kein »Unfall« (Graham Hackers & Painters S. 53), dass das Silicon Valley nicht in Frankreich, Deutschland, England oder Japan beheimatet ist, weil in diesen Ländern die Leute nur innerhalb festgefahrener Bahnen denken und sich nicht trauen, über die Grenzen hinauszugehen.5
Die Amerikaner sprechen von »Risk Taking«, also das Risiko auf sich zu nehmen. Dies ist in den USA positiv belegt – im Gegensatz zu Deutschland und Europa, wo Risiko Angst macht und man Risiken vermeiden oder eliminieren möchte.
Um Start-ups hochzuziehen und daraus erfolgreiche Unternehmen zu machen braucht es zwei Sorten von »Risk Takern«. Zum einen den unerschrockenen Gründer mit einer genialen Idee und zum anderen den genauso unerschrockenen Investor, der bereit ist, das Wagnis – Venture – zu finanzieren. Eine weitere wichtige Voraussetzung ist der gesellschaftliche Umgang mit Erfolg und Misserfolg. Eine Insolvenz in Deutschland bedeutet einen Malus im Lebenslauf, in den USA ist dies ein Indikator für einen positiven Lernerfolg und Basis für eine zweite Chance.
Für die Amerikaner ist auch der wirtschaftliche Erfolg und damit »Kasse machen« positiv belegt. Für Paul Graham ist ein Start-up wirtschaftlich gesehen...