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Sinnlose Wettbewerbe

Warum wir immer mehr Unsinn produzieren

AutorMathias Binswanger
VerlagVerlag Herder GmbH
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl240 Seiten
ISBN9783451334702
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
'Je mehr Wettbewerb - umso besser': Schließlich soll sich doch der, die oder das Beste durchsetzen. Also versucht man, auch dort, wo es keinen Markt gibt, künstliche Wettbewerbe zu inszenieren. Diese Produktion von Unsinn schafft zwar Arbeitsplätze, hat jedoch fatale Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft: Sinn wird durch Unsinn verdrängt, Qualität durch Quantität.

Mathias Binswanger, Dr. rer. pol., Professor für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule Solothurn. Habilitation an der Universität Sankt Gallen. Schreibt regelmäßig für die Zürcher Weltwoche.

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Leseprobe

2. Der Idealfall des Marktwettbewerbs


„Reine Marktwirtschaftler sind nicht nur emotionale Krüppel, sondern auch schlechte Ratgeber.“

(Paul A. Samuelson in einem Interview mit dem Spiegel, 10. 11. 2008)

Marktgläubigkeit und ihr metaphysischer Hintergrund: die unsichtbare Hand


Der freie Markt erfreut sich heute bei vielen Ökonomen, Managern, Unternehmern und „liberalen“ Politikern großer Beliebtheit. Es wird gepredigt, dass freie Märkte grundsätzlich gut sind und der Staat sich gefälligst nicht in diese einmischen soll. Daraus folgt, dass wir möglichst viel Markt und möglichst wenig Staat haben sollen. Denn Märkte bringen uns, so ist die Meinung, Effizienz, Innovationen und Wachstum, während der Staat für Ineffizienz, Verschwendung und Stillstand sorgt. Gemäß den Verfechtern der freien Marktwirtschaft gilt also, dass dort, wo sich Märkte frei und ohne Behinderung entfalten können, die Menschen in einer Welt leben, die zwar gut ist, aber noch nicht gut genug. Noch besser wird diese Welt nämlich, so wird behauptet, wenn zusätzlich noch künstliche Märkte in den Bereichen inszeniert werden, wo sich von Natur aus gar kein Markt bilden würde. Erst wenn überall Markt ist, leben wir in der besten aller möglichen Welten.

Der wohl populärste professionelle Vertreter dieses Gedankengutes war der kürzlich verstorbene Nobelpreisträger in Ökonomie des Jahres 1976, Milton Friedman. Im Verlauf seines langen Lebens (er wurde über 90) verbreitete er vor allem eine Botschaft: Markt ist gut und Staat ist schlecht.[1] Das Fatale an derart einfachen Botschaften ist, dass sie bei Politikern schnell auf offene Ohren stoßen. Diese lieben simple „Wahrheiten“, weil sie leicht kommunizierbar sind und klare Handlungslinien für die Politik vorgeben. So war dies auch in den Jahren 1979 und 1980, als Friedmans mit Staatshass kombinierte Marktverehrung in England von Margaret Thatcher und anschließend von Ronald Reagan in den USA auf die Politik übertragen wurde: Privatisierung, Deregulierung und Wettbewerb wurden zu den neuen Schlagwörtern einer neoliberalen Revolution.

Ganz von ungefähr kam diese Wende im Jahre 1979 allerdings nicht. Die Wirtschaft Englands war damals in einem desolaten Zustand: Hohe Inflation, kombiniert mit ständigen, durch die mächtigen Gewerkschaften inszenierten Streiks bei den Staatsbetrieben, machte den Bürgern das Leben schwer. Gering war deshalb die Freude an der damals regierenden Labour Party, deren sozialistische Politik zu Recht für die Misere mitverantwortlich gemacht wurde. So empfanden viele Engländer die von Thatcher propagierte Abkehr vom Staat als eine Art Befreiungsschlag, der dann auch tatsächlich einige Probleme beseitigte (Inflation, Streiks). Dass dabei weit über das Ziel hinausgeschossen wurde und man sich nach der Staatsverehrung mit der Marktverehrung erneut ideologisch verrannt hatte, erkannte man erst, als die ersten Privatisierungsleichen (vor allem die Bahn) zum Vorschein kamen.

Woher kommt nun aber der Glaube an die Wirksamkeit von freien Märkten, den Milton Friedman zwar propagierte aber keineswegs begründete? Dieser Glaube beruht letztlich auf der von Adam Smith (1723–1790) in die Ökonomie eingeführten Idee der unsichtbaren Hand. Diese sorgt angeblich dafür, dass das eigennützige Handeln der Menschen im Mechanismus des Marktes immer auch das Gemeinwohl steigert. Diese Idee hat einen religiösen Ursprung, denn sie beruht auf einem Glaubensbekenntnis, das bei Adam Smith ganz explizit erwähnt wird.[2] Es ist der Glaube an die Stoa, wie dies mein Vater, der Ökonom Hans Christoph Binswanger (1998; S. 47–64) in seinem Artikel „Die Glaubensgemeinschaft der Ökonomen“ deutlich herausgearbeitet hat. Die Stoa war die dominierende Weltanschauung der gebildeten römischen Bürger von etwa 200 v. Chr. bis 300 n. Chr. und ging davon aus, dass sich die Welt dank eines göttlichen Planes stets zum Guten entwickeln würde. Adam Smith selbst beschreibt dieses Glaubensbekenntnis in seinem ersten Hauptwerk, der 1770 erschienen Theorie der ethischen Gefühle (Smith 1985, S. 47 ff.) folgendermaßen: „Die alten Stoiker waren der Meinung, dass wir – da die Welt durch die alles regelnde Vorsehung eines weisen, mächtigen und gütigen Gottes beherrscht werde – jedes einzelne Ereignis als einen Teil des Weltplanes betrachten sollen, als etwas, das die Tendenz habe, die allgemeine Ordnung und Glückseligkeit des Ganzen zu fördern.“

Bei Epiktet (50 bis ca. 140 n. Chr.), dem Hauptvertreter der späteren Stoa, findet sich denn auch die religiöse Begründung der unsichtbaren Hand, wenn er schreibt, dass Zeus (der griechische Gott, der als Synonym für die Weltvernunft steht) die Natur der vernünftigen Wesen (also der Menschen) so eingerichtet hat, dass sie keinen Reichtum erlangen können, wenn sie nicht zugleich etwas zum allgemeinen Nutzen beitragen. Daher sei es auch keine Sünde wider das Gemeinwohl, wenn man alles um seiner selbst willen tut.

Dieses stoische Glaubensbekenntnis ist sowohl wirtschaftsfreundlicher als auch bequemer als das Christentum. Dort werden vom Menschen nämlich so schwierige Sachen verlangt, wie seinen Nächsten zu lieben und alles mit ihm zu teilen. Anforderungen, bei denen keine rechte Freude am Reichtum aufkommen kann. Gemäß der Stoa darf man sich jedoch ohne Gewissensbisse und in bester Laune eigennützig verhalten, denn man fördert damit ja automatisch das Gemeinwohl. Adam Smith übernahm nun dieses Glaubensbekenntnis und übertrug es systematisch auf die wirtschaftlichen Handlungen der Menschen. In seinem zweiten und noch bekannteren Hauptwerk, dem 1776 erschienen Wohlstand der Nationen (1990, S. 370/371) führt Adam Smith aus, dass der Einzelne, wenn er nur nach seinem eigenen Gewinn strebt, „er in diesem wie auch in vielen anderen Fällen von einer unsichtbaren Hand geleitet wird, um einen Zweck zu fördern, den zu erfüllen er in keiner Weise beabsichtigt hat. … Gerade dadurch, dass der einzelne ein solches Ziel [die Förderung des Gemeinwohls] nicht bewusst anstrebt, ja, gerade dadurch, dass er das eigene Interesse verfolgt, fördert er häufig das der Gesellschaft nachhaltiger, als wenn er wirklich beabsichtigt, es zu tun.“

Da hätten wir sie nun also, die Idee der unsichtbaren Hand, die seit Adam Smith zum Credo der modernen Ökonomie geworden ist. Diese geht somit von einer Art „Intelligent Design“ der Welt aus (James Galbraith 2005), ganz ähnlich wie dies auch die sogenannten Kreationisten in den USA tun.[3] Der Unterschied liegt nur darin, dass die unsichtbare Hand nicht vom Gott der Bibel stammt, sondern das intelligente Design eines griechischen Vernunftgottes (Zeus) darstellt, der sich, sobald er einmal vernünftige Wesen geschaffen hatte, von dieser Welt zurückzog. Er konnte sie ja getrost sich selbst überlassen, denn die Entwicklung hin zur „Ordnung und Glückseligkeit des Ganzen“ war durch das im großen Weltenplan verankerte Prinzip der unsichtbaren Hand bereits gesichert. Die Stoa und auch Adam Smith brauchten keinen aktiv in die Welt eingreifenden Gott mehr, denn dieser hatte mit seinem perfekten Weltenplan bereits alles Notwendige geschaffen. Seither darf er im Vertrauen darauf abwarten, dass die unsichtbare Hand ihre Wirkung auf allen Märkten dieser Welt entfaltet. Da dieser Gott aber nie in Erscheinung tritt, ist er inzwischen auch in der Ökonomie fast völlig in Vergessenheit geraten und einem heutigen Ökonomen käme es deshalb kaum je in den Sinn, dass die unsichtbare Hand einen religiösen Hintergrund besitzt.

Wie die unsichtbare Hand des Marktes im Idealfall wirkt


Kehren wir zurück zur Ökonomie. Wie lässt sich das segensreiche Wirken der unsichtbaren Hand dort genau erklären? Um das auf Eigennutzen ausgerichtete Verhalten der vernünftigen Wesen (die Ökonomie spricht hier vom homo oeconomicus) besser klassifizieren zu können, werden diese in der ökonomischen Theorie in zwei Gruppen aufgeteilt: in die Produzenten bzw. Anbieter (daraus werden dann Unternehmen) und die Konsumenten bzw. Nachfrager.[4] Bei den Produzenten führt eigennütziges Verhalten zu Gewinnmaximierung. Und bei den Konsumenten führt eigennütziges Verhalten zur Nutzenmaximierung, was nichts anderes bedeutet, als dass die Menschen versuchen, ihre individuellen Bedürfnisse optimal zu befriedigen.

Die Argumentation lautet nun wie folgt: Die Produzenten werden versuchen, möglichst kostengünstig zu produzieren, um ihren Gewinn zu maximieren. Das heißt, sie werden die knappen Produktionsfaktoren (Arbeit, Kapital, natürliche Ressourcen) so einsetzen, dass sich daraus ein Maximum an Gütern und Dienstleistungen produzieren lässt. Auf diese Weise wird ein effizienter Einsatz der Produktionsfaktoren gesichert. Gleichzeitig werden sie aber auch genau die Güter und Dienstleistungen produzieren, für die sie möglichst hohe Preise erzielen. Hier kommen nun die Konsumenten mit ihrer Nutzenmaximierung ins Spiel. Diese versuchen, ihre Bedürfnisse optimal zu befriedigen und sind nur bereit für solche Güter und Dienstleistungen einen hohen Preis zu zahlen, die ihnen einen entsprechend hohen Nutzen bringen. Gibt es nun einen Markt, auf dem das Angebot...

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