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E-Book

Sklaverei

Im Inneren des Milliardengeschäfts Menschenhandel

AutorLydia Cacho
VerlagS. Fischer Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2011
Seitenanzahl352 Seiten
ISBN9783104013978
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Noch nie in der Menschheitsgeschichte war Sklaverei und Menschenhandel so verbreitet. Mit der modernen Sklaverei wird mehr Geld verdient als mit dem Drogenhandel. Unbeirrt kämpft die Menschrechtsaktivistin Lydia Cacho gegen den Kinder- und Sklavenhandel: Von Japan über Kambodscha und Europa bis nach Nord- und Südamerika ist sie undercover den Menschenhändlern auf der Spur. Lydia Cacho analysiert die weltweit verbreitete Kultur des Sexismus, weist eindrücklich nach, wie sexuelle Gewalt in diversen Kriegen gezielt als Waffe eingesetzt wird und welche neue Formen der Ausbeutung durch das Internet entstanden sind. Ein aufregendes Buch über eines der schockierendsten Themen unserer Zeit - mit einem Vorwort von Carolin Emcke.

Lydia Cacho, geboren 1963 in Mexiko-City, ist Journalistin und Menschenrechtlerin. Nach der Veröffentlichung ihres ersten Buches 2005, in dem sie einen überaus mächtigen Pädophilen-Ring in Mexiko aufdeckt, wurde sie verhaftet, gefoltert und einem jahrelangen Gerichtsverfahren unterzogen, in dem sie sich gegen die Klage der Diffarmierung behaupten musste. 2007 wurde sie freigesprochen, lebt seitdem aber unter ständiger Bedrohung in Mexiko. Für ihre investigativen Arbeiten wurde Lydia Cacho mehrfach ausgezeichnet, zuletzt mit dem PEN Canada One Humanity Award.

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Leseprobe

Einleitung


Als ich sieben Jahre alt war, warnte meine Mutter meine Schwester und mich, wenn wir auf die Straße gingen, sollten wir der Kinderfängerin aus dem Weg gehen. Die Kinderfängerin war eine alte Frau, von der es in der Nachbarschaft hieß, sie entführe Kinder: Sie locke sie mit Süßigkeiten in ihr Haus und verkaufe sie dann an Fremde. Damals kam mir die Geschichte wie ein Schauermärchen von Charles Dickens vor. Doch vier Jahrzehnte nach den Lektionen meiner Kindheit musste ich erfahren, dass dies keineswegs der Fall war und dass sich die Verschleppung von Frauen und Kindern zu einem der gravierendsten Probleme des 21. Jahrhunderts entwickelt hatte. Für die meisten Menschen klingen Worte wie »Frauen-« oder »Mädchenhandel« wie ein fernes Echo aus grauer Vorzeit, als Piraten junge Frauen verschleppten und in fernen Ländern in Bordelle verkauften. Wir haben uns lange dem Glauben hingegeben, dass die Modernisierung und die globalisierte Marktwirtschaft mit der Sklaverei aufräumen würden und dass die Kinderprostitution, die sich noch in einigen dunklen Ecken der »unterentwickelten Welt« hielt, beim bloßen Kontakt mit den Gesetzen und der Zivilisation des Westens verschwinden würde. Die Recherchen, die ich für dieses Buch angestellt habe, belegen das genaue Gegenteil. Wir beobachten heute weltweit ein explosionsartiges Wachstum von kriminellen Netzwerken, die Mädchen und Frauen verschleppen, verkaufen und versklaven. Die Kräfte, die angeblich die Sklaverei beseitigen sollten, haben ihr in Wirklichkeit zu einer beispiellosen Expansion verholfen. Wir leben heute in einer Kultur, in der die Verschleppung, der Handel, der Missbrauch und die Zwangsprostitution von Mädchen und jungen Frauen zunehmend normal werden. Diese Kultur fördert die Verdinglichung des Menschen und tut so, als handele es sich dabei um eine Errungenschaft der Freiheit und des Fortschritts. Angesichts ihrer Versklavung durch eine unmenschliche Marktwirtschaft, die man der Menschheit aufzwingt und als unvermeidliches Schicksal verkauft, wählen Millionen von Frauen die Prostitution als geringeres Übel und ergeben sich in die Ausbeutung, die Misshandlungen und die Macht des organisierten Verbrechens.

 

Mafiosi, Politiker, Militärs, Unternehmer, Industrielle, religiöse Führer, Bankiers, Polizeibeamte, Richter, Auftragsmörder und ganz gewöhnliche Menschen – sie alle bilden das gewaltige Netzwerk des internationalen Verbrechens. Der Unterschied zwischen Einzeltätern beziehungsweise regional agierenden Banden einerseits und den globalisierten Verbrechersyndikaten andererseits liegt in der Strategie, den Methoden und der Vermarktung. Die internationalen Kartelle verdanken ihre Macht zweifelsohne der Tatsache, dass sie sich, egal wo sie aktiv werden, über den Weg der Korruption erheblichen wirtschaftlichen und politischen Einfluss verschaffen können. Der Kitt dieses Netzwerks ist die sexuelle Befriedigung, über die alle Beteiligten an den Früchten der Zwangsprostitution teilhaben: Die einen schaffen den Sklavenmarkt, andere beschützen ihn, und wieder andere fragen die menschliche Ware nach.

Das organisierte Verbrechen ist eine illegale Unternehmung mit dem Zweck der Gewinnerzielung. Die Akteure werden wechselweise als Gangsterbanden, Mafia, Syndikate oder Kartelle bezeichnet. Sie gehören der sogenannten Schattenwirtschaft an, die zwar keine Steuern entrichtet, sich aber mit den Hütern der staatlichen Ordnung arrangieren muss, um ihren Geschäften nachgehen zu können. Dieser Pakt zwischen der staatlichen Macht und dem organisierten Verbrechen betrifft vor allem den Handel mit Waffen, Drogen und Menschen. Die Aktivitäten dieser kriminellen Organisationen bestehen in erster Linie aus Raub, Betrug und dem illegalen Handel mit Waren, Dienstleistungen und Menschen.

Im 21. Jahrhundert lässt sich ein gewaltiger Aufschwung und eine Professionalisierung des organisierten Verbrechens beobachten. Unter Ausnutzung der Spielregeln der kapitalistischen Marktwirtschaft hat sich die Mafia neue Wege eröffnet, um in beispiellosem Umfang Waren und Dienstleistungen zwischen Ländern und Kontinenten zu verschieben. Die Mafiosi machen ihre Geschäfte mit der Gewalt und mit dem Schutz vor Gewalt. Zweck ihrer Unternehmungen sind Geld, Lust und Macht.

Der Menschenhandel[1], der in 175 Ländern der Erde dokumentiert ist, legt die Schwächen des globalisierten Kapitalismus genauso bloß wie die Ungleichheiten, die durch die wirtschaftlichen Spielregeln der Mächtigen entstehen. Vor allem aber zeigt er eindrucksvoll, inwieweit sich die menschliche Grausamkeit inzwischen in der Kultur festgesetzt hat und als normal angesehen wird. Jedes Jahr werden weltweit rund 1,4 Millionen Menschen, überwiegend Frauen und Mädchen, in die Sexsklaverei gezwungen. Sie werden gekauft, verkauft und weiterverkauft wie Rohstoffe der Industrie, wie Trophäen, wie Opfergaben oder wie gesellschaftlicher Müll.

 

Während meiner fünfjährigen Recherche habe ich die Operationen der kleinen und großen internationalen Verbrechersyndikate verfolgt und Zeugnisse von Überlebenden der kommerziellen sexuellen Ausbeutung gesammelt. Auf meinen Reisen bin ich auch Männern, Frauen und Kindern begegnet, die Opfer der Arbeitssklaverei oder der Zwangsheirat geworden waren. Dieses Buch beschäftigt sich jedoch ausschließlich mit der modernen Sexsklaverei. Die hochentwickelte internationale Sexbranche hat einen Markt geschaffen, auf dem schon bald mehr Sklaven verkauft werden als zur Zeit des afrikanischen Sklavenhandels vom 16. bis ins 19. Jahrhundert.

Es gibt kein Verbrechernetzwerk, das kein Geschäft mit dem Sex machen würde. Alle verschleppen, verkaufen, vermieten, verleihen, vergewaltigen, quälen und ermorden sie Frauen und Kinder – die japanischen Yakuza genauso wie die chinesischen Triaden, die russische, die italienische und die albanische Mafia oder die lateinamerikanischen Drogenkartelle. Die wirtschaftliche und politische Macht verlangt nach sexueller Befriedigung. Nach den Regeln des Machismo sind Frauen keine Menschen, sondern Objekte, und selbst die in den Verbrecherorganisationen tätigen Frauen halten sich an die Gesetze der Misogynie und der Verachtung ihres eigenen Geschlechts.

In der kriminellen Psyche gehen Eros und Tanatos Hand in Hand. Die Macht, Feinde zu foltern, zu töten oder zu köpfen, verlangt nach einem Ausgleich. Das ist einer der Gründe, weshalb die Bosse der großen Kartelle Frauen jeden Alters kaufen, verkaufen, misshandeln und ermorden. Sie fördern verschiedenste Formen der Prostitution und schaffen immer neue Märkte für das Geschäft mit der Lust. Der Zugang zu sexueller Befriedigung stiftet den Zusammenhalt zwischen Gruppen von Unternehmern und Militärs. Auch deshalb ist das Geschäft mit dem Sex neben dem Waffen- und Drogenhandel das einträglichste der Welt. Ob Mädchen, Jugendliche oder erwachsene Frauen – das Alter spielt keine Rolle, Hauptsache, sie lassen sich von ihren Besitzern kontrollieren, benutzen und unterwerfen.

In diesem Buch beschäftige ich mich auch mit der Einstellung, die Männer zu Frauen und zur Sexualität haben. In den Aussagen der männlichen Akteure begegnen wir einem Phänomen, das gelegentlich als »Bumerang des Feminismus« bezeichnet wird: Immer mehr Männer suchen sich immer jüngere Frauen beziehungsweise Frauen aus Ländern, in denen das weibliche Geschlecht nach wie vor unterdrückt wird. Wir begegnen aber auch Frauen auf dem Straßenstrich und Frauen, die sich selbst als »freie Prostituierte« bezeichnen und das Sexgewerbe als eine normale Form des Broterwerbs in einer kapitalistischen und ausbeuterischen Welt betrachten. Auch auf dieses Thema werde ich in diesem Buch eingehen, um die weltweite Diskussion um Sexsklaverei und Prostitution in ihrer ganzen Komplexität auszuleuchten.

Meine Recherchen in aller Welt haben mir einen völlig neuen Blick auf die Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Verbrecherorganisationen eröffnet. Die Straflosigkeit, mit der sie ihren Geschäften nachgehen, ist nicht nur beängstigend, sondern hochgradig verdächtig, zumal die mächtigsten Nationen der Erde den Kampf gegen den Menschenhandel weit oben auf ihre Agenda der nationalen und internationalen Sicherheit gesetzt haben. Warum besteht dann aber nach wie vor ein derartiger Widerspruch zwischen der Einwanderungspolitik und den Handelsverträgen? Wie kam es zur Feminisierung der Migration? Wie viele Länder dulden die Ausbeutung ihrer eigenen Bürger unter dem Vorwand der wirtschaftlichen Entwicklung? Warum gibt es in den wohlhabenden Ländern nach wie vor keine Transparenz bei der Behandlung von Einwanderern aus armen Ländern? Wie funktionieren die Fabriken, in denen die illegalen Einwanderer arbeiten, und wie einigen sich die Unternehmer und der Staat darauf, in welchen Bereichen die Ausbeutung geduldet wird?

Die Tatsache, dass ich eine Frau bin, machte mir die Recherche nicht unbedingt leichter. Im Gegenteil, mein Geschlecht stellte oft eine zusätzliche Hürde dar. Obwohl ich vier Sprachen spreche, musste ich Übersetzern und einheimischen Mittelsmännern vertrauen, die jeden Winkel ihrer Stadt und die Spielregeln der einheimischen Verbrechersyndikate kannten. Journalisten von internationalen Tageszeitungen, ausschließlich Männer, empfahlen mir Fahrer, Informanten und Führer. Obwohl viele meiner männlichen Kollegen den Frauenhandel als Teil der Korruption und des organisierten Verbrechens wahrnahmen, hatte sich keiner im Detail mit dem Thema beschäftigt. Ohne Verdacht zu erregen, konnten sie die Bordelle und Karaokebars betreten, die in Dutzenden Ländern die Schauplätze der Zwangsprostitution...

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